Was sich mit K schreibt

Was sich mit K schreibt

Literaturbetriebskritik und Suada: Wie verquickt sind Journalisten? Kurz vor dem Deutschlandstart der HuP: die Inflation des von ihr bekannten Modells. Außerdem: "Wetten, dass..?". Die FAZ als Vinylplatte zum doppelten TAZ-Preis. Und ein neuer Titanic-Chefredakteur.

Es ist so gut wie Buchmesse in Frankfurt, und das ist echt super, wenn man nicht hinmuss. Die Messe ist ein Anlass für Sonderausgaben, Sonderbeilagen, Sonderfeuilletons und große Feiern des gedruckten Buchs, die in ihrer Aussage (Bücher sind voll gut) fast so originell sind wie die jüngsten "Wetten, dass..?"-Kritiken (war blöd). Und so wissen auch in diesem Jahr wieder pünktlich zur Verlagsmitarbeiterlebensverkürzungsveranstaltung namens Buchmesse alle Interessierten, welche Bücher sie lesen sollten, wenn sie die Empfehlungen aus der frühjährlichen Buchmessensonderausgabe irgendwann durchhätten.

Dieser erste Absatz krankt natürlich an der impliziten Behauptung, dass Literaturkritik nur Servicejournalismus sei und ihre Hauptaufgabe die schnelle Bewertung und nicht etwa die Erkenntnis des Verborgenen. Aber was sollte und was ist, ist zweierlei, und hier schließt sich Christopher Schmidts Literaturbetriebsbetrachtung und Kampfgeistplädoyer aus dem "SZ Wochenende" an. Er macht eine Diskrepanz zwischen Sollen und Sein aus:

"Zu großen Teilen ist Kritik inzwischen zu einer bloßen Gehilfin der Einfühlung geworden, einer nur sensibleren Form der Verkaufsprosa."

Wenn das stimmen würde, mit Betonung auf "wenn", für wen entstehen dann Buchmessenbeilagen? Für die Buchbranche selbst, die anschließend für ein weiteres Jahr ihre Neuerscheinungen im Feuilleton bewirbt? Die Verquickungen zwischen Kritik und Betrieb, die Schmidt beschreibt, sind jedenfalls allemal interessant (und haben zum Teil Entsprechungen bei Medienjournalisten). So gelte etwa,

"dass man sich im Leben bekanntlich immer zweimal trifft, im Literaturbetrieb aber mindestens zweimal pro Monat. Da ist es nicht ganz einfach, einen Autor zu verreißen, dem man vielleicht schon bald einen Preis überreichen muss, oder ein Buch in die Tonne zu treten, für dessen Lesung man ganz gerne als Moderator angefragt werden möchte. Die probate Lösung ist es dann oft, dass sich der Kritiker von vornherein auf die eigene, empfindsame Subjektivität zurückzieht und sein Fähnlein in den lauen Wind des Geschmäcklerischen hängt – dass man ein Buch mehr oder weniger 'mochte', lautet hierfür die windelweiche Branchenformel."

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, deren Literaturchef bei Schmidt als Mann verhandelt wird, der einem Pflichtprogramm folge, das Emphase heiße, hat tags darauf, am Sonntag, eine Art Replik veröffentlicht. Auf Schmidts Forderung nach mehr Abkühlung – "Kälte" und "Kritik": "Beide schreiben sich mit scharfem 'K'" –, schreibt die FAS in ihrer sich durchs Feuilleton ziehenden Suada, die man öfter lesen könnte, wenn sie durch eine Inflation nicht entwertet würde:

"Gewiss, Christopher Schmidt, aber weißt du, was sich noch mit K schreibt? Genau."

Man kann sagen, dass die Mehrdeutigkeit der verhandelten Dinge insgesamt aufs Schönste offengelegt wird, und mehr muss man von Kritik nicht verlangen.

+++ Wo wir gerade bei der Lage des Journalismus sind – oder besser: Wo wir gerade mal wieder nicht nicht bei der Lage des Journalismus sind: Kritischer Politikjournalismus ist nicht, die Selbstinszenierung von Politikern im Rahmen der Sondierungsverhandlungen kritisch zu begutachten, auch dann nicht, wenn sie sich womöglich gar nicht inszenieren, sondern einfach nur zusammen durch eine Tür gehen. Stefan Niggemeier hat es am Samstag "Lesen in der Kartoffelsuppe" genannt und das Wesentliche der Sondierungsverhandlungsberichterstattung, die in einem "Was nun..?" ohne Antworten auf keine Fragen im ZDF gipfelte, zusammengefasst:

"Täusche ich mich oder lässt sich die innenpolitische Nachricht des gestrigen Tages verlustlos auf einen einzigen Satz zusammendampfen, der lautet: 'CDU/CSU und SPD haben sich zu ersten Sondierungsgesprächen getroffen?'"

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+++ Und wo wir aber gerade bei der Lage des Journalismus sind, let's talk about "Wetten, dass..?"-Kritiken: Auch "Wetten, dass..?"-Kritiken sind Kritiken und als solche mögliche Blicköffner; aber wenn sich mal kein kollektiver Grund finden sollte (diesmal: erste Show der neuen Staffel), eine Ausgabe zu verreißen und stattdessen andere Fernsehprogramme (zum Beispiel mal den "Tatort") mit Beachtung zu bedenken, wäre das auch okay. Die Kritiken allerdings sind unterhaltsamer als es die Sendung am Samstag war:

"Es gehört zu den größten Talenten des derzeitigen 'Wetten dass..?'-Moderators, von Sendungen, die er noch gar nicht zu Ende moderiert hat, schon zu wissen, dass sie großartig waren. Dieses Urteil dem Publikum zu überlassen, wäre vermutlich unnötig altmodisch. Das wäre eventuell zu dem Schluss gekommen, dass es vor allem eine Show geworden ist, die unglaublich lange Anlauf nehmen musste, um unter Beweis zu stellen, wie sehr ihr die Puste ausgegangen ist",

schreibt Peer Schader bei FAZ.net. Und Hans Hoff fragt sich in der SZ etwas angesichts der zurückgenommenen Showneuerungen:

"Im Prinzip ist alles wieder wie zu Gottschalks Zeiten, und man fragt sich dann doch, womit all die hochbezahlten Showexperten der vergangenen Staffel ihr Geld verdient haben, wenn exakt keine ihrer revolutionären Änderungen funktionierte."

Siehe auch ein Protokoll beim österreichischen Kurier, Berliner-zeitung.de, tagesspiegel.de, ein "ZDF-Zugpferd"-Text bei Spiegel Online, TAZ und ein Interview vom Samstag mit ZDF-Unterhaltungschef Oliver Fuchs in der Welt, in dem die Zeitung vorbeugend – vielleicht ein wenig gewagt, aber wo hätte auch plötzlich Esprit herkommen sollen? – schlechte Kritiken ankündigt und in dem Fuchs eine brisante Jobgarantie für Lanz ausspricht, die ans Fußballgeschäft erinnert:

Die Welt: "Wetten, dass … das ZDF eher einen Nachfolger für Lanz sucht als die Gretchenfrage zu stellen, ob das Format noch zeitgemäß ist?
Fuchs: (lacht) Im Augenblick stellt sich die Frage nicht.
Die Welt: Warten Sie das Echo auf die nächste Ausgabe ab."

+++ Aber wo wir gerade bei der Lage des Journalismus sind – die FAS nochmal:

"Zeitungen bauen Stellen ab und verlassen die Tarifbindung [siehe hierzu auch TAZ über Berliner Zeitung]; freie Journalisten klagen über erbärmliche Honorare und sinkende Bereitschaft von Auftraggebern, Kosten zu übernehmen. (...) So berichtet in der Zeitung dann der Veranstalter gleich selbst über seine Veranstaltungen, die Grenzen zwischen Bürgerreportern und Journalisten geraten ins Fließen, der Wert von Journalismus sinkt."

Wenn am Donnerstag der deutsche Ableger der Huffington Post, kurz HuP, startet (siehe etwa TSP), dessen Website derzeit leider noch nur mit Benutzername und Passwort gelesen werden kann, wird diese Entwicklung – siehe ein anderes Beispiel bei Carta – weitergehen. Die HuP bietet ihren Bloggern statt Geld Aufmerksamkeit an. Stefan Niggemeier schreibt dazu im FAS-Text:

"Natürlich hat die Währung Aufmerksamkeit einen realen Wert, und oft genug ist er groß genug, dass es sich lohnt, ein solches Angebot anzunehmen. Das gilt aber insbesondere bei Menschen, die nicht vom Journalismus zu leben versuchen. (...) Journalisten hingegen sehen sich plötzlich damit konfrontiert, dass ihnen an jeder Stelle Aufmerksamkeit angeboten wird, aber immer häufiger die Möglichkeiten fehlen, sie in Euro umzutauschen."

Dass es für freie Journalisten keine Wege gäbe, mit der Entwicklung konstruktiv umzugehen, stimmt nicht. Constantin Seibt hat kürzlich in einer Kolumne von der Annäherung des Journalismus an den Kunstbetrieb gesprochen, von der "Errichtung eines Starsystems. Die cleversten werden für ihre Arbeit hinreichend bezahlt, dass sie davon leben können. Die anderen nicht." Die Zeitungen derweil könnten sich an Modelle der Musikindustrie annähern – und es könnte sein, dass die FAZ die Vinylscheibe werden will. Thomas Schultz-Homberg, "Leiter Elektronische Medien" bei der FAZ, wird beim Nieman Lab zitiert, eine Zeitung ohne Anzeigen würde einen Abonnenten vielleicht 80 bis 90 Euro im Monat kosten:

“'We are starting to ask the question about a paper without ads. (...) What should this cost to run it profitably? What we are thinking is that it is 80 or 90 euro a month. Maybe there will be an audience that is still addicted to the paper."

Die Zeitung zum Liebhaberpreis für ein Nischenpublikum, das funktioniert bei der TAZ unter anderen Voraussetzungen ganz gut: 23 Prozent der TAZ-Abonnentinnen und -Abonnenten zahlen nach Verlagsangaben immer noch freiwillig 8 Euro mehr als sie müssten.


ALTPAPIERKORB

+++ "Der digitale Medienwandel geht auch am Satiremagazin Titanic nicht spurlos vorbei" (Meedia): Das hat einen neune Chefredakteur, den "bisherigen Online-Redakteur Tim Wolff" (Spiegel) +++

+++ "Ist Ausländer- und Flüchtlingshass eben gar nicht rechtsaußen, sondern doch mittendrin in unserer Gesellschaft?", fragt sich Sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger bei Facebook angesichts der mittlerweile wohl gelöschten Kommentare unter einem Text über einen syrischen Asylbewerber +++

+++ In der FAZ steht nicht, wie meistens am Montag, da der Platz auf der Medienseite gering ist, eine Fernsehkritik, sondern einen Text über Video-on-Demand und Bezahlsender in Deutschland: "spannend zu sehen, wie die Bereitschaft der Deutschen zunimmt, für ein erweitertes Fernsehangebot zu zahlen", schreibt Peer Schader +++

+++ Marion Horn, die neue BamS-Chefin, hat ihren eigenen Twitter-Beef +++ Inka Bause vor dem Ause? (Spiegel) +++ Die SZ schreibt über den bulgarischen Politiker Deljan Peewski, der in der Neuen Bulgarischen Mediengruppe seiner Mutter eine größere Rolle spielen soll, der aber ein Beliebtheitsproblem hat +++

+++ Noch ein neues Autorennetzwerk jenseits etablierter Medienmarken, das vielleicht auch nicht nur mit Aufmerksamkeit bezahlen will: Ticula stehe in den Löchern des Starts (universal-code.de) +++ Während bei der HuP noch eine personelle Angelegenheit geklärt werden musste +++

+++ Und im Fernsehen: "Westwind" (ZDF, 0.10 Uhr), besprochen in der TAZ +++

Neues Altpapier gibt es am Dienstag.

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