Der Leuchtturm als Anker

Der Leuchtturm als Anker

In Hamburg wird irrelevanterweise der neue "Tagesthemen"-Moderator in einer eigenen Pressekonferenz vorgestellt. Im Netz schlägt Sky dem neuen Pay-Sport-Anbieter Springer ein konfrontatives Schnippchen. Der Fernsehsportjournalismus kann seine größten Erfolge (50 Jahre Sportstudio) immer nur in der Vergangenheit gefeiert haben. Und die Paradoxien des LSR machen munter weiter.

In unserer beliebten Reihe "Metaphern – kann das gut gehen?" schalten wir heute direkt nach Hamburg zur Vorstellung von Thomas Roth als neuem "Tagesthemen"-Moderator.

Im Tagesspiegel berichtet Jan Freitag über diesen denkwürdigen Anlass:

"Einem Whitehead glaubt das Publikum, er sorgt für Vertrauen. Solche Journalisten sind auch hierzulande Leuchttürme im bewegten Flachwasser neuer Medien und Anker in die alten."

Es geht hier gar nicht um den "Whitehead", der erklärt wird:

"'Whitehead' ist ein respektvoller Begriff. So werden in den USA jene Journalisten genannt, deren Haar – zum weißen Helm gealtert – Seriosität ausstrahlt, Würde und Kompetenz."

Auch wenn man bei flüchtigem Google vor allem auf den Mathematiker Alfred North Whitehead stößt, der ironischerweise eine würdevoll kompetente Glatze trägt.

Nein, es geht bei unserer kleinen Klugscheißerei natürlich um den Leuchtturm im Flachwasser, der auch ein Anker ist.

Das ist nämlich ein bisschen viel an Funktionen, die sprachliche Bilder hier haben sollen. Für den Text aber erst der Auftakt von lauter Superlativen, die sich gegenseitig auf den Füßen stehen. Über die "Tagesthemen" heißt es:

"Es ist eine Art Hochamt aktueller Berichterstattung, in leitender Funktion seit 1978 moderiert von Monolithen wie Hanns Joachim Friedrichs, Wolf von Lojewski, Ernst-Dieter Lueg, Sabine Christiansen, Ulrich Wickert. Kaliber, deren Namen bisweilen den Nachhall von Altbundeskanzlern haben."

Hochamt. Monolithen. Kaliber. Albundespräsidenten.

So geht es die ganze Zeit, wobei der Text Humor beweist, wenn am Ende alle Besonderartigkeitswörter über die Sendung sich im "Flaggschiffhochamtsachter der Nachrichtenrepublik" noch mal an den Händen fassen.

Aus dem Überschuss an beeindruckenden Bildern spricht vermutlich eine Form von Verzweiflung, die sich bei näherem Blick als genau das Gegenteil von dem entpuppt, was permanent behauptet wird. Der Hamburger Termin ist einfach nicht relevant.

Auch wenn Thomas Roth eine bekannte Fernsehnase sein mag und die Sendung, die er künftig moderieren wird, einen gewissen Stellenwert hat – was soll bei so was rausgekommen? Was ist die Information, dass Roth den Satz, mit dem er sich künftig immer verabschieden werde, noch nicht bekannt gegeben hat, wert?

In der Berliner Zeitung, wo der Text größter auf der Medienfeuilletonseite ist, hat sich Ulrike Simon dafür entschieden, die Umstände von Roths Erstsendung (in der Halbzeitpause eines Fußballspiels) zu thematisieren:

"Viel Zeit, ein Exempel für die künftige, ihm eigene Note zu liefern, ist also nicht. Aber, um in der Fußballsprache zu bleiben: In den ersten Tagen als Moderator der 'Tagesthemen' dürfe es ohnehin nicht darum gehen, 'mit einem Fallrückzieher' zu glänzen, sagte der heutige WDR-Intendant Tom Buhrow damals vor seiner ersten Sendung."

Besser wird es dadurch aber auch nicht. Oder anders gesagt: Vielleicht hat das Handelsblatt den Termin am besten gefeatured als Anlass für eine Youtube-Klickstrecke mit Pannen aus den "Tagesthemen", unter anderem jenem loriothaften Vorab- oder Mittendringespräch zwischen Ulrich Wickert und Wolgang Schäuble übers Abnehmen.

[+++] Interessanter ist die Sprachwahl da, wo es um was geht. Überall ist etwa die Meldung zu lesen, dass Sky auch für Nicht-Abonnenten ein App anbietet (4,99 Euro monatlich), die kurz nach den Nachmittagsspielen der Bundesliga bereits alle Tore zeigt. Und damit "Bundesliga bei Bild" Konkurrenz macht, wo eine Stunde nach Abpfiff Szenen zu sehen sind (7,98 Euro monatlich).

Die Berliner etwa titelt nun marktwirtschaftschronologisch:

"Der Sportsender Sky geht auf Konfrontation mit Springer"

In der FAZ (Seite 39) schreibt Michael Hanfeld dagegen:

"Im Wettbewerb um die Fans der Bundesliga schlägt der Abosender Sky dem Springer-Verlag ein Schnippchen."

Wer will, kann darin einen Ausdruck erkalteter Zuneigung gegenüber Springer (wenn nicht Schadenfreude) erkennen (Altpapier vom Dienstag) – "Schnippchen schlagen" klingt doch wesentlich lausbübisch-sympathischer, als man sich das Rumgebolze unter Konkurrenten auf dem so beliebten freien Markt vorstellen muss.

"Foul! Foul! Foul!"

Ruft in der TAZ die Überschrift auf dem Text von AP-Autor René Martens, der sich das Spiel quasi von der Seitenlinie anschaut (und dabei auch nicht die ARD-"Sportschau" im Fernsehen vergisst):

"Das herkömmliche Pay-TV zeigt sich also kampfbereit gegenüber jenen, die jetzt auch mal was mit Pay-TV machen wollen."

René Martens hat auch den Aufmacher der dieswöchigen Funkkorrespondenz geschrieben, der eine faktenreicher Gang durch die Geschichte des ZDF-"Sportstudios" ist. Das wird nämlich so alt wie die Bundesliga: 50.

Neben interessanten Facts wie etwa der Moderation durch den Intendanten der Berliner Festspiele (Walther Schmieding) diskutiert der Text den Wandel der Zeiten, etwa an Äußerungen von ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz auf einer Pressekonferenz Anfang Juli:

"'Wir müssen unterscheiden: Was ist für uns als Journalisten?interessant und was ist interessant für die Konsumenten, die wir beliefern müssen?' Für einen öffentlich-rechtlichen Journalisten ist das eigentlich eine Bankrotterklärung. Gruschwitz ist weder der Wahlkampfmanager einer Partei noch der Geschäftsführer einer Marmeladenfabrik, der darauf erpicht sein muss, die richtigen Geschmacksvorlieben der – potenziellen – Käufer zu treffen. Hinzu kommt, dass die Sehgewohnheiten und damit auch die Interessen der 'Konsumenten' vom Fernsehen beeinflusst bis geformt werden, wenn auch keineswegs nur vom ZDF."

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Für die Jämmerlichkeit des öffentlich-rechtlichen Sportfernsehens spricht ja schon auch, dass sich ein Weichspüler wie Michael Steinbrecher, "Professor für Fernseh- und crossmedialen Journalismus am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund", mit einem "Mir reicht's" verabschieden kann nach dem Fest.

Der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender über die gerade zu Ende gegangene Fußball-EM in Schweden widmet sich Dietrich Leder (ebenfalls in der FK). Er hat, neben dem heißer diskutierten Spot mit der Waschmaschine, eine fortwährende Herablassung ausgemacht:

"Das setzte sich fort mit einem Kommentator (Bernd Schmelzer), der noch zu jeder deutschen Spielerin eine private Anekdote von sich gab, wie viel Kinder sie habe, wie ihre Patenkinder hießen, wie viele Kilogramm sie vor dem Turnier abgenommen habe, ob sie demnächst heiraten wolle. Man stelle sich einen Kommentator vor, der während eines hochdramatischen Endspiels derlei private Mitteilungen zu Özil, Müller, Götze oder Lahm absonderte."

[+++] Dass es sich lohnt, mit etwas Abstand auf zurückliegende News zu schauen, beweist auch der Text von Christian Schlüter in der Berliner (Seite 3). Es geht um Springers neue Unternehmenspolitik. Darin finden sich zwar merkwürdige Setzungen wie:

"Da aber für die meisten Menschen das Gütesiegel 'Qualitätsjournalismus' immer noch mit der Papierform verbunden ist und der Springer-Konzern sich mit Rücksicht auf seine Kunden und Leser als Verlag klassischen Zuschnitts empfehlen möchte, fügte der Manager hinzu, dass man sich weder von dem einen noch dem anderen verabschiede, schließlich blieben dem Hause mit Bild und Welt ja papiergebundene und qualitätsjournalistische Publikation behalten."

Vielleicht wäre es an dieser Stelle doch noch mal angebracht gegenüber den Gütesiegelbewahrern daraufhinzuweisen, dass ein sinnloser PR-Begriff wie "Qualitätsjournalismus" die Zeitungskrise nicht beendet, wenn man ihn jetzt automatisch ans Papier bindet, sondern definitorisch nur Probleme macht.

Aber darüberhinaus, wie gesagt, ist Schlüter originell im Wissen frühester Online-Passionen von Döpfner ("Global Village Wochenpost" von 1995) und in der Nüchternheit, mit der Springers Geschäftsziele liest.

"Dennoch ist die 'Emanzipation vom Papier' nicht risikolos zu haben, weil der Konzern noch von dem Nimbus seiner Marken lebt, die er nun nach und nach verkauft, und weil er einmal verlorenes Terrain im Journalismus ab einem gewissen Punkt nicht mehr wird zurückerobern können."


Altpapierkorb

+++ Papiergebundene und qualitätsjournalistische Publikationen, Moment, da könnte einem Spaßvogel aktuell der "Landser" einfallen (Altpapier von gestern). Im Tagesspiegel schreibt heute Sonja Alvarez, dass die Kritik, die das Klemp-Gutachten des Wiesenthal-Centers gerade äußert, eine Geschichte hat: "Sozialwissenschaftler Klaus F. Geiger warf dem 'Landser' bereits 1974 vor, ein 'gereinigtes Bild des deutschen Militärs' zu vermitteln. Nach Klemps Studie hat sich daran bis heute offensichtlich nichts geändert." +++

+++ Tag 2 mit dem LSR. Stefan Niggemeier hat für Zeit-Online die Paradoxien des Gesetzes aufgeschrieben. "Dass die Verlage sich zur wirtschaftlichen Bedeutung von Google News bekennen mussten, hat Google durch einen simplen Trick erreicht: Das Unternehmen forderte von ihnen eine schriftliche Einwilligung: Wenn sie weiter mit ihren Inhalten präsent sein wollen, müssen sie erklären, dass Google wie gehabt die kurzen Ausschnitte kostenlos anzeigen darf. Nach der Rechtsauffassung von Google – das ist die nächste Paradoxie – wäre eine solche Einwilligungserklärung gar nicht nötig." +++ Und im eigenen Blog wird die Betonung der Vorläufigkeit der Einwilligung der Verlage betrachtet. +++ Das war jetzt eine Substantivkette, mit der man auf dem VIII. Parteitag der SED ("die Rolle der Bedeutung der Partei") hätte beeindrucken können. Viel beeindruckender ist allerdings der Rant von Jochen Hieber in der FAZ (Seite 39), der gegen die Fernsehdokumentation "Die Gentleman baten zur Kasse" (Arte, 20.15 Uhr) geht. Dort werden nämlich eifrig Ausschnitte aus dem Fernsehspielklassiker "Die Gentleman bitten zur Kasse" von 1966 verwendet (gestern auch schon im TSP): "Ob bloß skurril, die Zuschauer verwirrend oder einfach professionell fatal: der auch von Arte als Dokudrama annoncierte Rettinger-Film eignet sich die Arbeit anderer an und beutet sie aus." +++ Ralf Wiegand ist in der SZ (Seite 29) viel zu fasziniert vom Kriminalfall selbst, um das Maß von Dokumentation und übernommenen Spielszenen zu betrachten. +++

+++ Hiebers Kritik könnte man wiederum gegen den NDR wenden, der, auch wenn es so naheliegend wäre, den legendären Dreiteiler zu wiederholen, immer unterstellt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus Angst um seine Einschaltquoten Amnesie im Blick auf seine eigene Geschichte hat. Kritik am Fernsehen äußert jedenfalls auch Tele-5-Chef Kai Blasberg im TAZ-Interview mit David Denk: "Ich bin von ganzem Herzen Zirkusdirektor. Leider werden zu viele Sender von introvertierten Kontrollertypen geführt, die für diesen Zirkus nicht gemacht sind, geschweige denn ihn genießen. Das ist in etwa so, als wäre Angela Merkel Bundeskanzlerin." Kein schlechter Gag. Und weil es so schön ist: "Wir greifen redaktionell kaum ein, weil wir der Kreativität der ach so laut jammernden Produktionsbranche eine Chance geben wollen. Das hat auch den Vorteil, dass ich, wenn es schiefgeht, sagen kann: Sorry, aber das war deine Idee, nicht meine. Früher bei den großen Sendern wollte es hinterher ja immer keiner gewesen sein." +++ "'Eye TV' ätzt gegen das Genre, in dem es selbst stattfindet: das Farbfernsehen. Lässt sich kurzweilig und erfrischend an", schreibt Martin Weber im KSTA über die Sendung von Blasbergs Sender mit Blasbergs Stimme. +++

+++ Die SZ portraitiert auf ihrer Seite 3 Glenn Greenwald, den Guardian-Kolumnisten und Snowden-Vertrauten: "Die CIA sei in Rio sehr präsent, er hustet und kramt ein Bonbon aus dem Rucksack. 'Die sind bekannt für ihre Methoden.' Das gehe zurück auf die Zeiten des Militärregimes, die USA hätten in Lateinamerika viele Interessen. 'Es wäre unrealistisch für mich anzunehmen, dass ich nicht überwacht werde.'" +++

Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.

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