Führungskrise in der ARD

Führungskrise in der ARD

Das "Royal Baby" kommt zur Unzeit. "George" ist dagegen immer noch nicht gekommen im Programm der ARD, die Vorberichterstattung steuert aber immer neue Höhepunkte an: Volker Herres, Programmdirektor bei der ARD, liefert erschütternde Einblicke in die öffentlich-rechtliche Programmplanung. Und war der Jahrhundertschauspieler Heinrich George am Ende nur ein Jahrhunderthälftenschauspieler?

Das kann auch nur in Zeitungen passieren:

"Seit mehr als einer Woche lauern die Reporter vor dem St. Mary's Hospital in London, wo die Herzogin von Cambridge ihr Kind zur Welt bringen soll."

Schreibt Rainer Stadler in seiner NZZ-Kolumne, um sich über die Zutextung des Wartens auf die Geburt des William-und-Kate-Kindes Gedanken zu machen. Online lassen sich Erklärungen druntersetzen:

"Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen war das 'Royal Baby' noch nicht geboren."

Wobei es natürlich auch eine Variante gewesen wäre, eine überarbeitete Version rauszuhauen. Das erfolgreiche Warten wird wohl in den nächsten Tagen als Medienereignis rezipiert werden können.

Denn wie hoch man immer die Nachricht von der Geburt des Royal Baby schätzen mag – immerhin handelt es sich um ein Ereignis mit überzeugender Dramaturgie.

Das lässt sich von dem "George"-Film mit Götz als Heinrich nicht behaupten, wie gestern hier ausführlich beschrieben wurde. Auch wenn natürlich immer die Möglichkeit besteht, dass Filme scheitern, so kann man sich aus fernerer Warte doch auch ein wenig verhohnepiepelt fühlen: Es geht bei dem Bohei um "George" darum, einen Anlass zu haben, um Götz George in der Schminke seines Vaters zu zeigen und mit ihm darüber zu reden, womit er seit je assoziiert wird.

Nie geht es um einen Film, dass der sich wirklich heranwagte an die Schwierigkeiten einer Biografie wie der Heinrich Georges, weshalb das PR-Gerede drumherum vom Regisseur Lang, der George schließlich "überzeugt" habe, PR-Gerede ist.

Alte Teamworx-Schule, könnte man meinen, wenn man sich die Meldung in der SZ (Seite 11) durchliest, in der Christopher Keil ein wenig spöttelt über die Erklärung, mit der Fernsehfilmproduzent Nico Hofmann die Übernahme der Intendanz der Wormser Nibelungen-Festspiele von Dieter Wedel (ab 2015) begründet:

"Hofmann selbst nennt als Grund auch seine heimliche Liebe zum Theater. Es muss eine bisher verdammt heimliche Liebe gewesen sein."

Zurück zu George. Da erscheint nämlich – man möchte es kaum glauben, einen Tag vor der heißerwarteten ARD-Ausstrahlung für alle, denen Arte auf der Fernbedienung zu umständlich ist – immer noch was.

Joachim Huber hat im Tagesspiegel mit ARD-Funktionär Volker Herres gesprochen, was für Leute, die in den achtziger Jahren zu klein waren, um sich an der Entschlüsselung von Kreml-Verlautbarungen zu üben, doch einen gewissen Rätselspaß mit sich bringt: Sudoku ohne Zahlen oder wie passt das, was Herres sagt, zu dem was man von der ARD hört, weiß und sieht.

Das Skandalisierbare am Gespräch (das, liebe Kinder, naturgemäß nicht skandalisiert werden wird) gleich zuerst – die Frage, nach den falschen Versprechungen der ARD an George, der dafür das Bild fand vom Rolls Royce, mit dem man abgeholt werde, und dem Taxi, in dem sie einen dann nach Hause schickten. Konkret fragt Huber nach dem Sendetermin Oktober:

"Von mir, dem Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen, ist Götz George dieser Termin nicht versprochen worden."

Das kann nun vielerlei heißen: Lügt Götz George? Oder sagt Volker Herres die Unwahrheit? Oder führen die Verhandlungen über Projekte samt Sendeterminen mit Mitarbeitern vom Kaliber Georges grundsätzlich die Sekretärinnen aus der Buchhaltung, damit ein Programmdirektor notfalls wahrheitsgemäß sagen kann, mit ihm sei nicht gesprochen worden? Und müsste man dann nicht journalistisch-radikal die Frage stellen: Hat Volker Herres seinen Laden noch im Griff? Als seriöses Klatschmagazin müssten wir über unsere heutige Kolumne also titeln: "Führungskrise bei der ARD" – ob mit oder ohne Ausrufezeichen, darüber könnte man noch reden.

Aber, ach, viel interessanter als das tapfere "Ich-sag-nichts" von Big Herres ist ja noch immer, was er sagt.

Etwa:

"Mit solchen Doppelprogrammierungen haben wir beste Erfahrungen gemacht und sind sicher: Das wird ein großer Abend für Götz George. An einem Sommerabend ist der Filmbeginn um 21 Uhr 45 eine ideale Sendezeit."

Bei dem letzten Satz kann man tatsächlich ins Grübeln kommen, ob die ARD doch nur halb so feige ist, wie man immerfort bereit war anzunehmen – dass nämlich im Sommer die 2. Prime Time die 1. ist, weil alle im Biergarten sind und erst reinkommen, wenn's dunkel ist.

Auch wenn man nicht Mr. Analyzer ist, kann man die Vermutung äußern, dass – Wetter hin, Wetter her – die 20.15 Uhr auch im Sommer die "Nase vorn" (Frank Elstner) haben wird, rein quotentechnisch. Und dann wäre das schöne Kompliment mit dem "großen Abend für Götz George" eben eine sehr genaue Beschreibung der ziemlichen Verlogenheit von ARD-Granden: Alle reden den PR-Kram von der großen, schließlichen Vater-Sohn-Geschichte, auf die das ganze Leben von Götz zuzulaufen scheint, der Film ist eigens produziert und neu – aber auf dem besseren Sendeplatz läuft dann eine Schimanski-Wiederholung. Und da dann natürlich, um es vollends mutlos zu machen, nicht "Duisburg-Ruhrort" oder irgendein Tatort aus der Zeit, als Götz George tatsächlich epochal war, sondern das fade Sequel-Zeugs auf den eigenen Ruhm, weil das halt neuer ist.

Es ist so traurig.

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Dass die ARD ein merkwürdiges Verhältnis zur Geschichte hat, zeigt sich schon an dem Verstolperer Herresens beim Versuch, merkelesk nichts Falsches zu sagen, wo man leider aber doch reden muss:

"Dem heutigen Publikum ist Götz George näher als sein Vater Heinrich George, der ohne Zweifel ein Jahrhundertschauspieler war, aber eben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts."

Heinrich George – ein Jahrhunderthälftenschauspieler? Warum glaubt Volker Herres eigentlich, jemanden in höchsten Tönen loben zu müssen, den er offensichtlich gar nicht so hoch schätzt? Das hat doch alles nichts mehr mit Kommunikation im herkömmlichen Sinne zu tun.

Daraus folgt der entscheidende Satz aus dem Gespräch, der eine Erklärung bietet für den Sommersendetermin:

"Die Haltung Heinrich Georges gegenüber dem Nationalsozialismus bleibt überdies auch nach dem Dokudrama umstritten, zumindest ambivalent. Von einer Sonderprogrammierung zum 120. Geburtstag Heinrich Georges wollten wir deshalb absehen."

Der ARD ist es also zu heikel, jemanden, der ohne Zweifel ein Jahrhunderschauspieler ist, mit etwas in Verbindung zu bringen, was man als Ehrung begreifen könnte – wobei man sich wiederum fragt, warum nur die ARD ihr Programm so eindimensional als Identifikation denkt. Warum also ein Film über jemanden automatisch Affirmation bedeuten soll und warum es nicht, beinahe 70 Jahre nach dem Ende des NS-Staats, möglich sein kann, sich an der Geschichte eines Heinrich George über die Schwierigkeiten zu verständigen, die es mit sich bringt, Jahrhundertschauspieler oder auch Papa zu jemandem sagen zu wollen, der dummerweise nicht im Widerstand war wie der ganze Rest des Landes.

Bemerkenswert ist immerhin, dass Herres so nebenher sein Desinteresse an einem Projekt wie "George" eingesteht (würde das Nico Hofmann passieren?), also die Luft aus dem Ballon rauslässt, mit dem der Film auf Relevanz gepimpt wurde von den PR-Abteilungen:

"Die Haltung Heinrich Georges gegenüber dem Nationalsozialismus bleibt überdies auch nach dem Dokudrama umstritten, zumindest ambivalent."

Besser kann man das Scheitern mit Ansage dieses "großen Abends" für Götz George nicht beschreiben, wobei Scheitern voraussetzen würde, dass überhaupt etwas gewollt worden war. In der Rückschau muss man die Programmplanung bei der ARD also so verstehen:

Man macht einen Film, damit die Presse pausenlos berichten kann über angebliche Brisanz, die man sich in Wahrheit aber weder erwartet noch gewollt hat, um damit eine öde Schimanski-Wiederholung als Geburtstagstorte zu versenden.

Nice.


Altpapierkorb

+++ Es hat nur jemand vergessen, Eckhard Fuhr in der Welt Bescheid zu geben, der buchstabiert noch ganz ergriffen die Absichtserklärung der Öffentlichkeitsarbeit aus: "Heinrich war Götz' schwierigste Rolle. Er meisterte sie mit Bravour. Als Darsteller seines Schauspielervaters liefert Götz George den ultimativen Beweis seiner künstlerischen Professionalität. Zu später Stunde können die Fernsehzuschauer am Mittwoch, einen Tag nach dem 75. Geburtstag Götz Georges, Zeuge dieses Aktes einer späten Emanzipation sein (21.45 Uhr, ARD)." +++ Emanzipation – schön wär's. Was "George" zeigt, ist doch vor allem, wie schwer sich der Sohn, aber der Programmdirektor, der Regisseur, also irgendwie alle mit der Verantwortung für die Vergangenheit tun. Beispiele dafür lieferte auch die Gedenkrede zum 20. Juli von Karl Heinz Bohrer, die auf dem krassen Schlussgedanken auslautet: "Was könnte beispielhafter sein als der Verschwörer Mut, ihr Mut auch zum Außenseiter? In einer so gefahrlosen, aber auch den Konformismus begünstigenden Gesellschaft wie der unseren – seit dem Attentat jedenfalls hier in unserem Lande so friedfertigen Epochen –, ist die Zivilcourage noch immer das Notwendige, wenn auch inzwischen Außergewöhnliche geworden. Um wie viel mehr die existentielle." Immerhin ist Arno Widmann in der FR (die den Text hintersinnigerweise mit einem Bild von Kurt Scheel, Bohrers einstigem Merkur-Kollegen bebildert) aufgefallen, dass es vielleicht etwas unangemessen ist, aus dem Schritt zum Tyrannenmord Handlungsanweisungen für die Gegenwart abzuleiten. In der Bohrer unter Konformismus vermutlich "politische Korrektheit" verstehen würde, nie aber seine fast einhellige Bewunderung in den Großfeuilletons, die alles entgegennimmt, was the Master so absondert. +++ "Gut, dass wir nicht verglichen haben", könnte man mit Ekkehard Knörer aus der Freitag-Rezension zu "George" durchatmen – wenn einem nicht umgehend die Luft wegbliebe angesichts des Textes von Torsten Krauel in der Welt. Krauel macht aus Edward Snowden eine Art Überläufer und stellt ihn in die Linie von Leuten, die Geheimnisse zwischen Roosevelt und Churchill ausgeplaudert und damit ein früheres Ende von Hitler verhindert haben - wie sick ist das? Ob der Vergleich nicht hinkt, weiß Krauel am besten: "Wir seien doch nicht im Krieg, wird dann gern gesagt. Es gehe doch um den Schutz der Zivilgesellschaft. Wohl wahr, ja, aber Krieg wird heute aus der Mitte der Zivilgesellschaft heraus geführt. Die wichtigsten Operationen finden in dem Kriegsfeld statt, dessen Struktur auf amerikanischer Seite Edward Snowden offengelegt hat." +++ Wolfgang Michal denkt auf Carta in zehn interessanten Punkten die Karriere der Snowden-Enthüllungen in der deutschen Politik und Öffentlichkeit an: "Die Journalisten, die sich jetzt in Leitartikeln empören, werden wahrscheinlich die ersten sein, die kneifen. Denn auch bei ihnen hat das transatlantische Bündnis redaktionellen Vorrang vor nationaler Freiheit und Souveränität. Insofern heucheln uns Bild, Bams und Glotze etwas vor. Wenn es ernst wird, werden sie die Bürgerrechtsbewegung spalten – in einen guten und in einen bösen Teil."

+++ "Medienkritik heisst aber nicht einfach die Medien kritisieren. Medienkritik ist die Einsicht sowohl in die Konstruiertheit der Medien als auch in die Relevanz dieser Konstrukte. Je gründlicher die Kritik, desto höher die Einsicht in die Relevanz. Medienkritik ist eine notwendige Voraussetzung, nicht um über Medien zu schimpfen, sondern um Leistungen und Qualität von Medien überhaupt erst wahrnehmen zu können. Eine kritische Haltung soll nicht nur zum Wissen über die Distanz zwischen Medien und Wirklichkeit führen, sondern aufzeigen, dass guter Journalismus relevante und nützliche Repräsentationen generiert." Schreiben Andrea Pfister und Philippe Weber in einem langen NZZ-Text über Medienkritik in der Bildungsarbeit. +++

+++ Nicht so aufregend wie Michals Snowden-Wahlkampf-Prognose: Jürn Kruses Prognosen der Kicker-Prognosen in der TAZ. +++ Peer Schader in der FAZ (Seite 31) über die selbstgemachte Hausmannskost bei RTL und wie man die Rezepte testet: "'Einen entscheidenden Vorteil hat Info Network aber doch: Wulfs Team kann schon vor dem Sendestart nachweisen, dass eine Idee Erfolgspotential hat – weil vieles, bevor es als eigenständige Sendung auf den Schirm kommt, vorher als Magazinbeitrag mit positiver Zuschauerresonanz gelaufen ist. „Wir haben mittlerweile eine kleine Entwicklungsabteilung, in der sich fünf Mitarbeiter darum kümmern, mit den Kollegen aus den täglichen Magazinen neue Sendungen zu entwickeln', erklärt Wulf. +++ Belarus-Kenner Ingo Petz hat mit der Minsker Journalistin Irina Chalip in der FAZ (Seite 31) über das Ende ihrer Haftstrafe gesprochen, das politisch gelesen werden könnte: "Das ist die Frage, die mir am Freitag nach der Verhandlung am häufigsten gestellt wurde. Es ist interessant, dass alle fragen: 'Warum wurden Sie freigelassen?' Aber niemand stellt die Frage: 'Warum sind Sie überhaupt verhaftet worden?' Das impliziert doch, dass man die Schuld, die mir das Gericht auferlegte, die das Leben meiner Familie in eine Hölle verwandelte und die mir fast drei Jahre meines Lebens nahm, indirekt anerkennt und dass das alles doch irgendwie normal ist." +++ In der SZ stellt Marco Maurer den Schweizer Society-Journalisten und Selbstvermarkter Mark van Huisseling vor: "Wenn er über die Gründe seines Promi-Faibles spricht, ist auch dieser dauerpräsente Ich-Kosmos herauszuhören: 'Erstens: Prominente zu interviewen, ist sehr einfach. Zweitens wird man als Journalist durch die Nähe selber prominent. Das ist wie beim Leichentuch von Jesus - das ist jetzt auch heilig. Drittens: Eine Plattitüde von einem Prominenten kommt immerhin von einem Prominenten.'" +++ Und Johan Schloemann das Magazin "Tweed", das sich an eine Zielgruppe wendet, die für den Lifestyle eines Gentleman dummerweise kein Personal mehr hat: "Sie sitzen auf Dienstreisen am Flughafen, blättern in entsprechenden Magazinen herum und schwelgen, wie in Tweed, in folgenden Themen: Maßanzüge, teure Hemden, 100Jahre Aston Martin, edle Füllfederhalter, Benimm- und Stilregeln, Rasiermesser, Oldtimertreffen, Polo-Clubs, das legendäre Savoy-Hotel in London, die schätzungsweise siebentausendste Reportage aus einer Whisky-Destillerie." +++

+++ Zum Tod von Heinz Meier, der als Darsteller bei Loriot und dann besonders als Lottogewinner bekannt wurde, ist die dpa-Meldung am informativsten. +++

Der Altpapierkorb füllt sich gleich noch mal

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