Markus Lanz muss sich in Mallorca selbst sagen, dass alles gut ist. Der Prism-Komplex von Abhören und Überwachen durch die Regierung ist nicht so leicht zu bewältigen. Die TAZ guckt Jauch und Twitter zugleich und Wolfgang Kubicki gibt Insidertipps fürs Talkshowbiz.
Vor die Wahl gestellt von den Medienthemen der Tage, also: was mehr – um den treffenderen englischen Begriff zu wählen ist – "intimidating" ist, Markus Lanz als "Wetten, dass..?"-Moderator oder Prism in den USA, entscheiden wir uns fürs erste für ersteren.
Die "Wetten, dass..?"-Sendung am Samstag muss, glaubt man denen, die sie geschaut haben, "unterste Schublade" (Rudi Völler) gewesen sein. Arno Frank setzt auf SpOn ebenfalls auf das lautmalerische Surplus des Englischen, um das Geschehene in Worte zu fassen:
"Für einen so betont maskulinen Moderator wie Markus Lanz hätte ein so betont maskuliner Ort wie die Stierkampfarena eigentlich ideal sein müssen. Stattdessen war sein Auftritt von einer Qualität, die Engländer, deren Abwesenheit Lanz – wir sind in Mallorca! – mehrfach triumphal betonte, als 'cringeworthy' bezeichnen würden, was mit 'hochnotpeinlich' nur unzureichend übersetzt ist."
Der Maskulinismus von Lanz und der Show ist ein interessanter Aspekt, dem Frank in seiner Besprechung folgt, das aber nur am Rande.
Denn offenbar scheint mit der ersten Mallorca-Sendung von Lanz am Ende seiner ersten "Wetten, dass..?"-Saison noch mal ein "tieferer Tiefpunkt" (Rudi Völler) erreicht. Die Quote "hat zwar gestimmt", wie man in diesem – fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen ja absurden – Diskurs vermutlich sagen würde, allerdings verbargen sich hinter 28,4 Prozent Marktanteil lediglich 6,74 Millionen Zuschauer. Alle Zahlen in der Manier des Sportblocks auf dwdl.de, performed von Alexander Krei.
Das Entsetzen über die Sendung ist derweil groß, Meedia.de versammelt einen ersten Überblick der Kritiken. Und wenn man Lanz und all den anderen Fernsehnasen zugute halten wollte, dass das Geschäft der Medienkritik ja durchaus dubios ist, dass es verschiedene Kategorien der Beurteilung gibt, redaktionelle Konjunkturen, Abhängigkeiten, seien sie real oder nur nicht reflektiert, Jagdinstinkt, die Lust, die im Verriss steckt, kurz: dass die Fernsehkritik gerade in schöner Regelmäßigkeit heiße Luft produziert – selbst dann kommt man nicht umhin festzustellen, dass diesmal irgendwas anders schlimm gewesen sein muss als sonst.
Ulrich Clauß gibt in der Welt einen Hinweis, der vermutlich mit dem Eindruck des Desaströsen zu tun hat:
"Nun kann immer einmal eine Sendung daneben gehen, Gäste können unerwartet absagen, der Moderator einen schlechten Tag haben, oder – live ist live – einfach der Wurm drin sein."
Wenn sich "Wetten, dass..?" nicht mal drauf rausreden kann, Promis in der Sendung gehabt zu haben (Pamela Anderson und die Jackson-Kinder hatten abgesagt), fällt ein Teil der Legitimation weg. Und dann ist wohl deutlicher zu sehen, was vorher zu wissen war:
"Als Gerald Butler sich die Eiswürfel in die Jeans kippte und Lanz sich schlapp lachte, hatte Stefan Raab verschämt weggeschaut und den zweiten wichtigen Satz des Abends gesagt: 'Ich bin hier nur Gast'. Zu diesem Zeitpunkt wünschte man sich zu Hause vor dem Bildschirm längst inständig, dass einer wie Raab käme, der die Show gemeinsam mit Cindy aus Marzahn einfach kapern und zurück in den Hafen der professionell gemachten Unterhaltung manövrieren würde."
Schließt Klaudia Wick ihren Text in der Berliner, der das wohl treffendste Foto zur Sendung beschreibt. Und auch hier wieder eingerechnet, dass der sich abwendende Raab sich vielleicht nur wichtig machen will bzw. reale Phallusfurcht hat – so sendungslaunestabilisierend begeistert wie Markus Lanz feixt über eine so vulgär-pubertären Wetteinsatzeinlösung wie im Fall Butlers kann er gar nicht sein, das glaubt ihm kein Mensch.
Interessant an Wicks Text ist die Bemerkung von der "professionell gemachten Unterhaltung". Denn das ist nun der Punkt, über den die meisten Besprechungen handeln.
"Wenn Markus Lanz einen guten Freund hat, was wahrscheinlich ist, weil jeder einen guten Freund verdient, dann sollte eben dieser Kumpel seinen Freund Markus mal zur Seite nehmen und ihm zwei Worte zuflüstern: 'Lass es!' Wäre es ein richtig guter Freund, würde er noch weiter gehen und eine eisklare Diagnose mitteilen: 'Du kannst es nicht.' Wenn Markus Lanz als vom Fernsehruhm gefüttertes Selbstbewusstsein auf zwei Beinen Zweifel anmelden würde, käme die Mallorca-Ausgabe von Wetten, dass..? auf den Bildschirm, die letzte Show von Lanz' erster Saison als Nachfolger von Thomas Gottschalk."
Setzt Hans Hoff in der SZ etwas pathetisch an. Kurt Sagatz schreibt im Tagesspiegel:
"Dass er mit seiner Nervosität offen umgeht, spricht noch für ihn. Spätestens wenn das rote Kameralicht angeht, sollte er sie aber ablegen. Statt dessen hält er sich krampfhaft an seinen Fragenzetteln fest. Echte Gespräche kommen nicht zustande, wenn – wie bei Michelle Hunziker – nur die bereits vom Boulevard bekannten Themen abgefragt werden."
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Die Diskussionen, die gerade in dieser modisch verkürzten Grammatik, jemand "könne" Kanzler oder eben "Wetten, dass..?", schon das geschmäcklerisch-wichtigtuerische Scheingefecht markieren, das sie sein wollen, führen diesmal weiter und berühren tatsächlich ein solch banales Kriterium wie: Professionalität.
"Da war der Lanz komplett aufgeschmissen. Er musste wieder etwas tun, was nicht auf seinen Moderationskärtchen stand, aber das Publikum buhte. Es buhte bei Wetten, dass..?, wo sonst eher die übertriebene Neigung besteht, auch den letzten Mist auf der Bühne toll zu finden und euphorisch zu beklatschen. Jetzt aber Buh. Anhaltend. Und dem Lanz fiel nichts ein. Er machte einfach weiter im Programm."
Beschreibt Hoff in der SZ die Szenen nach dem Limbo-Incident, bei dem die Publikumskandidaten einfach die Regeln missachtete, über Umwege aber trotzdem mit einem Preis bedacht wurde.
Buhs bei "Wetten, dass..?", das ist bemerkenswert, weil die ganze Applaus getriebene Gute-Laune-Inszenierung in sich zusammenfällt, und die Masse Zuschauer, die bei so was rumhockt für einen kurzen Moment vielleicht nicht als die ehrfürchtig-dressierte Hintergrunddeko erscheint, sondern als potentieller Mob, der, wenn's ihm zu bunt, den ganzen Laden auf links zieht.
Und wem noch mehr Kinobilder durch den Kopf gehen – den Anschlussdialog an die Buhs hat Arno Frank auf SpOn transkribiert:
"Stefan Raab: 'Ich kann die Leute verstehen!' Lanz hilflos: 'Nee, nee, is' in Ordnung, nee, nee, es ist, es ist ein schöner Tag heute. Jetzt hör' mal auf, nur Spaß.'"
"Es ist ein schöner Tag heute", sagt der zwanghafte Charakter im Hollywoodfilm (den Joaquin Phoenix spielte oder so), der die Wirklichkeit nicht wahrhaben will und sie notfalls mit psychopathischer Gewalt aus seinem Leben herauszuhalten versucht. Letzteres wird Markus Lanz nicht bevorstehen, aber dass man sich seinen Realitätsverlust so vorstellen kann, stimmt nachdenklich.
"Wie kommt es eigentlich, dass es weder dem ZDF noch den anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland gelingt, an ihre eigene große Tradition der TV-Unterhaltung anzuknüpfen?"
Ist eine gute Frage aus dem Clauß-Kommentar, der in der Welt sonst viel von der heißen Luft verströmt, von der weiter oben die Rede war: bescheidwisserisches Behauptungsgeleitartikle.
Uninteressant ist es deshalb nicht, wie sich das ZDF nun verhält. Die Professionalität wird den Hierarchen egal, die Zuschauerzahlen dürften aber "alarmierend" sein: Wenn "nur noch" 6,74 Millionen diesen öffentlich-rechtlich finanzierten Budenzauber auf Mallorca schauen, wird die Frage, warum das schöne Geld unbedingt die Promotion von Privatfernsehgesichtern (die Geissens, Raab, Jürgen Drews) gesteckt werden muss, wohl lauter werden. Vielleicht bietet Lanz auch seinen Rücktritt zum Herbst 2016 an.
+++ Hilfreich für den Komplex aus Kritik und Realität, den Twitter mustergültig abbildete, könnte auch bei "Wetten, dass..?" eine Betrachtung sein, wie sie in der TAZ vom Samstag ausführlich wiederum Arno Frank im Fall von Günther Jauch angestellt hat: Vier Wochen lang Sendung und nebenher Twitter gucken, was schöne Rückschlüsse etwa auf die Unmöglichkeit von Diskussionen im Fernsehen zulässt: "Denn was man sich als Zuschauer von einer Diskussion insgeheim erhofft, kann das Fernsehen gar nicht erfüllen, weil es nicht vorgesehen ist – das offene Ende. Der eigentliche Charakter des Politischen, das dauerhafte und ungewisse Ringen verschiedener Akteure, verbirgt sich auf dem Bildschirm hinter Meinungsmasken." +++ Begleitet wird der lange Text von einem Interview Anja Maiers mit Wolfgang Kubicki, das lesenwert ist, weil über die Technik des Talkshowgewerbes gesprochen wird: "Bei Günther Jauch ist es aber am schönsten. Unmittelbar daneben gibt es ein italienisches Restaurant, wo es herausragend gute Pizza und guten Wein gibt. Mit Norbert Walter-Borjans, dem NRW-Finanzminister, habe ich da mal bis halb zwei gesessen." +++
+++ Zu Prism, dem Mitlesen und Abhören by NSA. In der FAZ vom Samstag interviewte Michael Hanfeld Frank Rieger vom CCC (und FAZ-Autor), der von der scheinbaren Überraschung über das Datensammeln bei den privaten Datensammlern nicht überrascht ist: "Wahrscheinlich haben die Pressesprecher noch nie etwas davon gehört. Aber wenn man sich einmal ansieht, welche Leute bei diesen Unternehmen in den Aufsichtsräten sitzen und wie viele ehemalige NSA-Mitarbeiter dort angestellt sind, auch in höheren Positionen, ist vollkommen klar, dass diese „Überraschung“ der Unternehmen nur geäußert wird, weil man sich der Entrüstung und dem Zorn der Kunden nicht aussetzen will. Dass solche Programme existieren und das insbesondere die Amerikaner, aber auch die Israelis und andere in großem Maß auf die Daten von Unternehmen zugreifen und mit diesen Kooperationsvereinbarungen haben oder sich dort reinhacken, ist für Kenner der Materie nicht weiter überraschend." +++ RA Thomas Stadler sieht auf Carta darin ebenfalls kein singulär amerikanisches Phänomen. +++In der FAS wird im Wirtschaftsteil (S. 30) in einem Text von Hendrik Ankenbrand und Britta Berger auf ein Demonstrationsvideo aus den Guardian-Recherchen verwiesen, in dem ein Überwacher-Chef des Rüstungskonzerns Raytheon die Überwachungsmöglichkeiten am Beispiel eines Angestellten zeigt ("Wenn Sie Nick erwischen wollen oder seinen Laptop in die Finger kriegen, dann sollten sie Montagmorgen um 6 Uhr in Nicks Fitnesstudio kommen"). Es sieht, und daran erinnert es an Markus Lanz, aus wie die Parodie, ist wohl aber Wirklichkeit. +++ Patrick Bahners schreibt heute die erste Feuilletonseite der FAZ (Seite 27) voll mit einem Text zu juristischen Fragen und politischen Weiterungen des Skandals, wozu auch ein Interview mit dem Verfassungsrechtler Philip Bobbitt gehört: "Ist die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit noch sachgemäß? Falls nicht: Sollte der Oberste Gerichtshof seine Entscheidung im Fall Keith aus dem Jahr 1972 revidieren und davon abgehen, Abhörmaßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit an eine richterliche Anordnung zu binden? – Ich halte die Unterscheidung immer noch für sachgemäß, weil ich das Phänomen des dschihadistischen Terroristen, der sich selbst radikalisiert hat, skeptisch sehe und weil richterliche Anordnungen beruhigend auf die Öffentlichkeit wirken. Aber es gibt tatsächlich eine gewisse Durchlässigkeit der Kategorien, die mit der Zeit nur stärker werden wird." +++ Bei weitem nicht nur in der SZ: der Whistleblower der Geschichte tritt aus der Anonymität hervor – Edward Snowden, nun c/o Hongkong. +++
+++ Gelobt wird die Dokumentation "Sex – made in Germany" (ARD, 22.45 Uhr) von Sonia Kennebeck und Tina Soliman über die fatalen Folgen des Gesetzes zur Sexarbeit vor zehn Jahren. AP-Autor René Martens schreibt in der TAZ: "Soliman war 2011 Coautorin eines Films für das Magazin 'Panorama', der zur Basis geworden ist für zahlreiche Berichte über das nur aus vier Sätzen bestehende Prostitutionsgesetz. Auch in 'Bordell Deutschland', der umstrittenen Spiegel-Titelstory der vorvergangenen Woche, klingt der Magazinbeitrag noch an. Soliman sagt, sie plädiere für eine stärkere gesetzliche Regulierung, aber nicht für repressive Maßnahmen wie etwa in Schweden." +++ Joachim Käppner in der SZ (Seite 31): "Sie verurteilen niemanden, halten keine Moralpredigten aus dem Off. Sie schildern nur, wie es ist." +++ Nikolaus von Festenberg im TSP: "Die deutsche Reform, vom idealistischen Wunsch getragen, die Autonomie der Körperverkäuferinnen zu stärken, ist tragisch verlaufen, sie hat Freiern und Bordellbetreibern genützt, den Frauen nicht. Das Ganze erinnert an die Abschaffung der Leibeigenschaft, die befreite Bauern in die Arme der Industrie trieb." +++
+++ Noch ein schöner Absatz über das Kölner Medienforum aus der FAZ vom Samstag. Oliver Jungen schreibt: "Dass so wenig Inspirierendes kam, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass die klassischen Medien in Köln überproportional vertreten sind. Die Sender sehen das Netz nur als Distributionskanal. Welch ein Fremdkörper das Internet für viele Verlage immer noch darstellt, zeigte das Eingeständnis von Nienhaus, die Paywall der „Braunschweiger Zeitung“ (Aboforderung nach fünfzehn Klicks im Monat) sei daran gescheitert, dass Nutzer wohl „Cookies löschen“ in ihrem Browser eingestellt hätten, was bei jedem Neustart wieder fünfzehn Freiklicks beschere. Wer an so etwas scheitert, sollte die nächste Kaffeefahrt ins Silicon Valley buchen." +++ Wilfried Urbe wählt zur gleichen Veranstaltung in der TAZ einen grammatikalisch gewagten, wenn nicht halsbrecherischen Einstieg: "Ob in München, Berlin oder anderswo – jedem Medienstandort sein eigener Medienkongress." Jedem Substantiv sein Fall, so läuft das im Geschäft. +++
+++ Im Spiegel orientiert Michael Sontheimer über die innertürkisch-medialen Aspekte des Aufruhrs am Gezi-Park (S. 137). Informationsbeschaffungsfragen stehen auch am Anfang von Hatice Akyüns TSP-Text: "Meine erste Beobachtung war, Berichterstattung misst mit unterschiedlichen Standards. Erst als alle ausländischen Sender, inklusive des chinesischen Staatsfernsehens, über die Proteste berichteten, beendeten die größten Fernsehanstalten der Türkei ihre Kochshows und Tiersendungen. Das allein war eine bemerkenswerte Ungleichheit der öffentlichen Meinung, da in den ländlich geprägten Regionen lange niemand mitbekam, was in Istanbul und fast 50 anderen Städten los war." +++ Über die mediale Flutbegleitung denkt Hans Hoff in seiner dwdl.de-Kolumne nach, wobei er die Assoziationen von "brauner Flut/Brühe" im MDR-Fernsehen nicht mal bis zu Ende aussprechen muss: "Das kommt davon, wenn die Medienmeute losgelassen wird auf ein Ereignis, das alles bietet, was sich ein Reporter träumen lässt. Die Frage, warum da so viele Sicherungen durchbrennen, lässt sich leicht beantworten. Die Gemengelage ist einfach zu verführerisch. Zu viele Versuchungen locken." +++ Im Spiegel außerdem noch eine bescheidene Meldung (S. 135), die andeutet, dass um die Wiederwahl von Willi Steul als Dradio-Intendant widerstrebende Kräfte gerungen haben, wobei es auch ums Abdanken beim Erreichen des Rentenalters ging (das wäre in zwei Jahren). +++ Ulrike Simon bereitet in der Berliner (S. 25) auf das zweite bedeutende Ereignis (neben der Apple-Neuheiten-Schau in San Francisco) des heutigen Abends vor: Friedrich Küppersbuschs Rückkehr vor die Kamera. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder