Götter in den Schreibstuben, Negativkampagne, Medienopfer: Eine Parlamentarierin räumt auf, allerdings erstmal nicht bei sich. Die Verlagskampagne gegen das Adblocken nützt womöglich Adblock – dafür sind Adblocker-Nutzer aber weltfremde Discounterkunden. Tom Buhrow will WDR-Intendant werden. Und Google muss den Autocomplete-Dienst gegebenenfalls verunvollständigen.
Alle haben es immer so schwer, ja ja, aber als Medienjournalist hat man's wenigstens auch nicht leicht. Was soll man in folgendem Fall machen? Der Abgeordneten rechtgeben, weil sie eine nur für Journalisten selbstverständliche Skandalisierungspraxis kritisiert? Oder darauf hinweisen, dass sie gar nicht wirklich Transparenz herstellt, sondern – eine unter Medienprofis selbstverständliche Skandalwegzauberpraxis – eine Tarnkappe aufsetzt? Oder wie wäre es mit beidem?
Die Geschichte ist diese: Heute erscheint der von der CSU-Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl bereits in ihrem Blog angekündigte Artikel über sie in der Süddeutschen Zeitung. Der zweite binnen einiger Tage. Den ersten, erschienen am vergangenen Dienstag, hat sie schon gekontert.
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Vor einer Woche schrieb der Nürnberg-Korrespondent der SZ, Wöhrl habe im Dezember bei einer Bundestagsabstimmung gefehlt. Sie habe sich krank gemeldet, sei dann aber nach Sri Lanka "in einen Luxusurlaub" gestartet, was "die Frage aufwirft, wie ernst es die Abgeordnete Wöhrl mit ihren parlamentarischen Pflichten nimmt". Sie rechtfertigt, sie habe in Asien für ihre gemeinnützige Stiftung gearbeitet, die SZ hält dagegen, die schriftliche Reiseplanung habe Stadtrundfahrten und Ausflüge vorgesehen.
Zum Medienmedienthema wird die Sache durch Wöhrls öffentliche Klage über journalistische Themenwahl, "Götter in Schreibstuben" – ach Gottchen –, eine "Negativkampagne", "Abgeordneten-Bashing" und konkret, nennen wir es: archivgestütztes Schreiben; gefiltertes Biographiegeklingel, etwa dass sie eine "frühere Schönheitskönigin" ist, hat nichts mit dem Thema zu tun, gibt der Geschichte aber einen etwas fiesen Dreh. Von "einem 'vermeintlichen' Skandal" schreibt Wöhrl – wobei die Anführungszeichen ja schon ganz hübsch gesetzt sind. Nachvollziehbar ist vor allem Wöhrls Kritik daran, dass über Entwicklungspolitik nicht so viel berichtet wird wie über Abgeordnetenreisen, aber nur, solange man darüber nicht vergisst, dass sie öffentlich nur dann diese Kritik übt, wenn sie gerade wegen anderer Geschichten im Fokus, zum Beispiel des Spiegels, steht. Die SZ berichtete seinerzeit, 2012, auch kritisch über Etiketten, die Wöhrl angeheftet würden.
Heute erscheint ein weiterer SZ-Artikel über die Vorsitzende des Entwicklungsausschusses. Es geht um ihre Nebeneinkünfte als Verwaltungsrätin und Beirätin einer Schweizer Bank (siehe auf ihrer Bundestagsseite unter "Veröffentlichungspflichtige Angaben"), die "hierzulande mit mutmaßlicher Steuerhinterziehung in großem Stil in Verbindung gebracht" werde, so die SZ. "Wöhrl kassiert von Sarasin" also der Bank, "mehr Geld als für ihre Tätigkeit im Bundestag". Dazu kämen "Aufsichtsratsmandate bei der Nürnberger Allgemeinen und der Nürnberger Leben", und Wöhrl und SZ widersprechen einander in der Frage, ob sie von einer der Versicherungen um politische Unterstützung gebeten worden sei. Um die Unabhängigkeit einer Abgeordneten geht es also.
Medienanwälte werden eingeschaltet, Wöhrl benutzt den Ausdruck "volle Transparenz" und veröffentlicht auf ihrer Homepage vorab und gegen deren Willen die Korrespondenz mit der SZ, auch deren Recherchefragen. Nachdem die FDP 2012 den Fragenkatalog des Sterns auf ihrer Website veröffentlicht hat, was der untersagen ließ, scheint das als Methode einzureißen. Einerseits nachvollziehbar im Bemühemn um Transparenz, das Urheberrecht anfragender Journalisten nicht als oberstes schützenswertes Gut zu bewerten, andererseits wäre es unter diesen Umständen natürlich nicht schlecht, wenn man die Fragen dann nicht so ausweichend wie möglich beantworten würde, wie Wöhrl es tut. Transparenzblendwerk, alles in allem, und ein kommendes Watchprojekt könnte sich nach Greenwashing und Realitywashing vielleicht dem Transparentwashing widmen.
Man muss das Konstruktive an dieser Art von voller Transparenz sehen – Dagmar Wöhrl, die schreibt: "Ich lasse mir nicht vorschreiben, was ich auf meine Homepage stelle oder nicht!", möchte offensichtlich die Autorisierung von Politikerinterviews abschaffen, richtig?
+++ Auch cool ist die Adblocker-Geschichte (siehe Altpapier). Einige Verlage haben bekanntlich ihre User gebeten, die Adblocker abzuschalten. Was einerseits dazu führt, dass nun mancher weiß, wie man die Werbung abstellt:
Andererseits dazu, dass sich aufrecht wähnende Netzfreiheitskämpfer, die sich darüber lustig machen, schon ein wenig wie Discounterkunden wirken: "(S)chade, dass nicht wenige Nutzer den stillen Konsens, Werbung im Gegenzug für kostenlose Inhalte zu akzeptieren, in Frage stellen", schreibt netzwertig. Frank Patalong, Redakteur von Spiegel Online, bloggt einigermaßen wütend: Die Kritik an der Verlagsbitte, Adblocker abzuschalten, sei "eine unglaublich kurzsichtige, die Realitäten ignorierende Argumentation".
+++ Was fehlt? Eine Presseschau zum Spruch des Bundesgerichtshofs gegen Googles Autovervollständigung: "Die automatische Vervollständigung von Suchbegriffen kann in Zukunft als Rechtsverstoß geahndet werden", schreibt die FAZ:
"Durch die Kombination von Namen und Begriffen werde ein Zusammenhang hergestellt, dem ein fassbarer Aussagegehalt zukomme. Ist die Aussage unwahr, verletzt sie den Betroffenen in seinen Persönlichkeitsrechten. Diese Verletzung rechnet das höchste deutsche Zivilgericht dem Suchmaschinenbetreiber zu."
Details hat u.a. der Tagesspiegel:
"Der Betreiber einer Suchmaschine sei auch nicht verpflichtet, die durch eine Software generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Sondern erst, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlange, sei der Betreiber verantwortlich. 'Weist ein Betroffener den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern', so der BGH."
Die google-kritische FAZ druckt dazu einen Gastbeitrag eines Medienrechtlers, der das Urteil gutheißt:
"Dass einem Diensteanbieter eine Rechtsverletzung zugerechnet wird, weil er Technik bereitstellt, die einen sogenannten adäquat-kausalen Beitrag zu einer Rechtsverletzung leistet, ist für die Internethaftung typisch. Der Bundesgerichtshof behandelt Suchmaschinenbetreiber in seiner neuen Entscheidung wie alle anderen Anbieter, die Dritten fremde Informationen verfügbar machen. Das ist wenig überraschend, sondern konsequent."
Auch Bettina Wulff – das ist die, über die solange an jedem Kaffeeautomat erzählt wurde, dass sie im Rotlichtmilieu gearbeitet habe, bis die Leute auch bei Google danach suchten – begrüße laut ihrem Anwalt das Urteil, schreibt die Frankfurter Rundschau. Genau wie die Berliner Zeitung das Urteil begrüßt, weil es Googles "Bigotterie" beende – die Suchvorschläge seien keineswegs "unerbittlich wie ein Gottesurteil": "nicht nur lässt sich die Autovervollständigung anpassen und wurde immer schon angepasst, sondern ist jederzeit auch von Dritten manipulierbar: Seitenbetreiber können ihre Seiten in Google-verträglicher Form optimieren."
Ähnlich klingt die SZ im Leitartikel:
"Sobald Google Suchergebnisse nachjustieren muss, ist ein Mythos gefährdet, von dem das Unternehmen zehrt: der Mythos von der Neutralität der Suchmaschine. Die Vorstellung vom interessenfreien Rechenvorgang, der den Nutzer durchs Netz leitet, gibt eine schöne Erzählung ab - mit der sich das Geschäftsmodell Suchmaschine als Dienst an der Netzfreiheit verkaufen lässt. Indem der BGH den Konzern nun zum Adressaten von Ansprüchen macht, nimmt er ihm den sorgsam gepflegten Nimbus des unparteiischen Dienstleisters."
Am wenigsten begeistert über das Urteil ist die taz:
"Ein digitaler Paravent: Es wird nicht mehr automatisch angezeigt, was Nutzer besonders häufig mit einer Person assoziieren, in ein Google-Suchfeld eintippen und anklicken. Gerüchte und Berichte wird man damit weder aus der Welt noch aus den Suchtreffern tilgen."
+++ Die Suche nach dem neuen WDR-Intendanten nimmt Formen an: Tom Buhrow (erster Google-Vervollständigungsvorschlag: "tom buhrow haare"), der "Tagesthemen"-Moderator, sei im Gespräch, berichtet Spiegel Online. Neben ihm seien die weiteren Kandidaten auf der Liste Radio-Bremen-Intendant Jan Metzger und Stefan Kürten von der Europäischen Rundfunkunion. Siehe auch, alle unter Berufung auf SpOn: BLZ, Tagesspiegel (der meint, Überraschungen seien "keineswegs auszuschließen") und SZ (die schreibt: "Dass Buhrow so offensichtlich ins Licht der Öffentlichkeit gestellt wird, lässt mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu. Den einen gilt Buhrow als sicherer Favorit. Andere sehen in ihm einen vorgeschobenen Kandidaten, der so offensichtlich nicht geeignet ist, dass ein eigentlich abgeschlagener Konkurrent wie Jan Metzger wieder Farbe erhält") +++ Möglicher Vorteil für die ARD: Die "Tagesthemen" könnten dann von einer oder einem der ARD-Talkshowbetreiberinnen und -betreiber moderiert werden, und ein Problem wäre womöglich gelöst +++
+++ Apropos Programmierung: Wann der NDR seine neuen "Tatortreiniger"-Folgen – wir erinnern uns: Grimme-Preis – zu senden gedenkt, berichtet Stefan Niggemeier in seinem Blog. Man läse ja schon irgendwann gern nochmal eine Erwiderung auf die an Beispielen wahrlich nicht arme Programmierungskritik, die nicht nur Sprechblasen enthält +++
+++ Nochmal zu "Das dürfen Sie alles senden": Der Deutsche Journalisten-Verband weist die Vorwürfe von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer an "Leitmedien" (siehe wiederum gestriges Altpapier) als "Wahlkampfgetöse" zurück. Die FAZ derweil weist darauf hin, dass die hier auch bereits thematisierte Entschuldigung für einen Anmoderationsfehler im Rahmen der CSU-Berichterstattung des "Heute-Journals" eine Entschuldigung erfordert, für einen Fehler in der Entschuldigung. Wunderbärchen. Wenn morgen noch eine Schraube dazukommt, nehmen wir den Fall vielleicht wieder über den Strich +++
+++ Die Jury des Theodor-Wolff-Preises hat getagt, und here are the winners 2013 +++ Will der Ferkelbaron wirklich dem Nordkurier einen Maulkorb verpassen? Nicht mit uns! +++ Die taz hat heute ihre Kriegsreporterin +++ Und die Bespitzelung der AP +++ Der Faktencheck des ZDF zum Wahlkampf hat begonnen +++ "Mobbing" (20.15 Uhr, ARD) sei "großes Fernsehen", so die FAZ +++ Und die SZ berichtet über die Entstehung einer Helmut-Schmidt-Doku beim NDR +++ Und schreibt über "Lehren aus der zweiten Staffel 'Girls'" +++
Das Altpapier gibt es am Donnerstag wieder.