In der Reihe "Kritik: Journalismussimulationen" ist diesmal das "Aktuelle Sportstudio" dran. Dazu gibt es aktuelle Interviewfragen von "Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?" bis "Sie lieben diesen Beruf, was lieben Sie daran?" Der CSU-General klebte seinen jüngsten Brief an den ZDF-Intendanten nicht zu. Und eine Gruppe des Axel-Springer-Verlags soll sparen. Überraschung: nicht die blaue.
Die Journalismussimulationskritik könnte am Jahresende zum Genre 2013 gekürt werden, wenn das so weitergeht. Nach Hinnerk Baumgartens Fernsehinterview mit Katja Riemann und den Rezensionen zu Olli Dittrichs "Frühstücksfernsehen" geht es diesmal um "Aktuelles Sportstudio" und "Tagesschau". Detlef Esslinger hat in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag über das "Sportstudio" des ZDF geschrieben, und seine Kritik – eine von denen, für die Medienseiten mal erfunden wurden – findet ihren Höhepunkt in dieser durch die Hintertür eintretenden Boshaftigkeit:
"Niemand fordert, dass im Sportstudio ein Kreuzverhör geboten wird. Aber ist es denn zu viel verlangt, einfach dies zu erhoffen: ein Gespräch, auf dem Niveau von Lanz oder Beckmann?"
Die Fragen, die Esslinger, der ZDF-Moderator Michael Steinbrecher nicht zum ersten Mal einen Conférencier nannte, für das "Sportstudio" am Samstagabend prognostizierte ("Für wie sicher halten Sie den Klassenerhalt?"), stellte Steinbrecher nicht. Nicht mehr klären wird sich lassen, ob es sich bei dem vorab veröffentlichten Fragenkatalog um eine sich selbst verhindernde Prophezeiung handelte.
Nun ist es nicht so einfach, ein auch nur ansatzweise interessantes Interview mit abgezockten Stanzentänzern und Preisgabeverweigerern zu führen, wie man nicht nur allgemein im "Sportstudio", sondern auch konkret zum Beispiel am (übersetzten) FAS-Feuilletoninterview mit Leonardo DiCaprio sehen kann, das ausführlich, aber nichtssagend ist. Die gleiche letzte Frage, die Steinbrecher im ZDF dem Düsseldorfer Trainer Norbert Meier stellte – "Bei der PK vor dem Spiel haben Sie gesagt (...), Sie lieben diesen Beruf, was lieben Sie daran?" –, stellte Jean-Paul Chaillet in der FAS dem Schauspieler: "Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf, was verschafft Ihnen Befriedigung?"
Was allerdings die oder den "Sportstudio"-Social-Media-Beauftragten geritten hat, möglichst beleidigt auf die vielfach retweetete, aber trotzdem überfällige und zudem nicht durchgehend polemische Kritik zu reagieren, statt Nachdenklichkeit wenigstens zu simulieren? Keine Ahnung. Hoffnung auf eine inhaltliche Auseinandersetzung oder konstruktive Moves macht es jedenfalls nicht, dass das @zdfsportstudio die Kai-"Boulevard machen doch die anderen auch"-Diekmann-Strategie anwandte und twitterte:
"Mal generell: schön zu lesen, welche unfehlbaren, wahren (Sport)Journalisten so (mit) auf uns eindreschen. Vor der eigenen Türe aber... naja".
Wie? Ja, stimmt, das ist nur ein Tweet. Trotzdem: Als ob es um Unfehlbarkeit ginge und darum, wer aus dem Haufen ungeputzter Latschen – ja, alle Journalisten machen Fehler, und alle machen sie in der Regel in aller Öffentlichkeit – noch den wenigsten Dreck am Schuh hat. Und nicht eigentlich darum, eine Debatte zu führen über die affirmative Beschäftigung mit Sport – speziell jenen Sportarten, deren Übertragungsrechte besonders teuer sind – in Medien, die solche Rechte be- und folglich mit im Boot sitzen. Eine Debatte über Marktzwänge, die keine Fragenkärtchen schreiben, aber doch das große Bild beeinflussen, und die gerade jene führen würden, die verwoben sind, wenn sie die BBC wären. Der BBC ist die nicht nur selbstironische Selbstkritik weniger fremd als den deutschen Öffentlich-Rechtlichen, die, wenn eine Kritik hart und humorlos zwischen den Augen zielt, dann doch lieber in sämtlichen verfügbaren Ärmeln nach einem fünften As suchen. So wird mit dem Verweis auf die potenzielle Fehlerhaftigkeit von Kritikern jede Kritik, die nicht ins Konzept passt, weggewischt. Putzlappen rules, gute Nacht und bis nächste Woche. Selber schön zu lesen.
+++ Der BBC-Vergleich kommt, weil er schon so oft gezogen wurde, vielleicht ein bisschen abgeranzt und auf Nummer sicher daher, weil hierzulande ja dann doch nur wenige den Mythos der britischen öffentlich-rechtlichen BBC hinterfragen können. Auch Georg Diez holte am Freitag in seiner Spiegel-Online-Kolumne die BBC aus der Kiste, die "immer mal wieder" vormache, "wie intelligenter, diskursiver Fernsehjournalismus geht", um in seinem Fall die ARD für die Ritualhaftigkeit des Nachrichtenformats als solchem zu kritisieren. Die "Tagesschau" nennt er "Scheinnachrichten",
"weil so getan wird, als wäre das nun der amtliche Ausschnitt der Welt – dabei ist es doch nur staatsnahes Parteien-TV, die üblichen Vertreter der Macht, der Reichstag im Abendlicht plus das eine oder andere Erdbeben: Das eben, was Journalisten für wichtig halten, die selbst nicht wissen, warum das so ist. (...) Bürokratie und Katastrophen, das ist das, was sie uns zeigen, das ist eine Strategie von 'shock and awe', das stampft den Zuschauer in die Passivität, das ist die mediale Hab-Acht-Haltung und das Gegenteil von Aufklärung, wie es früher hieß, oder Empowerment, wie es heute heißt."
Well.
ZDF und "Tagesschau" – da fehlt noch eine "Heute Journal"-Geschichte. Die gibt es auch, und es geht wieder (Altpapier) um eine Politikerbeschwerde über das Programm. Diesmal hat CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt seine Beschwerde gleich als Offenen Brief (pdf) an ZDF-Intendant Thomas Bellut gerichtet, was zu begrüßen ist, auch wenn man ja nicht weiß, welche Kritik nicht als Offener Brief formuliert wird.
"Die Reihe von Fragen des CSU-Generals, der für seine Partei auch im Fernsehrats des ZDF sitzt, beziehen sich auf die Berichterstattung des Senders im heute journal am 3. Mai. Thema war der pompös inszenierte CSU-Parteikonvent in München. Wie Dobrindt schreibt, erklärte Moderator Claus Kleber in der Anmoderation, in Videos der Veranstaltung seien 'ganz eilig noch Bezüge zu Uli Hoeneß und zu dem wegen Beschäftigung seiner Ehefrau geschassten Fraktionsvorsitzenden herausgeschnitten' worden",
fasst die SZ zusammen und zitiert Moderator Claus Kleber (Lektüretipp cc @zdfsportstudio): "Ich habe die Darstellung einiger Medien, nach der die CSU einen Video-Film in letzter Minute noch umarbeiten ließ, in meiner Moderation aufgegriffen und ungeprüft übernommen. Das hätte mir nicht passieren dürfen."
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+++ Die größte und sicher noch Wellen schlagende Mediengeschichte des Tages handelt allerdings von der Bild-Redaktion: Dort, bei der sog. roten Gruppe des Axel-Springer-Verlags, soll gespart werden, schreibt der Spiegel (online steht eine Vorabmeldung):
"Wie mehrere mit den Verhandlungen vertraute Springer-Leute bestätigen, geht es bei den aktuell diskutierten Sparszenarien um ein Volumen von bis zu 20 Millionen Euro. Die Quellen, die anonym bleiben wollen, sprachen übereinstimmend von 170 bis 200 Stellen, die bei der 'roten Gruppe' im Zuge des Kostensenkungsplans wegfallen könnten. Die Werbesticker, die an den bewachten Drehtüren im Eingangsbereich der Zentrale kleben, könnten damit bald korrekturbedürftig sein: 'Wir haben 500 Reporter und ein Versprechen', heißt es darauf, und weiter: 'Wir holen alles für Sie raus'. Nun scheint zu gelten: Wir holen alles raus. Für die Aktionäre."
Wirklich: Die Roten sparen, nicht die Blauen. Das ist kein totaler Hammer, eigentlich, Ökonomie und rote Gruppe sind eins, hat aber denselben Nachrichtenwert, als würde nicht der TSV 1860, sondern der FC Bayern München das Stadion an einen Klamottendiscounter verkaufen. Drumherum steht wunderbare Spiegel-Prosa; von der Entstehungsgeschichte der Berliner Firmenzentrale gelangen wir zu den aktuellen Baustellen, und der Erzählfaden Digitalisierung – Sparzwänge – Zeitungskrise führt ins Herz der Medienwirtschaft:
"Springer verdient wie andere Medienunternehmen (etwa der Burda-Verlag) sein digitales Geld nicht mit publizistischen Inhalten. Es sind in erster Linie die Karriereplattform Stepstone und Immobilienportale wie Immonet und Seloger oder das Preisvergleichsportal Idealo, die hier für Wachstum sorgen. Und das sind auch die Bezugsgrößen, an denen Döpfner sich orientiert. Unter den deutschen Medienunternehmen könne man sich mit der eigenen Digitalentwicklung sehen lassen, sagte er – im Vergleich zu reinen Internetunternehmen sei man allerdings 'nicht schnell, nicht innovativ genug'."
Und dieses Altpapier wird rund wie ein Fußball dadurch, dass Martin U. Müller seinen Spiegel-Text mit den bevorstehenden Bundesligaformaten der Bild beschließt:
"Die Rechte dazu hatte man im vergangenen Jahr erworben. Vier Jahre lang darf 'Bild' dann im Netz an jedem Spieltag bis zu sechs Minuten Bewegtbild pro Partie zeigen. Die Regeln sind streng, frühestens eine Stunde nach Spielende dürfen die Filme online gehen, bis Mitternacht darf ein Abruf nur gegen Bezahlung erfolgen. Ironischerweise kosten die Sportrechte annähernd genauso viel, wie das Flaggschiff 'Bild' nun sparen soll: 20 Millionen Euro."
Wie gesagt, so eine Beschäftigung mit Fußball in Medien, die Übertragungsrechte gekauft haben, wäre was. Aus diversen Anlässen.
+++ Weitere Texte mit Verweis auf den Spiegel über Bild-Sparpläne stehen in SZ und Tagesspiegel. Beide betonen die Diskrepanz zwischen den Aussagen des Springer-Finanzvorstands Lothar Lanz bei der Bilanzpressekonferenz im März ("Pläne für einen Stellenabbau gebe es aber nicht, so Lanz damals") und den harten Sparplänen, von denen nun die Rede ist. Der Tagesspiegel zitiert Springer-Sprecher Tobias Fröhlich, die vom Spiegel genannten Zahlen zu Sparplänen und Personalabbau seien "nicht korrekt und ohnehin viel zu hoch". Allerdings sagt er auch: "Ob und in welchem Umfang in diesem Zuge Stellen abgebaut und in welchen Bereichen wiederum aufgebaut werden, wird derzeit in verschiedenen Szenarien diskutiert" +++
+++ Wolfgang Michals Routinefragen (Altpapier), die er auf Carta zu den "Offshore-Leaks" stellte, führen nun zu einer gewinnbringenden Diskussion: "Dass die SZ und der NDR in bester Absicht großartige Arbeit geleistet haben, steht außer Frage. Die Berichterstattung ist wichtig und überhaupt nicht zu kritisieren. Doch sollten sich Journalisten in Fällen von Whistleblowing immer die Frage stellen, ob und wozu sie eventuell benutzt werden. Dann kämen sie möglicherweise auf die gleichen Fragen. Es ging bei Offshore Leaks – so mein Eindruck von Anfang an – um PR für dringende Regierungs-Angelegenheiten". In den Kommentaren sind die Erwiderungen von SZ-Redakteur Bastian Brinkmann zu lesen +++
+++ Im Fernsehen läuft "Eine unbeliebte Frau" (ZDF, 20.15 Uhr), ein Film von der "Erfolgsautorin Nele Neuhaus" (SZ). Neuhaus-Begegnung in der SZ, Rezensionen in FAZ und TSP +++ Und über "Formentera" (auch ZDF, aber 0.05 Uhr): die taz +++
+++ Die NZZ schreibt nicht ganz allgemeinplatzfrei über Literaturkritik auf weniger werdenden Zeitungsseiten und digitale Chancen +++ Mathew Ingram schreibt über die Ära der Massenmedien als Ausnahme, nicht als Regelfall der Geschichte +++
Das Altpapier gibt es morgen wieder.