Der Spiegel sucht womöglich eine neue Chefredaktion, was für Wallungen und Personalspekulationen sorgt, die wir gerne mit der ultimativen Kandidatenliste anheizen. "Gibt es am Ende einen zweiten Bradley Manning?" und andere Routinefragen zu den Offshore-Leaks. Das Google-Hangout der Kanzlerin und die Medienpolitik. Und Jörg Schönenborn interviewt Wladimir Putin, der seinerseits Schönenborn befragt.
Das Hamburger Abendblatt hat am Freitag berichtet, dass Der Spiegel und seine Online-Schwester wohl die beiden Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron loszuwerden gedenken.
Die Nachricht ist bis jetzt offiziell unbestätigt, worauf new business recht nachdrücklich hinweist, und wird von einer Spiegel-Sprecherin unter dem Schlagwort "Gerüchte und Spekulationen" verhandelt, die daher nicht kommentiert würden. Auch laut Tagesspiegel gibt es für die Kündigung noch keinen Beschluss, dort allerdings mit der Betonung auf "noch".
Die SZ schreibt von "Spekulationen darüber, dass die Personalien aus dem Spiegel-Verlag gezielt lanciert wurden, um Fakten zu schaffen", was – dafür muss man dann wieder weniger hellseherisch veranlagt sein – geglückt sein dürfte; "ein Weiter so wird es nicht geben" (Horst Seehofer) oder jedenfalls kaum geben können unter diesen Umständen.
Mittlerweile ist auch doch schon dieser und jener bzw. der eine oder andere Name genannt worden, den eine mögliche von außen kommende Neubesetzung tragen – oder wenigstens annehmen – könnte. Als "Geheimfavorit", der freilich so geheim ist, dass sein Name bislang am häufigsten neben dem Gabor Steingarts fiel, nennt Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt heute Jakob Augstein, der die Erben von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein in der Gesellschafterversammlung des Verlags vertritt.
Hier nun eine erste umfassende Liste, auf der auch einige jener stehen, deren Namen bislang erstaunlicherweise noch niemand laut ausgesprochen hat, als da wären
Augstein Augstein Steingart Martenstein
Koll Roll Pohl Höll Doll Dell
Gorkow Zastrow Buhrow Holtrop
Slomka Wonka Mika Zylka
Di Lorenzo D'Inka Diekmann Didi
Mayer Maier Bauer Baur Schmitt Schmidt
Jauch Krach Reitz Lanz Maak Diez
Büchner Blau Borchert Blome Becker Burmester
Knott Ott Lott Todt
Blasberg Plasberg von Lovenberg Bergmann Kippenberger Maischberger
Schirrmacher Schönenborn Schroeder Schwennicke Steltzner Strohschneider
Quoos Osterkorn Kohler Posener Klotzek Lochthofen Kornelius Lobo Nonnenmacher
Brender Metzger Festerling Hensel Meckel Renner Ebert Lebert Fefe Fehrle Emcke
Niejahr Michal Rennefanz Minkmar von Buttlar
Hayali Vahland Amend Ahlrichs Prantl Casdorff Maroldt
Gause Gaus Kleber Claus
Kister Fichtner Richter Biller Stiller
Illner Fischer Riekel Hilder
Geisler Leifert Weidermann Weimer Frey Seidl Streidl
Luig Luik Unfried Schumacher
Plöchinger Oestreich Vorkötter Jörges Emendörfer
Füller Müller Müller-Vogg Ürük Hütt Schütte DüMont
Grassmann Hesselmann Knappmann Wichmann
Widmann Wegner Wagner Weisband Will –
Und da wird sich doch jemand finden?
+++ Es gibt jedenfalls damit wieder mal ein vermischtes Medienthema mit Wirtschaft, Politik und viel Society, das die Branche – wenn auch in erster Linie wohl die Branche und nicht "ganz Deutschland" – bewegt und schon der Zeilenmengen wegen, die gefüllt werden müssen, schönste Medienseitenprosa erzeugt: "Die Aufregung ist groß im Glaspalast mit Hafenblick." Aufmerksame Leser wissen dank der SZ auch, in welchen Stockwerken die Chefredakteure für Print- und Online-Spiegel sitzen – auf unterschiedlichen nämlich.
Kurz und bündig steht auf den Seiten des Deutschlandradios, was den beiden Chefredakteuren überhaupt vorgeworfen wird:
"Der für den gedruckten 'Spiegel' zuständige Mascolo werde für den deutlichen Auflagenrückgang verantwortlich gemacht. Blumencron wiederum habe Unmut auf sich gezogen, weil er sich beharrlich gegen Bezahlmodelle für 'Spiegel Online' gesträubt haben soll."
Das Hamburger Abendblatt nennt heute neben schlecht verkauften Titeln noch ein Beispiel für einen vermeintlich schleichenden Bedeutungsverlust des Spiegels:
"Der Scoop der vergangenen Woche, die Enttarnung der geheimen Geschäfte der Steueroasen anhand einer Datei, die Datensätze von 130.000 Personen enthält – auch einen von Gunter Sachs –, ging am 'Spiegel' vorbei. In Deutschland berichteten exklusiv der NDR und die 'Süddeutsche Zeitung' (SZ) darüber. Das ist insofern überraschend, da 'Spiegel'-Chefredakteur Georg Mascolo und der Investigativ-Chef der 'SZ', Hans Leyendecker, die einzigen deutschen Mitglieder des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) sind."
Es ist denkbar, dass das aktuelle Spiegel-Cover – nicht das oben abgebildete – Mascolos Kritiker nicht umgestimmt hat. Aber immerhin führte es zu einem der lustigeren Tweets des Sonntags.
Die hinter den Personalienspielchen stehenden Fragen sind dabei nicht so unwichtig: Welche Einzelperson, die offenbar anstelle einer Doppelspitze – Spekulationen und Gerüchte, schon klar – gesucht wird, könnte geeignet sein, Print und Online gleichermaßen zu führen? Und damit zusammenhängend: Was wird in der Zukunft die Strategie des Spiegels sein, die dann wiederum auf den Rest der Branche rückwirken könnte? Wird Spiegel Online, wie es im Raum steht und bisher wohl von Chefredakteur Müller von Blumencron verhindert worden sein soll, eine Paywall für Inhalte einführen, die nicht Nachrichten sind? Das könnte bedeuten, da auch der andere Marktführer Bild Online mit einer solchen Bezahlstrategie liebäugelt, dass eine Menge anderer Portale nachziehen – zumindest nachziehen können. Ob es wirklich denkbar ist, dass Spiegel Online zugunsten des gedruckten Spiegels zurückgefahren wird, wie ebenfalls zu lesen ist – "unklar", wie man im Medienjournalismus so sagt. Wie der gedruckte Spiegel davon profitieren sollte, wäre ebenfalls unklar – es kauft sich doch kein Mensch ein Wochenmagazin, nur weil er morgens ein eingedampftes spiegel.de-Angebot liest. Wir werden es sehen. taz.de und taz schreiben, heute wolle Spiegel-Geschäftsführer Ove Saffe in der Redaktionssitzung sprechen. Und wahrscheinlich lesen wir noch heute einige seiner Aussagen in einem Konkurrenzmedium.
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+++ Wer sich für die Frage interessiert, wie das Verhältnis zwischen Spiegel und roter Axel-Springer-Gruppe ist, seit der Spiegel ein Kai-Diekmann-Porträt gedruckt hat, das nicht unkritisch war, aber insgesamt eher in seine persönliche Medienstrategie gepasst haben dürfte (Altpapier): Die Bild am Sonntag hat Spiegel Online freundlicherweise unter die Top 3 der Linkempfehlungen aus dem Bereich Nachrichten genommen: Tausend Links aus 50 Bereichen empfehlen die BamS-Kollegen, und gleich nach bild.de und welt.de kommt bei ihnen im Bereich Nachrichten spiegel.de (bemerkenswert: Den bild.de-Hauptkonkurrenten gmx.de hat man hier übergangen – aus Angst?). Es folgen auf den Plätzen Seiten, die "wir sehr mögen" (cnn.com, stern.de), Seiten, "die wir mögen" (nytimes.com, news.google.de, dailymail.co.uk, faz.net), und "Sonstiges" (taz.de, tagesschau.de, blog.fefe.de usw.).
+++ Ein Medienthema, das ein paar Tage online verhandelt wurde, betrifft ein geplantes Google-Hangout der Kanzlerin. Angela Merkel will sich am 19. April erstmals in einer öffentlichen Videokonferenz mit ausgewählten Bürgern unterhalten. Aufgeworfen wurde die Frage, ob Merkel dafür eine Rundfunklizenz brauche, "denn wer mit einer regelmäßigen Internetsendung mehr als 500 Zuschauer erreicht, braucht dafür eine Genehmigung. So steht es im Gesetz" (Spiegel Online). Außerdem stand im Raum, ob eine Sendelizenz, so es denn eine bräuchte, mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks vereinbar wäre. Ergebnis: Merkel braucht wohl keine Lizenz (blogs.wallstreetjournal.de)
Besonders engagiert ist Gunnar Sohn, der in seinem Blog auf die unterschiedlichen Positionen der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK), der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) und der Medienzentrale Berlin-Brandenburg (mabb), die für den Ausstrahlungsort des betreffenden Hangouts zuständig ist, hinweist.
Meedia und Spiegel Online kommen zum Schluss, dass "das Medienrecht im Bezug auf Livestreams antiquiert ist und dringend einer Renovierung bedarf" (hier die Meedia-Formulierung), und auch die mabb empfiehlt:
"Die genannten Fälle sollten ein Anstoß für eine aktuelle medien- und netzpolitische Diskussion zu Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im Zeitalter des Internets sein. Sie sind ein Beispiel für die Notwendigkeit, die Rundfunkordnung zu einer Medienordnung weiterzuentwickeln, die überholte Unterscheidungen überwindet."
Zu reden wäre im Hinblick auf den 19. April noch darüber, was überhaupt erwähnenswert daran ist, dass Bürger vorher eingereichte Fragen stellen dürfen. Wenn die Fragen eh gefiltert sind, könnte ein Regierungssprecher auch einfach Kärtchen vorlesen und sie im Namen der Kanzlerin schriftlich beantworten. Dann wäre das rundfunkrechtliche Problem für dieses Mal ohne jeden Restzweifel gelöst.
+++ Schon 2011 wurde drüben bei evangelisch.de das "Netzwerk, das tatsächlich recherchiert", vorgestellt: das International Consortium of Investigative Journalism (ICIJ), das seit den #offshore-Leaks (Altpapier) deutlich an Bekanntheit gewonnen hat +++ Wolfgang Michal greift bei Carta Fragen auf, die Rene Martens am Freitag an dieser Stelle stellte und ergänzt den Katalog um zahlreiche weitere "Routinefragen", wie er es nennt; Fragen wie diese: "Wie schafft man es in einer durchlässigen Medienwelt, 15 Monate lang dicht zu halten? Wie wurden die 86 Journalisten ausgewählt und welche Verträge mussten sie unterschreiben? Warum fehlten unter den eingeweihten Medien ausgerechnet die Dickschiffe des Enthüllungsjournalismus: die New York Times, der Spiegel, El Pais?" und diese: "Gibt es am Ende einen zweiten Bradley Manning?" +++
+++ Jörg Schönenborn hat für die ARD Wladimir Putin interviewt (inkl. tagesschau-Text, Youtube-Fassung, Abschrift). Der hat ein paar Rückfragen gestellt und Schönenborn damit "düpiert" (sueddeutsche.de) bzw. "vorgeführt" (sehr scharf: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de). Die taz sieht dagegen einen Präsidenten, der diesmal "längeren Anlauf" brauchte, "um den üblich herrischen Ductus aufzunehmen" +++
+++ Die SZ ist am Freitag auf eine Mediensatire oder auch -manipulation hereingefallen, auf Seite 1 des Feuilletons stand ein Interview mit dem Geschäftsführer der Guerilla-Marketingorganisation Caveman, Oliver Bienkowski, der dort ausführlich erklärte, dass er Shitstorms verkaufe und auch auf Nachfrage dabei blieb, dass es diese gekauften Shitstorms gebe. Die Aktion stellte sich anschließend als Satire heraus – das Feuilleton korrigierte sich am Samstag ausführlich. Online bei jetzt.sueddeutsche.de ist das Interview mittlerweile gelöscht und durch die selbstkritische Nachbereitung ersetzt. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob Löschen souverän ist, oder ob man es besser einfach mit einem nicht zu übersehenden Kommentar versehen hätte (siehe auch Meedia) +++ Shitstormwochen in den Medien: Auch die FAZ druckt heute im Feuilleton einen ausführlichen Text von Malte Welding über Shitstorms ("Viel Leut', viel Beut'", S. 30) +++
+++ Die ARD darf ihre Amazon-Doku "Ausgeliefert" wegen einer Schmähkritik fürs erste nicht in der Mediathek zeigen (Meedia) +++
+++ Zur Sitzvergabe für den NSU-Prozess. Die türkische Zeitung Sabah hat Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt (Newsroom). Kontext: "Das OLG hatte die Presseplätze nach der Reihenfolge des Eingangs der Anträge vergeben. Dabei gingen die meisten internationalen und alle türkischen Medien leer aus." +++ Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt Volker Rieble: "Die Frage, welche Schläfrigkeit türkische Medien daran gehindert hat, so schnell zu sein wie öffentlich-rechtliche Anstalten, stellt niemand." Na ja, außer ihm halt. Rieble warnt vor einer "rechtfertigungsbedürftigen Diskriminierung nach der Medienherkunft. Das gefühlte Sonderberichterstattungsinteresse türkischer Medien soll eine Sonderbehandlung tragen, zum Nachteil aller anderen Medien", aber: Eine solche Bewertung "greift in den Kern der Pressefreiheit ein", denn Medien würden dann "nach gefühlter Wertigkeit sortiert" +++
+++ Die taz schreibt über Dina Meza aus Honduras, die bedroht wird und nach New York floh; sie "ist für das Komitee der Familien von Verhafteten und Verschwundenen (Cofadeh), einer Menschenrechtsorganisation, tätig und arbeitet parallel als Journalistin mit dem Schwerpunkt Menschenrechte" +++ Die FAS stellt Palina Rojinski vor, die zuletzt bei ZDFneo und beim SWR im Fernsehen zu sehen gewesen sei, und nun konnte man also sogar über sie in der FAS lesen +++ Über eine Wirtschaftsjournalismuskonferenz und eine selbstkritische Abkehr vom "BWL-Tunnelblick" schreibt fachjournalist.de +++ Der Tagesspiegel beschäftigt sich mit der Quotenmessung in Zeiten des Online-TV +++ Der Spiegel schreibt über Angela Merkels Ärger über Paparazzi im Urlaub: "Ihr Verhältnis zu Fotografen ist schon lange schwer gestört, aber sie vergisst, dass die Freiheiten der Demokratie auch für Bilder gelten" +++
+++ Fernsehen: Die FAZ bespricht "Der Tote im Watt" (20.15 Uhr, ZDF), einen "Nullachtfünfzehn-Krimi" +++ Besprechungen, etwa in der FAZ und der SZ, dort mit Konzentration auf Schauspieler Josef Bierbichler, bekommen hat "Verbrechen" (gestartet am Sonntag im ZDF) +++ Die SZ bespricht "Das Schweigen der Lämmer" – die US-Serie mit Mads Mikkelsen als Hannibal Lecter: "Für Zimperliche ist der Kannibalenhumor der Serie jedenfalls nichts: Die Folgen heißen 'Apéritif' oder 'Entrée', es gibt ausführliche Kochszenen und Lecter sagt gerne zweideutige Sätze zu seinen Gästen wie: 'It"s nice to have old friends for dinner'" +++ Die FAS lobt die TNT-Serie "Lilyhammer" +++
+++ Frühkritiken gibt es zu "Precht" (TSP, FAZ) +++ Und zu "Günther Jauch" (BLZ, FAZ, SPON) +++
Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.