Thank God gibt es Focus-Online. Dort kann unter der Überschrift "'April, April' – Das waren die besten Scherze im Netz" über die besten Scherze im Netz lesen. Gedruckt ging ja nicht, weil der 1. April ein Feiertag war und Aprilscherze anders als Jahrestagsfeiern oder Weihnachtsgeschichten nicht Wochen vorher gemacht werden können, sondern nur am Tag selbst.
Ohne die Freude auf den Focus-Online-Text trüben zu wollen: Ein Gag war Google Nose, ein anderer Youtube als Onlinewettbewerb, in dem nun aus den eingestellten Filmen ein Sieger gekürten werden soll. Beides verbindend gelingt Daniel Blum in der TAZ eine hübsche Pointe.
Nicht lustig findet Nick Lüthi die Praxis in der Schweizer Medienwoche:
"Am 1. April feiert der faktenfreie Schwurbel fröhlich Urstände. Ein Unding, das in den Medien nichts verloren hat und abgeschafft gehört."
Einen Grund dafür gibt es auch, der sichtbar wird durch einen in der Medienbranche üblichen Vergleich.
"Als würde ein Bäcker einmal im Jahr täuschend echt aussehende Salzteigbrötchen backen und sich still freuen, wenn die Kunden sich die Zähne ausbeissen. Eine absurde Vorstellung, die bei jedem stolzen Handwerker nur ungläubiges Kopfschütteln auslösen würde."
Deshalb, folgert Lüthi, könnte ein Ende der verbreiteten Sitte als Gewinn verbucht werden:
"Medien, die der Unkultur ein für alle Mal ein Ende setzen würden, und das auch öffentlich deklarierten, könnten nur gewinnen und ihre Glaubwürdigkeit stärken."
Rainer Stadler sieht die Sache in der NZZ nicht so eng:
"Der Verfremdungseffekt, den der 1. April zu erzeugen vermag, drängt einen vielmehr zur Frage: Gleicht die real existierende Nachrichtenwelt nicht tagein, tagaus einem ziemlichen Scherz?"
Oder eigentlich: Rainer Stadler sieht die Sache viel enger! Der 1. April ist in dieser skeptischen Wahrnehmung nämlich lediglich die Anleitung zur Medienkritik:
"Der 1. April wäre demnach der Tag, der mit einem Scherz den ganzen Scherz aufdeckt."
Würde von ihm, wie Lüthi im Dienste von so was wie Wahrheit und Glaubwürdigkeit fordert, gelassen, fiele das Kontrastmittel weg, das den Irrsinn des Medialen erst sichtbar machte. Unfreiwillig arbeitet Lüthi dieser von ihm geschmähten Form der Aufklärung allerdings selbst zu: Sein Vergleich mit dem Backgewerbe führt nämlich nur vor, wie wenig Brot und Zeitung miteinander zu tun haben. Das selbstironische Spiel, das sich Zeitungen am 1. April erlauben können, weil der Aprilscherz wie das Geschäft von Zeitungen Kommunikation betrifft, funktioniert beim Bäcker wie von Lüthi vorgeschlagen nicht, weil es beim Brötchen nicht um Kommunikation, sondern um Ernährung geht. Das zeigt nun aber wieder nur, wie wenig hilfreich all die anderen Brot-Zeitung-Marmeladenfabrik-Vergleiche sind, die in Krisenzeiten ja gern bemüht werden. So gesehen erweist Lüthi seiner eigenen Sache einen Bärendienst, hilft der Medienkritik mit seiner Intervention aber auf die Sprünge.
Nimmt man Stadlers Wahrnehmung des Aprilscherzes, dann muss einem der NZZ-Text noch vom Donnerstag als verfrühter beziehungsweise möglicher Kandidat erscheinen:
"Die Schweizer Fernsehbranche begibt sich kommerziell auf einen völligen Blindflug. Die Stiftung Mediapulse, unter deren Dach die für die Werbevermittlung wichtigen Einschaltquoten ermittelt werden, kann ab sofort keine Daten mehr herausgeben."
Mit anderen Worten: Es gibt gerade keine Quoten in der Schweiz, weil die Verlässlichkeit eines neuen Verfahrens, das auch Mediathekenabrufe berücksichtigen wollte, angezweifelt wird.
"Die Fernsehleute können sich bei ihren Entscheiden nur noch auf ihren publizistischen Spürsinn verlassen."
Das wäre ja mal was: Die Fernsehleute machten ein Programm, von dem sie überzeugt wären, statt auf diesen Indikator für die Werbeindustrie zu schauen. Der suggeriert eine Objektivität, an die noch Menschen zu glauben scheinen, die in den sogenannten Medien arbeiten. Lea Streisand etwa schreibt in der TAZ (über ZDFneo), nachdem sie ihren Fernsehkonsum deklariert hat:
"Blöd für den Sender ist nur: Ich gucke via Mediathek. Dadurch ist meine Sympathie für die Quote irrelevant. Und die Quote ist wie Heroin für Fernsehsender. Es tut ihnen nicht gut, aber sie würden fast alles dafür tun."
Streisands Sympathie wäre aber auch dann irrelevant, wenn sie Fernsehen im Fernsehen gucken würde. Gemessen wird nämlich anderswo:
"In 5640 zufällig ausgewählten deutschen Haushalten steht neben dem Fernseher eine Box der Gesellschaft für Konsumforschung, die erfasst, wer gerade was guckt."
Schreibt Harald Staun in der FAS. Jetzt muss man die Individualität eines jeden einzelnen, also nicht mal die von Lea Streisand, als so einzigartig veranschlagen, dass sie sich nicht hochrechnen ließe zu ein bisschen Wahrscheinlichkeit. Aber zu denken geben kann einem die Messpraxis durch die Lupe des Aprilscherzes schon: 12,81 Millionen Tatort-Zuschauer sind in der Realität tatsächlich erstmal nur 34 Prozent von 5640.
####LINKS####
Staun weist deshalb darauf hin, wie sinnlos die SchwanzQuotenvergleiche beim Tatort in letzter Zeit sind, um am Beispiel der mittelmäßig bekannten Schauspielerin und Twitter-Königin Alison Brie zu erklären, wie Popularität heute funktionieren kann. Und worin der Nachteil herkömmlicher Quotenerhebung besteht:
"Diese Methode ist nicht nur deshalb dürftig, weil sie die Zuschauer der Online-Mediatheken nicht berücksichtigt, die auch in Deutschland bei manchen Sendungen die des traditionellen Fernsehpublikums schon übersteigen. Sondern auch, weil sie das, was Programmmacher (und auch Werbekunden) eigentlich interessieren müsste, nicht messen kann: Ob die Menschen mögen, was sie sehen."
In diesem Sinne könnte man durchaus Lea Streisands Vorschlag zur Realität von und dem Umgang mit ZDFneo prüfen:
"Warum gibt man Geld für einen Sender aus, den keiner guckt? Man könnte das Geld in hochwertige Produktionen stecken, die man online stellt, bevor sie im Hauptprogramm versendet werden."
Dominik Graf sucht derweil im FAZ-Feuilleton (Seite 33) nach einer Sprache der Liebe für die Geschichte des Fernsehens, die keiner kennt:
"Vielleicht könnte man dann das heutige Fernsehen seinen selbstberauschten Spitzenfunktionären durch Anbetung ihrer großen Vorgänger wieder entreißen? Die zweite Chance des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wäre ein Umbruch im Status quo, eine totale Wende weg vom eingespielten Trott der Quoten-Götzendienste und des konzernhaften Selbstverständnisses."
Das mit dem Suchen nach einer Sprache der Liebe ist fast ein wenig kokett, könnte man meinen, denn enthusiastischer, was in diesem Fall wohl auch bedeutet: kenntnisreicher als Graf schreibt niemand über deutsches Fernsehen, das vor dem Jahre 2000 entstanden ist und damit im Nowhere des Gedächtnisses der heutigen Macher liegt.
Anlass für Grafs tollen Text bildet die DVD-Veröffentlichung des Fritz-Umgelter-Fünfteilers "Am grünen Strand der Spree" von 1960:
"Die entschwundenen Schauspieler dieses Opus magnum steigern noch den Eindruck der Trauer über so viel verlorenes Können, so viel einstmals gelungene filmische Erzählkunst. Und geben einem die Aufgabe zur Pflicht, die Historie des deutschen Fernsehens mit all ihren Protagonisten aus den Kellern der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu befreien. Notfalls auch gegen den Widerstand der Chef-Apparatschiks, die an den Programmhebeln sitzen und die den angehäuften riesigen kulturellen Besitzstand nach Gutsherrenart kontrollieren lassen. Die deutsche Fernsehgeschichte gehört nämlich uns."
So sieht es aus. Melden uns hiermit zum Schmierestehen, wenn's an die Rückeroberung unseres Vermögens hinter dem Rücken der Apparatschiks ginge. Giovanni di Lorenzo wird schon mal keiner.
+++ Dass die Qualität des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens was mit diesen Apparatschiks, also den Strukturen zu tun hat, kann man dem instruktiven Artikel von Katharina Riehl aus der SZ vom Samstag entnehmen. Die Autorin ist nach Dänemark gefahren, um zu verstehen, warum das kleine Land so gutes Fernsehen hinbekommt wie in der Serie "Borgen". Und die drei "Geheimnisse" hinter diesem Erfolg lauten, sich auf wenige Sachen (zwei Serien pro Jahr, statt fünf, sechs Fernsehfilme pro Woche wie bei ARD und ZDF) zu konzentrieren. Die Autoren nach amerikanischem Vorbild auszubilden. Und: "Adam Price sagt, dass DR [der öffentlich-rechtliche Sender Dänemarks] seinen Künstlern eben vertraue. 'Sie kaufen ein Konzept, das sie überzeugt hat. Dann ist es an dir, es auch umzusetzen. Wenn es nicht gut wird, dann machst du danach eben keine Serie mehr für DR. Auf dem Weg dahin aber hast du alle Freiheiten.' Alle Freiheiten? Man tritt hierzulande wohl niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass das im deutschen Redaktionsfernsehen auf die wenigsten Formate zutreffen dürfte." +++
+++ Man könnte fast gespannt sein, wie etwa die ARD den Vorschlag wegbegründen würde, ihr merkwürdiges Redakteurssystem sei irgendwie problematisch. Vielleicht so wie das ZDF sich erklärt zu polnischer Kritik an #umuv, die Darstellung der Deutschen als Opfer und Polen als antisemitischer Täter sei vielleicht etwas waghalsig mit Blick auf die Geschichte? "Bei der Buchentwicklung mit namhaften Historikern sei größter Wert auf eine differenzierte Darstellung der Figuren gelegt worden", meldet die SZ vom Lerchenberg. Na, dann. +++ Ein Highlight der Intendantenprosa beziehungsweise ein hotter Aspirant auf den Lutz-Marmor-Gedächtnispreis für eloquentes Allessagen: ZDF-Chefredakteur Peter Frey äußert sich in der FAZ vom Samstag zur Talkshow-Praxis (Seite 41). Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass das Leben mit miesepetrigen und sicherlich nicht jedes Mal richtig liegenden Medienkritikern anstrengend sein kann – ein irgendwie von sich schon überzeugterer Selbstentwurf würde so etwas wie einer Debatte helfen und Kritik zu einem interessanten Geschäft machen. Aber Freys Text hat Amnesie, er denkt keinen Gedanken zu Ende, sondern macht auf dem Absatz von Behauptungen kehrt, damit auch noch das Gegenteil erwähnt werden kann. Da heißt es am Anfang etwa: "Talk-Macher sollten aber auch auf Risiko spielen, schwächere Einschaltquoten akzeptieren, weil das Thema oder noch unbekannte Protagonisten ganz einfach Sendezeit verdienen." Was schon mal hübsch klingt, weil man sich fragt, wer denn da eigentlich normiert, wenn der ZDF-Chefredakteur schon "Risiko" sagt. Vermutlich ist's: die Quote, die, eben noch mit "Risiko" ausgeknockt, am Ende des Textes schon wieder zurück ist zur Relevanzbegründung des Richtigmachens: "Kaum eine Gattung des Fernsehjournalismus wird mehr geschmäht als der Polittalk. Das ist oft ungerecht – schon weil das Publikum sich dem verächtlichen Gähnen der politisch-medialen Klasse nicht anschließt. Talk bleibt ein Erfolgsformat." Ja, was denn nun? Will Frey sich mit dem Erfolgsargument Quote gegen die Fernsehkritik wehren oder versteht er das Problem, dass man mit den Talkshows in ihrer erwartbaren Performance haben kann? Vermutlich so: beides, und das ist dann genau der Spagat, bei dem die öffentlich-rechtlichen Repräsentanten permanent, sorry for that, ihre Eier verlieren. Und alles, was an Kritik zulässig ist, wird unter dem Sonntagsredenhaftesten "sollte" subsumiert: "Keinesfalls sollte man Redaktionen mit starren Quotenvorgaben oder Erfolgsprämien zwingen, keine Experimente zu wagen." Keinesfalls. Bloß nicht. Gott behüte. Es ist zum Haareausreißen, wenn man sich nicht damit abfinden will, dass Verlautbarungen von ARD/ZDF-Granden heutzutage als Anforderung an das verstanden werden muss, was früher Kreml-Astrologie hieß: Ist es denn wirklich zu viel verlangt, dass ein ZDF-Chefredakteur auf eine Weise mit dem identisch sein könnte, was er tut, dass er das auch zum Ausdruck bringen könnte? +++
+++ Zur Schussverletzung von ARD-Korrespondent Jörg Armbruster in Syrien schreibt etwa Sonja Zekri in der SZ, die damit generelle Fragen verbindet: "Wie also berichten aus einem Konflikt, in dem selbst der Augenschein immer nur einen winzigen Ausschnitt gibt, aber ohne Augenschein nur die oft zweifelhaften Selbstauskünfte aus Amateurvideos oder Staatspropaganda bleiben?" Eine von ihr angeführte Variante sind kostenintensive private Sicherheitsfirmen, die andere freie Mitarbeiter, wobei Zekri der darin liegende Zynismus nicht entgeht. +++ Jan Freitag schreibt in der Berliner über die Beschleunigung des Kinderfernsehens am Beispiel der reanimierten Biene Maja. +++ In der Berliner vom Wochenende: 50 Jahre ZDF, wo unter "teuerster Fehlinvestition" das Nachrichtenstudio vermerkt ist: "Anstatt durch Modernität zu glänzen, wirken „heute“ und „heute-journal“ seitdem aber vor allem unpersönlich und die Moderatoren durch die langen Kamerazooms sehr weit weg vom Zuschauer." +++ Für den Tagesspiegel unterhalten sich Joachim Huber und Thomas Eckert mit Eva Löbau und Sascha Hehn über die Serie "Lerchenberg", wobei Hehn schon redet wie Peter Frey. Erst: "Aber ich würde mich schon freuen, wenn wir etwas zur Veränderung der realen Verhältnisse im ZDF beigetragen hätten." Dann: "Wir machen uns ja nicht über das ZDF lustig. Ich sehe die Serie auch als kleine Ehrenerklärung an die 3000 Mitarbeiter, die den täglichen Betrieb garantieren. Natürlich haben die auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, natürlich gefällt denen auch nicht alles, so, wie es ist." Seufz. +++
+++ Im Tagesspiegel erklärt Frank Jansen, als welches Lotteriespiel man sich die Windhund-Akkreditierung bei NSU-Prozess (Altpapier vom Donnerstag) vorstellen muss, indem er seine zahllosen Anrufe bei Gericht dokumentiert: "31. Januar, am Vormittag. Nein, es gebe noch keine Zulassung, 'erst im Februar'. Doch am Mittag kommt der Eröffnungsbeschluss: Die Anklage gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeschuldigte ist zugelassen. Das habe sie auch überrascht, sagt am 1. Februar eine Mitarbeiterin der Pressestelle." +++ Die Tagesspiegel-Kommentatoren belehren Hatrice Akyün dennoch sehr unangenehm, weil die es wagt, unter ihrem Namen die deutsche Gründlichkeit beim Pochen auf das Verfahren zur Platzverteilung zu kritisieren. Es macht einen fassungslos, was in dieser Gesellschaft für Reflexe unterwegs sind bei Leuten, die lesen können. +++ Ob in die Sache der Akkreditierungen noch Bewegung kommt? Platzüberlassen scheint eventuell doch möglich, außerdem hat sich die Politik ja eingeschaltet. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder