Quoten-Duell der Giganten

Quoten-Duell der Giganten

Im Fernsehen: UMUV 3 gegen den aus dem Netz bekannten Katja-Riemann-Hit. Auf Facebook: Jürgen Domians Empörung schlägt Wellen. Im Radio: bald wohl kein 90elf mehr.

Heute zur sog. besten Sendezeit in den wichtigsten öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen: das Quotenduell der Giganten! Gegen den dritten Teil des Epos "Unsere Mütter, unsere Väter" von Teamworx-Erfolgsproduzent Nico Hofmann, über das und den Sie auch an dieser Stelle zuletzt wieder so einiges lesen konnten, im Zweiten tritt im Ersten an: nein, nicht die deutsche Fußballnationalmannschaft, die trainiert zwar schon, geht aber erst am Freitag auf Sendung, sondern die jüngste Produktion des Teamworx-Erfolgsproduzenten Nico Hofmann ("Unsere Mütter, unsere Väter"). Sein ARD-Film "Verratene Freunde" ist derjenige, der dank der bislang wohl raffiniertesten Viralkampagne des deutschen Fernsehens, derjenigen mit Hauptdarstellerin Katja Riemann, seit Tagen auf jeder nachrichtlichen Startseite und in jedem Feed vertreten ist.

Heutiger Gipfelpunkt der Riemann-Sache, die am vergangenen Donnerstag im NDR-Regionalfernsehen begann und am Freitag bei Stefan Niggemeier den entscheidenden digitalen Dreh bekam, ist ein großer Feuilleton-Aufmacher in der Süddeutschen von Alexander Gorkow (S. 11). Ja, beinahe wäre es sogar ein ganzseitiger Text, wenn nicht unten drunter noch etwas zu "Unsere Mütter, unsere Väter" stehen würde.

Gorkow schildert Riemanns Auftritt in der NDR-Show "DAS!" zupackend ("Sie benimmt sich wie eine Frau, die beim Date nach einer Sekunde feststellt, dass sie mit dem Mann, der ihr gegenübersitzt, nicht schlafen möchte, da schon das Reden, geschweige denn Flirten mit diesem Mann nervenzerfetzend ist") und ergreift, mit gewohnt guter Kenntnis vergleichbarer popkultureller Phänomene zwischen Götz George und Rammstein, Partei für die Schauspielerin:

"Wäre dieses Land bei Trost, so wäre das, was Katja Riemann da über sich ergehen lassen musste, Anlass für eine kleine Solidarisierungswelle mit einer zigfach preisgekrönten, oft, hach ja, als schwierig bezeichneten Schauspielerin."

Doch bei Trost ist dieses Land, zumindest wenn man den Äußerungen vieler seiner Einwohner bei Facebook (vgl. z.B. horizont.net) und den Gewinner/ Verlierer-Spalten seiner immer noch größten Zeitung Relevanz beimisst, nicht:

"Die Gleichgültigkeit, mit der sie von den Massen verurteilt und angepöbelt wird, nachdem ein vermeintlich harmloser TV-Honk namens Hinnerk Baumgarten sie von der Brücke schubste, ist gefährlich."

Baumgarten ist der hinreißende "Sachenwegmoderierer" (Niggemeier) von "DAS!". Ein aktuelles Interview mit ihm, das seinem Intendanten Lutz Marmor zumindest insofern beschämen müsste, als dass der NDR gerade noch den teuren Sachenwegmoderierer Jörg Pilawa vom ZDF zurückgeholt hat, obwohl er solche Talente im Stall hat, bietet Springers Welt.

Weitere Stimmen zum Film "Verratene Freunde" gibt's heute nicht so viele, weil die eigentliche TV-Premiere am Freitag bei Arte stattfand. Dass der Film der Grimmepreis-Träger Stefan Krohmer und Daniel Nocke "filmisch zum Besten bislang in diesem Jahr" gehöre, schrieb der Tagesspiegel; da war's auch hier nebenan Tagestipp. Die gestern in der SZ erschienene Besprechung steht inzwischen frei online. Rainer Tittelbach vergibt 5,5 von sechs Sternen. "Stünde der dritte Teil des ZDF-Films 'Unsere Mütter, unsere Väter' heute Abend nicht dagegen, wäre man bei 'Verratene Freunde' auch ganz gut aufgehoben", schreibt Matthias Hannemann lauwarm auf der Medienseite der FAZ, die natürlich verpflichtet ist, aus allen Rohren für das ZDF-Epos zu feuern.

[+++] Damit also zu YouMove, pardon: UMUV. Nachdem Teil 2 am Montag an der Quoten-Front "mit Verlusten" siegte (dwdl.de; fast wie die Wehrmacht, die im Mittelteil des Weltkriegs ja auch noch manch "ungefährdeten Tagessieg" erzielte, könnte man sagen...), läuft die gesamtgesellschaftliche Medien-Debatte weiter.

"Wir sind die lernfähigen Nachfahren der Verbrecher. Der Diskussionsprozess selbst, das Fragen und Zuhören, könnte zum neuen gesellschaftlichen Identifikationsmuster werden: Weil es befreiend ist zu verstehen", bündelt Kia Vahland im SZ-Feuilleton (direkt unter Gorkows Text) die gesellschafts-psychoanalytischen Argumentationen fürs Anschauen. "Der Zuschauer erfährt, wie ein verbrecherisches System Menschen verändern kann, und wirft gleichzeitig Fragen auf, die schmerzhaft sind...", pflichtet bild.de bei (und integriert einen Infokasten mit "Fakten zur Posttraumatischen Belastungsstörung" in den sensationell langen Text).

"So ärgerlich vieles in Europa und an der europäischen Bürokratie ist, was dringend abgestellt werden muss: Dennoch bin ich dankbar, dass meine Generation ihren Kindern und Enkeln nicht mehr vom Krieg erzählen muss, so wie noch die Generation meiner Eltern. Deshalb kämpfe ich so vehement für das europäische Einigungswerk", schreibt Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments (dem freilich immer noch ein zugegeben fieser, ebenfalls mit Weltkriegs-Fernsehfiktion zusammenhängender Anwurf des Medienmoguls Silvio Berlusconi nachhängt), vorn auf dem FAZ-Feuilleton.

Einen sympathisch pragmatischen Ansatz des Umgangs mit UMUV wählte Harald Jähner in der BLZ:

"Ein gigantisches Potpourri von Motiven, die wir aus allen möglichen Filmen zum Nationalsozialismus kennen, werden zusammengefügt zum Porträt einer Generation, das so leicht verständlich, so spannend konsumierbar ist wie ein Film über jede andere Generation davor oder danach, nur eben viel knalliger. So kennen wir die selbstbewusste Sängerin Greta und ihr Liebesleben zwischen Täter und Opfer aus Faßbinders Film 'Lili Marleen'"...,

argumentiert er. Bloß: Wer kennt denn aus der gegenwärtigen Zuschauergeneration noch Fassbinders "Lili Marleen"? Den Vogel im Umgang mit UMUV schießt souverän Tilman Krause in Springers Welt ab:

"Ich gestehe auch, dass ich von dem Dreiteiler nur Fragmente gesehen habe, denn mal trieb mich die Langeweile aus dem Sessel, mal der Überdruss angesichts der gezeigten Gewalt, vor allem aber mehr und mehr die Empörung, dass ich einer kultischen Handlung beiwohnen soll, die ich sowohl aus ganzem Herzen als auch aus historischen Kenntnissen heraus verabscheue: der Weihe Stalingrads zum Schicksalsort des deutschen Volkes",

schreibt er dort und wendet als Hauptargument gegen UMUV, dass "Stalingrad ... ein schlechtes Pars pro toto" sei, "wenn es um das Leid des deutschen Volkes geht". Die Ironie daran, sofern Ironie nicht trotz allem ein viel zu feiner Begriff für solch Dünnsinn ist: In UMUV geht es nicht nur nicht oder kaum (darüber ließe sich vielleicht streiten) um Leiden des deutschen Volkes, sondern auch überhaupt nicht um Stalingrad. In Teil 2 war die "Schlacht um Kursk" ein Schauplatz. Stalingrad kommt kaum vor, es sei denn, man begriffe Stalingrad als, äh, Pars pro toto für die deutsche Ostfront des Zweiten Weltkriegs, ohne die sich schlecht aus deutscher Sicht vom Zweiten Weltkrieg erzähle ließe.

Von relativ gegensätzlicher Seite aus, immerhin aus Kenntnis des Films und mit eingestandener Subjektivität, äußert sich Jan Feddersen in der TAZ:

"Deutsche Filme, sie können es nicht (mit der Ausnahme der Uwe-Tellkamp-Verfilmung von 'Der Turm', zugegeben). Sie können nicht Gefühle plausibel machen..."

Feddersen kennt sich bekanntlich schon aus Schlager-Grand Prix-Expertise mit dem Ausdrücken von Gefühlen aus.Dass es sich bei "Der Turm", über den sich ja auch streiten lässt, um eine Produktion des Teamworx-Erfolgsproduzenten Nico Hofmann ("Unsere Mütter, unsere Väter") handelt, braucht an dieser Stelle kaum erwähnt zu werden.

####LINKS####

Dass sowohl UMUV als auch Krohmer/ Nockes "Verratene Freunde", wie auch immer man dazu steht, am Ende dieses Jahres mutmaßlich zu den Top 20 der vergleichsweise sehenswertesten Exempel aus der teuersten Sendungsgattung Fernsehfilm gehören werden, ist relativ klar. Warum also ARD und ZDF so etwas gegeneinander programmieren ("verheizen" würden die derzeit gern rhetorisch bemühten, vom Krieg erzählenden Opas sagen), obwohl ja noch eine Menge Schmonzetten mit völlig anderer Programmfarbe auf ihre Erstausstrahlung warten, ist ziemlich unklar. (Und könnte vielleicht Anlass sein, das gern verlachte Hans-Peter-Siebenhaar-Postulat, ARD und ZDF zu fusionieren, noch einmal wohlwollender auf sinnvolle Aspekte darin zu überprüfen).

[+++] Inzwischen Katja Riemann in den sog. sozialen Medien überflügelt hat zweifellos Jürgen Domian. Seine gestern bereits im Altpapierkorb erwähnte Fassungslosigkeit über Facebook und die "Entschuldige bitte, ...facebook.com/Domian.Juergen!!!"-Entschuldigung der deutschen Facebook-Sprecherin Tina Kulow sind absolut trending (FAZ, TAZ, Tsp., BLZ, kress.de...).

Kulow also postete auf Facebook:

"In dem Bemühen, die vielen Reports von Nutzern, die wir jeden Tag erhalten, schnell und effizient zu bearbeiten, schaut sich unser User Operations-Team Hunderte von Tausenden von Reports zu Inhalten jede Woche an..."

Über dieses "User Operations-Team" würde man gern mehr erfahren, zum Beispiel, ob sich dahinter Algorithmen verbergen oder Menschen. Zumindest die Süddeutsche begnügt sich nicht mit dem Remixen der Domian-Empörung und der Kulow-Abwiegelung: "Nach Unternehmensangaben sprechen die mit Kontrolle und Löschung beauftragten Kontrolleure Deutsch. Wie der 'menschliche Fehler' genau zustande kam, kann Kulow nicht beantworten", schreibt Johannnes Boie auf der Medienseite und kommentiert auf der Meinungsseite (nicht frei online):

"Wer wirklich etwas zu sagen hat, vielleicht sogar Kritisches, sollte das nicht auf Facebook erledigen. Viele Menschen erreicht man im Internet auch anders."

Ja: "Bloggt mehr! ... Werdet unabhängiger von Facebook!", appelliert sogar Tanja Morschhäuser in der BLZ.

Vielleicht könnte Domian ("Man müsste Beispiele sammeln, wo sonst noch die Meinungsfreiheit unberechtigt beschnitten wurde, und dann schauen, ob man seine Stimme erhebt", zitiert ihn die FAZ) im heimatlichen Nordrhein-Westfalen ein paar Grundschulen besuchen und dort im Medienkunde-Unterricht über diese exemplarische Erfahrung berichten. Das wäre eine Win-win-Situation, zumindest für Jürgen Domian.

[+++] Der Tagesspiegel zum Beispiel ist nicht doof und hat das knackige Zitat der RBB-Intendantin Dagmar Reim,

"Der RBB ist von der Politik so abhängig wie der Papst von Ecstasy",

in seinem eigenen Internetauftritt gepostet und nicht nur auf Facebook, wo es, unabhängig von eventuellem Wahrheitsgehalt, sicher schnell gelöscht worden wäre.

Die Berliner Presse, also außerdem die BLZ, berichtet ausführlich von der Mitarbeiterversammlung beim RBB wegen der vor anderthalb Wochen (siehe Altpapier) aufgekommenen Aufregung um ein aus einer Sendung entferntes, inhaltlich nicht der geringsten Aufregung wertes (siehe Altpapier) Matthias-Platzeck-Sample.

Die Versammlung scheint das Niveau der bisherigen Aufregung beizubehalten haben. Reim hielt eine sechs Punkte umfassende Rede. Und RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein sah "wie ein geprügelter Hund" aus, hat die BLZ beobachtet, die lieber das Reim-Zitat "Ich denke, ich habe schon größere begangen", größere Fehler nämlich, bringt und zum Fazit gelangt: "Vielmehr schien die Versammlung einer Art inneren Hygiene zu dienen".
 


Altpapierkorb

+++ Die ARD-Jubelmeldung "Bundesliga-Konferenz im Radio bleibt in gewohnter Qualität erhalten" beinhaltet, dass die ARD-Sender zu einem ungenannten Preis von der DFL Deutsche Fußball Liga GmbH die Pakete namens "Audio Broadcast" und "Audio Erweiterungspaket" erworben hat. Kollateralschaden derselben Versteigerung: das digitale und Internet-Fußballradio 90elf.de ist bzw. geht "de facto tot" (@teltarif) oder dürfte zumindest "ein Zukunftsproblem haben" (teltarif.de). Denn das dritte versteigerte Paket namens "Audio Netcast" ging überraschend an Sport 1, den gleichnamigen Fernsehsender aus dem Constantin-Unternehmensimperium. "Wir wissen sehr genau, welche Summen refinanzierbar sind und ab wann es nur noch strategische Gebote sind" und "wir haben den davor kaum wahrgenommenen Audio-Rechten erst einen Wert verliehen. Das nennt man wohl Ironie des Schicksals", sagte der Geschäftsführer des 90elf-Betreibers Regiocast Digital, Florian Fritsche, erstaunlich sportlich (radiowoche.de). Und meedia.de hegt den Verdacht, Sport 1 meedia.de wolle diese Audiorechte "in irgendeiner Form z.B. auch bei der Bild unterbringen...", die ab der kommenden Saison bekanntlich auch in die Bewegtbild-Übertragung der Bundesliga einsteigt. +++

+++ Die Bild-Zeitung auf dem Weg zum Vorkämpfer für Pressefreiheit? Zumindest über zwei Klagen wird heute berichtet: Erstens die neueste Jörg-Kachelmann-Sache, bei der bild.de den Sieg davon trug. "Medien dürfen weiterhin darüber berichten, was in einem Gerichtssaal in öffentlicher Hauptverhandlung gesagt wird", fasst die FAZ (S. 31) zusammen. In der Süddeutschen (auch S. 31) wundert sich Helmut Kerscher über eine "nicht nur für Laien eine etwas überraschende Pointe" der Richter. Online gibts dort aber nur den Agenturbericht. +++ "Ein Dammbruch ist das BGH-Urteil nicht. Schon jetzt gehört es zum journalistischen Handwerk abzuwägen zwischen dem, was bloß menschliche Neugier befriedigt, und dem, was dem Leser wirklich hilft, die Arbeit des Gerichts oder die Tat eines Menschen zu verstehen...", plädiert Wiebke Ramm im Tagesspiegel. +++

+++ Zweitens: Bild-Zeitung gegen die Oper Köln. Vorm Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster unterlag das Blatt, was die TAZ unter Pressefreiheitsgesichtspunkten kritisch zu sehen scheint ("Darf ein Opernhaus selbst darüber entscheiden, welcher Fotograf bei einer Premiere Fotos schießen darf? Zumindest die Oper Köln darf das..."). +++

+++ Die SZ-Medienseite, der für ihre Kernkompetenz der Fernsehprogrammbesprechung ja gleich beide Anknüpfungspunkte vom Feuilleton entrissen wurden, zeigt sich pfiffig und bespricht bereits: "Das Netz, ab 20. März in der ARD-Mediathek online, am 27. März, ARD, 20.15 Uhr". Eigentlich heißt der "spektakulär gefilmte Thriller" "Im Netz", und und hier ist er tatsächlich schon zu sehen. +++

+++ "Man braucht Publikationen wie die Funkkorrespondenz, weil der Sonntagskrimi schon überall sonst empfohlen wird..." Der Freitag-Artikel des Altpapier-Autors Klaus Raab über den bedrohten katholische Medienfachdienst steht nun online. +++

+++ Doch noch mehr UMUV-Stoff: Joachim Huber vom Tsp. interviewt Heike Hempel, die ZDF-Fiction-Chefin ("...Aber ich hätte nichts dagegen, wenn unsere Serien weiterhin besser werden. Wir tun auch einiges dafür. Aber darüber sollten wir uns noch einmal gesondert unterhalten..."). +++

+++ "Für diese Überwachungsmöglichkeit opfert die Regierung die Sicherheit ihrer Bürger vor Angreifern", kritisiert netzpolitik.org den derzeit diskutierten Gesetzesentwurf "zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften". +++ Den aktuellen britischen Gesetzesentwurf (auf deutsch zum Thema: newsroom.de) zur Medienaufsicht mit Formulierungen wie "a website containing news-related material (whether or not related to a newspaper or magazine)" gibt's bei boingboing.net zu sehen. +++

+++ Interessantes Kartenmaterial zur anhaltenden Abwärtsentwicklung der deutschen Tagespresse gibt's bei nationalatlas.de (vom Leipziger Kommunikationswissenschaftler Tobias D. Höhn) +++ Und die Zahl, dass rund 400 Millionen Werbeprospekte wöchentlich an deutsche Haushalte verteilt werden, im Supermarktblog. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 


 

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