Außerbayerische Feinde

Außerbayerische Feinde

Nachrufe auf Dieter Pfaff, der dafür, wie er jetzt erinnert werden kann, Eigeninitiative entwickelt hatte im deutschen Fernsehfilm. Außerdem macht sich ein Gewerkschafter Gedanken zur Medienpolitik und Wolfram Schütte über einen Krieg, der ausgefallen ist.

Lustige Titelschlagzeile in der TAZ:

"Er war schon sehr eigen"

Steht über dem Nachruf auf Hugo Chávez. Nachrufe auf Hugo Chávez unterscheiden von, sagen wir, Nachrufen auf Dieter Pfaff darin (sehr pauschal gesagt), dass es unkomplizierter ist, rückblickend Dieter Pfaff zu mögen.

Das geht nämlich allen so.

"Dieter Pfaff ist etwas gelungen, wovon Schauspieler träumen. Er schuf Rollen und Figuren, die sogar in Serie gingen, nach seinem Bilde."

Schreibt Michael Hanfeld in der FAZ. Und variiert damit eine Metaphorik, die sich bei Pfaff quasi mehrfach aufdrängt und auf die Christine Dössel in der SZ (S. 31) zurückgreift:

"Wie er überhaupt wusste, dass man zugreifen und selber tätig werden muss, wenn man nichts geschenkt bekommt. So entstand auch die RTL-Serie Bruder Esel auf seine Initiative. Da ließ sich Pfaff die Rolle eines verliebten Franziskanermönchs auf den dicken Leib schreiben: ein komischer Unheiliger, der wegen einer Frau seinen Orden verlässt."

Das mit dem "Leib" bietet sich bei Pfaff nämlich ebenso an wie die abgegriffene Formulierung. Neben dem späten Einstieg ins Biz und dem Privatleben im Mehrgenerationenhaus ist der Umstand, dass Pfaff sich selbst um seine Rollen sorgte, Kern aller Nachrufe. Torsten Wahl schreibt in der Berliner:

"Mit Ende Vierzig spielte Dieter Pfaff dann endlich seine ersten Hauptrollen – weil er sich selbst darum gekümmert und Projekte mit Autoren und Regisseuren gemeinsam erfunden und vorangetrieben hatte. Der politisch engagierte Achtundsechziger wollte nicht einfach nur als 'Dicker' für Lacher sorgen, sondern mit Genauigkeit, Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit etwas über unsere Zeit erzählen."

Im online mehr auffindbaren Nachruf des DLF (hier nur die Erinnerungen von Michael Verhoeven, der Pfaff den "deutschen Orson Welles" nennt) war explizit davon die Rede, das Pfaff Autoren bezahlte, damit sie gemeinsam mit ihm Rollen entwickelten.

Ein interessantes Modell für die Wüste, die der deutsche Film seinen Schauspielern ist, wie etwa Fabian Hinrichs hier und hier erklärt [in einem Interview, das ich mit geführt habe, MD].

Pfaff erscheint in den Nachrufen derart als Figur eines spezifisch deutschen Filmzusammenhangs – gegen den er als "Guter", Qualitätsarbeiter verteidigt werden kann, wenn nicht muss. Oder wie Christine Dössel schreibt:

"Sein Verhältnis zur Unterhaltung im Fernsehen hat dieser sensible Charakterschauspieler einmal so ausgedrückt: 'Viele betonen dabei zu sehr das Unter. Mir geht es eher um die Haltung.' Die hat Dieter Pfaff immer bewiesen."

Das ist nun wiederum bemerkenswert, dass dieser Haltungsdiskurs, den man zuerst ja immer in der Orthopädie ansiedeln würde, bis in die Bereiche des Fernsehens reicht, in denen man in nicht vermuten würde.

Daraus folgen spannende Frage: Hat Dieter Pfaff mit dieser Bemerkung den Bogen überspannt oder ist "Haltung" tatsächlich eine Voraussetzung für "Unterhaltung"? Und, etwas allgemeiner, läuft man nicht Gefahr, mit dem Haltungsbegriff auf einem toten Gaul des Meinens ins Ziel zu reiten, einfach weil dieser Haltungsbegriff so ubiquitär und gleichzeitig luftig ist wie sonst kaum was?

Dietmar Muscheid, der Vorsitzender des DGB-Bezirks West (Rheinland-Pfalz und Saarland), setzt auf ihn in seiner Invektive in Sachen Journalismus heute. Und das ist doch einigermaßen interessant, weil Muscheid kein Gewerkschaftsfunktionär ist, wie man im Feld des Medialen öfter erlebt. Zwar streift sein Beitrag hier und da die Standards des Journalismus-Plädoyers:

"Journalismus bedeutet Aufklärung; er schaut hinter die Fassaden, geht raus auf die Straße, dorthin, wo das wahre Leben ist."

Und auch ist Noelle-Neumann mit "Linkslastigkeit" und "Schweigespirale" eine Referenz, die eher "nicht hilfreich" (Angela Merkel) daherkommt.

Aber der Tenor von Muscheids Beitrag hat doch was – gerade weil er nicht dramatisch zuspitzt, sondern um Verständnis werben will: dass das Krisenhaft-Mediale ein Bereich sein sollte, für den sich eine Gewerkschaft interessieren müsste, wo sie ihre Aufgabe als gesellschaftlicher Akteur ernstnimmt.

"Aus Sicht der Gewerkschaften muss neben der täglichen Arbeit in den Verlagen und Rundfunkhäusern, wie sie insbesondere durch Ver.di bzw. die DJU wahrgenommen wird, vor allem der Bereich in den Mittelpunkt gestellt werden, in dem es Möglichkeiten der 'Einflussnahme' gibt, wobei 'Einflussnahme' ausdrücklich als Stärkung von Qualität und Unabhängigkeit verstanden werden muss. Konkret betrifft dies die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Landesmedienanstalten. Dort kann es nicht nur Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass die eigenen Funktionäre regelmäßig im Programm auftauchen."

Sympathische Einstellung. Und vielleicht der Anfang einer großen Veränderung in besagten Gremien.

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Ausverändert hat es sich dagegen aus Sicht von Wolfram Schütte, dem – vielleicht würde man hier treffenderweise vom big old Irgendwas sprechen – "großen linken Feuilletonisten" der Frankfurter Rundschau. So nennt ihn die Unterzeile von Kilian Trotiers Besuchstext in der Zeit (Seite 67, auch mit schauem Bild) aus Anlass der Rest-FR-Übernahme durch die FAZ.

Der Text selbst fällt dann doch etwas unspannender aus, als man erwarten mochte. Schütte ist ein interessanter Mann, er hat seine Zeit gehabt, jetzt ist die Zeit eine andere. Denkt man. Und:

"...je mehr sich der Mainstream der Meinung der Frankfurter Rundschau näherte, desto entbehrlicher wurde die Rundschau selbst."

Einen haut Schütte immerhin noch raus:

"Aber eine andere Lösung hätte er sich doch sehr gewünscht. Eine, die die beiden linksliberalen Zeitungen zusammengeführt hätte – die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung, das wäre seine Idealvorstellung gewesen. Und der alte Feuilletonist beginnt zu träumen: Dann hätte die FR für die SZ sein können, was Kaub am Rhein für Feldmarschall Blücher 1813 war. 'Wie die Preußen den Rhein überquertten, so hätte die Süddeutsche Zeitung mit einer aggressiven Politik für ein linksliberales Bürgertum im Rhein-Main-Gebiet der FAZ ein Waterloo bereiten können. Sie hätte den alten Feind aus nächster Nähe in die Knie zwingen und dauerhaft außerbayerisch expandieren können."

Hätte, hätte, Fahrradkette, würde man desillusioniert reimen, stöße einem nicht dieser "Feind" komisch auf – ist es wirklich das, was FAZ und SZ heuer noch verbindet, eine Feindschaft?


ALTPAPIERKORB

+++ Was Marina Weisband mit den Piraten verbindet, fragt nicht nur Marina Weisband sich in ihrem Buch. In der FAZ (Seite 27) steht heute ein Vorabdruck ihres Buches "Wir nennen es Politik", das groß rauskommen soll. Wenn man das mit dem Vorabdruck nicht weiß, kommt der Text so selbstreferentiell daher wie ein Spike-Jonze-oder-David-Fincher-Film: "Ich starre auf einen blinkenden Cursor. Es ist früher Nachmittag. Ich habe eine Kleinigkeit gegessen und mich vor den Computer gesetzt. Ich muss ein Buch schreiben. Aber irgendwie möchte ich das nicht. Was ist passiert? Ich habe mir gestern die Haare rot gefärbt. Aus einer Laune heraus. Und weil alle meine Freunde und meine Familie fragten, wie es aussieht, habe ich ein Foto davon auf Facebook gestellt. Das darf man doch, dachte ich." Was hier wie – sagt man dem so? – Prokrastinat klingt, ist dann aber Teil des Buches. Irromat. +++ Im Zeit-Magazin emotionalisiert Christoph Amend die politische Autorin mit einer, zugegeben, aufregenden Lebensgeschichte als "Tschernobyl-Kind" (Meldung auf SpOn) und skizziert Weisbands Programm der nächsten Zeit: "Sie geht in drei Talkshows, Illner, Beckmann, Lanz, und das ist erst der Anfang, es folgen Lesungen, weitere Auftritte und Interviews. Sie fragt sich, ib es eine Neiddebatte um sie geben wird, nach dem Motto: Sie macht das nur für sich und nicht für ihre Partei." +++ Interessant am FAZ-Vorabdruck ist übrigens die Bildwahl: Da wird nämlich Marina Weisband gezeigt. Und man fragt sich, ob das bei einem Johannes Ponader, Christopher Lauer oder wem auch immer auch so wäre, dass nicht das Thema des Textes (Bürger-Hate gegen Politiker) bebildert würde, sondern der gutaussehende Autor. +++ Passend dazu auch der Zeit-Titel, den der Chefredakteur hier im Video erklärt und der eine junge Frau zeigt, mit der man nicht nur "Faul und schlau", sondern vermutlich auch 99 andere Titel illustrieren könnte. +++

+++ Führt direkt zu Bundespräsident Joachim Gauck, der, SpOn bericht, vor dem morgigen Frauentag einen offenen Brief der #Aufschreierinnen bekommen hat wegen Äußerungen im Spiegel in Sachen Brüderle und Sexism: "'Wenn so ein Tugendfuror herrscht, bin ich weniger moralisch, als man es von mir als ehemaligem Pfarrer vielleicht erwarten würde.' Mit Sicherheit gebe es in der Frauenfrage noch einiges zu tun. 'Aber eine besonders gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen kann ich hierzulande nicht erkennen.'" Das ist der Gauck, wie man ihn kennt: in seiner Selbstgerechtigkeit recht unangenehm. So einen dämlichen und desavouierenden Begriff wie "Tugendfuror" als Erklärung dafür zu nehmen, dass die – drunter geht's ja nicht – pastorale Moral nur nach Lust und Laune gilt. Ob zutrifft, was Holger Schmales Text in der Berliner aus dem Bundespräsidialamt reportiert – "Es sei aber vollkommen klar, dass Gauck das Problem des Sexismus in der Gesellschaft bewusst sei" –, ist angesichts der Äußerung über die "Fehlhaltung" zu bezweifeln. Ob Gauck es je verstehen wird? +++

+++ Und wo wir gerade bei prekär werdenden Sprecherpositionen sind: Christian Bommarius nimmt sich in der Berliner (Seite 25) gutgelaunt des "Vertraulichkeits-Ärgers" zwischen Bundespressekonferenz und Spiegel an: "Die Bundespressekonferenz, der die wichtigsten, die allerwichtigsten und mithin die besten Journalisten des Landes, also die Hauptstadtkorrespondenten angehören, wird von einem Skandal erschüttert." Bommarius stellt fest, dass das praktizierte Rügen wegen Vertrauenbrechens laut Paragraf 16 gar nicht geht, weil der Paragraf nur den Ausschluss kennt: "Das also ist die Lage: Die Mitgliederversammlung der Bundespressekonferenz hat einen Vertrauensbruch, der nicht stattgefunden hat, mit einer Sanktion geahndetm die nicht vorgesehen ist. Gewiss, Rügen ist schön. Vor allem für den, der reif für die Insel ist." +++ In der FAZ glossiert Michael Hanfeld (Seite 31). +++

+++ Tatort-Kritiken auch immer früher. In der Zeit, die ja nur donnerstags rauskommt, befindet der Fernsehkritiker Adam Soboczynski über das upcoming Schweiger-Debüt: "Nick Tschiller, wie Schimanski, hat sich nicht unter Kontrolle, was der manchmal tantigen Tatort-Reihe eine selten gesehene Rasanz verleiht." Ob das stimmt, sei mal dahingestellt, kann die Mehrheit ja eh erst Sonntag wissen. +++ Jochen Hieber urteilt in der FAZ: "Als Nick Tschiller ist Schweiger sehr passabel."

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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