Ganz große Erzählung? Sagenhaft unseriös? Über FAZ-Herausgeber Frank Schirrmachers neues Buch wird diskutiert wie über Stefan Raabs mögliche Komoderation des Kanzlerduells. Die BamS lässt zu letzterer eine Umfrage machen und korrigiert anschließend die Ergebnisse durch eine Online-Befragung der Bild-Leser. Und Intendanten sind doch keine Putzkräfte, herrje, findet ein Ernst Elitz.
Frank Schirrmacher oder Stefan Raab? Ich mein', das ist doch die Frage heute. Mit wem anfangen? Beginnen wir einfach mal, und ich sage mal nicht, um wen es geht.
Also, die einen finden sein Werk ganz toll, die anderen unter aller Kanone.
Richtig, der ist gemeint. Es gibt in der bisherigen Auseinandersetzung über das neue Buch von FAZ-Herausgeber Schirrmacher (siehe Altpapier), das heute dann auch mal erscheint und die an dieser Stelle nicht ganz schlecht aufgehoben scheint, weil man dabei manches über Medien lernt, Einschätzungen von "intellektuell herausragend" bis "womöglich dümmstes Buch aller Zeiten". Wenn ich Leser wäre, würde ich mich, wenn ich sie alle gelesen hätte, fragen: Ist das eigentlich noch Vielfalt oder schon Ressentiment? Als Journalist frage ich mich: Wie steht wer zu wem aus der Branche, und was bedeutet das für mich, wenn ich demnächst sein Buch besprechen soll?
Die Welt am Sonntag jedenfalls positioniert sich, nachdem Welt-Autor Alan Posener bereits ein ordentliches Weilchen vor Erscheinen mit einer Verarztung des Buchs der Verlagsankündigung des Autors hervorgetan hatte (und nach einer weiteren schlechten Welt-Kritik), auf zwei Feuilletonseiten mit einem Verriss, der seinesgleichen sucht:
"So schwer es jedem denkenden Menschen fallen dürfte, 'Ego' zu Ende zu lesen – schwerer wiegt nur die Last, sich ernsthaft mit Schirrmachers Thesen auseinanderzusetzen." / "Wo man auch bohrt, es sind denkbar dünne Bretter, aus denen Schirrmacher sein windschiefes Gedankengebäude zimmert." / "Sein Menschenbild kommt ohne Empirie aus." / "Nach einem 287-seitigen Blindflug setzt Schirrmacher zur Notlandung an." usw.
Außerdem unterstellt Cornelius Tittel eine Art vorbeugende Demut gegenüber Schirrmacher, mit der er erklärt, warum, so schreibt er, "die Medien fast geschlossen den 'kritischen Diskurs' aussetzen, auf den sie sonst so stolz sind (...): Kaum ein Kollege, der dort nicht entweder publizieren oder rezensiert werden möchte, kaum einer, der sich Schirrmacher zum Feind machen will."
Im Blog des Merkur, der "deutschen Zeitschrift für europäisches Denken", das Tittel in der WamS auch zitiert (und über das auch der Wortistik-Blogger auf den taz-Seiten schreibt), wird Schirrmacher zudem regelrecht vorgeführt als schlampiger Runterschreiber; Thema dort ist sein Vorgängerbuch, "Payback". Joachim Rohloff weist Fehler um Fehler nach, 250 seien es insgesamt, heißt es, und wenn er von "Bestsellerei" spricht, meint er, das habe Methode. Einerseits wirkt das in der Summe wie eine seltsam pedantische Erbsenzählerei; große Gedanken werden nicht kleiner durch falsche Details (siehe hierzu auch den ersten Kommentar unter diesem Text). Andererseits, na ja, eben andererseits: Jede Menge Fehler machen große Thesen jedenfalls nicht überzeugender.
Völlig anders als zum Beispiel die WamS-Besprechung klingt die der Süddeutschen Zeitung:
"Wer sein Buch unterschätzt, weil es darin von (für ihn so typischen) Superlativen und apokalyptischen Untertönen wimmelt und weil es assoziativ, selektiv, zugespitzt und beschwörend voranstürmt, statt ruhig und analytisch einen Schritt nach dem anderen zu machen, der bringt sich um die Chance, an seinen bedeutenden Einsichten teilzuhaben",
heißt es da. Und irgendwie kann ich mich nach der Lektüre all der Kritiken (nicht des Buchs) fürs erste nicht von dem Gedanken verabschieden, dass man aus den Texten über das Schirrmacher-Buch viel – vor allem mehr als bei Besprechungen üblich, außer vielleicht, es geht um ein Werk von Günter Grass – über die jeweils rezensierenden Medien erfährt. Die Süddeutsche findet das Buch grandioses Feuilleton, die WamS hält es für schlimmes verschwörungstheoretisches Gewäsch, Die Zeit reagiert "etwas pikiert darauf (...), dass jetzt sogar die FAZ in Kapitalismuskritik macht" (Perlentaucher), dem Freitag ist Schirrmachers Kapitalismuskritik nicht tief genug, der Spiegel ist erster mit einem Vorabdruck. Im Nachhinein sagt sich so etwas immer leicht, aber darauf hätte man vorher durchaus kommen können.
Über Buch-PR hinaus, die es letztlich bedeutet, wenn man sich mit einem freilich kaum ignorierbaren Buch beschäftigt, gibt es in der WamS noch den Mediendienste sicher nicht unbeglückenden Hinweis darauf, dass die anderen FAZ-Herausgeber nicht beglückt seien über "die Aussicht auf einen antikapitalistischen Schirrmacher-Bestseller"; ob nun eher "Stirnrunzeln" oder "Fassungslosigkeit" vorherrscht, bleibt allerdings offen, es raunt an dieser Stelle doch ein wenig. Es gebe, heißt es da, "Hinweise, dass der Spieler Schirrmacher sein Blatt überreizt haben könnte". Intern wird man deuten können, was das heißen soll.
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+++ Zu Stefan Raab. Ganz Deutschland, oder wer war es gleich?, erörtert die Frage, ob er von Fernsehschaffendenseite im TV-Duell der Kanzlerin und des SPD-Kandidaten mitmachen darf oder ob ProSiebenSat.1-Neuigkeitenchef Peter Limbourg besser geeignet ist, vorbereitete Fragen vorzulesen (siehe auch Altpapier). Da es um ein Format geht, das Stefan Raab nicht nach seinen Maßstäben pimpen soll, scheint mir das im Grunde egal – nur dann würde seine Teilnahme wirklich etwas Neues bedeuten. Interessant ist immerhin schon mal, wie sich die beiden Duellanten zu Raab verhielten, und die FAS sieht hier einen Professionalitätsbonus bei der Kanzlerin. Während Peer Steinbrück – der vom Peerblog (siehe Altpapierkorb) – erst Nein, dann Ja zu ihm sagte, sagt die Kanzlerin sinngemäß: Ist echt nicht mein Business, wer mich interviewt (siehe auch FR/BLZ). Und wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Und so hat eine Provokation, die vielleicht nie als eine gemeint war, hier tatsächlich zu einer Erkenntnis geführt, die Spiegel Online in der Kritik von Raabs gestrigem Polit-Game-Talk so zusammenfasst:
"Peer Steinbrücks Reaktion (auf Raabs möglichen Einsatz; AP), zunächst seine Ablehnung, seine dann folgende Umkehr mit eingebauter Ergebenheitsadresse an die Kanzlerin ('Wenn Angela Merkel (...) einverstanden ist, wird es so geschehen') war aufschlussreicher als jede Frage, die Raab in der tatsächlichen Sendung stellen könnte."
Friedrich Küppersbusch trifft den anderen Kern der Sache in seinem montäglichen taz-Gespräch:
"Das Format 'Duell' an sich kann Erkenntnisse befördern, mit vier Moderatoren und nanometerpräzisen Vorabsprachen ist es gaga. Und für gaga ist Raab eindeutig der beste Mann."
Eine repräsentative Umfrage gibt es zum Thema allerdings trotzdem schon, man weiß ja nie, für was man sie gebrauchen kann, und zwar für Bild am Sonntag. (Ergebnis, aha: Grünen-Wähler lehnen Raabs Teilnahme am stärksten ab.) Sicherheitshalber hat Bild Online dann aber auch noch die eigenen Leser befragt – mit dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die Bild-Leserschaft nicht repräsentativ ist: "Laut einer Emnid-Umfrage für die 'BILD am Sonntag' sind 61 Prozent der Deutschen gegen den ProSieben-Mann. Eine Online-Abstimmung von Bild.de ergab dagegen eine deutliche Mehrheit FÜR Raab!" Alles wahnsinnig kontrovers also beim Politdebattenblatt Nummer eins.
Harry Nutt sieht in der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung eine andere Frage als entscheidend an:
"Der Bedeutungsverlust des Parlaments ist vielfach beklagt worden, und die Grenzen von Politik im Fernsehen sind nicht erst deutlich geworden, seit Stefan Raab sich anschickt, neben Maybrit Illner zu reüssieren. Die Diskussion über die Befähigung des einstigen Metzgergesellen, eine politische Moderation anzuleiten, verdeckt die Frage, wie der öffentliche Austausch von Argumenten geführt werden soll."
Den eigentlichen Grundgedanken hinter der Überlegung, Raab in den Politikjournalismus zu hieven, findet die SZ (Samstag, S. 38) derweil nicht verkehrt: "Es ist (...) schon ein verständliches Anliegen, junge Leute an eine Politik heranzuführen, deren Protagonisten für manchen Erstwähler den selben Erlebnishorizont haben wie Oma und Opa." Allein, findet Nico Fried, "(e)s ist ein Irrglaube, der aus der Überschätzung des Mediums Fernsehen resultieren dürfte, dass ein lebhafter Moderator genügt, um Politik attraktiver zu machen."
Und weitere Frühkritiken zu Raabs Quasi-Übungsformat "Absolute Mehrheit" gibt es auch, bei Zeit Online, taz.de, sueddeutsche.de und Focus Online.
+++ Dass heute noch ein weiteres Buch einer Medienperson durchgenommen wird, ist Zufall, es erscheint halt ebenfalls heute: Der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter hat es geschrieben, und es handelt nicht nur von der ARD, sondern auch von ernsten Themen. Claudia Tieschky, die ihn für die SZ (S. 23) getroffen hat, schreibt, er verlange in seinem Buch "schlicht und einfach das Recht auf selbstbestimmten Tod. Er habe trotz Rollstuhl ein schönes und selbstbestimmtes Leben geführt, und deshalb wolle er sich weder in der Schweiz auf einem Parkplatz von Sterbehelfern einschläfern lassen, noch sich vor einen Zug rollen müssen" +++ Ein Ernst Elitz notiert im Tagesspiegel zudem Reiters Spitzen gegen dessen Nachfolgerin beim MDR, Karola Wille: "Wenn man in Interviews liest, wie verdorben das Unternehmen doch ist, wie von Grund auf alles anders werden muss, wie dringend man neue Strukturen und neue Inhalte und neue Personen braucht, dann spürt man, ob man will oder nicht, einen kleinen Knacks im Herzen". Und Elitz, ehemaliger Intendant des Deutschlandradios, fügt bekräftigend hinzu: "Stasi-Affären, Ecuador-Anleihen, Kika-Skandal hat Reiter selber durchlitten und aufgeräumt. Da wurmt ihn der demonstrative 'Putzeifer' seiner Nachfolgerin. Aber mal ehrlich, lass sie doch putzen. Ist allemal besser, als in die ARD-Geschichte als 'Udo, der Putzmann' einzugehen". Wir ehemaligen Intendanten sind ja schließlich keine Putzkräfte +++
+++ Focus schreibt, das Peerblog (siehe Altpapier) habe wohl wirklich nicht wegen Hackerangriffen vom Netz gehen müssen, sondern Druck aus dem Willy-Brandt-Haus +++
+++ Benjamin von Stuckrad-Barres Porträt seines Freundes Christian Ulmen in der Welt am Sonntag ist lesenswert +++
+++ Die Funkkorrespondenz hat ihre jährliche Hitliste der "Tagesthemen"-Kommentatoren veröffentlicht. Ganz vorne: der große Rainald Becker vom SWR vor dem großen Ulrich Deppendorf (WDR); die erste Frau liegt auf Platz, Trommelwirbel, neun +++ Ebenfalls noch in der FK: "Auch drei Monate nachdem die Mehrzahl der Mitglieder aus der Redakteurvertretung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) zurückgetreten ist, zeichnet sich weiterhin keine Neuwahl des Gremiums ab" +++
+++ Daniel Bouhs hat für die taz aufgeschrieben, warum öffentlich-rechtliche Formate derzeit nicht dauerhaft abrufbar bleiben. Vier Gründe: Angst, Renditehunger, Schusseligkeit und Günter Jauch +++
+++ Die Serie "Grimm" (Vox, montags, 20.15 Uhr) besprechen die SZ und die FAZ vom Samstag; die FAZ von heute (S. 31) kümmert sich um "Unter anderen Umständen. Der Mörder unter uns" mit Natalia Wörner als Kommissarin (ZDF; 20.15 Uhr) +++ Was macht eigentlich Nico Hofmann? Einen Vatikan-Mehrteiler (Spiegel) +++
+++ Cascada (ESC) goes Guttenberg: Der Song, mit dem die Band beim Eurovision Song Contest antreten soll, wird auf Plagiat geprüft (Tagesspiegel). Gehört solch ein Vorwurf eigentlich zum Bekanntmachungs-Standardritual? +++
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.