Wortgeschichten und Sendeplatzkarrieren: Im Tagesspiegel sorgt eine Äußerung für Aufregung, die nicht für Aufregung sorgt. Und im ZDF hadert ein Sendeplatz mit sich selbst: Wird er noch erfolgreich werden? Ansonsten: Hitler.
Journalismus ist, wenn Aufregung herrscht.
"Wie schnell aber die Journalisten ihr Geschwätz von gerade eben vergessen, ist an einem Wahlabend wie dem vom vergangenen Sonntag immer wieder eine Offenbarung. Kaum steht der Regierungswechsel fest (so gegen 23 Uhr), zieht der ARD-Quotenerklärer Jörg Schönenborn (der mit der 'Demokratieabgabe') ein Schaubild aus der Tasche, das die CDU als Katastrophenpartei schlechthin ausweist. Kurz zuvor war das die FDP, und Peer Steinbrück schien dem Untergang geweiht."
Ätzt in der FAZ-Medienglosse (Seite 35) Michael Hanfeld sehr schön und irgendwie auch sympathisch verzweifelt über den Irrsinn, von dem Jörg Schönenborn vielleicht gar nicht mehr weiß, dass er ihn produziert, weil er doch nur seine Arbeit macht.
Nun ist das mit der Aufregung eine Sache, die nicht nur das Fernsehen betrifft. Was man sehr schön an Sonja Pohlmanns Tagesspiegel-Text sehen kann, der exklusiv ein Problem aufwerfen will, von dem er aber selbst nicht weiß, worin es besteht.
Schon die Einleitung versucht, sich für die Bedeutung des Themas groß in Pose zu werfen:
"In Deutschland wird jetzt viel darüber diskutiert, ob rassistische Vokabeln wie 'Neger' oder 'Mohr' aus Kinderbüchern verschwinden müssen. Wer nun den aktuellen 'Spiegel' liest, könnte derweil glauben, dass nationalsozialistische Begriffe wieder salonfähig werden."
Klingt gut, ist aber Unsinn. Denn wie stellt sich der Zusammenhang her zwischen dem ignoranten Geschimpfe der Diskussion über die geplante Neuausgabe von Otfried Preußlers Kinderbuch "Die kleine Hexe" und dem, was der Text skandalisieren will? Durch die Tatsache, dass es beide Male um Wörter und deren Rezeption geht – und den Rest muss dann das Adverb "derweil" regeln, dieser traurige Verkehrspolizist auf der Kreuzung zweier Straße, die sich nirgendwo treffen: Will der Text ernsthaft behaupten, dass, während die Sensibilität für das Problematische an rassistischem Sprachgebrauch wächst, die für den Gebrauch von problematischem Nazi-Vokabular nachlässt?
"Nationalsozialistische Begriffe", von den man glauben könnte, dass sie wieder salonfähig und die im Text angeführt werden, sind in Zahlen übrigens: 1.
Wolfang Kubicki wurde nämlich im Spiegel zitiert mit einer Bemerkung über die Bundestagskandidatur vom langjährigen G+J-Vorstandschef und noch längerjährigen FDP-Mitglied Bernd Buchholz, die Freude zum Ausdruck bringen sollte: "Für mich ist das ein innerer Reichsparteitag."
Der Tagesspiegel entscheidet kurzerhand, weil's doch irgendwas mit dieser Geschichte zu tun hat!, auf:
"'Innerer Reichsparteitag', das ist ein historisch belasteter Begriff, verbunden mit der Zeit des Nationalsozialismus."
So leicht muss man es Harald Schmidt nicht machen. Die Nazis haben "Reichsparteitage" abgehalten, nicht "innere Reichsparteitage", weshalb aus der Formulierung eine Form der Aneignung des Nationalisozialismus spricht, die man subversiv oder kritisch nennen müsste, wie etwa Tilman Krause beim KMH-Incident 2010 plausibel gemacht hat. Historisch belastet ist die Wendung also durch Ironie; eine Ironie, von der man vergessen hat, dass es eine ist, weil es die "richtigen Reichsparteitage" nicht mehr gibt.
Nicht unwichtig ist bei der Betrachtung von KMH damals und Kubicki heute der Unterschied zwischen öffentlichem Sprechen und privatem Reden. Bei KMH fand – aus mangelnder Reflektion – der "innere Reichsparteitag" damals live ins Fernsehen, was vielleicht nicht der beste Orte ist für umgangssprachliche Formulierungen. Bei Kubicki steht das Zitat jetzt im gedruckten Spiegel, wo zwischen Sagen, Aufschreiben und Drucken doch viel mehr Abstand herrscht als zwischen KMHs Kopf und dem Mikrofon vor ihrem Mund. Kurz: Ganz ahnungslos und unreflektiert wird sich Kubicki vielleicht nicht gefreut haben, damit für Parteifreund Buchholz ein bisschen Aufmerksamkeit bei rumkommt.
Hitler ist medial eben attraktiv. Nicht nur der Tagesspiegel bespricht heute das ZDF-Dokudrama "Mein Kampf mit Hitler – Machtergreifung 1933" (20.15 Uhr, ZDF), das auf der "Geschichte eines Deutschen" von Sebastian Haffner basiert. Kurt Sagatz lobt: "Sehenswert ist der Film aber vor allem, weil er die Ereignisse aus der Sicht eines jungen, extrem analytischen Mannes erzählt, der sich nicht vorschreiben lassen will, mit wem er befreundet sein darf oder wie er zu grüßen hat." In der FAZ befindet Jochen Hieber trotz eines unbekannten Roland-Freisler-Ausschnitts im Film: "Das ist gediegen, mitreißend ist es nicht: Schulfernsehen für alle."
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Was das ZDF davon hat, ist die größere Frage, die sich Daniel Bouhs in der TAZ stellt. Da geht es nämlich um den Sendeplatz, auf dem der Haffner-Film läuft.
"Auch ein Jahr nach dem letzten Programmreförmchen gibt sich das ZDF hilflos, wenn es darum geht, seinen besten Sendeplatz am Dienstagabend wieder zu beleben. Das damals gestartete Format 'ZDF Zeit' hat das Problem für Chefredakteur Peter Frey noch einmal verstärkt."
"ZDF Zeit" ist, ohne dass wir vom Programmmaching Ahnung hätten wie die Größten, ein so bekloppter Name, dass man sich darunter nur nichts oder alles vorstellen kann. Sieht Bouhs ähnlich, der deshalb noch mal bei Frey nachgefragt hat:
"Auf die Frage, wofür 'ZDF Zeit' eigentlich stehe, erklärt er: 'Investigation, Expedition und Rekonstruktion.'"
Also nicht für "Situation, Position und Introspektion"– gut zu wissen. Bouhs formuliert das Problem seriös:
"Das Repertoire des noch jungen Sendeplatzes widersetzte sich allerdings auch im ersten Sendejahr bereits jeglicher Kontinuität, die erfolgreiche Sendeplätze sonst vorweisen können. Neben Hitler-Dokus spürte die 'ZDF Zeit' dem Adel hinterher, außerdem übte sich die Reihe in Heimatromantik und ließ Hansi Hinterseer 'Die Berge der Deutschen' präsentieren. Während 2011 noch 8,7 Prozent aller Zuschauer die vor allem royalen oder hitlerlastigen Dokus um 20.15 Uhr schauten, waren es 2012, im ersten Jahr der "ZDF Zeit", im Schnitt nur noch 7,5 Prozent."
Man könnte auch sagen: Ob "ZDF Zeit" oder "ZDF Welt" ist schnuppe, Hauptsache gutes Fernsehen. Hätte auch den Vorteil, dass der Selbsthass bei den Mitarbeitern kleingehalten wird. Aber solange – und eben auch von der Kritik – beim Gebühren finanzierten ZDF auf möglichst bruchlose und steile Sendeplatzkarrieren gesetzt wird, für die das größte Problem die 7,5 statt der 8,7 ist, solange wird es dazu nicht kommen.
Deshalb gefällt so sehr, was Klaudia Wick in der Berliner/FR schreibt übers Fernsehen. Da geht's nämlich nicht zu wie in der Sportberichterstattung, sondern um das Sehverhalten. Dass etwa zum Tatort oder Polizeiruf immer schon der Kommentar verfasst wird auf dem second screen, was nicht ohne Auswirkungen bleibt auf den first screen:
"Das Fernsehen hat seine magische Anziehungskraft seit der Durbridge-Verfilmung 'Das Halstuch' (1961) eingebüßt. Es ist zu einem genügsamen Begleitmedium geworden, das geduldig wiederholt, was wichtig ist, bis auch der letzte Zuschauer alles mitgekriegt hat. Das groß angekündigte Eventfernsehen 'Hotel Adlon' war dafür ein gutes Beispiel."
Was in diesem Sinne "gutes Fernsehen" ist, formuliert in uns einen schrecklichen Verdacht: Vielleicht macht das das ZDF mit seiner Hansi-Hitler-Bio-Zeit doch nicht so schlecht?
ALTPAPIERKORB
+++ Interessant an Wicks Text auch die Erklärung des Erfolgs des Münsteraner Tatort – dass der durch die Umakzentuierung, Plaudern (Komik) geht vor Konzentration (Krimi), den Bedürfnissen von heute am entgegensten kommt. Hat was. +++ Nicht funktioniert – Stichwort: Sendeplatz, Stichwort: Quote – die eine der zahllosen Krimiserien namens "Fuchs und Gans". Schreibt etwa das Hamburger Abendblatt. +++ Beim ZDF wird morgen demonstriert, berichtet das Handelsblatt, gegen das "sozialverträgliche und ohne Entlassungen" geplanten Streichen von 400 Stellen – was also vor allem die wahnsinnig hoch bezahlten freien Mitarbeiter am unteren Ende der Hierarchie betrifft. +++ Helmut Reitze wird dagegen schon jetzt zum HR-Intendanten von 2015 bis 2020 verlängert gewählt, schreibt die FAZ (Seite 35), mit dem Argument, ihn aus dem upcoming Wahlkampf rauszuhalten: "Der jetzige Wahltermin erscheint somit als bequeme Lösung für alle. Etwaige Konkurrenten jedoch – zu denen unter der Hand der stellvertretende Intendant Manfred Krupp gezählt wird – haben auf einige Jahre hinaus das Nachsehen." Wie man das so macht in den radikaldemokratischen Organisationen wie Rundfunkräten.
+++ Dicke wieder da ist dagegen Kim Dotcom mit freshem Portal. Marin Majica berichtet in der Berliner/FR von der Selbstinszenierung der Rückkehr, im Rahmen derer das Handelsblatt am Start war und deshalb heute in der Königsdisziplins des Nachdrehens Eindruck schinden kann: "Die anderen denken, er ist ein zurecht angeklagter Krimineller. „Kim Dotcom rulez“, schreibt ein Facebook-Fan beispielsweise auf der Page des Handelsblatt und erntet damit mehrere „Likes“. Man könne von Dotcom halten, was man wolle. „Tatsache ist, er hat es drauf!“ +++
+++ Sie habens auch drauf: Christian Sievers moderiert heute-journal, Joachim Huber stellt ihn im TSP vor. +++ Rupert Murdoch hat Mehrheit an Sky Deutschland, Thomas Schuler lässt Geschichte Revue passieren in der NZZ. +++ Und back to Hansi Hinterseer: Zum Jahrestag der Deutsch-Franzöischen Freundschaft schreibt in der Konzept-Kooperations-SZ die Wirtschaftskorrespondentin von Le Monde, Cécile Boutelet über ihre Erstbegegnung mit Volksmusik im Fernsehen: "Die Sängerinnen spazierten durch das Dorf und strahlten ihr breitestes Zahnpastalächeln. Außerdem priesen sie das Glück des einfachen, ländlichen Lebens. In Zwischenschnitten sah man den Turm einer renovierten Kirche, ein Flüsschen, dessen Wellen sanft die Pfeiler einer alten Brücke umspielten, und eine Katze, die sich in einem Geranienstrauch zusammengerollt hatte. Nein, es war keine Parodie. Es war faszinierend. ... Wie um Himmels Willen konnten die Leute nur ernst bleiben, merkwürdig herausgeputzt wie sie waren, und von der heilen Welt singen?" Mit dieser Frage zurück in die Funkhäuser. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder.