Bitte liken, aber nur, wenn's gefällt

Bitte liken, aber nur, wenn's gefällt

Oliver Berbens am Sonntag gestarteter Mehrteiler "Das Adlon" wird ein bisschen gelobt, ein wenig verrissen – und letztlich daran gemessen, ob er als öffentlich-rechtlicher Film einen relevanten Diskursbeitrag liefert, den die "Wanderhure" bei Sat.1 nicht lieferte. Die jüngste Antisemitismus-Debatte nimmt eine Fortsetzung. Und Kritik eines Ex-Chefredakteurs am "Dot-com-Bingo" von Schweizer Verlagen.

Historisches im Fernsehen! Am Sonntagabend lief "der langweiligste 'Tatort' aller Zeiten", jedenfalls laut Spiegel Online – wobei sich die Frage stellt, ob Rezensent Christian Buß die Tatorte mit Winfried Glatzeder vergessen oder vielleicht um der Klicks willen gezielt verdrängt hat: "Der langweiligste 'Tatort' aller Zeiten". Einen solchen Verriss liest man ja schon nicht ungern.

Angesichts einer derart prägnanten Einordnung eines Films (den FAZ, SZ, Freitag, taz, Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel übrigens gar nicht mal so schlecht finden), rutscht der Dreiteiler "Das Adlon. Eine Familiensaga" über das Berliner Hotel Adlon, produziert von Oliver Berben (Regie: Uli Edel), an dieser Stelle, aber nur an dieser, in der Medienseitenschau minimal nach hinten. Sorry. Aber selber schuld. Hätten Berbens Leute halt einen Film machen sollen, der eindeutiger ist. Entweder voll auf Grimme-Kurs oder Megarotz. Für Fernsehrezensionenleser ist das einfach lustiger.

Also, "Das Adlon": Es handelt sich um das mit den meisten Zeitungszeilen behandelte Medienthema des Wochenendes, man kriegt die ellenlangen Rezensionen mit einer whirlpoolgroßen Schöpfkelle übergestreut. Das schafft in diesem Ausmaß sonst nur ein Film, in dem Heino Ferch mitspielt, und... oh, Heino Ferch spielt ja mit. Außerdem natürlich einer, um den entsprechend Wind gemacht wird. Die taz beginnt ihre Rezension einfach mal mit dem Wind:

"Wenn ein Fernsehsender sich bei der Werbung für einen Film richtig ins Zeug legt und Großes ankündigen will, dann gibt es zusätzlich zur biederen Pressekonferenz auch noch eine Premierenfeier in Berlin. Dann hängen schon Wochen vor der Ausstrahlung deutschlandweit Plakate, auf denen die Schauspieler in vielversprechenden Posen zu sehen sind, und es fallen von allen wichtigen Beteiligten Begriffe wie 'Wahnsinnsprojekt' und 'Kinoqualität'."

Siehe zum Thema "Begriffe wie 'Wahnsinnsprojekt'" auch: Thelma Buabeng, Josefine Preuß, Katharina Wackernagel bei der Premiere (von links nach rechts, Foto: dpa).

Was dann die Kritiken angeht, halten sich die Rezensenten streng an einen Vorschlag, den Produzent Berben selbst bei Facebook, mit Link zur Filmseite, unterbreitet hat: "Bitte alle like drücken. Natürlich nur, wenn es gefällt. :-)", schrieb er dort. Das ist ein Satz, über den man länger nachdenken könnte: Bitte alle liken, aber nur wer's liket. Aber wie gesagt, es funktioniert, die Rezensenten halten sich daran: Sie liken den Film zwar alle, aber nur die, denen er gefällt. Drüben bei evangelisch.de ist von einem "TV-Klassiker" die Rede. Ansonsten reichen die Kritiken von brillant, aber was soll der Mist? bis großartig, aber alles in allem nicht so toll.

Johanna Adorján etwa vermittelt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit einem rastlosen, Namen schwingenden Text den Eindruck eines rastlosen Films mit zu vielen Figuren, die zwischendurch nerven; aber immerhin mit gutem Ende:

"Solle man für diesen Mehrteiler Torten verteilen, so käme der erste Teil mit Schokostreuseln garniert aus der Tiefkühltruhe, der zweite wäre ungenießbar und der dritte allererste Sahne."

Gerade am Ende hat allerdings die Süddeutsche Zeitung, die auch die "etwas zu lang geratene Exposition" krisitiert, aber an "Das Adlon" insgesamt so einiges lobt ("eine große Erzählung"), etwas auszusetzen:

"Das Ende, die Auflösung der Rahmenhandlung, ist dann ein wenig traumschiffhaft süßlich. Als hätten plötzlich öffentlich-rechtliche Redakteure jetzt reingeredet ins feine Drehbuchgeschehen, weil Fernseh-Geschichten doch immer gut und versöhnlich ausgehen müssen. Anders mag es der Zuschauer ja angeblich nicht."

Und so bleibt's dann auch, die einen sagen so, die anderen so. Der Tagesspiegel ordnet die Kritik etwas anders als die FAS und schreibt: "Immer da, wo es die Geschichte ist, die den Film trägt, guckt man gerne zu. Die Fiktionsspur hingegen entgeht nicht der Gefahr, sich in Beliebigkeit zu verlaufen." Der Film sei "zu vieles gleichzeitig (...) – Familienepos, Sittengemälde, 90 Jahre deutsche Geschichte, Hotel-Historie. Dazwischen schlingert die Story hin und her, vieles wird angerissen, kaum etwas vertieft", findet die taz, die allerdings auch Hauptdarstellerin Preuß getroffen hat, weshalb sie zumindest die richtig gut finden muss. Die FAZ schreibt: "der Ballast aus Nebenrollen, Nebenräumen, Nebengeschichten muss (...) mitgeschleppt werden, und so sinkt 'Das Adlon' trotz zwischenzeitlicher Aufschwünge immer wieder in den Kostümserienboden zurück, in dem es wurzelt".

Interessant, auch für alle, die keinen Nerv haben, sich einen Dreiteiler mit "großartigen Schauspielern" mit "fünf Perücken" anzugucken, ist die implizite Diskussion über die Kosten. Die Kritik, die den Dreiteiler am deutlichsten mit dem Fernsehsystem verschränkt, in dem er entstand, schreibt Klaudia Wick, die die Produktionsbedingungen auch sonst wohl mitdenkt, bevor sie ein Urteil fällt, für die Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau. Mit "Das Adlon" (das bei ihr, immerhin konsequent, "Hotel Adlon" heißt) denkt sie sie auch mit: "Mit 3,3 Millionen Euro pro Folge kostet jeder 'Adlon'-Abend fast drei Mal so viel wie ein übliches Fernsehspiel", schreibt sie, und dass dafür das Ergebnis einfach zu harmlos sei.

"Historienfilme sind aufgrund der schwierigen Ausstattungslage eine teure Angelegenheit, die dann mit einem populären Ensemble und einem hohen Production Value versehen wird, um die üppigen Produktionskosten mit hohen Einschaltquoten rechtfertigen zu können. So weit, so Fernsehalltag. Aber die Ausstrahlung von 'Hotel Adlon' fällt in den ersten Monat einer neuen TV-Zeitrechnung. Seit wenigen Tagen ist die GEZ-Gebühr abgeschafft, nun zahlen alle eine Haushaltsabgabe für ARD und ZDF, weil diese beiden Programme eine besondere Leistung für die Allgemeinheit erbringen sollen und wollen. Zum Beispiel eine besondere Diskursfähigkeit, ein Mehrwert, der die bloße Unterhaltung à la 'Wanderhure' übersteigt. Was also könnte dieses Surplus im Falle von 'Hotel Adlon' ausmachen?"

Spoiler-Alert: Es handelt sich um eine rhetorische Frage. Wick fasst den Film letztlich elegant so zusammen: "Und, und, und. Und?"

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+++ Aber wo wir gerade beim Budget waren, 10 Millionen Euro: Wenn wir da kurz mal populistischerweise Herrn Lutz Marmor von der ARD gegenschneiden dürften? Er wird im Spiegel-Interview gefragt: "(W)arum bestellen so viele junge Leute lieber DVD-Boxen mit US-Serien wie 'Breaking Bad' oder 'Homeland', statt ARD zu gucken?" Und Marmor antwortet: "Diese Serien haben Produktionsbudgets, die in Deutschland nicht zu stemmen sind."

Für diese beiden Serien könnte das vielleicht sogar stimmen, eine einzige Folge "Breaking Bad", knapp 45 Minuten, kostet laut Variety etwa 3 Millionen US-Dollar. Die gelobte britische Gruselserie "Bedlam" kostete allerdings insgesamt nur 3,8 Millionen Euro, wie Harald Keller in seinem Blog einmal einen "Branchenkenner" zitierte. Ebenfalls zitierte er dort seinerzeit den Schauspieler Tom Wlaschiha, und zwar hiermit:

"Während man in Deutschland oft das Gefühl hat, sämtliche Zuschauer sollten gleichzeitig angesprochen werden, ist es in England so, dass die mutiger sind, auch was Spezielles zu produzieren und größere Risiken einzugehen."

Vielleicht liegt es also auch nicht nur am Geld, dass man als jemand, der nicht mit Fernsehmachern zu dinieren pflegt, selten so richtig ins Feiern geraten will, wenn in Deutschland ein Fernsehevent stattfindet. Siehe hierzu auch die oben erwähnte SZ-Kritik am "Adlon"-Schlussspurt.

Ach so, eins noch, ganz irre Kiste: Lutz Marmor kann einige Beschwerden über die Haushaltsabgabe für die Öffentlich-Rechtlichen im Spiegel-Interview nachvollziehen, findet die Neuregelung insgesamt überraschenderweise so schlecht dann aber auch wieder nicht.


ALTPAPIERKORB

+++ Das Medienthema der vergangenen Woche geht heute weiter: Die Antisemitismus-Diskussion rund um Jakob Augstein, den Verleger und Chefredakteur des Freitag (für den ich arbeite) und Spiegel-Online-Kolumnisten, der... siehe hierzu am besten Altpapier vom Freitag. Henryk Modest Broder bestätigt sich nun im FAS-Interview mit seiner Kritik an Augstein nochmal selbst. Ebenfalls die FAS weist auf der Medienseite auf die Unschärfe des Begriffs Antisemitismus hin. Die Welt hat eine "weitere jüdische US-Organisation" gefunden, die sich "der Argumentation des Simon-Wiesenthal-Zentrums" anschließe, "das Augstein in eine Liste der schlimmsten Antisemiten des vergangenen Jahres genommen hatte". Zugleich wird deren Direktor im selben Text aber auch mit diesem Satz zitiert: "Ich weiß nicht genug über ihn (Augstein), um ihn als Antisemiten zu bezeichnen." Hä? Und in der FAZ wird Augstein derweil heute von einer israelischen Journalistin verteidigt: "Israel-Kritiker, welche dieselbe Terminologie wie Augstein benutzen, gibt es unter Journalisten auf der ganzen Welt – nicht zuletzt auch in Israel". In der Berliner Zeitung schreibt dagegen Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung: "Am Ende gibt es nirgendwo Rassismus und Antisemitismus ist nur pure Einbildung von hartleibigen Zionisten? Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräumen! Beides gehört zum deutschen Alltag. Und beides ist kein Kommunikationsproblem sondern eine Sauerei." +++ Ulrich Wickert sagt in der Bild am Sonntag außerdem auch endlich etwas zu allem (siehe Tagesspiegel) +++

+++ Ein via Social Media vielfach empfohlenes, aber trotzdem lesenswertes Interview hat der Schweizer Sonntag mit dem ehemaligen 20-Minuten-Online-Chefredakteur Hansi Voigt geführt, der kritisiert: "Es scheint, als solle die Rendite in einer rasant umbrechenden Zeit die einzige Konstante sein." Die Rede ist von knapp 20 Prozent Rendite bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Tamedia – vielleicht ist ja das diese Medienkrise +++

+++ Bloggerin Antje Schrupp hat aufgeschrieben, warum sie lieber nicht, wie Andrew Sullivan (siehe Stefan Niggemeiers Blog), von Lesern finanziert werden will und ihr Werbeeinnahmen, wenn überhaupt, lieber wären +++

+++ Im SZ-Wochenende steht nach der Apple-kritischen Aufmachergeschichte von neulich eine kleine Verteidigung: im Rahmen eines Blicks auf die Kompliziertheit des Fernsehens: "Es muss (...) niemand wundern, wenn alle diejenigen, die sich nicht mit Technik herumschlagen, sondern Inhalte genießen wollen, sich einen Apple-Fernseher herbeiwünschen. Und zwar mit ähnlicher Inbrunst wie vor fünf Jahren das iPhone herbeigesehnt worden war" +++

+++ Ansonsten vornehmlich weiterer Fernsehkram heute auf den Medienseiten. Größte, wenn auch eigentlich gar nicht so große News: Cherno Jobatey moderiert nicht mehr das "Morgenmagazin" (Spiegel) +++ Oliver Pochers Show wird von der SZ verrissen, die Arte-Dokumentation "Hindenburg, der Mann, der Hitler zum Kanzler machte" (Dienstag) ebd. gelobt +++ Die taz begeht FDP und "Sesamstraße"-Jubiläum nebeneinander und bespricht die Spiegel-TV-Serie "Europa am Abgrund" (Sat.1, 23 Uhr), über die auch die FAZ schreibt +++ Welche auch die Serie "Suits" (Fox, montags, 21 Uhr) bespricht +++

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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