Im toten Winkel des Journalismus liegen seine eigenen Interessen: Zu einer Kritik der Debattenlage um LSR und Googles PR oder Frank Rieger, die FAZ und das Stefan-Niggemeier-Prinzip
Um die Sache einmal positiv zu sehen: Die Auseinandersetzungen um Verlegers Leistungsschutzrecht und Googles Gegen-PR bringt zwischen den Schützengräben immerhin eine Menge kluger Texte hervor, die geeignet sind, den Begriff davon zu schärfen, was guten Journalismus ausmachen sollte. Für die Hoffnung, dass daraus rasch eine Bewegung würde, sind wir vermutlich zu alt – wobei, wenn man sich den letzten Post von Springers privat bloggendem Lobbyisten anschaut, der noch mal älter ist, dann hängt die Beurteilung solcher Debattenverläufe vermutlich nicht so sehr vom Alter ab.
"Eine europäische Bewegung: Verlage Portugals und der Schweiz fordern Leistungsschutzrecht"
Heißt es da. Und wenn das so weitergeht, erzählt der Springer-Lobbyist die bundesrepublikanische Geschichte von gesellschaftlicher Modernisierung und politischer Emanzipation eines Tages noch im Dreiklang: 1968, Grüne, LSR. Die, wenn man das so sagen kann, spannendste Frage am Tun des Springer-Lobbyisten bleibt, ob der sich seine Mission eigentlich selber glaubt oder ob sich hinter dieser Tätigkeit nicht das traurigste Los des ewig angepassten Angestellten verbirgt.
Schweiz ist dagegen ein gutes Stichwort, um zu den qualitativ hochstehenden Beiträgen des Tages überzuleiten. Stephan Russ-Mohl beginnt seinen Text in der NZZ mit dem unnachgiebig nüchternen Satz:
"Es gehört zu den Merkwürdigkeiten fortgeschrittener Informationsgesellschaften, dass jene Branche, die Politik, Wirtschaft und Kultur beobachtet und oftmals moralisierend an deren gesellschaftliche Verantwortung appelliert, sich selbst diesen Diskurs bisher kaum hat aufzwingen lassen."
Das ist die gediegenere Version von Deniz Yücels griffigem One-Liner in der TAZ, wo es noch mal um Selbstmitleid und Zeitungskrise geht:
"Aber den Kapitalismus finden deutsche Journalisten auch nur dann klasse, solange es nicht um ihren eigenen Arsch geht."
Dabei handelt Russ-Mohl nicht einmal über LSR vs. Google, sondern bespricht lediglich zwei Bücher. Das eine, das er durchaus differenziert zu würdigen weiß, ist von Anke Trommershausen und heißt: "Corporate Responsibility von Medienunternehmen". Russ-Mohl bescheinigt dem Buch, zum Standardwerk zu taugen.
"Es beschränkt sich in seinem empirischen Teil weitgehend auf eine Analyse der Selbstauskünfte, in denen sich Medienfirmen mehr oder minder zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bekennen. Wie wohlfeil solche CR-Reports oft sind, mag ermessen, wer etwa den Ethikkodex der Axel Springer AG und das tatsächliche Geschäftsgebaren ihrer wichtigsten Cashcow, der 'Bild'-Zeitung, vergleicht."
Ebenfalls in der NZZ widmet sich Rainer Stadler in seiner Kolumne dem LSR-Google-Beef mit einiger Distanz.
"Den Gipfel der Bizarrerie erklimmt der Chef der 'Sonntags-Zeitung' mit der Idee, eine Google-Gebühr mit der Auflage an die Presse zu verbinden, in die publizistische Qualität zu investieren. Es geht also um eine Art Medienförderung via Hintertreppe. Wer durch Staatshilfe zu Geld kommen will, sollte mit offenem Visier dafür kämpfen."
Der Text lautet aus auf dem lakonischen Satz:
"So oder so: Der Journalismus würde intelligentere Interessenvertreter verdienen."
Immerhin ermöglichen die leidigen Scharmützel intelligenten Leuten, um so strahlender hervorzutreten. Man könnte das vielleicht das Stefan-Niggemeier-Prinzip nennen, das eben darin besteht, im Grunde nur so etwas schwer Skalierbares, aber unmittelbar Verständliches wie den gesunden Menschenverstand anschaulich darzulegen.
In diesem Sinne hat Frank Rieger vom CCC in der FAZ den Raum aufgetan, der sich zwischen Dortmund und Bayern Verlegern und Google scheinbar nicht zu bieten schien. Wie groß er ist, wird an der schlagenden Unaufgeregtheit deutlich, mit der Rieger durch die Fronten spaziert.
Wenn Stadler den Konflikt etwas verkürzt zitiert –
"Die Debatten führen zu kuriosen Konstellationen. Die sonst regulierungsfreudigen Linken sind gegen ein solches Gesetz und damit für Onkel Sam, während die Befürworter eher unter den Rechten zu finden sind"
–, zeigt Rieger, wo der Journalist, der von seinem Beruf tatsächlich einen Begriff hat, seinen Platz findet: im Dazwischen. Sie nennen es Unabhängigkeit.
"Beide Seiten versuchen in der Diskussion den gleichen strategischen Kunstgriff: sich selbst als moralisch hochwertigen David, die andere Seite als übermächtigen Goliath zu präsentieren."
Dabei kann man, wie Rieger vorschlägt, die, äh, Debatte wohl am besten verstehen, wenn man sie vor dem Hintergrund der verwickelten Abschreckungsdiplomatie des Kalten Kriegs liest.
"Die Strategie der Verlage – allen voran der Axel-Springer-Verlag – ist es zunächst, über das Leistungsschutzrecht eine Zahlungspflicht zu erzeugen, um dann im zweiten Schritt durch den – unbestreitbar berechtigten – Hinweis auf die Monopolstellung Googles per Kartellregulierung oder eine gesetzliche Festschreibung der Suchmaschinenneutralität dafür zu sorgen, dass die nunmehr kostenpflichtigen Inhalte weiterhin in der Suchmaschine zu finden sind. Daher rührt auch die wiedererstarkte Diskussion um Googles Machtmissbrauch."
Mit so einer Passage macht die ganze Absurdität Sinn, dass die Verlage sich über die Auffindbarkeit durch Google beschweren, die sie, wenn es ihnen wirklich nur darum ginge, technisch einfachst unterbinden könnten.
"Medienseiten, die auf einem Leistungsschutz-Obolus bestehen, aus dem Index zu werfen, ist Googles nukleare Option. Die Häufigkeit, mit der Google betont, diese nicht ziehen zu wollen, kennen wir aus den Wargames des Kalten Krieges. Die unmittelbare Folge wäre möglicherweise ein baldiges Einknicken der Verlage, die statt sich jahrelang mit Google vor den Gerichten zu streiten, einen Kompromiss wie eine Ausschüttung aus den Gewinnen von dann auf Google News geschalteten Anzeigen akzeptieren könnten."
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Argumentativ werden die Lobbyisten ihrer eigenen Sachen Riegers Beitrag nicht beikommen können, und hinter das hier dargelegte Wissen um die Zusammenhänge geht es eigentlich auch nicht mehr zurück. Ob die Debatte von einer solch klugen Differenzierungsleistung befriedet werden kann, sei mal dahingestellt – der FAZ wird der Abdruck indes einen Respekt einbringen, der für ungewisse Zukünfte im Zeitungsbiz sicher keine schlechte Investition ist, gerade in den Tagen schlechter Zahlen (Altpapier von gestern): Zwar hat die FAZ in der Schlacht auch einigen PR-Lärm geschlagen (Altpapier vom Freitag), aber sie hat eben trotz ihrer Größe auch die Größe, sich Rieger zu leisten.
Das wäre ein Unterschied zur Zeit (die jetzt ins Felde führen könnte, dass ihre Zahlen stimmen), der sich Stefan Niggemeier, der seit Tagen die Meldungslage in Sachen Google-Diss begleitet wie Peter Arnett den Ersten Golfkrieg, noch einmal zuwendet.
Im jüngsten Post geht er auf einen Kommentar von Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo ein unter einem älteren Blog-Text von ihm ein.
"Neulich habe ich die Journalismus-Krisen-Berichterstattung der 'Zeit' kritisiert und als 'Wohlfühljournalismus' bezeichnet. In seiner Erwiderung verteidigte Chefredakteur Giovanni di Lorenzo nicht nur ausdrücklich einen solchen 'Wohlfühljournalismus'. Er beschwerte sich zudem: 'Man könnte ja auch sagen, dass wir weniger für die ZEIT, sondern für die ganze Branche eine recht ordentliche Titelgeschichte hinbekommen haben.'"
Um darauf bartlebyesk zu antworten:
"Ja, das hätte man auch sagen können. Ich wollte das aber nicht sagen, weil das nicht meine Meinung ist."
Und weiter auszuführen:
"Dahinter steckt womöglich der Gedanke, dass wir Journalisten einander in diesen schlechten Zeiten gegenseitig schonen müssen. Dass wir zusammenrücken sollen, zusammenhalten, gegen Google, zum Beispiel. Dass die Lage zu schlecht ist, um sich eine kritische Beschäftigung mit sich selbst und eine wahrhaft unabhängige Berichterstattung über die eigenen Themen leisten zu können."
Auch wenn damit noch keine ökonomisch Zauberformel formuliert ist auf die Schnelle, bleibt es doch das einzige, was bleibt, wenn man Journalismuselogen und Marmeladenfabrikenvergleiche nicht nur auf Preiseverleihungen halten will oder bei Verteilungskämpfen zum Einsatz bringt.
"Journalismus hat nur dann eine Chance zu überleben, unter welchen Rahmenbedingungen auch immer, wenn die Menschen ihn für unverzichtbar halten. Wenn sie davon überzeugt sind, dass sie ihm trauen können, auch und gerade dann, wenn es um Themen geht, die ihn selbst betreffen."
Die FAZ hat dafür mit Riegers Text etwas getan, so viel dürfte sicher sein.
+++ Was Cicero gerade tut, verwundert Klaus Jarchow via Carta, weil der das Monatsmagazin auf der Suche nach einem Aufreger gegen den "Ökobürger" und damit das eigene Publikum schießt. Jarchow leitet daraus grundsätzliche Überlegungen ab: "Vermutlich liegt die Unfähigkeit falsche publizistische Strategien zu erkennen, ja, überhaupt eine sich ändernde Welt zu erblicken – das jedenfalls ist meine Vermutung – an einer schlichten rekursiven Schleife der Weltwahrnehmung: Der 'Cicero’'guckt, was die Kollegen vom 'Spiegel' meinen, der 'Spiegel' guckt in die 'FAZ', die 'FAZ' in die 'Süddeutsche', die 'Süddeutsche' in die 'Zeit', die 'Zeit' wieder in den 'Cicero' – im Kern aber bleibt es eine Gruppe nahezu Gleichaltriger auf allen Chefsesseln, die einst im Hedonismus der 90er Jahre aufwuchsen, und die jetzt nicht merken oder merken wollen, wie ihre alte Welt hinter dem Horizont versinkt. Deshalb, weil ja der Kollege auch nichts darüber schreibt. Die Medienkrise wäre also primär das Problem einer begrenzten Alterskohorte, die strikt darauf achtet, dass niemand ins System gelangt, der nicht ihre Ansichten teilt." +++
+++ Was ist Selbstironie? Das ZDF leistet sich eine vier mal 25-minütige Serie, in der Sascha Hehn sich selbst als alternden Schauspieler auf der Suche nach einer Rolle im Sender spielt: "Lerchenberg". Klingt nicht schlecht, für die SZ (Seite 31) berichtet Harald Hordych. +++ Selbstironie ist "im Prinzip unmöglich", wie der Fernsehkritiker Matthias Kalle im Tagesspiegel weiß angesichts von Lanzens Jahresrückblick. Ob das stimmt, muss jeder selber wissen, denn in Kalles Text gibt es einige Feststellungen, die sich jener schlichten, von Jarchow inkriminierten Wir-müssen-mal-was-ein-bisschen-was-anderes-als-der-Kollege-schreiben-Logik verdanken, die leider auch als Journalismus durchgehen soll. "Jetzt ist es langsam gut: mit diesem Jahr, mit diesem Rückblicksgetue und irgendwie auch mit dieser Anti-Markus-Lanz-Stimmung. Alle drei Dinge sind dann am Ende doch ein wenig zu langweilig, ein wenig zu vorhersehbar, ein wenig zu unoriginell." Das Jahr 2012, die arme Sau, ist also unoriginell, dabei hat es sich doch einige Mühe gegeben, nicht zu langweilen. +++ Klaudia Wick entwickelt in der Berliner (Seite 25) dagegen doch einen größeren Begriff von Kritik, wenn sie die Frage aufwirft, was man von dem Jahr im sogenannten Jahresrückblick eigentlich wiedererkennen kann: "Wenn es nach dieser ZDF-Show ging, dann war 2012 ein besonders kurioses Jahr mit vielen Arschbomben und einer Präsidentengattin, die im Weißen Haus Sackhüpfen spielt." +++ Bei Kalle kann man sich indes fragen, was es für so etwas wie eine Debatte bringen soll, checkerhaft jede Lanz-Kritik als "persönliches Problem" zu beschließen: "Markus Lanz kann sehr gut ein Gespräch führen. ... Jeder, der etwas anderes behauptet, hat ein persönliches Problem mit Markus Lanz, das in Fernsehkritiken nichts zu suchen hat." Spaßvögel würden sagen, dass solche unsachlichen Behauptungen in einer Kritik nichts zu suchen haben, weil sie eh nur für den Buchrücken der Markus-Lanz-Autobiografie geschrieben worden sind. +++
+++ Thomas Schuler schreibt über Himmel-und-Hölle-Preisverleihung der Freischreiber in der Berliner (Seite 25). +++ Tobias Bauckhage vom Portal moviepilot.de schlägt in der SZ (Seite 13) vor, dass die Kino-PR-Strategen in den USA mit der Konzentration aufs Startwochenende von Präsidentschaftswahlkämpfern lernen könnten. +++ Sonja Zekri stellt ebenda (Seite 31) das schwule Magazin Mawaleh in Syrien vor. +++ Markus Ehrenberg verabschiedet im Tagesspiegel "Dr. House". +++ Die Berliner informiert über Paywall-Pläne Springers. +++ Die TAZ begleitet den Start des gedruckten Jugendmagazins Tonic. +++ Wolfram Weimers Pardon-Re-Auflage wird besprochen auf SpOn ("Die Wahl mancher Autoren ist allerdings auch erfrischend") und im Interview mit den eigentlichen Machern auf Meedia.de. +++ Dort findet sich auch ein neuer Lesko, wie man in der Branche wohl sagen muss, ein Interview-Schlaps (Teil 2) des beliebten Leiters von Pferde- und Leadership-Academy Berlin, Christopher Lesko. Diesmal hat Max Giermann zugesagt, und es gibt sogar ein Foto von den Gesprächspartnern, das so gut bearbeitet ist, wie es keiner dieser überzahlten Grafiker in den High-Style-Buden des Magazinjournalismus je könnte. +++
Neues Altpapier morgen wieder gegen 9 Uhr.