Und dann? Die Zeitungskrise kann man so und so sehen. Bei der FTD rückt der Tag näher, an dem der G+J-Aufsichtsrat tagt. Ein Schauspieler muss sich vor der Welt für seine Vergangenheit verantworten. Und Medienmacher bald für ihre Verdienste?
Die Krise der gedruckten Zeitung bringt, wie gestern hier bemerkt, ein gewisses Pathos mit sich, sobald es ums Ganze geht. Was die Krise der gedruckten Zeitung aber im November 2012 ganz konkret ebenfalls mit sich bringt, ist womöglich eine neue Standardsituation des Medienjournalismus: Zeitungssterbenspotting.
Anders gesagt: Der morgige Mittwoch, an dem der Aufsichtsrat von Gruner+Jahr zusammenkommt, um über Zukunft zu entscheiden, ist medial aber so was von zum Judgement Day für die FTD geworden, an den ungeduldig herangefahren wird an einen prominenten Gerichtstermin oder die Fußball-WM-Eröffnung.
"An diesem Montag bereitete Steffen Klusmann, Chefredakteur der FTD und Leiter des Chefredakteurskollegiums der Wirtschaftsmedien, seine Belegschaft in der Morgenkonferenz auf das vor, was seiner Einschätzung nach kommen könnte: Es müsste schon ein Wunder geschehen, so berichten Teilnehmer aus der selten so voll besetzten Konferenz, sonst müsse man sich wohl auf das Schlimmste einstellen. Es war die Rede von drohenden Kündigungen und der Hoffnung, dass es in diesem Jahr noch keine Entlassungen geben werde."
Schreibt Katharina Riehl in ihrem gut informierten Text in der SZ. Dem aber auch etwas Frivoles eignet, weil er die gerwisse Faszination fürs angekündigte Ende einfach nicht rausbekommt aus seinen Beschreibungen:
"Die Stimmung in der Redaktion soll in den vergangenen Tagen eine Mischung aus Depression und Kampfeswillen gewesen sein... Mancher hofft, dass Julia Jäkel, die wegen Entlassungen bei Brigitte und der Ernennung des Chefredakteurs Stephan Schäfer zum Geschäftsführer in Personalunion viel Kritik aushalten muss, nicht in die Verlagsgeschichte eingehen will als die Frau, die bei Gruner + Jahr Qualitätsjournalismus abschaffte."
Der komische Beigeschmack von solcherart Berichterstattung besteht für den totalinformierten, alles querlesenden Medienbeobachter auch irgendwie darin, dass er nach all den Berichten übers drohende Aus der FTD sich fast betrogen fühlen müsste, wenn G+J morgen anders entschiede.
Riehls Text weiß immerhin, wie die Geschichte oder dieses Gefühl noch eine Woche länger tragen könnte:
"Der Beschluss müsste auch vom Aufsichtsrat des Gesellschafters Bertelsmann abgesegnet werden, der am 30. November tagt."
Zur Krise allgemein schreibt Jörn Kruse in der TAZ, und man müsste einmal die Älteren unter den TAZ-Aficionados fragen, ob etwas im Zusammenhang mit Springer je so positiv-konstruktiv diskutiert worden ist. Es gab doch mal Zeiten, in denen Probleme bei einem von Springers heißen Blättern bei der TAZ, politisch gesehen, eher wenig Mitgefühl hervorgerufen hätte.
"Doch die Frage, die sich die Verantwortlichen der Welt gestellt haben, ist die richtige: Was bleibt den Zeitungen noch, wenn keiner ihre Zeitungen kaufen will? Die Marke. Aufgeladen mit alldem, wofür die Tageszeitungen seit der Gründung der Bundesrepublik (und im Falle der FR auch schon davor) standen und stehen: Glaubwürdigkeit, Tiefe, Haltung. Ein Machtkorrektiv."
Wie gesagt, die Haltung der "Welt" – muss man mögen. Was das Generelle angeht, erscheint das Pathos des Zeitungskrisendiskurses hier mit leichtem Zug ins Selbstzerknirschte:
"Wir Journalisten sind es doch immer, die Statistiken heranziehen, um uns der Wirklichkeit zu nähern. Wir lieben Studien. Wir zitieren sie jeden Tag. Wir bewerten sie jeden Tag (und das zumeist in die maximal mögliche negative Richtung). Doch die Statistiken über die eigene Branche nehmen wir zwar wahr – aber offenbar nicht nicht ernst."
Um das zu ändern empfiehlt Kruse:
"Dabei wissen Journalisten wie Verleger wie Kapitalgeber ganz genau, dass nur eine schonungslose Bestandsaufnahme hilft."
Dazu müsste man dann wahrscheinlich Zahlen heranziehen, die im falle der folgenden Eingangsbehauptung zumindest ganz interessant werden sein müssten:
"Die gedruckte überregionale Tageszeitung hängt am Tropf. Sie ist nicht nur abhängig von Lesern, die sich Zeitungen kaufen, obwohl sie die bloßen Nachrichten längst anderswoher früher bekommen könnten. Längst ist sie auch auf Querfinanzierung, auf das Vermögen von privaten Geldgebern und auf staatliche Steuervorteile angewiesen."
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Stimmt das denn? Nur weil die FR insolvent ist und die Digitalisierung on the way ist, heißt es ja nicht, dass mit Zeitungen im Moment kein Geld mehr verdient weniger kann. Und die Geschichte von "FTD" und "Welt" kann man vielleicht auch anders erzählen – nämlich so hardcore-manchester-kapitalistisch, und dann wäre eine Geschäftsidee, die immer nur oder meistens Verluste bringt, einfach nur keine gute Geschäftsidee und nicht der Untergang des Abendlands. Dass die "Welt" immer "dauerdefizitär" sein durfte und weiterhin darf, spricht ja dafür, dass sie gar nicht als Geschäftsmodell funktionieren muss, sondern vor allem dazu da ist, dass Springer-Granden feat. die Witwe, wenn sie auf Abendempfänge oder in die Oper gehen, nicht allein mit einem Produkt identifiziert werden müssen, das sein Geschäftsmodell auf niedere Instinkte und miese Tricks gründet.
Stefan Winterbauer liest auf Meedia.de im Jahrbuch des BDZV, und aus den ganzen Zahlen lässt sich folgender Schluss ziehen:
"Zunächst einmal kann man festhalten, dass die Pleite einer Regionalzeitung (FR) und die eventuell bevorstehende Einstellung einer defizitären Wirtschaftszeitung (FTD) noch nicht den sofortigen Untergang des Zeitungslandes Deutschland bedeuten."
Die Idee, das die Zukunft im Lokalen liegt, verdichtet sich im Laufe des Textes zu einer Gewissheit, die im Grunde als Befehl sofort nach draußen gegeben werden müsste, wäre die eigene Macht nicht so begrenzt:
"Vor allem bleibt aus dem Zahlenwerk des BDZV-Jahrbuchs hängen, wie wichtig, die lokalen Inhalte sind. Verlage müssten viel mehr in den Aufbau und die Pflege von wirklich attraktivem Lokaljournalismus investieren - auch digital!"
+++ Der Schauspieler Ernst-Georg Schwill, letzten Sonntag im Tatort als Assistent Weber zu sehen gewesen, soll doch länger für die Stasi gearbeitet haben, als Sven Felix Kellerhoff von Springers Welt erlaubt bislang bekannt war. In der Welt resümiert Sven Felix Kellerhoff die Beweislage: "Offenbar war er bis zum Ende der DDR als Spitzel aktiv, denn auf der Karte der 'Vorgangskartei' ist keine Archivsignatur vermerkt. Dafür spricht auch, dass 'Maxe' noch am 2. Mai 1989 den Empfang von 150 Mark 'aus Anlass meines 50. Geburtstages' quittiert. Schwill hatte sein rundes Jubiläum am 30. März 1989 gefeiert. Da die Mitarbeiter der Abteilung HA II/13 viele Treffen mit Spitzeln zu absolvieren hatten, Mitte März bis Mitte April 1984 zum Beispiel 129 unterschiedliche Termine, ist nachvollziehbar, dass Wochen nach Schwills Geburtstag vergingen, bis sein Führungsoffizier Gerd Lehmann ihn treffen konnte." Und: "Die eigentlichen Berichte, die es wahrscheinlich gegeben hat, sind bisher nicht gefunden, also wahrscheinlich vernichtet worden." Die sich dann zu einem grandiosen Psychogramm des Schauspielers, den Kellerhoff in einem Anflug von politisch-philosophischer Poesie "Erst Georg Schwill" nennt, verdichten lässt: "Unauffälligkeit kann eine Gabe sein. Einer wie Ernst-Georg Schwill wirkt auf auf rustikale Weise sympathisch - und kaum verschwindet er aus dem Blickfeld, hat man ihn vergessen. Das ist eine perfekte Gabe für einen Polizisten, den der Schauspieler Schwill in seiner wichtigsten Rolle als 'Lutz Weber' im Berliner 'Tatort' spielt. Allerdings eignet sich diese spezielle Begabung auch ausgesprochen gut für eine andere Tätigkeit: als Spitzel." Man hat's doch immer gewusst! Dieser Schwill, so unauffällig, wie der ist, zack, verschwindet vom Schirm, und bei "Günther Jauch" hat man den schon vergessen – der kann doch nur ein Spitzel sein. Vielleicht könnte die Welt mit dieser Art des Profiling die Zeit überbrücken, die die Jahn-Behörde benötigt, um die "15.000 Säcken mit 'vorvernichtetem' Material" im Keller zusammenzusetzen. +++ Der Tagesspiegel berichtet auch und hat beim RBB nachgefragt: "Der Sender will auf Schwill zugehen, mit ihm reden, sagte Sprecher Justus Demmer. 'Die Geschichte hat uns am Montag auch überrascht.' Demmer wies darauf hin, dass Ernst-Georg Schwill noch nicht einmal freier Mitarbeiter des RBB sei, er wirke an zwei RBB-Produktionen im Jahr mit. Offenbar macht es in Sachen Stasi-Vergangenheit, -Aufarbeitung und Senderverantwortung einen Unterschied, ob jemand fest beim RBB angestellt ist oder nicht." Ob es einen Unterschied zu vor 20 Jahren gibt in der Beurteilung solcher Fälle, wird man sehen. +++
+++ Jan Ludwig erzählt in der FAZ (Seite 29) wie ein Bild zustandegekommen ist, dann Gazas Premiere Hanija und Ägyptens Ministerpräsident Kandil mit einem verletzten Kind zeigen. +++ Rainer Stadler mahnt in der NZZ, "den Retweet-Knopf vorsichtiger zu betätigen" bei diesem Twitter-Zeugs. +++ Die Berliner stellt die Schauspielerin Friederike Kempter vor, die man aus dem dem Tatort Münster und dem Kinofilm "Oh Boy" kennt. +++ Klaus Walter resümiert in der SZ (Seite 12) eine Tagung am Frankfurter Psycholanalytischen Institut, die sich mit Porno in Zeiten des Internets befasste. Als Trends erkennbar wurden "eine Zunahme von Bisexualität, der heterosexuelle Koitus verliert an Bedeutung, Masturbation wird zur eigenständigen Praxis. Identität ist im Netz weniger eine Frage der Biologie als eine der Performance." +++ Die TAZ bespricht das Hörspiel "Wie wir verschwinden" über Albert Camus. +++ Tagesspiegel meldet, dass Politiker Transparenz bei Moderatorengehältern fordern. +++
+++ Im Fernsehen: Jens Müller empfiehlt in der TAZ die Arte-Doku über "Ishiwara Kanji" (21.55 Uhr), die zwar eine falsche These vertritt, aber trotzdem sehenswert sei. +++ Von Tagesspiegel und FAZ (Seite 29) wird der Sat.1-Film: "Nach all den hochglanzigen Hotelträumen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens macht sich im Keller des Mythenheims 'Atlantic' aufklärerischer Realismus eines Privatsenders breit. Bitte einchecken!", schreibt Nikolaus von Festenberg in ersterem. +++
Neues Altpapier morgen wieder gegen 9 Uhr.