...und zwar das Bundesverfassungsgericht: Aus den Anrufen von Politikersprechern bei ZDF und BR wird die Forderung abgeleitet, die Öffentlich-Rechtlichen von politischer Einflussnahme zu verschonen – grundsätzlich, nicht aus Höflichkeit. Dazu: eine Analyse des Fernsehens als Restzeitmedium. Und vielleicht ein paar Texte zu viel über "Rommel" (und auch über Rommel).
Es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Zeitungsverlage keinen Vertrag mit dem ZDF haben, demzufolge sie immer montags den ZDF-Montagsfilm besprechen müssen. Zum wiederholten Mal, bestimmt schon zum dritten oder vierten Mal in diesem Jahr, wird er nicht in allen Zeitungen prominent rezensiert. Und das, obwohl der heutige ZDF-Film bereits preisgekrönt und von Dominik Graf ist.
Der Grund, warum "Das unsichtbare Mädchen" (20.15 Uhr) nicht groß vorkommt, ist allerdings – anders als der Grund, warum der Montagsfilm sonst so oft als zentrales Fernsehereignis behandelt wird – offensichtlich: Es handelt sich nicht um die Erstausstrahlung. Der Film hatte seine Fernsehpremiere im März bei Arte (wer sich also für reichlich Kritiken interessiert: siehe SZ, Tagesspiegel, Spiegel Online, FAZ, taz etc.). Heute, da er im ZDF läuft, bekommt der Film noch kleine Hinweise als Mini-Fernsehtipp oder im SZ-Fernsehprogramm – Zuschauerservice findet bekanntlich auf der Programmseite, eine wichtige betriebsinterne Werkbesprechung dagegen auf der Medienseite statt – und eine wohlwollende FAZ-Kritik (S. 29), in der es heißt:
"diese aufgestauten und irgendwann ausbrechenden Gefühle überall: Das kann man sich nicht jeden Tag antun. Aber sehr eindrucksvoll ist das schon."
+++ Klaudia Wick, Fernsehkritikerin, Fernsehjurymitglied und künftige Leiterin des Fernsehfilmfestivals Baden-Baden, hat bei den Münchner Medientagen, wo sie in einer bei DWDL dokumentierten lesenswerten Keynote das Fernsehen als Restzeitmedium analysierte und leisen TV-on-demand-Optimismus verbreitete, etwas ganz Ähnliches gesagt. Wenn auch nicht über den Graf-Film, sondern über das deutsche Fernsehen als solches. Und auch sie hat eine besondere Qualität darin erkannt, dass ein Film einem Zuschauer etwas antue. Eine Qualität, die es allerdings – darum geht es bei Wick – zu selten gebe, weil Filme, die das anschließende Abschalten herausfordern, schlecht für den Audience Flow seien:
"Aus meiner langjährigen und intensiven Sichtungsarbeit für den Deutschen Fernsehpreis kann ich als Erfahrungswert eines mit Gewissheit sagen: Je anspruchsvoller das Thema, je intensiver die Inszenierung, je besser also das Programm, desto schlechter lässt sich danach einfach weiterschauen. Filme wie 'Auslandseinsatz' über die deutschen Soldaten in Afghanistan, 'Herbstkind' über postportale Depression oder 'Ein Jahr nach morgen' über Amoktäter verlangen nach dem Abspann eigentlich eine Atempause. Aber auch das Primetime-Programm der ARD ist natürlich auf maximale Verweildauer programmiert."
Deswegen gibt es im Anschluss dann gerade nach solchen Filmen bisweilen noch einen Talk zum Thema bei "Anne Will" – die Talkshows dienen ja womöglich als bester Kompromiss zwischen innerlichem Abschalten und augenscheinlichem Dranbleiben. Welche aus der Reihe der ARD-Talks dran glauben muss, ist, wenn man dem Spiegel glaubt, offen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens einer gekippt wird, vielleicht sogar zwei fallen, ist wohl eher groß, wenn Programmdirektor Volker Herres in einem "Papier für die Programmklausur der Intendanten vor zwei Wochen" eine Reduzierung der Talks vorgeschlagen hat, wie es heißt. Eine Meldung, die es auch auf die Feuilleton-Eins der FAZ schafft – natürlich auch mangels montäglicher ganzer Medienseite. (Ausführlicher: FAZ.net.)
+++ Zwei Seiten weiter hinten wird in der FAZ der ARD-Film "Rommel" behandelt, der am Donnerstag läuft. Da er schon im März 2011 angekündigt wurde, im September 2011 (an einem Montag) bereits einen Feuilletonaufmacher in der FAZ von Herausgeber Frank Schirrmacher provoziert hat (siehe Altpapier) und seitdem immer wieder einmal publizistisch verarztet wurde, handelt es sich bei den neuesten Texten und Interviews in der FAZ, in der FAS und beim Spiegel-Aufmacher (der den ARD-Film zum Anlass nimmt, mal wieder einen seiner zuletzt etwas aus der Mode gekommenen NS-Titel zu platzieren) wohl schon um den "Rommel"-Textbegleitungsendspurt.
Man könnte an "Rommel" im Bedarfsfall exemplarisch belegen, dass manche Fernsehinhalte überbesprochen werden. Ob es sich um einen der Filme handelt, nach denen man als Zuschauer eigentlich abschalten muss, weil man so mitgenommen ist? Produzent Nico "Boulevard Bio" Hofmann selbst stößt im FAZ-Interview über den Film einen Jubelschrei aus, der vielleicht am besten als "Kompromiss" ins Deutsche übersetzt werden kann:
"Ich finde, dass dem Film die schwierige Balance eines anspruchsvollen, intelligenten Stücks im Hauptabendprogramm der ARD gelingt."
+++ Blättern wir noch einmal zwei Seiten nach vorne in der FAZ, die ihre Medienthemen heute so elegant übers Blatt verteilt, dass man die Wertung erkennen kann: Auf der ersten Feuilletonseite und auf Seite 3 geht es in der FAZ um das Medienthema des Tages, das auch taz-Titel ist – die Verquickung von Politik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk am Beispiel der Anrufe von CSU-Politikern im ZDF und, wie am Samstag die Süddeutsche Zeitung berichtete, Bayerischen Rundfunk.
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Die wichtige Frage aus Medienjournalistensicht ist weniger, welches Verständnis von Pressefreiheit in Teilen diverser Parteien vorherrschen mag, als wie Journalisten auf den Versuch von politischer Einflussnahme reagieren. Der BR, der einen kritischen Magazinbeitrag über den damaligen bayerischen Umweltminister Markus Söder nur einmal sendete, nachdem dessen Sprecherin nach der Erstausstrahlung einen Blick in ihr BR-Nummernverzeichnis warf und ein wenig telefonierte, reagierte aus Sicht der FAZ richtig: Die Ersatzbeiträge seien auch nicht unkritisch gewesen.
Dass man wirklich "aus journalistischen Gründen" auf eine weitere Ausstrahlung in einer späteren Ausgabe der Nachrichtensendung verzichtete, wie der BR schreibt, ist denkbar. Dass der Versuch der Einflussnahme jetzt, im Anschluss an die ZDF-Geschichte um den Anruf des CSU-Sprechers in der "heute"-Redaktion (siehe Altpapier) überhaupt öffentlich wird, spricht aber immerhin dafür, dass ihn irgendjemand aus dem Bayerischen Rundfunk oder aus der CSU für interessant genug hält, ihn der SZ zu melden. Die SZ selbst, die wohl ihre Entscheidung, den Anruf groß zu thematisieren, rechtfertigen will, andererseits aber auch nicht ganz schlechte Argumente hat, schreibt heute auf der Meinungsseite über den BR:
"Eine BR-Redaktion, die Wert auf Unabhängigkeit legt, wäre in der Sache zwar womöglich zu einem ähnlichen Schluss wie die Sprecherin gekommen: Dass man am Tag einer Regierungserklärung Ausschnitte aus der Landtagsdebatte senden sollte und nicht nur einen Zusammenschnitt alter und neuer Söder-Zitate zur Atomkraft, die den Minister bloßstellen. Eine solche Redaktion hätte aber auch entschieden, für diesen Beitrag – den sie selber als journalistisch völlig sauber beurteilte – einen anderen Programmplatz zu finden. Schon allein, um einer Ministeriums-Sprecherin nicht das Gefühl zu geben: Anruf genügt."
Wie auch immer, die taz macht aus der Geschichte, weil sie – das ist wohl unumstritten – für die weitergehende Kontextualisierung grundsätzlicher Fragen taugt, eine Geschichte über die Notwendigkeit einer klaren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
"Weil niemand ernsthaft von der Politik erwarten wird, sich hier selbst zu kastrieren, bleibt nur das Bundesverfassungsgericht. Deshalb ist unabdingbar, dass Karlsruhe bald sein Grundsatzurteil zur Frage der mangelnden Staats- und Politikferne beim ZDF spricht und vor allem der Exekutive engere Grenzen als bisher setzt",
kommentiert Steffen Grimberg. Und sieht in den Anrufen selbst weniger einen Skandal als in der Kontrolle der Rundfunkgremien durch Politiker. Michael Spreng ist natürlich auch verpflichtet, sich zu äußern. Und auch über Michael Hanfelds gedrucktem FAZ-Text (online nur leicht anders) steht: "Die Räte, nicht die Anrufe bedrohen die Pressefreiheit". Hanfeld weiter:
"(N)aiv ist es (..), davon auszugehen, dass sich der Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgerechnet in der hier zu bestaunenden Art und Weise zeigt. Ein Druckanruf im Großraumbüro der Nachrichtenredaktion ist das Dümmste aller denkbaren Mittel und dürfte allein deshalb in zehn Jahren, wie beim ZDF alle sagen, nicht vorgekommen sein."
+++ Die Berliner Zeitung hat keine eigenständige Medienseite mehr (taz / Hamburger Abendblatt) +++ Apropos Abendblatt und Eigenständigkeit: Die Welt-Gruppe baut ihr Erfolgsmodell aus und kooperiert demnächst auch in einer Redaktionsgemeinschaft mit dem Hamburger Schwesterblatt (Axel-Springer-Meldung, Abendblatt-Meldung). Die Meldung lautet etwas anders, wenn sie nicht von einer Presseabteilung formuliert ist +++
+++ In Nachrufen auf den Komponisten Hans Werner Henze taucht auch der Name Rudi Dutschkes auf, etwa in FAZ und SZ. In der SZ schreibt Willi Winkler (S. 11): "Die Scheibe der Morgenpost-Filiale ist stark, sie hält dem Anprall stand. Aber der Mann meint es ernst und gibt nicht auf. Noch zwei Mal wirft er den Stein, bis das Werk endlich vollendet ist: die Scheibe zerbirst. Die Marktmacht des Hauses Springer ist wenigstens symbolisch geschwächt. Der Mann draußen jubelt und wird von seinen Begleitern zu seinem Erfolg beglückwünscht. Einer dieser Begleiter war Rudi Dutschke und der wurde, obwohl er den Stein nicht geworfen hatte, aber als Aufrührer umso berüchtigter war, für die Tat belangt. Dem Steinewerfer geschah trotz dieses frühen Videobeweises nichts, denn es handelte sich um den weltberühmten Komponisten Hans Werner Henze" +++
+++ Für die taz berichtet Benjamin Hiller von seiner journalistischen Arbeit in Syrien mit einem "Dolmetscher und 'Fixer', der mir die lokalen Kontakte vermittelte, Autos organisierte und Interviews plante" +++ Ganz anderer Ton: Stefan Klein fühlt sich in der SZ vom Obama-Online-Wahlkampf persönlich angesprochen und irgendwie wohl auch ein bisschen veräppelt (S. 37) +++
+++ Til Schweiger scheint ja doch auch ein ziemlicher Profi in Sachen Kontrollzwang zu sein (FAZ, siehe Meedia). Seine Verteidigung gegen einfallslose immergleiche Verrisse von Journalisten kann man jetzt vielleicht auch doch wieder wegpacken +++
+++ In der SZ geht es um eine ORF-Fernsehserie, "Braunschlag", die "die Zuschauer lieben". Irgendwie sind wir da wieder bei ZDF und BR, aber nur sehr gefühlt und irgendwie: "Der ORF hat sich, anders als von Kulturpessimisten erwartet, nur wenig eingemischt und die Teile dann auch nicht nur abgenommen, sondern auch ausgestrahlt. Obwohl Niederösterreich, seine Politiker, die Finanzpolitik und einiges andere nicht gut wegkommen" +++
+++ Mehr Fernsehen: Der Spiegel, der "Niggemeiers Medienlexikon" seit einigen Wochen aussetzt und in der aktuellen Ausgabe eine namentlich nicht gekennzeichnete Glosse über die Inflation der "Tatort"-Kommissare druckt, schreibt über die RTL2-Serie "Berlin – Tag & Nacht": "Die Darsteller bringen Elemente aus ihrem Leben in ihre Rollen mit. Und umgekehrt wird aus der Fiktion Realität. (...) Für die meisten Zuschauer ist Falko Ole. Sie wissen wohl, dass „Berlin – Tag & Nacht“ keine Doku eines realen WG-Lebens ist, aber das scheint ihnen egal zu sein. Sie sind Fans von Ole, nicht von Falko. Der Chefredakteur der 'Bravo', Alex Gernandt, spricht von einem 'relativ neuen Trend', den man auch bei anderen Serienhelden beobachte. Und so sprechen 'Meike' und 'Marcel' aus 'Berlin – Tag & Nacht' mit der 'Bravo' darüber, wie groß die Chancen ihrer (fiktiven) Liebe sind. Und natürlich hat Falko der aktuellen 'Bravo' ein Interview als Ole gegeben, auch wenn er Kinderfotos mitgebracht hat und über seine Jugend spricht" +++
+++ Der Rest in Kürze: Der Tagesspiegel über die Dokumentation "Diese verfluchten Stunden am Abend" über Häftlingsbordelle in KZs (3sat, 20.15 Uhr), über die Kleinkindersendung "Löwenzähnchen" im Kika und "Der klügste Deutsche" +++ Letzteres auch besprochen von Frankfurter Rundschau online +++ Und die taz über Jerry Seinfelds "Comedians in Cars getting coffee" +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.