Harry und Silly

Harry und Silly

Es wird ausgerechnet, welchen Stellenwert Fußball in der ARD hat – von den einen qualitativ, von den anderen quantitativ, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Es wird ausgerechnet, wie viele Nichtzahler sich gegen die Haushaltsabgabe wehren, allerdings unter verquerem Gebrauch des Wörtchens "ausgerechnet". Und es gibt Nachrufe auf den verstorbenen Sportjournalisten Harry Valérien.

Die Anzahl der medienjournalistischen Themen, die die überregionalen Tageszeitungen heute aufgreifen, ist überschaubar; es handelt sich im großen und ganzen um zwei Hauptthemen: Es gibt in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeiner Zeitung, im Tagesspiegel, in der taz und in Berliner Zeitung/Frankfurter Rundschau Nachrufe auf Harry Valérien, und es gibt Besprechungen des ZDF-Films "Eine Frau verschwindet" (siehe Altpapierkorb).

Harry Valérien, der 25 Jahre lang das "Aktuelle Sportstudio" im ZDF moderiert hat, war am Freitag, 88-jährig, gestorben. Weil er nicht irgendein Journalist war, dessen Namen man in dem Moment vergisst, in dem er nicht auf Sendung ist, sondern ein "prägender Kopf der ZDF-Sportredaktion", eine "Ikone, (...) zeitlos in ihrem Forscherdrang und Wissensdurst" (FAZ, Sportteil), ein "großer Journalist" (SZ, Medienseite, derzeit nicht frei online), fallen die Nachrufe zum Teil stattlich aus. Es handelt sich um Würdigungen von Valériens gelbem Pullover, bayerischem Idiom und, wie es sich gehört, vor allem Gesamtwerk.

Zwei Vergleiche gibt es, einen mit Hans-Joachim Kulenkampff in Tagesspiegel und taz. Und einen mit "Kurt Brumme, Stimme der WDR-Radiosendung 'Sport und Musik' und Erfinder der Bundesligaschlusskonferenz" und mit "'Mr. Sportschau' Ernst Huberty", die Ralf Mielke in der Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau zusammen mit Valérien als die drei großen Fußballerklärer der Rundfunkgeschichte bezeichnet.

Man kann in den Texten aber auch einen Subtext finden: Der handelt ausgerechnet vom Fernsehsportjournalismus der Gegenwart, der – und da mag ein wenig Verklärung im Spiel sein, aber höchstens ein wenig – im Vergleich mit "früher" nicht übertrieben gut wegkommt, sondern als Eventjournalismus beschrieben wird, als Journalismus als Event:

"Bis zu seinem Tod hat er genau hingehört, wie die Kollegen über den Sport und dessen Glanz und Verwerfungen berichtet haben. Dabei hat ihn die überdrehte Lautstärke und der Hang zum voreiligen Superlativ mancher Fernsehreporter von heute arg genervt",

schreibt Roland Zorn in der FAZ. Ralf Mielke, Berliner Zeitung, schreibt:

"Heute herrschen andere Zeiten, in denen der künstlich aufgebauschte Konflikt, die Provokation, das Einander-ausstechen die Schlagzeilen bestimmen und von den Medien befeuert werden. Es sind die Zeiten von Drei-Satz-Interviews und Drei-Tage-Helden, von Experten-Moderatoren und Ballbesitzstatistiken."

Oder Holger Gertz, auf der Medienseite der SZ (S. 37):

"1988 hat er sein letztes Sportstudio moderiert, erst danach traten die wahren Abgründe des Spitzensports zutage – und die Unfähigkeit der Eventreporter im Fernsehen, mit dem Thema umzugehen. Harry Valérien ist oft gefragt worden, wie er die Arbeit seiner Erben einschätzt, aber er hat darauf vertraut, dass kein Kommentar auch ein Kommentar ist. Ein Mann wie er, der immer das richtige Wort gefunden hat, wusste auch, wann er schweigen muss."

In meinem eigenen kurzen Text, im Sportteil der taz, ist der Vergleich mit dem heutigen Sportfernsehjournalismus nur implizit, aber vorhanden :

"(Valérien) wusste, dass er, wenn er eine Reportage machte oder eine Sportveranstaltung kommentierte, nicht für Fachleute arbeitete, sondern für ein breites Publikum. Ein Publikum, das er nicht mit ahnungslosen Vollpfosten verwechselte, die sich sowieso nicht für Analyse interessieren."

Ich sach' an dieser Stelle einfach ma' Grüße an den in Wien geborenen Bela Réthy, dessen erste Live-Reportage ein Länderspiel zwischen der deutschen und irischen U16 im Jahr 1991 war und der seitdem... aber das steht ja eben auch alles ausgerechnet bei Wikipedia.

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+++ Der Spiegel, dessen Medienressortmeldungen Montag für Montag verlässlich von der tagesaktuellen Konkurrenz mit Quellenverweis, aber sonst wörtlich nachgedruckt werden, sorgt im Zusammenhang mit der Sportberichterstattung des Fernsehens noch für eine Meldung, die – Nachdruck auf der taz-Medienseite via epd – an diesem an Mediennews armen Tag als die größte Mediennews des Tages bezeichnet werden kann: Ausgerechnet "das höchste Aufsichtsgremium der ARD" – die Gremienvorsitzendenkonferenz"bemängelt den Stellenwert, den die Fußballberichterstattung im Senderverbund einnimmt", fasst der Spiegel ein Gremienvorsitzendenkonferenzsitzungsprotokoll zusammen, worauf Axel Balkausky, Sportkoordinator der ARD, reagiert: "Bei über drei Viertel des angebotenen Sportprogramms im Ersten werden andere Sportarten als Fußball gezeigt."

Welche Tricks Balkausky genutzt hat, um zu diesem Ergebnis zu kommen, wäre natürlich auch noch interessant; dass er das Wort "Stellenwert" ausschließlich quantitativ versteht, ist jedenfalls einer davon.

+++ Noch eine missverständliche Berechnung, diesmal vom Spiegel selbst (S. 81; siehe auch dapd-Meldung): Es habe bislang etwa 800 Beschwerden gegen die Haushaltsabgabe gegeben, die meisten – Zitat – "ausgerechnet" aus Brandenburg (76) und Berlin (482), "wo der Anteil der Gebührenzahler an der Bevölkerung besonders niedrig ist". Ausgerechnet! Welch eine Verkettung von Widersprüchlichkeiten und Lebensbrüchen zu einem überraschenden Gesamtbild!

Man soll aber bekanntlich keiner Statistik glauben, deren Daten man nicht selber falsch mit anderen statistischen Daten korreliert hat: 482 bzw. 76 Gebührenzahler wird man in Berlin bzw. Brandenburg wohl finden, genau wie 482 bzw. 76 Nichtzahler. Und da man nicht weiß, wer sich hier beschwert hat, ist der Zusammenhang zwischen den beiden Größen – Beschwerden und Nichtzahler – ein reines Wunschprodukt der Recherche.

Ein bisschen silly – das Wort wird dringend für die Überschrift gebraucht, sonst hätte ich "missverständlich" geschrieben – ist in der Meldung aber ausgerechnet das Wörtchen "ausgerechnet". Haushaltsabgabe bedeutet, dass man kein Rundfunkgerät mehr anmelden muss, bevor man Gebühr zahlt, sondern dass man unabhängig von einer Anmeldung als Rundfunknutzer gilt. Der Anzahl der Gebührenzahler in Berlin und Brandenburg wird sich durch die Haushaltsabgabe wohl erhöhen – insofern wäre "wenig verwunderlich" richtiger als "ausgerechnet", aber das liest sich halt blöd: Es gibt etwa 800 Beschwerden gegen die neue Haushaltsabgabe, und die meisten kommen, was wenig verwunderlich ist, aus Berlin und Brandenburg, denn dort könnte sich die Zahl der Neu- oder Mehrzahler vermutlich ja auch besonders deutlich erhöhen.


ALTPAPIERKORB

+++ Eine Szene aus "neoParadise" bei ZDFneo (ca. ab Minute 4:30), in der Joko Winterscheidt auf Geheiß von Klaas Heufer-Umlauf eine Messemitarbeiterin befummelt, hat mittlerweile diverse Blogpostings zur Folge sowie eine Diskussion, hier etwa bei Twitter, unter Beteiligung des @zdf. "Die ganze Szene hat mich so angewidert, dass ich ziemlich ungläubig vor dem Bildschirm saß und nicht fassen konnte, dass hier gerade eine Frau vor laufenden Kameras sexuell belästigt wird und das auch noch als riesengroßer Spaß verkauft wird", heißt es bei emminordwind, hier ein Briefwechsel mit der Zuschauerredaktion des ZDF, und auch in diesem Posting von Antje Schrupp geht es um den "offenen Sexismus" der Szene, der "in einer postpatriarchalen Welt nicht vorkommen" könnte +++

+++ Weitgehend Einigkeit besteht zwischen den Medienressorts, dass "Eine Frau verschwindet" (20.15 Uhr, ZDF) besprechenswert sei. "Es sind zwei Geschichten, die dieser Film erzählt", heißt es im Tagesspiegel, der "Fernsehfilmkunst vom Feinsten" gesehen hat +++ Szenen und Dialoge destilliert, "in denen Peter Haber, Maja Maranow und Tobias Moretti, der als verdächtiger Hirn- und Naturvolkforscher ins Spiel kommt, agieren, als seien diese für sie und nur für sie geschrieben worden. Dahinter stecken natürlich auch die besondere Regie von Matti Geschonneck, die Kamera von Theo Bierkens und der Schnitt von Eva Schnare", lobt die FAZ auf ihrer montags eingedampften Medienseite +++ Die SZ lobt den Film für den Drehort Amsterdam, denn Geschonneck "zeigt schon zu Beginn, wie viel ein ungewohnter Schauplatz zu einem ungewöhnlichen Film beitragen kann". Außerdem gibt es Lob dafür, dass "(k)einer der Darsteller (...) klassische deutsche Fernsehfilmausstattung" sei +++ Viel Lob also, Überschwang allerdings nicht wirklich, und das ist bei einem Fernsehfilm in der Regel ein Zeichen dafür, dass Einschlafen letztlich dann doch auch nicht ausgeschlossen ist. Die taz spielverdirbt: Der Schluss sei "arg konstruiert", und "Regisseur Matti Geschonneck hatte in diesem Jahr mit 'Liebesjahre' und 'Das Ende einer Nacht' Grimme- und Deutscher-Fernsehpreis-würdige Meisterwerke abgeliefert – 'Eine Frau verschwindet' ist im Vergleich dazu solides Handwerk" +++

+++ "Günther Jauch" hat am Sonntagabend das nächste Buch promotet, diesmal das der auch anwesenden Jörg und Miriam Kachelmann – der Spiegel hat es ja schon durch –, und die erste Kritik seiner Sendung fiel vernichtend aus: "Es ist ein bitterer Tiefpunkt in der öffentlich-rechtlichen Sonntagsrederei des Günther Jauch", schreibt Focus Online. Es tauchen in der Kritik auf: der Wetterfrosch, das Rehlein, die giftigen Kröten und der frühere Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje ("ausgerechnet"). Weitere Kritiken stehen bei berliner-zeitung.de ("Heute hat man offenbar kein Problem damit, quotenträchtig für Kachelmann eine ganze Stunde frei zu räumen. Die ARD - das rätselhafte Wesen. Eines vorweg: Die Sendung war der blanke Boulevard – kaum erstaunlich bei dem Thema"), tagesspiegel.de und faz.net, wo Jauch "eine Katastrophe" bescheinigt wird +++

+++ Im Spiegel (S. 82) steht auch eine längere Geschichte über die Zuwendung von überregional bekannten Regionalzeitungen und auch vielen anderen Redaktionen zum Lokalen. "Überall im Land ziehen sich Redaktionen publizistisch in die Region zurück wie in ein Bastion." Protagonisten: das Hamburger Abendblatt mit Chefredakteur Lars Haider und die Berliner Zeitung mit Chefredakteurin Brigitte Fehrle. "Über beide heißt es, sie sollen bei ihren Blättern für eine Rückbesinnung aufs Lokale sorgen. Das, so die Strategen in den Verlagshäusern, sei schließlich das Stammgeschäft und bringe das Geld. Fraglich ist, ob das stimmt." Wenn etwas fraglich ist, bedeutet das im Journalistendeutsch für gewöhnlich, dass es nicht stimmt. Im Lokalen schließlich erwächst hyperlokale Konkurrenz – zitiert werden etwa die Prenzlauer Berg Nachrichten; und so endet der Text, der passagenweise auch im Reiseteil als Stadtvergleich von Hamburg und Berlin stehen könnte, dann auch mit der Bestätigung der Fraglichkeit, konkret mit dem Vize-Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach, der zitiert wird: "Regionalisierung allein schützt eine Zeitung auch nicht vor Auflagenverlusten. (...) Dort, wo wir vor allem Regionalzeitung sind, ist das Minus größer als dort, wo wir ausschließlich als überregionales Blatt auftreten" +++

+++ Bastian Pastewka anlässlich einer bevorstehenden Fernsehfilmausstrahlung: Porträt im Tagesspiegel, Interview im Freitag +++

+++ Mehr Fernsehen: Fernsehmessenjournalist Wilfried Urbe berichtet für die taz aus Cannes über Planungen zu einer Fernsehserie über Hitlers Leben +++ Und die SZ schreibt über die erste deutsche Pay-TV-Serie, Skys "Add a friend" (von der ich in der ersten Textversion behauptet habe, sie sei in Planung – das Stadium hat sie allerdings hinter sich) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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