Unterhaltungsfernsehen geht steil mit Norbert Blüm: der Deutsche Fernsehpreis. Heute Abend läuft "neo Paradise" mit Dirk Bach. Und die Agentur dapd geht in Insolvenz und hinterlässt die Botschaft: Finanzinvestoren bringen deutschen Medienunternehmen weiter kein Glück. Nicht einmal wirtschaftlich
Alle so: Nägel kau. Und die Spannung so: steig. Heute Abend wird die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises im ZDF gezeigt (20.15 Uhr)! Wobei es in diesem Jahr noch weniger als in den anderen Jahren zuvor um die Frage geht, ob die Übertragung der traditionell aufgezeichneten Veranstaltung gutes Unterhaltungsfernsehen ist oder nicht. Sondern nur noch um die, wie viele Leute trotzdem einschalten.
Wir erinnern uns kurz (siehe Altpapierkorb vom 17. September): Bisher war Fernsehpreis, wenn die Verleihung aufgezeichnet und bis zur Fernsehausstrahlung am nächsten Tag mit einer Sperrfrist versehen wurde, vor der nichts verraten werden durfte. In diesem Jahr hat das diesmal austragende ZDF, das dummerweise auch am eigentlichen Ausstrahlungstag, nämlich am gestrigen Mittwoch, das Menschenrecht auf die Fußball-Champions-League befriedigen musste Champions-League zeigen muss, wenn es schon so idiotisch viel Geld für ein Programm bezahlt, dessen Übertragung nicht einmal Sat.1 versauen kann, darauf verzichtet, eine Sperrfrist auszugeben. Was zur Folge hat, dass spätestens heute jeder wissen kann, wer welchen Preis bekommen hat und was sonst so alles nicht oder auch doch geschah. Nicht verzichtet hat das ZDF inkonsequenterweise auf die Übertragung zur besten Sendezeit.
"(D)ie Zuschauer, die das Spektakel am Donnerstagabend im ZDF anschauen können, aber besser nicht sollten" (SZ, S. 29), werden zum Beispiel sehen: Norbert Blüms Laudatio auf Frank Elstner, der den "Ehrenpreis der Stifter fürs Lebenswerk" erhielt. Auch nicht schlecht: Das deutsche Fernsehen feiert sich selbst, und die entscheidende Laudatio hält Norbert Blüm. Positiv daran sei, schreibt Hans Hoff, dass man sich darüber aufregen könne –
"Aufregung ist wenigstens Emotion, und an der mangelt es dem Fernsehpreis deutlich."
Hoff zeigt sich in der Süddeutschen nach seiner dreistündigen Veranstaltungsrecherche insgesamt seriös erschrocken, und der rote Faden heißt bei ihm Dirk Bach, dem er den schönen Satz nachruft: "Dirk Bach ist tot, und der Fernsehpreis lebt. Gerecht geht anders." Also, fragt Hoff:
"Was hätte Dirk Bach gesagt? Die Frage stellte sich nicht nur angesichts der eher beiläufig eingestreuten Trauerbekundungen für den am Montag gestorbenen Schauspieler. Sie war berechtigt, weil die Branche noch nie derart verzweifelt erschien, weil sie selten so offenbarte, dass sie nicht weiß, was sie will und tut, was sie stets tut: Sie macht einfach weiter wie immer."
Den Aspekt "beiläufig eingestreute Trauerbekundungen" hebt Stefan Niggemeier bei Spiegel Online besonders hervor, während in Chronistenpflichterfüllungsberichten eher Agenturschnellvokabular bemüht wird. Zum Vergleich:
"Der Deutsche Fernsehpreis war keine rauschende Gala – die Veranstaltung wurde überschattet vom Tod des Komikers Dirk Bach." (Tagesspiegel.de, Welt Online). / "Dirks Bach Tod überschattet Deutschen Fernsehpreis" (Focus Online). / "(D)er Tod des Komikers Dirk Bach überschattete die Gala von Beginn an" (sueddeutsche.de). / "Die Gala im Coloneum in Köln wurde überschattet vom Tod des Komikers und Schauspielers Dirk Bach" (Meedia).
Keine Überschattung dagegen bei Spiegel Online:
"Das sagt sich so leicht dahin: Die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2012 wurde vom Tod von Dirk Bach überschattet. Es stimmt nur nicht. Der plötzliche Tod des Komikers und Schauspielers am Vortag war an diesem Abend im Colonneum in Köln erstaunlicherweise nur eine Randnotiz."
Wofür die Verantwortlichen anschließend zu lesen kriegen, dass das bezeichnend und ihre Veranstaltung insgesamt kein gutes Fernsehen sei. Aber gab es nun eine Überschattung oder nicht? Ein kleiner Hinweis findet sich bei Welt Online: Die Dachzeile – das ist sowas wie ein Hashtag für alte Leute – lautet "Gedenkminute". Im Text heißt es dann: "Eine Gedenkminute blieb aus." Also vielleicht dann so etwas wie eine leichte Überschattungsschattierung.
Die Kritiker, die nicht auf Agenturtexte zurückgreifen, demnach also vor Ort waren oder die Veranstaltung anderweitig genossen haben, sind sich immerhin in manchem einig, etwa schon mal darin, dass Preise verliehen wurden. Nicht ausgemacht ist unter ihnen allerdings, dass die Verleihung eher armselig war. David Denk hat für die taz eine einigermaßen selbstironische Zeremonie besucht, deren "Witzeleien reichten, um diese Verleihung positiv von vielen vorangegangenen abzuheben", was, übersetzt in Zeugnissprache, freilich auch "hat sich bemüht" bedeuten kann. Michael Hanfeld hat für die FAZ (S. 33) gar einer absoluten Weltklasse-Angelegenheit beigewohnt. Passagenweise fühlt man sich an das Büttensitzungsprotokoll einer Lokalzeitung erinnert:
"Binnen zweieinhalb Stunden werden mehr 'Flachsraketen', wie es Olaf Schubert auszudrücken beliebt, gezündet als sonst pro Monat. Eine Lockerungsübung der seltenen Art. (...) So reiht sich Gag an Gag, auch zur Freude des Preisträgers Klaas Heufer-Umlauf, der das Momentum erkennt und auf den von den Kollegen verursachten Zwerchfellstresstest verweist."
Klaas Heufer-Umlauf fand's also wirklich witzig? Wie man es von Hanfeld fast schon gewohnt ist, hat er für FAZ.net fleißigerweise noch eine etwas andere Textversion geschrieben, und auch hier findet sich eine Passage, in der Heufer-Umlauf indirekt zitiert wird: "Soviel gelacht wie an diesem Abend habe er bei einer Preisverleihung noch nie, lobte Klaas Heufer-Umlauf." An diesem Punkt ist man dann wirklich fast bereit, heute Abend freiwillig einzuschalten – bis man das Heufer-Umlauf-Lob im "hat sich bemüht"-Wortlaut liest, wie es die taz zitiert: "Das ist der lustigste Fernsehpreis, den ich jemals mitgemacht habe." Lob, ehrlich vergiftet. (Update 23:10 Uhr: Nachdem ich die Passage selbst gesehen habe, muss ich das korrigieren: Es klang nicht wie ein vergiftetes Lob, sondern wie ein Lob. Fehlinterpretation. Meine. Hmm. Außerdem heißt Heuer-Umlauf Heufer-Umlauf. Grr.)
Zusammengefasst: Der Fernsehpreis ist eine Frage der Erwartungshaltung. Wer auf Gags, Gefrotzel, wegbekommenes Fett und heiligen Unernst steht, von Norbert Blüm eine würdige Rede über einen deutschen Fernsehentertainer zu erwarten in der Lage ist und sich schon bei den bisherigen Fernsehpreisverleihungen köstlich amüsiert hat, der kann heute Abend getrost um 20.15 Uhr das ZDF einschalten. Alle anderen sollten es lassen. (Update 23:10 Uhr: Der Absatz stimmt so.)
####LINKS####
+++ Auch dapd schickte einen Bericht über den Deutschen Fernsehpreis über die Ticker, da war die Nachricht von der Insolvenz der Nachrichtenagentur, die doch gerade noch dpa Konkurrenz machen wollte, erst ein paar Stunden alt. (Erste Texte dazu standen u.a. hier oder hier.) Kurzfassung: dapd wollte groß werden, Finanzinvestoren, Zuschussgeschäft, Anwerbung zahlreicher Journalisten, dpa angreifen, Expansion, wichtig für Demokratie, Vielfalt, hurra. Jetzt irgendwie doch keinen Bock mehr. 299 Mitarbeiter betroffen.
Zwei Tage nach der Meldung und einen Tag nach dem Feiertag ist die Insolvenz heute auch in den Zeitungen angekommen. Die taz, die sich vom gesamten Hergang gleich zweimal an "gescheiterte Sozialismusversuche" erinnert fühlt, wählt einen Dagobertismus zur Beschreibung der Lage: "Die Finanzinvestoren Martin Vorderwülbecke und Peter Löw haben den Geldspeicher verriegelt." Während die SZ, bildlich wahrscheinlich näher dran, vom zugedrehten "Geldhahn" schreibt.
In ihr, der SZ (S. 29, ergänzender Kommentar dazu auch online), steht ein informierter Text zur Geschichte der Agentur und zur Einordnung ihrer Eigner ("die bekennenden Katholiken" / "Nachrichten-Mäzene" / "Turbo-Manager" / "Kapitalkatholiken" / "strategische Zukäufe und eine aggressive Preispolitik" / "mit allen Wassern gewaschene Manager"). Zu den Gründen für die Insolvenz heißt es hier:
"Auf der Betriebsversammlung sprach Vorderwülbecke über die Gründe, aus denen der aggressive dapd-Kurs aus seiner Sicht bislang nicht aufgegangen ist. Er stellte dapd als Einzelkämpfer gegen Monopolisten dar – in Frankreich und Deutschland umzingelt von Konkurrenz und unfairem Wettbewerb ausgesetzt. In Deutschland kämpft dapd vor allem gegen dpa. Die dpa sei, so sieht es Vorderwülbecke, etwa mit den öffentlich-rechtlichen Sendern als Kunden so stark am Markt platziert, dass Konkurrenten keine Chance hätten. "
Diese, die offiziellen Gründe, zitiert auch die Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung, die schreibt: "Wieder einmal haben Finanzinvestoren der auf nachhaltiges Wirtschaften angelegten Medienbranche kein Glück gebracht", und die am genauesten aufschlüsselt, welche dapd-Gesellschaften betroffen sind und welche nicht.
Eine zentrale Frage, die heute behandelt wird, lautet, ob man den Schwarzen Peter, wie die Eigner es gerne hätten, weitergeben muss oder ihnen nicht besser selbst zustecken sollte. Mancher tendiert zu letzterem:
"Bisher hatten die Investoren nach eigenen Angaben das traditionell nicht renditeträchtige Nachrichtengeschäft der Holding mit einer Million Euro monatlich unterstützt. 'Sie hatten einfach keinen Bock mehr', hieß es verbittert aus der dapd-Führungsriege",
schreibt der Tagesspiegel. Die taz kommentiert, dapd sei für die Investoren letztlich nur "ein Spielzeug" gewesen. Und Meedia fragt, mindestens halb rhetorisch: Ist dapd
"(e)in modernes Medienunternehmen, das nur von den etablierten Seilschaften ausgebremst wird? So ungefähr scheinen es die Eigentümer zu sehen. Oder eine zu schnell zu groß gewordene, überzüchtete Agentur, deren Eigner die Gesetze der Branche außer Kraft setzen wollten und sich in der Dosierung ihrer Wachstumshormone massiv verkalkuliert haben?"
Claudia Tieschky und Katharina Riehl entwickeln in der SZ aber noch eine dritte Frage – nämlich, ob die Insolvenz vielleicht Teil eines Masterplans sei:
"Ist auch der Exit Teil eines Business-Plans? Kalkuliert man womöglich, mit dem bewussten Gang in die Insolvenz eine harte Restrukturierung zu erzielen, nach der man neu durchstarten kann, etwa mit einem neuen Ko-Investor?"
Noch etwas genauer steht diese dritte entscheidende Frage in der FTD:
"Wurden sie wirklich von Mächten aus Politik und Wirtschaft ausgebremst, wie Vorderwülbecke es nahelegt? Oder haben er und Löw sich schlicht verzockt und sind ihrer Hybris zum Opfer gefallen? Oder wollen sie die Insolvenz gar nutzen, um sich mit diesem Kniff von strukturellen Altlasten zu befreien – und dann ganz neu angreifen?"
Manchmal sind die richtigen Fragen ja besser als Antworten.
+++ Der Presserat wird von Brand Eins gerügt und gibt eine Unterlassungserklärung ab (Meedia): Während der Rat den Eindruck erweckt habe, eine Beilage im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, die die "Trennung von Werbung und Redaktion" verletzt habe, stamme von der Magazinredaktion, kommt sie wohl eigentlich von der Verlagstochter Brand Eins Wissen GmbH & Co. KG, wie "nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat" zu lesen gewesen sei. Leser mit intimen Kenntnissen der Brand-Eins-Strukturen dürften also keinerlei Probleme gehabt haben, zwischen redaktionellem Inhalt und Corporate Publishing zu unterscheiden +++
+++ Dirk Bachs Auftritt bei "neo Paradise", aufgezeichnet am 27. September, einige Tage vor seinem Tod, soll heute wie geplant bei ZDF neo ausgestrahlt werden, vorberichtet DWDL +++ Ein weiterer, aber ein schöner persönlicher Nachruf auf Dirk Bach, von Heike-Melba Fendel, steht heute auch gedruckt in der FAZ +++
+++ Doris Heinze erwartet ihr Urteil am Montag, und die Hamburger Staatsanwaltschaft hat am Dienstag eine dreijährige Haftstrafe wegen Bestechlichkeit und schwerer Untreue gefordert (BLZ/FR, FAZ, taz) +++
+++ Die Zeit kommentiert das "Tagesschau-App"-Urteil (S. 39; siehe Altpapier vom Freitag): "Frieden herrscht noch lange nicht. Womöglich geht der Konflikt durch die Instanzen. Klüger wäre es da, Intendanten und Verleger setzten sich erneut zusammen und sprächen diesmal in bescheideneren Tönen miteinander, um die Zukunft gemeinsam im Netz zu gestalten. ARD und ZDF täten gut daran" +++ Sie ruft Dirk Bach nach: "Das Hohnlachen des Privatfernsehen über die eigenen Stoffe und Zuschauer, es klang so lebensfroh und mit sich selbst im Reinen, wenn es aus dem Bauch von Dirk Bach stieg!" (S. 52) +++ Und Moritz von Uslar porträtiert den Fernsehproduzenten Oliver Berben und zitiert ihn mit, nur mal als Beispiel, dem hier: "Das ist nicht gut, das ist Fernsehsuppe." / "Ich finde es gut, wenn Musik nicht kommentiert, sondern gegen die Bilder arbeitet. Das wirkt modern." / "Bitte: weniger Drama!" / "Wir brauchen atonale Klänge, nicht diese Melodie-Zumüllung" +++
+++ Detlef Esslinger wundert sich in der SZ über Sky-Fußballkommentator Fritz von Thurn und Taxis: "Kommt der Ball direkt auf den Torwart von Bate Borissow, Gorbunow, so ruft er: 'Der Ball kommt direkt auf Gorbunow!' Läuft der Bayern-Spieler Luiz Gustavo durchs Bild, sagt er: 'Das ist Luiz Gustavo!' Und wenn er tatsächlich mal etwas sieht, dann sind es Dinge, die wirklich nur er sieht" +++
Das Altpapier stapelt sich am Freitag wieder.