Die beiden Gesichter des geistigen Eigentums in Deutschland. Außerdem: Der Blick von außen auf das Innen – Hetz-Video, Bulgarien, Korruption, Bayern München. Und die weite Welt der Fernsehkritik
Bei diesem Anti-Islam-Video, da geht es doch um Bilder, also warum nicht mal einen Bildwissenschaftler dazu befragen. Die SZ (Seite 11) hat den renommierten Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp interviewt. Der findet:
"Was ich in dem Trailer gesehen habe, könnte ein böswilliger und unkundiger Betrachter auch so interpretieren: Zu sehen ist ein islamischer Film, der die Kläglichkeit der antiislamischen Propaganda paradox überspitzt."
Allerdings geht's bei den Auswirkungen, die dem Video zugeschrieben werden, wohl nicht so sehr um die Bilder als eine Art Virus, von dem infiziert wird, wer sie geschaut, also um das Gesehen-Haben, sondern eher um Verbreitung und, äh, Vermittlung. Die Rolle der Medien, um es salopp zu sagen. Das Licht, das der Kunsthistoriker hier ins Dunkel bringt, streut sehr weit:
"Die Medien haben eine Informationspflicht, die im Prinzip unbegrenzt ist, wenn sie nicht durch die Würde des Einzelnen beschränkt werden muss. Wenn allerdings Extremisten eine Strategie der Propaganda der Tat verfolgen, bestünde die einzig angemessene Antwort darin, nicht zu berichten. Jede Form der Berichterstattung über Aktionen, die der Lehre von der Propaganda der Tat folgen, macht sich in einem schwer zu bestimmenden Grad zum Teilorgan und erfüllt so nolens volens die Intention der Täter."
Das ist im Prinzip richtig, wenn es praktisch nicht eher andersrum liefe: dass der Einzelne auf Bildern im Zusammenhang mit dem Islam eher selten vorkommt, sondern es aus hiesiger Warte immer um Massen geht, die so oder so krass drauf sind. Und sich ja auch nicht immer gefragt wird, wie groß diese Massen eigentlich sind, worauf etwa Harald Staun am Sonntag in der FAS (immer noch nicht online, siehe Altpapier vom Montag hingewiesen hatte).
Vielleicht wäre es also hilfreich, sich in den Zeiten der "Bilderweltbürgerkriege" (Titel des Bredekamp-Interviews) öfter mal Korrespondentenberichte über die eigenen Verhältnisse zu schreiben.
In der SZ (Seite 31) schickt Klaus Brill keine guten Nachrichten aus Bulgarien, wo zwei Zeitungen, die mal der WAZ gehörten, dann einem Habsburger und zuletzt den bulgarischen Besitzern Ognjan Donew und Ljobumir Pawlow. Die soll
"Pawlow nun wurde dem Bericht von Bivol.bg zufolge vom Premierminister Borissow persönlich unter Druck gesetzt, er solle die beiden Tageszeitungen an die Neue Bulgarische Mediengruppe verkaufen, andernfalls drohe ihm Gefängnis. Schon seit Wochen werden die Verleger der Steuerhinterziehung beschuldigt, Pawlow auch der Geldwäsche."
Das klingt, wie gesagt, nicht gut, aber es liest sich einem Abstand und gewissen Bildern im Kopf. Und interessant wäre daran doch, wie man von außen über, sagen wir, Wolfgang Blaus Rede bei den Digi-Grünen schreiben könnte, in der dieser Satz mit Springer gefallen war:
"Das Leistungsschutzrecht war eine Machtprobe für den Springer-Verlag, und Springer hat gewonnen."
Im Korrespondentenbericht-Bulgarien ließen sich da bestimmt Begriffe wie Korruption, Einfluss, Demokratiegefährdung rekrutieren.
[+++] Bayern München will es sich, wenn man dem Tagesspiegel folgt, sich mit der Außensicht von Klubinnenpolitikern etwas leichter machen. Namentlich geht es um Mehmet Scholl und Oliver Kahn, die dem Verein, aber auch dem Fernsehen verbunden sind.
"Rummenigge will sich das Ganze nicht mehr lange ansehen. 'Wenn Scholls Verträge mit Fernsehen und Werbung, die hier kritisch gesehen werden, auslaufen, werden sie nicht verlängert. Basta.' Scholl trainiert die Regionalliga-Mannschaft der Münchner, die jüngst zu Hause gegen VfL Frohnlach verloren hat. Rummenigge: 'Man muss sich irgendwann entscheiden, welchen Weg man gehen will: den als Trainer oder den als Experten. Beides harmoniert nicht.'"
Wie die schlimme Medienexpertenfunktionärsteamcheflichtgestalt-Karriere von Franz Beckenbauer ja zeigt. Lohnt es sich bei so machtvollen Wirtschaftsunternehmen wie die FC Bayern München "Meinungsfreiheit" zu piepsen? Immerhin war Scholls Gomez-Satz zur EM doch eine kritische Äußerung, die durch ihren Witz sich gegen Geschimpfe, Häme oder Gehässigkeit schützte.
In der Diskussion um das anonyme Interview mit dem schwulen Fußballer auf fluter.de wird dagegen weiter der Name geschützt. Die FAZ (Seite 31) bilanziert den Stand der Dinge und geht auch auf die Rolle von 11Freunde-Chefredakteur Philipp Köster ein.
"Das verbale Pressing des Chefredakteurs Köster ist umso erstaunlicher, weil er auch noch das vor Jahren eingestellte ehemalige Konkurrenzmagazin 'Rund' in den Fake-Vorwurf einreiht. 'Rund' hatte 2006 in einer Titelgeschichte zu Homosexualität im Fußball unter anderem mit drei schwulen Spielern gesprochen. Die Namen waren – anders als beim 'Fluter' – den Redaktionskollegen der Autoren Oliver Lück und Rainer Schäfer bekannt, was Köster wissen müsste. Ein Fake-Vorwurf gegen den alten Rivalen kommt deshalb einer Leichenfledderei gleich."
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Nun fordert (Altpapier von gestern) Köster im Stile eines gnadenlos-brutalstaufklärenden Politikers "Klarheit jetzt!", dass man nicht mehr ganz sicher sein kann, worum es den medial Beteiligten bei der ganzen Geschichte (Homosexualität im Fußball) geht.
[+++] Wofür es gut ist, weiß man auch bei dem Spaß, für den Julia Schramms Buchveröffentlichung "Klick mich" jetzt sorgt, nicht so recht. Autorin und Verlag sind nämlich gegen eine kostenlose E-Book im Netz vorgegangen. Spiegel-Online resümiert:
"Der Verlag schaltete umgehend seine Rechtsabteilung ein und nahm Kontakt zum Betreiber des Online-Speicherdienstes auf. Mit Erfolg: Am späten Montagabend war die Datei zumindest unter der ursprünglichen Adresse nicht mehr abrufbar, stattdessen fand sich dort der folgende Hinweis: 'This file is no longer available due to a takedown request under the Digital Millennium Copyright Act by Julia Schramm Autorin der Verlagsgruppe Random House.'"
Auch eine Form des personalized Marketings, könnten man meinen. Interessanter als die Aufregung über so was ist die kurze Geschichte des vertrackten Urheberrechts in Deutschland, die Wolfgang Michal auf Carta aufgeschrieben hat:
"Der ursprüngliche Begriff des geistigen Eigentums meinte also nicht das Eigentum im landläufigen Sinn (wie das Sacheigentum) – er zielte vielmehr auf die Idee einer exklusiven und übertragbaren Berechtigung. Das heißt: Schöpfer und Werk werden nach der Geburt erst einmal getrennt. Der Schöpfer hat lediglich die exklusive Berechtigung, das Werk zu verwerten! Er kann diese Berechtigung auch an Dritte übertragen. Damit steht das selbstständige, vom Schöpfer abgenabelte geistige Eigentum als handelbares Gut im Zentrum der juristischen Überlegungen, nicht der Besitzanspruch des Schöpfers."
ALTPAPIERKORB
+++ Julia Schramms Salat – Pirat predigen, Random House saufen – könnte vielleicht ein Thema für die nächste Folge der beliebten "Ich habe verstanden"-Kolumne des Fernsehkritikers Matthias Kalle im Tagesspiegel werden. Dem scheinen offenbar die Themen auszugeben, weshalb er aktuell darüber schreibt, dass er eigentlich über nichts schreiben kann: "Aber wenn ich dann doch mal eine Meinung habe – zum Beispiel zu Klaus Wowereit, zur Frauenquote, zur Beschneidungsdebatte oder zu Terrence Malick – dann finde ich diese Meinung so irre unoriginell, dass ich sie lieber für mich behalte." Spaßvögel könnten sagen, es muss ja auch nicht jeder eine Kolumne schreiben oder aber, wie Kommentator holunderbusch: "Abgesehen davon habe ich zu Ihrer Kolumne keine Meinung. +++ Mit Schmackes gehen dagegen die Kolumnistinnen der TAZ ans Werk. Kriegsreporterin Silke Burmester bewirbt sich für upcoming Foto-Love-Storys, die aus der Bravo-Bundeswehr-Connection resultieren könnten: "Ich freu mich schon auf Foto-Love-Storys, die dann zum Beispiel 'Heiße Liebe in Kabul' heißen. Folgen wie 'Geheime Küsse unter der Burka' oder 'Die Splitterbombe - kann Tamara Till auch ohne Bein lieben?' würde ich am liebsten selbst schreiben. Schade, schade sprach die Made und gibt zurück nach Berlin!" +++ Und Margarete Stokowski ordert nach der erfolgreichen Zusendung eines neuen Vibrators weitere Aufmerksamkeiten aus der Wirtschaft per Kolumne: "Wenn es Schwarz und Chrom gibt, dann lieber Schwarz. Und für drinnen neue Fußmatten." +++
+++ Alex Rühle ist in der SZ von dem Film "Mittlere Reife" (ARD, 20.15 Uhr) jetzt nicht so begeistert. "Du, ARD, es gibt doch wirklich tolle Schulfilme, Die Klasse zum Beispiel, warum macht Ihr denn dann solchen bemühten, unglaubwürdigen Krampf? Und du, Hessischer Rundfunk! Klar, jeder sollte in seinem Tempo Drehbücher entwickeln dürfen, und wir wollen auch keine schlechten Noten verteilen, aber warum muss denn das Ganze so wirken, als würde ein Volkshochschulkurs Streetcredibility üben oder als hätte das Schulamt Hessen, Unterabteilung für Reformpädagogische Impulse, gesagt, Mensch, die beim HR, die könnten uns doch mal einen flotten Plot entwickeln für die drängenden Fragen in Sachen pädagogische Strukturreformen." +++ Heike Hupertz in der FAZ (Seite 31) meint dagegen: "Ariela Bogenbergers ('In aller Stille') Buch beschreibt den alten, immer neuen Konflikt zwischen Lehrenden und Lernenden, Erwachsenen und Heranwachsenden auf plausible Weise. Der Regisseur Martin Enlen macht daraus ein lebendiges und engagiert optimistisches Stück, das einmal nicht die schlimmen Zustände und Versäumnisse an deutschen Schulen in den Mittelpunkt stellt, wie etwa in 'Guten Morgen, Herr Grothe' oder 'Ihr könnt euch niemals sicher sein', sondern durch die Schilderung dieser Zustände hindurch Aufbruchsstimmung erzeugen möchte." +++ Thomas Gehringer im Tagesspiegel hält die Mitte, auch was die Verlängerung der Aufbruchsstimmung aus dem Fernsehen in das Internet betrifft: "Über die Web-Adresse www.schueler-machen-schule.de, die auf einen zurzeit noch dünn besiedelten HR-Blog führt, sollen Schüler und Erwachsene nun 'ihre Vision einer besseren Schule diskutieren', wie der Sender mitteilt. Nicht gerade ein revolutionärer Ansatz in der neuen Medienwelt, aber es hat schon weniger ambitionierte Fernsehprojekte gegeben." +++
+++ Apropos Mitte: Wieder weniger Konsens, Band-Reunion und Tour - großes Johnny-Haeusler-Portrait in der TAZ. +++ Und Thomas Schuler portraitiert noch mal Bertelsmanns Aufgaben in der Berlin-Frankfurter. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.