T wie Taa-taa

T wie Taa-taa

Die Tagesschau-Melodie wird nur überarbeitet, nicht ersetzt: Was man aus der dazugehörigen Aufregung über den Journalismus erfahren kann. Außerdem: Bertelsmann und Büchersendungen.

Autovervollständigungsgeschichten sind der heiße Scheiß der Stunde. Die Berliner hat über die gestern schon getätigten Versuche via BBC noch internationale Erhebungen beigebracht. Die liefern mitunter aber erwartbare Ergebnisse: Dass bei F Facebook souffliert wird, ist dann in England, USA, Indien, Nigeria und Hongkong gleich.

Wie belastbar solche Auskünfte sind, bleibt offen. Jonas Nonnenmann schränkt nämlich zugleich ein:

"Trotz der BBC-Untersuchung ist es möglich, dass Google-Nutzer auf ihrem PC ganz andere Suchvorschläge sehen wie in dem Test. Das hängt damit zusammen, dass persönliche Faktoren mit einfließen."

Heißt: Wenn bei uns "Tagesschau" erst bei "Ta" und nicht schon bei "T" vorgeschlagen wird, sagt das am Ende mehr über unsere Ignoranz als die Relevanz der Nachrichtensendung.

Die lässt sich laut Michael Hanfeld in der FAZ anders bestimmen:

"Wenn die Macher der 'Tagesschau' sich der Bedeutung ihrer Nachrichtensendung vergewissern wollen, müssen sie nur eine Kleinigkeit ändern und – auf die Reaktion warten."

Die Sau, die gestern durch das Dorf getrieben wurde, kam aus Springers heißem Stall ("ARD entsorgt Tagessschau-Melodie") und nahm via Agentur ihren Lauf, wie Bildblog illustriert. Dort wird recht hübsch vermerkt, wie das Dementi wirkte (Melodie wird nicht von Hans Zimmer ersetzt, sondern nur von einem Mitarbeiter überarbeitet):

"dapd tickerte daraufhin, die ARD habe 'Berichte über eine neue ‘Tagesschau’-Melodie zurückgewiesen', wälzte die Schuld an diesen Berichten aber relativ souverän auf 'Bild' allein ab."

Wo der alte Fahrensmann gewissen Aufregungen des Betriebs skeptisch gegenüber steht, liest sich der Trubel lässig:

"Zahlreiche Medienticker der Republik wittern Gefahr. Will die ARD die Erkennungsmelodie der 'Tagesschau' abschaffen? Ein Anruf in Hamburg sorgt für etwas Entspannung."

Die alte Schule, ein Anruf in Hamburg, während die Medienticker heißlaufen, hinter denen niemand mehr sitzt, der zu sich Ich sagen könnte – so fängt Hanfelds FAZ-Text online an.

Warum es dazu aber überhaupt kommen konnte, also ob "Bild" wirklich so doof ist, Dr. Kai Gniffke falsch zu verstehen, oder nur so tut, um sich und in die Tagesschau ins Gespräch zu bringen – das würde man bei Gelegenheit doch gern noch mal wissen.

Immerhin öffnet die Aufregung den Blick ins Gehäuse des journalistischen Betriebs, der für das Jetzt und nicht die Ewigkeit schreibt. Joachim Hubers Verabschiedung der Nachkriegszeit im Tagesspiegel ist ein Interpretationsansatz, der nur betört hätte, wenn die Melodie ersetzt worden wäre.

"So angekündigt, hatten Dagmar Berghoff und Judith Rakers immer was von Lili Marleen. Jetzt muss auch in der 'Tagesschau' Weltkrieg Zwo kapitulieren. Willkommen in der neuen Zeit."

Produziert werden auch musiktheoretische Darlegungen. Highlight: Helmut Maurós Ausführungen in der Süddeutschen (Seite 31). Dort wird der Komponist der Tagesschau-Melodie, Hans Carste, ausführlich gewürdigt:

"Man staunt über die Welt- und Zeitläufigkeit dieses Komponisten, der, bevor es Fernsehen gab, den deutschen Kinofilm akustisch begleitete. Es war die Blütezeit des heimelig Skurrilen; Carste schrieb nicht nur Musik zum 'Schwarzen Rößl' und zum Film 'Liebe dumme Mama', sondern auch für die 'Madonna in Ketten', 'Die Unterschlagung' und die 'Sparkasse mit Likör'. Und dann aber dieser Geniestreich der Tagesschau-Melodie."

Wobei der konkreten musikalischen Deutung dann nicht unbedingt jeder folgen wird können:

"Er bog den Quintfall einfach um in einen Quartsprung - beide Male wird ja vom d aus das g erreicht, einmal das untere, einmal das obere. Damit suggeriert Carste, dass in dem abschließenden Quintfall ebenso ein optimistischer Sprung nach oben enthalten ist. Ausgangs- und Zielton sind ja in beiden Fällen im Prinzip gleich. Und so bekommt diese Melodie eine unerwartet tröstliche Botschaft: Es geht zwar bergab, aber doch auch bergauf."

Noch weiter ausgreifen lässt den Hengst der Deutung Thomas Winkler in der TAZ, der die Melodie in unseren Augen aber anschaulicher transkribiert ("taa-taa ta-ta-ta-taaa") als gemeinhin verbreitet ("ta-ta ta-ta-ta-taa").

Über den mutmaßlichen Überarbeiter Henning Lohner heißt es da nach dem Hinweis, dass er bei Iannis Xenakis und Karlheinz Stockhausen in die Lehre gegegangen sei:

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"Wahrscheinlich ist er der richtige Mann, die berühmtesten elf Sekunden des deutschen Fernsehens zu modernisieren und doch ihren Charakter zu erhalten. Er wird ein Arrangement finden müssen, das den Hörer aus einer zusehends verwirrenden Gegenwart abholt, ohne deren Komplexität zu verleugnen. Er muss ein Klangbild entwerfen, das im globalen Dorf zu Hause ist, ohne dessen immer noch vorhandene Weitläufigkeit zu negieren."

Wir wünschen gutes Gelingen, sounds like a Herkulesaufgabe. Schön ist auch folgende Passage bei Winkler:

"Carste war NSDAP-Mitglied. Das aber ist nicht der Grund, warum die Melodie, die den Deutschen mehr als ein halbes Jahrhundert ihr liebstes Nachrichtenformat einläutete, nun abgelöst werden soll."

Marcus Bäcker schreibt in der Berliner (wo Überschrift und Vorspann noch nach der "Bild"-Ente klingen), dass sich, wie schon bei Til Schweigers merkwürdiger Tatort-Vorspann-Invektive, die ARD sehr wohl bewusst ist, worum es bei ihren markantesten Sendungen geht:

"Dass die ARD weiß, was sie an diesem tönenden Stück Tradition hat, macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass man sich auf der sendereigenen 'Tagesschau'-Homepage fast alle Versionen der Erkennungsmelodie anhören kann. So etwas macht nur, wer stolz darauf ist, dass er über ein echtes Liebhaberstück verfügt. Die Leute wollen um 20 Uhr nichts anderes hören. Soll Hans Zimmer doch in Hollywood bleiben und mit seiner Musik die Blockbuster beschallen."

Und als ob diese tour d'horizon durch das Heartland des Journalismus, der sich binnen kurzer Zeit überzeugende Texte zu divergierenden Meldungen aus den Fingern saugen beziehungsweise über Sachen schreiben muss, von denen die Ahnung mitunter größer sein kann als das Wissen, nicht schon ausreichte, nimmt Stefan Niggemeier die Tagesschau-Melodie-Meldung zum Anlass, sich über die Welt-Kommentatoren zu wundern, die in ihrem reflexhaften Gegenredenschimpfen schon unique sind. Rüdiger B. wird zitiert:

"Von mir aus können sie vor der Tagesschau auch gerne einen türkisch/arabischen Gesang schalten. Denn ich habe schon lange innerlich gekündigt und abgeschaltet."


ALTPAPIERKORB

+++ Steffen Grimberg geht in der TAZ die Problemzonen ab, die Bertelsmann facen muss, wo Vorstandschef Thomas Rabe heute seine Strategierede hält: "In den letzten Jahren tat sich dann aber nicht mehr so schrecklich viel in Gütersloh. Bertelsmann schrumpfte zwar nicht, konnte aber mit der internationalen Konkurrenz nicht länger mithalten. Die Position als größtes Medienhaus der Welt aus den 1990er-Jahren ist längst futsch, nur Nummer eins in Europa ist man bis heute noch. Und war zuletzt vor allem mit Sparen beschäftigt." +++ Stefan von Holtzbrinck ist das defizitäre StudiVZ los, wer immer sich auch hinter Vert Capital verbergen mag. Alexander Becker atmet auf meedia.de auf: "Am Ende ging es wohl nur noch darum, überhaupt einen Käufer ausweisen zu können, um die scheinbar endlos qualvolle Misserfolgsstory endlich abzuhaken. Darin liegt der gefühlte Gewinn: Endlich ist Stefan von Holtzbrick die immense VZ-Hypothek los." +++

+++ Der RBB versucht's mit einer neuen Büchersendung, die von der Allzweckwaffe Dieter "Bauer" Moor moderiert wird. Markus Ehrenbergs flammendes Plädoyer für die Diskussionskultur des Literarischen Quartetts (die aus einem simplen Austausch von Meinungen bestand) im Tagesspiegel liest sich schon so, als ob man beim nächsten Versuch Moors Sendung ("Ein neuer Literaturpapst wolle Dieter Moor auf gar keinen Fall sein. Dem RBB ginge es darum, Autoren, Bücher und Leser zusammenzubringen: 'Keine Literaturkritik in einem Studio über Bücher, die der Zuschauer nicht kennt.'") in die Liste der Gescheiterten aufnehmen könnte: "Wir wollen keine witzigen Autoren-Porträts in 2000 Meter Höhe. Wenn wir einen Autor noch nicht kennen, würden wir ihn zumindest versuchsweise gerne in die Galaxie Gutenberg eingeordnet bekommen." +++ Wenn's nicht um Kritik geht, könnte Dieter Moor womöglich auch ihn besuchen: Der langjährige ZDF-Intendant Dieter Stolte hat ein Erinnerungsbuch geschrieben, das Ulrike Simon fassungslos bespricht: "Das Buch liest sich wie ein sehr langes und sehr wohlwollendes Arbeitszeugnis, das sich Dieter Stolte selbst austellt. Eine Kostprobe? 'In der Systematik des Denkens und bei der Art und Weise der Problemlösung unterschied ich mich von Kollegen, die durch das Studium der Jurisprudenz oder Politologie geprägt waren." Hammer. +++ Wenn es Harald Schmidt noch gäbe, müsste Dr. Stoltes Buch da close gereadet werden. "Die Trennlinie zwischen einem relevanten Mann und demjenigen, der als ewig Gestriger im Fernsehen aus dem Reich der Untoten sendet, hat dieser Tage Harald Schmidt überschritten", schreibt allerdings die TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester aus dem Schützengraben. +++

+++ Dort liegt seit Tagen bekanntlich Bettina Wulff, bei der die Satire kaum mehr von der Realität unterschieden werden kann. In der NZZ schreibt Ruth Spitzenfeil: "In Windeseile haben die etablierten deutschen Medien insbesondere das Kapitel 'Die Gerüchte' verarbeitet, wo Wulff detailreich die pikanten Vorwürfe inklusive der angeblichen Etablissements und Künstlernamen wiederholt. Was die gescholtenen Medien einst verschämt verschwiegen hatten, können sie jetzt ungeniert wiedergeben. Bettina Wulff hat mit ihren Klagen selbst den besten Vorwand dafür geliefert. Ihrem Konto dürfte sie damit gedient haben, ihrem guten Ruf vermutlich nicht." +++ In der Berliner würdigt Ulrike Simon den Theodor-Wolff-Preis kritisch: "Rar geworden sind Beiträge, die sich mit dem beschäftigen, was Theodor Wolff zeit seines Journalistenlebens umtrieb: große, gesellschaftliche pder politische Fragen." +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.

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