Was ist am schlimmsten: die Leistungen der medaillenlosen deutschen Sportler (bis gestern 18 Uhr), die Medaillensucht der Fernsehreporter oder die Berichte der Fernsehsportbeobachter? Außerdem: Prantl, Wallraff. Und Adenauer als Rosamunde-Pilcher-Film
Das Arbeitsaufkommen bei dem beliebten Medienportal Meedia.de muss a) gerade recht gering sein und b) von einem Bekannten des Praktikanten bewältigt werden. Anders lässt sich nicht erklären, wie das da ernsthaft Meldung werden konnte – Internet hin, Traffic her:
"Humor-Attacke: Tumblr haut auf deutsche Olympioniken ein
So lacht das Web über die Olympia-Versager"
Der dooftuende, verfälschende Sound ist bei der "Blöd-Zeitung" (Paul Stoever) richtig abgehört, ebenso die nationalistische Letztbegründung, bis Montag 18 Uhr habe noch kein deutscher Sportler eine Medaille gewonnen. Also muss zu anderen Mitteln gegriffen werden:
"Jetzt fängt man im Web an, sich über das bislang peinliche Abschneiden der deutschen Sportler lustig zu machen. Vor allem das Tumblr-Blog 'Schandland' haut mit viel Spott und wenig Fingerspitzengefühl auf unsere Athleten ein."
Wahrhaft trostlos ist aber erst dieses "Tumblr-Blog 'Schandland'", das in völlig unwitzigen und sprachlich unterkomplexen Bildunterschriften ein Stammtischgenöle kurz vor der NPD performt:
"Während man sich hierzulande in Befindlichkeiten und Sensibilitäten ergeht, verbringt der Chinese die Zeit lieber schuftend im Wasser. Da braucht man sich gar nicht zu wundern…"
Andererseits führt der Spitzentipp von Meedia direkt ins Herz der Finsternis – das jämmerliche Warten auf die erste deutsche Medaille (bis gestern 18 Uhr), das sogar der DLF in seinen Morgensendungen für ein Thema hält.
Jens Weinreich, der sich in seinem Blog früh an der depressiven Versager-Rhetorik seiner Kollegen gestört hatte, beschreibt auf SpOn die Auswirkungen der Medaillenfixierung auf die Arbeit des Reporters:
"So schwärmten sie am Montagnachmittag also wieder aus, die deutschen Reporter. Auch SPIEGEL ONLINE war vor allem deswegen beim Turmspringen vertreten, weil Patrick Hausding und Sascha Klein plötzlich die erste Plakette versprachen. Sie wurden aber nur Siebter."
Stefan Sauer äußert in der Olympiaschau-Kolumne der Berliner einen kritischen Gedanken dazu, obwohl er sogar "Aufarbeitung" des "Versagens" der Schwimmer für löblich hält, sich dann aber daran stört, wie stumpf und redundant das ZDF das betreibt:
"Wir haben uns jedenfalls auf den Sonntag gefreut, die ARD war dran. Topthema am Morgen war – das Abschneiden der deutschen Schwimmer. Wie sich die Berichterstattung gestaltet, wenn es doch noch deutsche Goldmedaillen geben sollte? Nicht auszudenken."
Zeitmagazin-Chefstellvertreter Matthias Kalle, der unter den Sportgroßereignismedienbeobachtern schon beinahe zu den alten Hasen gerechnet werden muss, hat sich im Tagesspiegel am Aufarbeitungsfuror offenbar nicht so gestört, vielmehr an Tom Bartels erfreut:
"Der Mann kennt jeden, der in den vergangenen vier Jahren mal eine Badekappe aufgesetzt hat, ihm zuzuhören war ein Genuss, so wie es übrigens generell ein Genuss ist, wenn Kommentatoren über Sportarten reden, die sie lieben, von denen sie Ahnung haben. Davon kann man gar nicht genug kriegen – von deutschen Leistungsverweigerern vor hinter und neben der Kamera allerdings schon. Der Typ, der in der ARD das Telegramm vorliest, steht ab jetzt unter Beobachtung."
Der operative Vorgang läuft also, mal sehen, was bei rauskommt.
Thomas Lückerath hat auf dwdl.de einen anderen Punkt (versetztes Live-Senden), auf den zu kommen, er aber eine Weile braucht – eine Zeilenvorgabe, wie es sie früher in diesen Papierzeitungen gab, hätte dem Text womöglich gut getan.
Genauso wie ein, zwei Blicke in Wolf-Schneider-Richtigschreibenkönnen-Standardwerke; stilistisch ist das, wie wir Wolf-Schneider-von-den-Lippen-Ableser sagen, nicht das Gelbe vom Ei:
"Was ARD und ZDF aus London bieten, ist Fernsehen als wenn es kein Internet gäbe, auch wenn man kurioserweise zahlreiche Live-Streams genau dahin ausgelagert hat."
"Nicht dass da die Journalistinnen und Journalisten vor Ort einen schlechten Job machen würden" (Lückerath), aber wenn man die Fernsehsportbeschreiber bislang so verfolgt, denkt man manchmal wehmütig daran, was Autoren wie Benjamin Henrichs dem Format abgewonnen haben.
Heiter stimmt allein die FAZ, die sich über die die Versagerverdammung schon mit dem Seite-1-Bild elegant erhebt:
"Glücklicherweise muss man nicht in das apokalyptische Geheul derer einstimmen, die das weithin als Versagen beschriebene Versagen deutscher Athleten bei den Olympischen Spielen nicht nur als Versagen deutscher Athleten bei den Olympischen Spielen, sondern als Untergang Deutschlands sehen. Es kann zwar alles immer schlimmer, manches aber auch manchmal besser werden."
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Michael Hanfeld erkennt auf der FAZ-Medienseite (Seite 33) in den Fernsehreportern das größere Elend:
"Untergangsstimmung wie nach dem Halb-Finalaus der Fußballer bei der EM, den überzogenen Erwartungen folgt der überzogene Frust, den die Sportler in peinsamen Interviews am Beckenrand zu spüren bekommen. Wieso gewinnt ihr gefälligst nicht? Diesen Tenor hört man bei ARD und ZDF heraus, die Unzufriedenheit der Fernsehleute wird vor dem Bildschirm geradezu körperlich spürbar."
Und hat auch eine Erklärung parat:
"Das schlechte Karma, das die öffentlich-rechtlichen Sender verbreiten, hat aber auch einen ganz handfesten Grund: Von diesem Sportsommer mit der Fußball-EM und den Olympischen Spielen leben sie das ganze Jahr, der Rang der Deutschen im Medaillenspiegel korrespondiert direkt mit den Einschaltquoten."
[+++] And now for something completely different: Man muss doch gleich an René Pfister denken – die Voßkuhle-Dressing-Nummer von Heribert Prantl auf der SZ-Seite 3 (Altpapier vom Freitag)
Ulrike Simon weiß in der Berliner:
"Ob Prantl hingegen künftig noch auf Seite 3 des Münchner Blatts gedruckt wird, wurde in der Konferenz am Montag vom Leiter des Reportage-Ressorts, Alexander Gorkow, ernsthaft in Zweifel gezogen."
Dass Prantl etwas, das er nur aus Erzählungen kannte, ohne Hinweis darauf beschrieb, kann Simon selbst nicht recht glauben – zumindest zeugt die ungelenke Formulierung davon:
"Ein handwerkliches Vergehen, das nun auch Prantl unterlief. 'Das war ein Fehler', bekannte Prantl am Montag hörbar angefasst im Telefonat mit dieser Zeitung."
Für die TAZ hat David Denk mit Prantl telefoniert:
"'Am meisten ärgere ich mich selbst', sagte Heribert Prantl der taz – um sogleich zu relativieren, die Küchenszene sei für ihn 'nicht reportagehaft, sondern steht gleichnishaft in der Mitte des Artikels'."
Behält darüber aber einen kühlen Kopf:
"Solange journalistische Leitfiguren wie Prantl sich mit solchen Pseudodifferenzierungen rauszureden versuchen, werden vergleichbare Fälle immer wieder auftreten."
So sieht's wohl aus.
ALTPAPIERKORB
+++ Ist das schon ein vergleichbarer Fall? "Wer es je in der Realität gehört hat, dem geht es nicht mehr aus dem Ohr, wie Konrad Adenauer von den 'Soffjetts' sprach und von 'Soffjettrussland'." Schreibt Bernhard Schulz im Tagesspiegel anlässlich des Adenauer-Films (heute bei Arte, am Sonntag in der ARD). Nur was heißt hier Realität – live beim Dressingmachen im Hobbykeller oder medial vermittelt zu Lebzeiten? Angesichts von Schulzens Jahrgang (1953) scheint letzteres plausibel zu sein. +++ Den Film selbst findet Jochen Hieber in seinem langen FAZ-Text (Seite 33) lange gut ("Ein handwerklich wie ästhetisch überzeugendes, über weite Strecken faszinierendes Dokudrama"), ehe ihm am Schluss auffällt, dass Europa gar nicht vorkommt. +++ Was wohl kein Fehler ist, wie Hieber mutmaßt, sondern Absicht - in der Logik der Rosamunde-Pilcherisierung des Politikers, über die sich Franziska Augstein in der SZ (Seite 27) köstlich empört: "Die Schauspieler, die Strauß und Augstein darstellen (Bernhard Ulrich und Johannes Zirner), spielen diesen Unfug allerdings gut: Ulrichs bayerische Ungeduld ist überzeugend. Und Augstein war vor der Spiegel-Affäre, so sagen es mir Zeitgenossen, tatsächlich so schüchtern-höflich, wie Johannes Zirner ihn spielt (und wie ich ihn als Tochter nicht kannte). Komplett daneben ist aber die Vorstellung von Augstein als einem jungen Journalisten, der mit Fotoapparat gierig-devot die Treppen zu Adenauers Terrasse hinaufrennt und während der Begrüßung lauter Bildchen knipst: Augstein hat in seinem Leben niemals einen Fotoapparat, ein Tonband oder Ähnliches bedienen können." Ergo: "Dieser Film ist Futter für alle, die das Genre Doku-Drama kritisieren." +++ Bettina Gaus sieht das in der TAZ ganz ähnlich, auch wenn sie es nicht so lustvoll beschreibt: "Die Liste der sachlichen Fehler ist lang, auch die der Fehldeutungen. "Globke wird der dauernde Skandal der Regierung Adenauer.' Nein, wirklich nicht. Im Jahr 1953 wurde Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt ernannt. Zur Belastung für Adenauer wurde das erst nach der Ergreifung von Adolf Eichmann 1960. Also in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft. Auch egal? Na ja, wenn alles egal ist - wofür dann überhaupt die ganze Mühe?" +++
+++ Im Fall von Günter Wallraffs angeblichen prekären Beschäftigungsmodellen (Altpapier von gestern) werden wohl keine Ermittlungen eingeleitet, wie die TAZ schreibt. +++ Die Berliner informiert ebenfalls. +++ Und Andreas Rossmann bescheidet in der FAZ (Seite 33) kühl: "Rechtlich sauber ist das von beiden Seiten nicht, doch drängt sich der Eindruck auf, dass sich André F. erst einmal an die eigene Nase fassen sollte. Wie es aussieht, versucht er, Wallraff doppelt ausnutzen: erst dessen Hilfe, nun dessen Prominenz." +++ Was ein TAZ-Kommentar ähnlich sieht. +++
+++ SZ (Seite 27) und NZZ informieren über Paywall-Pläne bei Ringiers "Blick". Wobei die NZZ nebenher eine gewisse Innovationsführerschaft einklagt, die den Verbraucher womöglich nicht so sehr beeindrucken wird: "Die Nase vorn in Sachen 'Paywall' hat die 'Neue Zürcher Zeitung', deren neue Onlinepreispolitik bereits im September in Kraft tritt." +++ Newsroom.de meldet, was Thomas Knüwer in seinem Blog anbietet: eine Wette. "Am Ende dieses Jahres wird es die 'Financial Times Deutschland' in ihrer derzeitigen Form (als fünfmal wöchentlich erscheinende Tageszeitung) nicht mehr geben." +++ Stefan Niggemeier widmet sich im Bildblog der "Interpretationsagentur" dpa. +++
Neues Altpapier gibt es morgen wieder.