Transparenz ist schon ein durchsichtiges Manöver: Geht sie weit genug?, fragen Mitglieder des Netzwerk Recherche, das seinen Intransparenz-Preis an die Fifa vergibt. Ein SVP-Politiker hält die Laudatio, was für die angemessene Verwunderung sorgt. Außerdem: Was in der "Nachrichten"-Spalte der FAS steht, wie der neue Chefredakteur der Frankfurter Rundschau heißt, und wann "Gottschalk live" endet
Die "Verschlossene Auster", den Negativ-Preis des Journalistenvereins Netzwerk Recherche, darf sich diesmal die Fifa in die sicher sehr gläserne Pokalvitrine stellen. Die Gründe liegen nahe: Der Weltfußballverband "werde von Sepp Blatter wie von einem Diktator geführt und sei geprägt von undurchsichtigen Strukturen und Geschäftspraktiken", schreibt die FAZ.
Ein Schelm, wer die Vorlage gleich mitnimmt in die Berichterstattung über das Netzwerk Recherche selbst, und der Schelm war die taz: Der Laudator auf die Fifa habe "über die korrupten Strukturen des Vereins" aufgeklärt – "gemeint (ist) hier der Fußballverband."
Undurchsichtige Strukturen und Geschäftspraktiken – das ist auch, freilich im deutlich anderen Maßstab, ungefähr das, was der Journalistenverein sich pünktlich zu seiner Jahresgroßtagung wieder vorwerfen lassen muss. Oliver Schröm, der Vorsitzende des Journalistenvereins Netzwerk Recherche, sagte am Sonntagabend im "Medienmagazin" des RBB, die Vorwürfe, die über das Online-Medienmagazin ViSdP am Freitag, zum Auftakt der Jahreskonferenz des Netzwerks, publik wurden, seien "Blödsinn – mehr Transparenz geht nicht". Aber sie standen da halt schon wie Stolpersteine im Raum herum.
Vor einem Jahr war die Jahreskonferenz zur Bühne eines Schauspiels geworden, wie es die Linkspartei nur unwesentlich besser hinbekäme. In dessen Rahmen wurde der langjährige Vorsitzende, Thomas Leif, "vom Hof" gejagt (ViSdP), vulgo: trat nicht mehr an. Es ging um zu Unrecht bezogene Fördergelder; Leif wurde dafür letztlich allein verantwortlich gemacht. ViSdP stellte nun unter Berufung auf eine interne Mail der ehemaligen Schatzmeisterin u.a. die Frage in den Raum, ob der Restvorstand nicht doch schon 2009 von den Unregelmäßigkeiten gewusst habe. "Fragen nach dem damaligen Wissensstand der übrigen Vorstandsmitglieder bleiben", schreibt die auch bei diesem Thema pluralistische, aber tendenziell doch netzwerkskeptische FAZ heute.
Andererseits: Es raunt ziemlich im ViSdP-Text – eine zweite Quelle wäre nicht schlecht. Zumal es ja der Vorstand selbst war, der 2011 die Unregelmäßigkeiten letztlich publik gemacht hatte. Spiegel-Redakteur Markus Grill, vor einem Jahr Mitglied des Vorstands, heute einer der Vorsitzenden, wird vom Tagesspiegel zitiert:
"Wenn der Verfasser der Mail etwas gewusst hat, ist das seine Sache. Wir wussten es nicht."
Es gibt darüber hinaus aber weitere Kritik, die wiederum ViSdP und auch Meedia zugespielt wurde. Es seien demnach Fragen eines Mitglieds vom Vorstand nicht beantwortet worden, was erneut zum Vorwurf der doch eigentlich bekämpften Intransparenz führt. ViSdP schreibt von "fingierte(n) Rechnungen, Pro-Forma-Honorarnoten und umgeleitete(n) Spenden", es geht also um angebliche Tricksereien bei der Akquise von Sponsoren. Die taz schreibt über die Mutmaßung, es werde wegen der vorgebrachten Kritikpunkte bei der Mitgliederversammlung heiß hergehen, allerdings, von wegen heiß her:
"Auf der Mitgliederversammlung am Freitag war das (...) nur am Rande ein Thema, die neuen Vorsitzenden Oliver Schröm (Stern) und Markus Grill (Spiegel) waren sichtlich um Normalität bemüht. Das Motto: Die Krise ist vorbei, auch wenn der Staatsanwalt ermittelt."
Wann die sog. Krise vorbei ist, wird allerdings nicht im Vorstand entschieden. Der Tagesspiegel hat dazu Markus Grill befragt und gehört: Gegen die "Behauptung aus 'V. i. S. d. P.', es habe fingierte Honorare von Bildungseinrichtungen gegeben, will Grill eine Gegendarstellung erwirken". Eine Gegendarstellung würde freilich nur bedeuten, dass die Vorwürfe nicht wasserdicht sind. Widerlegt wären sie damit nicht. Eine konkrete Stellungnahme, etwa auf der Vereins-Website, steht, so kurz nach der Jahrestagung, noch aus.
Immerhin: Auf eine einfache Nachfrage via Twitter hin wurde transparent, dass der Verein seine Satzung geändert habe. Wie genau, werde demnächst auf der Vereins-Website nachlesbar sein. Die alte Satzung sah vor, dass der erste und zweite Vorsitzende "einzeln vertretungsberechtigt" sind. Ein Zwei-Augen-Prinzip also, mit dem das Schlamassel um Unregelmäßigkeiten und unklare Kontrollzuständigkeiten seinen Anfang nahm.
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Im Herbst, bevor der neue Vorstand seine Arbeit aufnahm (siehe auch Altpapier), war die Rede davon gewesen, der Vorstand könnte etwa auf drei Mitglieder erweitert werden, die dann einstimmig oder – wahrscheinlicher – mehrheitlich entscheiden könnten. Man wird in der nahen Zukunft sehen, was in der nahen Vergangenheit geschehen ist. So gesehen geht mehr Transparenz natürlich doch immer. Wären die Vorgänge transparent im Wortsinn, würde man sie ja schon kennen.
[+++] Um aber nochmal auf die Verleihung der "Verschlossenen Auster" an die Fifa zurückzukommen: Der Laudator war Roland Rino Büchel – was etwa das Neue Deutschland, die taz und Publikative einordnen. Das ND:
"Im Programm wurde der ehemalige FIFA-Marketing-Manager als Schweizer Nationalrat angekündigt. Weiter hinten bei den Personalien war zu lesen, dass er für die fremdenfeindliche Schweizerische Volkspartei (SVP) im Nationalrat der Schweiz sitzt."
In der "Konferenzzeitung, die sich selbstgewiss Nestbeschmutzer nennt und Büchels Rede dokumentiert", fehle der Hinweis darauf, schreibt die taz – und ebenso eine Passage, in der sich Büchel über das schlechte (Schweizer-)Deutsch eines Mannes namens "Slobodan" lustig gemacht habe.
Publikative bemerkt, dass bei der Tagung in diversen Workshops "über hintergründige Recherche zur extremen Rechten" diskutiert worden sei – und findet ein Podium für Büchel schon deshalb unpassend:
"Nun könnte man einwenden, Büchel sei als Fifa-Experte aufgetreten, seine rechtspopulistische Partei spiele keine Rolle. Für Referenten bei dem NR-Treffen, die fehlende Aufmerksamkeit gegenüber rassistischen Einstellungen in Politik, Medien und Gesellschaft kritisieren, bleibt jedoch ein fader Beigeschmack. Für die Journalistenvereinigung leider ein wenig ruhmreicher Vorgang."
[+++] Fußball spielt auch jenseits der Texte über das Netzwerk Recherche eine Rolle auf den Medienseiten: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nimmt sich, fünf Tage vor Beginn der Europameisterschaft der Männer, der Kontrolle der ausrichtenden Uefa über die im Fernsehen gezeigten Bilder an. Es gebe zwar eigene Kameras von ARD und ZDF, aber "ein internationales Bild zu korrigieren (...) sei", wird Dieter Gruschwitz, Sportchef des ZDF zitiert,
"nicht nur finanziell zu aufwendig, sondern auch dramaturgisch kaum zu organisieren, weil die Regisseure der deutschen Sender nie wüssten, wie der internationale Regisseur schneidet. Wenn man einmal das Weltbild verlasse, sei es schwierig, optisch sauber zurückzukommen."
Und beim Stichwort FAS blättert der historisch bewanderte Leser freilich auch auf die Feuilleton-1 in die Rubrik "Nachrichten". Nach der Günter-Grass-Glosse vom vergangenen Sonntag, die in der Printversion wie ein Nachrichtentext wirkte (siehe Altpapier), sind dort diesmal wahrscheinlich tatsächlich "Nachrichten" zu lesen. Sowie ein kurzer Nachtrag: Das Grass-Gedicht in der Süddeutschen sei doch von Grass selbst und nicht von der Titanic gewesen: "Wir bitten die entstandene Verwirrung zu entschuldigen."
Dass der ehemalige FAS-Autor Stefan Niggemeier in seiner Spiegel-Kolumne (S. 147) den FAS-Redakteur Volker Weidermann verteidigt, mag irgendwie auch alter Verbundenheit geschuldet sein, hat aber seine Berechtigung:
"Würden die Leser das neue Grass-Gedicht so bekloppt finden, dass sie es auch für eine Persiflage der 'Titanic' halten könnten? Nur unter dieser Voraussetzung konnte man eigentlich auf Weidermanns Ironie hereinfallen",
schreibt er. Aber die Argumentation richtet den Blick auch auf Matthias Matusseks Spiegel-Text (S. 136f.) über u.a. die Piratenpartei: "Interessanterweise wurde der Urhebergedanke auch während der Nazi-Zeit stark abgewertet", heißt es darin, usw. Kann man den Text so bekloppt finden, dass man ihn auch für eine Persiflage halten könnte? Kann man. Könnte man.
+++ In Sachen Vorkötter/Berliner Zeitung (siehe Altpapier vom Freitag): Der Spiegel berichtet über die Folgen eines Mathias-Döpfner-Interviews für die Berliner Zeitung +++ In der SZ stand das am Samstag: "Wie man hört, soll der Verleger seit der kritischen Berichterstattung des Springer-Blattes Bild über seinen ausgesprochen eigenwilligen Sohn und früheren Kronprinzen Konstantin Neven DuMont eine ausgeprägte Springer-Abneigung pflegen. Dass sein Erster Journalist ausgerechnet den Springer-Boss nur ein Jahr nach den Vorfällen zum großen Interview lädt, soll DuMont-Senior persönlich genommen haben" +++ Der neue Frankfurter-Rundschau-Chef ist nun auch bekannt: Arnd Festerling aus dem eigenen Haus (siehe Fr-online) +++
+++ Niu-hu-huuus: "Gottschalk Live" endet schon an diesem Mittwoch statt, wie geplant, am Donnerstag (Bild am Sonntag, Update: Die Information stand schon am Freitag in Bild), "die ARD-Programmdirektion entschloss sich kurzfristig, stattdessen aus dem Quartier der Fußballnationalmannschaft zu berichten". Diese EM kommt aber auch überraschend +++
+++ Die gewohnte Ration Piratenpartei kommt, außer von Matussek, diesmal via Carta; dort steht ein Vorabdruck aus dem "Jahrbuch Fernsehen": ein Interview Lutz Hachmeisters mit Edmund Stoiber +++ Die gewohnte Ration Urheberrecht kommt, außer von Matussek, von Heribert Prantl, der in der Samstags-SZ, mit dem gewohnten Blick auf die Pressegeschichte, schrieb, wer für ein starkes Urheberrecht sei, sei deshalb noch lange nicht für ein Leistungsschutzrecht: "Wenn das geistige Eigentum konsequent geschützt wird und geschützt bleibt, kann man auf ein zusätzliches Leistungsschutzrecht verzichten. Das geistige Eigentum an Zeitungsartikeln beginnt jenseits der bloßen Information. Wer auf geschütztes journalistisches Eigentum eigene Geschäftsmodelle aufbaut, ist daher kostenpflichtig und muss kostenpflichtig bleiben. Die digitale Publizierung eines Textes ist genauso wenig eine Einwilligung in dessen beliebige Weiterverwertung wie eine analoge Veröffentlichung. Der Journalismus, ob digital oder analog, bleibt auf den Schutz des journalistischen Eigentums angewiesen, weil dessen Entwertung zu seiner Verflachung führen würde. Der beste Leistungsschutz für Zeitungsverlage ist daher ein guter Urheberrechtsschutz für die Autoren. Wer die Informationsfreiheit verteidigen will, darf das Leistungsschutzrecht ablehnen. Das Urheberrecht muss er verteidigen, weil es den kenntnisreichen und geistreichen Umgang mit Information schützt" +++ Darauf reagierte Christoph Keese, Lobbyist des Axel-Springer-Verlags: "Verstimmung gesteht Prantl seiner Branche zu. Nicht einverstanden ist er aber mit dem Weg, wie Abhilfe geschaffen werden soll. Damit kritisiert er auch seinen eigenen Verlag, der sich entschieden für ein Leistungsschutzrecht einsetzt" – was eine interessante Formulierung ist: Man nennt das Trennung von Verlag und Redaktion, und sie ist eigentlich nur der Rede wert, wenn sie aufgehoben, nicht wenn sie eigehalten wird; er dagegen scheint sie hier, wenn ich das recht verstehe, als Argument gegen Prantl benutzen zu wollen. Eines seiner Argumente: "Wenn man die Rechte der Autoren behält und weiter ausbaut, den Verlagen aber einen eigenen Schutz versagt, dann zwingt man sie dazu, ihren eigenen Rechtsschutz auf Kosten der Autoren zu verbessern" +++ Keeses Verlag verlor vor Gericht nach dessen Tod gegen Gunter Sachs +++ Und die Messe bzgl. Axel Springers Testament ist womöglich doch noch nicht gelesen (Spiegel) +++
+++ Der Spiegel schreibt über den sinkenden Stern von Dieter Bohlen: Die Quoten von "DSDS" sänken, Bohlen gelte aber bei RTL auch als schwierig und unkollegial, und dann ist noch irgendwas mit einer Unterhaltszahlung. Interessant ist, dass Bohlen seitens RTL zu einem Zeitpunkt auch aus persönlichen Gründen in die Kritik gerät, in dem die Quoten sich verschlechtern – als ob das eine mit dem anderen zusammenhängen müsste +++ Ebenfalls ein Quotenspektakel: die Abstimmung der Facebook-Nutzer über die Nutzungsbedingungen, über die etwa die SZ-Medienseite berichtet: "Seit vergangenem Freitag und bis 8. Juni können Facebook-Nutzer auf der Seite The Facebook Site Governance Vote jeweils zwischen einer alten und einer neuen Version 'der Dokumente zur Regelung der Nutzung der Facebook-Webseite' wählen. Sich an das Ergebnis halten will das Unternehmen aber nur, wenn sich 30 Prozent der Nutzer an der Abstimmung beteiligen" – kleineres Demokratiedefizit: "Die Ankündigung der Abstimmung findet sich zwar im Facebook-Blog – den einzelnen Nutzer informiert hat das soziale Netzwerk aber nicht". Dazu gibt es auch einen Kommentar +++
+++ Ebd.: Phoenix verliert mit Christoph Minhoff, ZDF, neben Michael Hirz, WDR, einer der Programmgeschäftsführer, einen Teil seines Führungsteams. Und das in einer Phase, in der es um folgende Fragen gehe: "Wird der Sender gestärkt oder von ARD und ZDF zur Abwicklung freigegeben? Als Tribut an die Forderung nach Rückbau eines aufgeblähten deutschen Gebührenrundfunks, der 22 Sender plus Internetauftritte betreibt, darunter sechs digitale Spartenkanäle?" +++ Und: Einem Haaretz-Reporter droht eine Gefängnisstrafe wegen Veröffentlichung geheimer Militärdokumente +++
+++ Im Fernsehen läuft "Das Leben ist kein Heimspiel" von Rouven Rech und Frank Marten Pfeiffer über die TSG Hoffenheim (ZDF, 23.55 Uhr), SZ und taz gefällt das +++ Desweiteren: "Die Jagd nach dem weißen Gold" (ZDF, 20.15 Uhr), lau FAZ ein Afrika-Film zum Nichteinschalten: "Traumschiff-Kulisse, Rosamunde-Pilcher-Dialoge plus moralischer Anspruch" +++ Und der Dokumentarfilmer Klaus Stern entlarvt einen "Versicherungsvertreter" (ARD, 22.45 Uhr), siehe Tagesspiegel und taz-Interview +++ Und es gibt diverse "Günter Jauch"-Kritiken (Thema: Betreuungsgeld). Siehe spiegel.de, berliner-zeitung.de, sz.de +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.