Monika Piel steht als ARD-Vorsitzende vor der Wiederwahl und in der Kritik, die Telekom verabschiedet sich von eigenen Fußballübertragungen. Und dann wären da noch die heißen Themen des Wochenendes: ein Grass-Gedicht und welche Irritationen es diesmal auslöst. Sowie der Eurovision Song Contest und seine Zukunft.
Die alten Griechen, oder waren es die Piraten?, sagen: Si tacuisses, philosophus mansisses. Heute gibt es daher hier den Versuch, keine Meinungen auszudrücken, zumindest keine schlechten.
Beginnen wir bei den Nachbetrachtungen zu diesem überschätzten Fernsehereignis zum Eurovision Song Contest, wobei sich die im Vergleich mit den Vorjahren niedrigere Zuschauerquote in der geringeren Nachbetrachtungsdichte spiegelt: Platz 8 für den deutschen Teilnehmer und ein Song auf Platz 1, der einen an seinen Ohren zweifeln lässt als absolut radiotauglich beschrieben wird. Anke Engelke, die Deutschlands Punkte durchgab, taucht in diversen Texten prominenter auf als der deutsche Teilnehmer Roman Lob – weil sie, zusammengefasst, die Spannung, unpolitisch in einem politischen Kontext agieren zu müssen, aufzulösen verstanden habe.
"Es ist bezeichnend, dass ein paar verschlüsselte Worte der deutschen Jurorin Anke Engelke schon als großer Befreiungsschlag bejubelt wurden. 'Es ist gut, wählen zu dürfen. Es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf deiner Reise, Aserbaidschan. Europa beobachtet dich', lauteten ihre Worte, die sie von der Reeperbahn nach Baku sandte und mit denen sie formell nicht gegen das Verbot verstieß, während des ESC auf keinen Fall irgendetwas Politisches zu sagen. Ein bisschen wirkte das wie Kabarett in der DDR, wo auch oft ein paar Andeutungen reichen mussten",
schreibt etwa die Süddeutsche Zeitung im Panorama. In der taz steigt Jan Feddersen, der auch für den Eurovision-Veranstalter bloggt, womöglich dialektisch in seinen Artikel ein: "Ach, wär' doch Anke Engelke nicht." Feddersen, der das Verdienst hat, alle Kollegen mit Skandalisierungstunnelblick daran erinnert zu haben, dass es in Aserbaidschan nicht nur ein Regime, sondern auch zum Beispiel gutes Wetter gibt, schreibt:
"Angelke (sic!) teilte ein politisches Credo aus: Ihr wart bestimmt gute Gastgeber für das Ausland, aber wir behalten euch im Blick für die Zukunft, was die Demokratietauglichkeit anbetrifft. Ob das – bis auf den Kommentator der BBC in Baku, Graham Norton, der auf das Statement der deutsche Punktemitteilerin gleich sympathisierend einging – irgendwer sonst in Europa verstanden hat, kann bezweifelt werden: Der Diskurs um Demonstrationsfreiheit wurde nicht in vielen Ländern Europas mitgetragen."
Dem Tagesspiegel allerdings sind zwei weitere Wortmeldungen aufgefallen, die man ebenfalls unter Umständen politisch lesen könne:
"Etwas subtiler spielten Finnen und Schweden bei der Punktevergabe auf die problematische Situation in Baku an. So machte der Grusel-Rocker Lordi seine Ansage vor einem Hintergrund aus wechselnden Postkartenmotiven, Sonnenuntergängen und Wasserfällen, die sehr an die Hochglanzidyllen der aserbaidschanischen Einspielfilmchen erinnerte. Und die schwedische Moderatorin Sarah schlüpfte in die Rolle ihrer Comedy-Figur Lynda Woodruff und lobte mit übertriebener Begeisterung, geballten Fäusten und hysterischem Applaus die 'amazing, amazing show'."
Stefan Niggemeier, der das Verdienst hat, Jan Feddersen daran erinnert zu haben, dass es in Aserbaidschan auch ein Regime gibt, schreibt nun im Spiegel (S. 79), bevor er seine Kritik an "ausgerechnet einem 'taz'-Journalisten" wiederholt, über die vorangegangene Menschenrechtsdiskussion und Aserbaidschans Regierung, diese
"hat davon profitiert, dass viele ihrer Gegenüber es leid wurden, dauernd hinter die schönen Kulissen schauen zu sollen. Sie fand Verbündete in Teilnehmern, Fans und Berichterstattern, die in Baku einfach die übliche irre Grand-Prix-Sause feiern wollten – unabhängig davon, was im Land passiert."
Um die Zukunft des Wettbewerbs geht es auch: Der Spiegel meldet, dass die weitere Zusammenarbeit von ARD und Stefan Raab für den nächsten deutschen Vorentscheid zum Wettbewerb unwahrscheinlich sei, etwa "der schlechten Zuschauerresonanz der Casting-Show 'Unser Star für Baku'" wegen.
+++ Nächstes Thema: Günter Grass' Gedicht für die SZ vom Samstag. Trotz fünf Gegentoren in einem Fußball-Länderspiel und Eurovision Song Contest das eigentliche Journalisten-Sarrazinum des Wochenendes. Ausgerechnet während des Contests drängte sich ein zweites Thema in die Twitter-Timeline: Die Titanic habe der SZ ein Grass-Gedicht untergejubelt, hieß es da. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung meldete das tags darauf, in der Druckausgabe unter der Überschrift "Nachrichten". Online gab es allerdings eine Unterzeile, und sie lautete:
"Ein paar Schlagwörter zu Griechenland, der Antike und Europa, verschrobene Sätze, unsinnige Genitivkonstruktionen – das Satiremagazin 'Titanic' hätte die Persiflage eines Grass-Gedichts auch nicht besser hinbekommen."
Hätte? Hätte. Der Autor wurde am Sonntag zitiert:
"'Ob sich das jetzt die 'Titanic' oder Günter Grass ausdenkt, ist für mich kein großer Unterschied.' Entschuldigen in einem ernsthaften Sinne wolle er sich 'ganz bestimmt nicht'. 'Günter Grass wird es immer weiter treiben mit der Absurdität seiner Selbstgewissheit und das ist dann genauso lustig, wie wenn es die 'Titanic' schreibt.'"
Was bedeutet dieses über Twitter verbreitete Rezeptionsmissverständnis? Sind die Leser zu blöd, wie der auch als FAZ-Blogger tätige Don Alphonso gewohnt leise andeutet? Ist Twitter eher ein verbales als ein schriftliches Medium, in dem man halt Dinge mal so dahinschreibst, wie man sie auch dahinsagen würde? Handelt es sich eher um ein Quantitäts- als ein Qualitätsmedium? Wurde die Rezeption des FAS-Textes nicht nur in der Printausgabe, sondern auch in der Onlinefassung durch missverständliche Formulierungen erschwert? Stimmt es, dass die dahinter stehende Position "billigstem Borderline-Journalismus schon sehr ähnelt" und "die um sich greifende Auffassung befeuert, die Welt könne auf verlässliche Qualitätsmedien ganz gut verzichten" (Stuttgarter Zeitung)? Ist der FAS-Text einfach ein "fälschlich als 'Satire' deklarierte(r) Zeilenfall" in einem "redaktionellen Stellungskrieg" (Carta)?
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Und wer steht jetzt dumm da? Die Süddeutsche Zeitung? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung? Die Leser, die sich in die Irre führen ließen? Die Titanic, weil ein Indiz dafür vorliegt, dass sie nicht alles kann? Alle? Niemand?
Die Süddeutsche Zeitung hat ihr Seite-1-"Streiflicht" (ausnahmsweise auch online) jedenfalls "in eigener Sache" verfasst ("Jetzt kann man es ja sagen: Titanic beliefert weite Teile der deutschen Presse mit Artikeln"), und so kommen am Ende vielleicht auch alle wieder aus der Sache raus. Freunden des Branchentalks ist diese Passage des "Streiflichts" (Achtung, Satire!) gewidmet, in dem das Spiel "Finde den Autor" etwas weitergetrieben wird:
"Schirrmacher ist ausgelastet mit seinem Job als Chefredakteur der Zeit, den er unter dem Pseudonym Giovanni di Lorenzo ausübt (für die Talkshow '3 nach 9' wird er von einem Titanic-Mann gedoubelt). Giovanni di Lorenzo hat sich als Frank Schirrmacher unter die Herausgeber der FAS gemischt."
Eine Passage, die ich, wenn ich heute eine Meinung hätte, angesichts des nun auch online lesbaren Zeit-Dossiers, für das sich Giovanni di Lorenzo und Frank Schirrmacher über die Piratenpartei, analoge Medien, mediale Gleichförmigkeit, eine Shitstorm-Beschreibung aus dem Jahr 1859 sowie ein Grass-Gedicht in der SZ voller Wohlwollen miteinander unterhielten, womöglich lustig fände.
Frank Schirrmacher, auf Twitter von einem Münchner Journalisten gefragt, wie er das Streiflicht denn so finde, antwortet dort übrigens: "Da ich es selbst geschrieben habe...."
+++ Der Satirezeitschrift Titanic ist es gelungen, ein Interview mit IWF-Chefin Lagarde im Guardian unterzubringen, in dem sie Griechenland in unwesentlich feinerer Formulierung bittet, ihr allmählich mal den Buckel herunterzurutschen +++
+++ Die eigentlichen Medienmedienthemen des Tages (und des langen Wochenendes) sind heute diese: Die Telekom,"die bislang unter dem Namen Liga total eigene Bundesliga-Übertragungen produzieren ließ", werde ab 2013 "keine eigenen Fußballbundesliga-Übertragungen mehr zeigen", berichtet unter Berufung auf Insider die FTD. Stattdessen werde sie, schreibt die SZ heute mit Verweis auf die FTD, "offenbar wie erwartet nur ein fertiges Fußball-Bundesliga-Produkt des künftigen Rechteinhabers für Live Spiele, Sky Deutschland, übernehmen" +++
+++ Die ARD-Vorsitzende Monika Piel wird morgen als WDR-Intendantin wiedergewählt. Der Spiegel (S. 76) und die SZ (S. 15) widmen ihr ihre Medienressortaufmacher. "Statt einen Aufbruch zu wagen, pflege Piel das Prinzip der Abschottung, sagen ihre Kritiker" (Spiegel). Der ARD-Vorsitz sei zwar ein "obskurer Posten", aber wenn es um etwas gehe, dann darum, "neun bundesweit versprengte Sender im Zaum zu halten, von denen der eine dem anderen nicht mal die Nachkommastelle bei der Einschaltquote gönnt. Man müsste sie einen. Befrieden. Umarmen. Piel (...) entschied sich für den gegenteiligen Weg. Sie begann ihre Amtszeit Anfang 2011 damit, eine Anstalt nach der anderen zu verärgern" +++ Die SZ schreibt, "(d)ie Liste der Dinge, die Monika Piel nicht hinbekommen hat, ist nicht ganz so kurz" – und erwähnt das Engagement von Thomas Gottschalk für "Gottschalk Live", den Streit um die "Tagesschau"-App, "etliche Arbeitsprozesse", den internen Streit um einen ARD-Jugendsender und die Reform der Radiowelle WDR 3" +++
+++ Gespräche mit Köpfen hinter diversen berühmten US-Serien fanden sich dieser Tage in der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau, wo James Manos Jr. ("Sopranos" und "Dexter") interviewt wird; und in der US-amerikanischen GQ, mit Matthew Weiner ("Mad Men"), Vince Gilligan ("Breaking Bad") und David Milch ("Deadwood") +++
+++ Die Piratenpartei, die ja schon insofern Medienjournalistenthema ist, weil es sich bei ihr um eine Art "Tempo" der Gegenwart handelt (hmm, das war jetzt so etwas wie eine Meinung), wurde von Neon mit einer längeren Beobachtung erfreut. Im Text kommt auch Boris Palmer vor, grüner Oberbürgermeister von Tübingen: "(A)n einem Aprilwochenende steht er vor der Bühne im Berliner Haus der Kulturen, wo ein Kongress der Tageszeitung 'taz' stattfindet. Er brüllt. Palmer hat bereits den Widerstand gegen die Bahnhofssanierung in Stuttgart angeführt. Das war Bürgerbeteiligung, wie sie die Grünen seit vierzig Jahren zelebrieren: Bürger heften sich eine Brosche an den Pulli und rufen Parolen. Palmer gefällt das. Aber heute, auf dem 'taz'-Kongress, im urgrünen Milieu der Lehrer und faltigen Lebenskünstler, muss er sich von (dem Piratenabgeordneten; AP) Christopher Lauer erklären lassen, wie veraltet das alles sei. Plötzlich sind die Grünen, von denen die Piraten die meisten Stimmen klauen, die Spießer" +++ Was überleitet zum Text, den Palmer für Die Zeit geschrieben hat: "Die Piraterie erneuert unsere Demokratie nicht, sie bedroht sie in ihren Grundfesten. Sicher, die Piraten sind keine Verfassungsfeinde. (...) Die Bedrohung unserer Demokratie geht vom Kern der Piratenpartei selbst aus: Liquid Democracy ist eine Gefahr, weil sie zur Steuerung eines Gemeinwesens durch seine Bürgerinnen und Bürger schlicht ungeeignet ist". Warum konkret? "Jederzeit mögliches 'Feedback' als Abstimmung führt zu einer Beliebigkeit, mit der sich kein Staat, keine Gesellschaft und keine Wirtschaft machen lässt. (...) Zweitens überfordert die flüssige Demokratie das Individuum maßlos. (...) Die Antwort, die von den Piraten auf dieses Dilemma gegeben wird, führt zum dritten Problem der flüssigen Demokratie: dem Verlust an Verantwortlichkeit. (...) Viertens verhält es sich mit der Basisdemokratie 2.0 nicht anders als mit der ersten: Sie endet spätestens, wenn Koalitionsverhandlungen beginnen" +++ Eine weitere Position zum an Positionen reichen Thema findet sich seit gestern bei der FAZ online +++
+++ Die doch eher bekannten Juristen Michael und Winfried Hassemer loben in der FAZ (S. 31) die Urheberrechtsdebatte: "in der Rechtspolitik braucht es Luft für Neues, dem wir uns zuwenden wollen, und zugleich Sicherheit für Traditionen, die wir ohne Not nicht opfern können. Und der Entscheidung darüber, was dazu gehört und was nicht, sollte eine Debatte vorangegangen sein, in der wenigstens einige von anderen etwas lernen wollten und wo nicht nur die juristischen Instrumente, sondern auch die Veränderungen der Welt angeschaut werden". Eigentliche News: 70-jährige Schutzfristen für Urgehobenes empfinden sie als recht lang +++
+++ Im Fernsehen: Die ebenfalls FAZ (S. 33) bespricht "Unter Nachbarn" (ARD, 20.15 Uhr) +++ Die taz freut sich über Dokumentationen statt Talkshows in der ARD, etwa "Nach der Stille" (22.45 Uhr, siehe auch Tagesspiegel) und bespricht das EinsPlus-Format "Klub Konkret", das "Neon als Sendung" +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.