Die Aufregung um Günter Krass läuft auf kalkuliert hohen Touren, hier und da fällt eine interessante Meinung ab. Außerdem: "Bring mir den Kopf von Gabor Steingart" oder was uns in nächster Zeit an "Urheberrechtsdebatten" bevorsteht
Gibt es eigentlich auch so etwas wie Medienverdrossenheit? Dass man sich etwa fragt, warum die SZ dieses so genannte Gedicht überhaupt von Günter Krass überhaupt veröffentlicht hat, wo man jedem Praktikanten gesagt hätte: Nichts für ungut, aber üb' lieber noch ein bisschen zu Hause oder in diesem Internet und komm dann wieder, wenn's mit dem Schreiben klappt?
Oder muss Günter Krass gedruckt werden wie auch Sihlo Tarrazin, weil das irgendwie kredibile Personen sind, die Öffentlichkeit auch dann kriegen, wenn sie schlechte Texte schreiben? Wohin das Schielen auf die Höherbewertung der Autorität des jeweiligen Sprechers zuungunsten der Qualität seiner Argumente spricht, kann man auch beim von der FAS eingeholten Marcel-Reich-Ranicki-Interview sehen. Da wird dann allen Ernstes behauptet:
"(Liest.) 'Mit letzter Tinte'. Das ist natürlich sehr gut."
Sie haben richtig gehört. Zur Sicherheit noch mal eine Frage:
"Ist das nicht etwas abgegriffen? Schreibt Grass überhaupt noch mit Tinte?
Nein! Bestimmt nicht! Das ist doch ein Symbol!"
Ach so, ein Symbol. Aber ein gutes Symbol, ja?
"Ja. Mit letzter Tinte. Letzte Tinte, das ist sehr gut. Verflucht noch mal! (Haut auf die Lehne seines Sessels. Liest weiter)"
"Mit letzter Tinte" ist also sehr gut, verflucht noch mal. Wiglaf Droste hat in der Jungen Welt offensichtlich eine andere Auffassung von Poesie.
"Schlechte Prosa, die man willkürlich umbricht
bleibt schlechte Prosa und wird kein Gedicht."
Und weiter:
"Günter Grass war es für seinen Geschmack viel zu still um sich geworden; der Mann, der behauptet, 'in Deutschland totgeschwiegen' zu werden, sobald weniger als 25 Mikrofone und Kameras gleichzeitig auf ihn gerichtet sind, bedurfte der Aufmerksamkeit, und wie man die bekommt, davon versteht Grass etwas."
Und das ist das Ermüdende. Und bevor jetzt Renate Künast um die Ecke kommt und an "den Inhalt von Grass" erinnert – wenn es bei dieser Geschichte schon nur um PR geht, fragt man sich natürlich, von wem dieser israelische Innenminister beraten wurde, als er auf die Idee mit dem "Einreiseverbot" gekommen ist.
Auch wenn ja an mancher Stelle behauptet wird, Krassens schlechter Text brächte eine Debatte in Gang – uns fehlt der Glaube. Wir halten es eher mit Inge Günther in der FR:
"Das an vielen Stellen völlig verunglückte Gedicht 'Was gesagt werden muss' zieht einen Endlosschwall an zornigen und überzogenen Reaktionen nach sich."
Wer sich für diese Reaktionen interessiert: die FAZ schickt Korrespondentenberichte (sehr schön das Ende: "Grass äußere sich so grantig und selbstgerecht über Politik, als warte die ganze Welt nur auf die Meinung 'of this altekacker'"; im Blatt auch aus der "arabischen Welt"; dazu ein Text von Louis Begley, Seite 27), die Berliner ein Tagebuch. Die Liste ist es tendenziell endlos. Krass-Verteidiger gibt's auch, und wenn sie, wie Thomas Nehls im WDR, in diesem Leitartikel-Gefechtsstand-Ton zurückschießen, klingt das wie Musik von Max Müller, Sänger der Band Mutter in unseren Ohren:
"Für eine bessere Welt, in der die Frauen die Kriege alleine führen/
für eine schönere Welt, in der die Männer überhaupt nichts tun müssen"
Collateral damage vons Ganze sind ein paar Texte am Rande, die lesenswert sind: Dietmar Dath lässt in der FAZ dem Irrsinn freien Lauf:
"Wenn die iranische Regierung jetzt noch einen Knut-Hamsun-Preis für katastrophal unbequemen Rabatz stiftet und ihn Günter Grass augenblicklich um die Ohren haut (die sehr ambivalente und extrem ironische Preisrede hält Christian Kracht, in akzentfreiem Farsi per Webcam aus Zürich eingespielt), dann ist der Mann erledigt und der Lyrikfrühling kann anfangen."
Mely Kiyak wirft in der FR vom Wochende Fragen auf. Und Moshe Zuckermann stellt in der TAZ Überlegungen zum Begriff Antisemitsmus an. Aber eigentlich wäre es einmal interessant, mit der Krass-Öffentlichkeit und –Anteilnahme etwa so einen Vorschlag zur Befriedung des Konflikts zu diskutieren.
[+++] Zu etwas völlig anderem. Urheberrecht. Oder: vom Regen in die Traufe. Wird genauso krass debattiert behandelt. Legendär schon jetzt: der Großaufriss im Handelsblatt vom Wochenende. Schon nach dem ersten Satz, weiß man, dass was nicht stimmt:
"Julia Franck schreibt Romane, die Massen begeistern."
Nichts gegen Julia Franck, but: Massen begeistert hat Michael Jackson. Man kann ja auch mal auf die Kacke hauen, nur ist das, wenn es so derbe ausfällt, kein Indiz für Seriosität. Der Text ist ein wahre Fundgrube für nichtssagende Analogien aus dem analogen Leben, die immer gebraucht werden, wenn das Internet verstanden werden soll (könnte Stefan Niggemeier die nicht mal neben Supersymbolfotos und Klatschzeitungs-Bingo sammeln?)
Beispiele gefällig:
"Niemand käme auf die Idee, kostenloses Fahren mit der Bahn einzuklagen. Kein Mensch geht ins Einrichtungshaus, nimmt sich Gläser mit und stellt sie nach Gebrauch gespült ins Geschäft zurück. Selbst am Geldautomaten, der doch nur das eigene Geld ausspuckt, berechnet die Bank eine Gebühr."
Stimmt!
Irgendwie soll ein Kampagne draus werden, "Mein Kopf gehört mir", wobei nicht nur der Slogan verunglückt ist, sondern auch das Logo – ein Markenzeichen-© an der Stelle des "o". Und das Beste, wenn man aufs Logo draufklickt, landet man nicht hier, sondern im Handelsblatt-Shop. Ziemlich lazy.
Kritik daran ist geäußert worden, etwa von Markus Beckedahl auf Netzpolitik. Wo auch zu erfahren ist, dass das erst der Anfang ist:
"'The Empire strikes back', und das Handelsblatt-Herumblödeln ist nur der Anfang davon, wie wir aus für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen erfahren haben. Es ist wohl eine breitere Medienkampagne in Vorbereitung. Das wird (k)ein Spaß – auf geht’s in die nächste Runde im Kampf gegen Holzköpfe, Kasperle und vor allem: Unwissen und Angst-Konservatismus."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Krass: Chefredakteure schreiben (FR)##Krass: der Antisemitismusbegriff (TAZ)##Krass: Auslachverbot (FAZ)##Kampagnenfrühling (Netzpolitik)##Walsroder Selbstzensur? (DLF)##]]
Neben dem Umstand, dass sich hier jemand für die Kreativen stark zu machen vorgibt, denen er selbst alle Nutzungsrechte abtrotzen will – dass man HB-Chefredakteur Gabor Steingart eines Tages noch mal würde darauf hinweisen müssen, dass es im Kapitalismus mitunter zugig zugeht und der Markt, Markt, Markt doch das Allheilmittel für alles sein soll; hätte man auch nicht gedacht.
Die FAZ (Seite 18) geht im Wirtschaftsteil die Frage nach dem Urheberrecht moralisch an, mit Rainer Erlinger, der in der SZ über Fragen der Moral Auskunft gibt. Gehört sein Kopf noch ihm? Wurde ihm schon geistiges Eigentum geraubt?
"Eigentlich nur im Hinblick auf meine Gedanken oder Ideen. Es ist schon vorgekommen, dass ich sie gegenüber Kollegen geäußert habe, und dann tauchten sie recht kurzfristig in deren Artikeln auf."
Was wird erst mit den Gedanken und Ideen geschehen, die Erlinger in diesem Interivew äußert? Morgen schon auf dem chinesischen Markt für n Appel und Ei in Massenauflagen verschachert? Wir nehmen Abstand von weiterer Berichterstattung, um nicht als Hehler des geistigen Besitzes von Herrn Erlinger in diese Geschichte einzugehen.
Jens-Christian Rabe bemüht sich im SZ-Feuilleton (Seite 15) in den Urheberdiskussionen um Differenzierung:
"Interessanter als die brachiale Revolutionsrhetorik im Netz ist, was die besonneneren unter den unabhängigen Köpfen der Branche hinter vorgehaltener Hand berichten. Das illegale Filesharing ist nicht unbedingt ihr größtes Problem. ... Was sie jedoch wirklich besorgt, ist die scheinbar unaufhaltsame Monopolisierung im Netz, die es kleineren Labels immer schwerer macht, ihre Angebote bei den wenigen zentralen Anbietern noch wahrnehmbar zu platzieren. Diese Plätze sichern sich immer aggressiver die Branchenführer, die besonders im Musikgeschäft gegenüber Netzgiganten wie Google, Amazon oder Apple ihrerseits von Existenzängsten geplagt sind."
Außerdem präzisiert der Text, worum sich Gema und Youtube streiten:
"Der Satz zu jedem gesperrten YouTube-Video müsste also wenigstens hierzulande richtigerweise lauten: 'Unser Unternehmen streitet mit den Künstlern, ohne die unser Angebot viel unattraktiver wäre, darüber, wie viel der einmalige Abruf eines Videos oder Songs wert ist. Bislang wollen die Künstler mehr Geld, als uns ihre Songs wert sind. Wir bitten um Geduld.'"
Eine Alternative bietet die Band Mutter, in der Max Müller Sänger ist. Die ist ihre "eigene Gesellschaft", ohne von der Musik leben zu können. Was allerdings zu Labelzeiten in den achtziger Jahren nicht anders war.
Altpapierkorb
+++ Kommentare zu einem - ist das ein Pleonasmus? - demagogischen Weltwoche-Cover (das - soll man sagen: natürlich? - ein Roma-Bild aus schweizfernem Kontext zeigt): von Cathrin Kahlweit in der SZ. Und Stefan Niggemeier: "Roger Köppel gibt sich als eine Art Freiheitskämpfer. Der zwischenzeitliche Chefredakteur der 'Welt' hat aus der Schweizer Zeitung 'Weltwoche' ein Blatt gemacht, das vorgibt, gegen Tabus zu kämpfen, gegen die angebliche 'Political Correctness' und für die vermeintliche Freiheit, die ebenso vermeintliche Wahrheit sagen zu dürfen." +++
+++ Moment mal, diese "Political Correctness", da war noch was. Im Tagesspiegel bespricht Thomas Gehringer den Fernsehfilm "Die Mongolettes – Wir wollen rocken!" (Sat.1, 20.15 Uhr), in dem Kinder mit Down-Syndrom mitspielen, wohlmeinend. Und zitiert einen Verantwortlichen: "Mirko Schulze, Produzent des Films und selbst Vater einer Tochter mit Trisomie 21, hat auf die Vorwürfe reagiert. Er habe keinen politisch korrekten Film machen wollen. Sondern einen Film 'über Jugendliche in der Pubertät. Und die haben in meinen Augen das Recht, ob ,behindert’ oder nicht, politisch unkorrekt mit sich und ihrer Situation umzugehen'." +++ Jens Müller in der TAZ schreibt mit dem gleichen Argument ("unkorrekt") vom Gegenteil: "Die Behinderten sind in diesem Film nicht Thema, sondern Ornament. Weil sie aber dabei sind, weil sich die Macher deswegen die Glacéhandschuhe übergestreift haben, geht dem Film genau das völlig ab, was für eine gute Komödie unabdingbar ist: Schrägheit, Unkorrektheit, Anarchie." +++ Und Daniela Zinser hat in der Berliner auch etwas irgendwie Fehlerhaftes gesehen ("Willkommen im Krieg"; Pro7): "Frech, nicht politisch korrekt. Manchmal mit Längen, manchmal mit Kitsch, aber immer mit dem Willen, es mal anders zu erzählen." Man versteht am Ende gar nicht mehr, was man jetzt von diesen Filmen halten soll. +++
+++ Der DLF berichtet über Selbstzensurvorwürfe gegen eine Walsroder Lokalzeitung: "In der Wirtschaft und der Politik der Kleinstadt gewinnt Wolfgang Heer Kunden und Freunde. Durch wohltätige Spenden macht er sich einen guten Namen. Bis Detlef Gieseke, ein Ratsherr der Grünen, verlangt, dass die Gemeinde einen Trennungsstrich zu den Hells Angels zieht. Zum Beispiel dass das Stadtmarketing bei seinen Veranstaltungen die Rocker nicht mehr als Sicherheitsleute beschäftigt." +++
+++ Markus Ehrenberg fängt im Tagesspiegel schon an, Harald Schmidt nachzutrauern beziehungsweise auf seine Wiederkehr zu hoffen: "Unterhalb der ersten fünf Tasten auf der Fernbedienung könne das kein weiterer Sender bezahlen, sagt Produzent Friedrich Küppersbusch." +++ Der amerikanische "Starreporter" Mike Wallace ist gestorben, ein Nachruf findet sich etwa in der FAZ. +++
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