Richtung Realität

Richtung Realität

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad gibt ein ZDF-Interview. ProSieben geht einen Schritt in Richtung Wirklichkeit der Mediennutzung. Kiefer Sutherland erzählt von roten Fäden. Und der Prozess gegen kino.to beginnt

Egal ob das ZDF nun "mehrere Jahre" (DWDL), "vier Jahre" (Spiegel Online) oder, wie Claus Kleber selbst sagt, "zwei Jahre" (u.a. ZDF-Mittagsmagazin) auf ein Interview mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad (Foto) gewartet hat: Am Montag wurde es ausgestrahlt, erst in Stückchen am Mittag, am Abend und in der frühen Nacht, und dann in Gänze online gestellt.

Interessant ist, wie ZDF-Chefredakteur Peter Frey die lange Wartezeit erklärt (DWDL):

"Das Vorhaben sei lange daran gescheitert, weil (sic!) die iranische Seite auf einem Live-Gespräch bestand. Schließlich ergab sich aber doch die Möglichkeit, eine Aufzeichnung zu verabreden. (...) 'Die journalistische Hoheit liegt damit bei uns'".

Die taz scherzt zwar in ihrer Zeile über dem Fernsehprogramm: Das ZDF habe hier "die 'journalistische Hoheit' gehabt. Äh, was heißt das für den Rest des Programms?" Doch im Ernst muss man sagen, dass es richtig war, auf die eigenen Bedingungen zu bestehen – nur durch die zeitversetzte Ausstrahlung konnte man die mögliche Gefahr eindämmen, als schwarzes Brett benutzt zu werden.

Dennoch befindet Carta (Nachtrag 11.20 Uhr):

"Ein in moralischen Kategorien denkender Journalist wie Claus Kleber wird mit den klassischen Methaphern für ein Politiker-Interview dieser Person nicht Herr werden. So war das Interview mehr eine Art Regierungserklärung Ahmadinedschads für die eigenen Leute und das westliche Publikum – beide wurden in ihren Haltungen bestätigt. Und Claus Kleber war nur der einbestellte Stichwortgeber. Erkenntnisgewinn? Man hätte es wohl besser gelassen."

Über die Informationen hinaus, wie das Interview zustande kam und geführt wurde, ist sein Inhalt freilich eher ein Fall für die Politik- als für die Medienredaktionen. Bleibt Klebers Fazit: "Für ein Psychogramm war das Gespräch nützlich, für eine Lösung des Konflikts zutiefst entmutigend."

[+++] Weitere Nachrichten des Tages: Die Content-Industrie und Kiefer Sutherland spielen dabei Hauptrollen.

Der Feuilletonaufmacher der Süddeutschen Zeitung (S. 11) handelt von einer bezeichnenden Idee der sogenannten Content-Industrie. Man mahnt demnach illegale Downloader wegen Verletzung des Urheberrechts ab, verschweigt den Urhebern aber die Einnahmen:

"Selbst wenn man die Abmahnungen der Content-Industrie als berechtigte Notwehr sieht – den eigenen Künstlern und Urhebern gegenüber sollten die Firmen penibel Rechenschaft ablegen. Zumal die Branche gerne mal die moralische Keule schwingt, wenn es um kleinste Verletzungen des Urheberrechts geht. (...) Urheber und Verwerter haben mitnichten die gleichen Interessen und selten verhandeln sie auf Augenhöhe."

[listbox:title=Artikel des Tages[Warum "Verbotene Liebe" besser ist als "Lindenstraße" (Welt)##Claus Klebers Ahmadinedschad-Interview (ZDF)##Carta darüber]]

Und während heute, wo wir schon irgendwo beim Thema sind, "der Prozess gegen einen mutmaßlichen Drahtzieher" von kino.to wegen massenhafter Verletzung des Urheberrechts beginnt, worüber am ausführlichsten die Berliner Zeitung mit einem "Alle Fragen, alle Antworten"-Text und der Tagesspiegel berichten, scheint man bei Pro Sieben auf der Großbaustelle "Mediennutzung und Internet" womöglich einen Schritt weiter zu sein. Einen Schritt in Richtung tatsächlichem und unter den Bedingungen der digitalen Welt auch kaum zu änderndem Nutzungsverhalten.

Mal angenommen nämlich, es geht Usern gar nicht nur ums Geldsparen oder um die mutwillige Zerstörung alter Verwertungsstrukturen, sondern es geht ihnen auch – oder vielleicht sogar vor allem – darum, an der medialen Gegenwart etwa der USA teilzunehmen, von der man, diesem Internet sei Dank, so viel mitkriegt: Dann ist es vielleicht keine so blöde Idee, US-"Content" nicht erst dann in Deutschland auszustrahlen, wenn er längst kein Thema mehr ist.

Die neue Serie ("Touch") von Kiefer "Es geht um die nationale Sicherheit" Sutherland jedenfalls soll bei ProSieben, wie Spiegel Online schreibt, tatsächlich "möglichst direkt nach der US-Premiere" laufen.

(Kleiner Tipp am Rande: Die fünfte "Mad Men"-Staffel, die in den USA dieser Tage anläuft, gilt, weil sie in Deutschland schätzungsweise erst 2015 gezeigt werden dürfte, in Fachkreisen (Internet) als nicht ganz unheißer Saugkandidat.)

Kiefer Sutherland, der einst den Jack Bauer in "24" gab und der alle großen Gefühle – Melancholie und Traurigkeit – im Schlaf anschalten kann, hat der FAZ (S. 29) vor dem Staffelstart am Sonntag ein Interview gegeben und darin zusammengefasst, worum es geht:

"Die Serie basiert auf einer chinesischen Fabel, der Geschichte vom roten Faden. Die Idee ist, dass ein roter Faden locker um die Fußgelenke all jener Menschen geknüpft ist, die sich im Laufe ihres Lebens begegnen sollen. Man kann diesen Faden dehnen oder verdrehen, aber nur schwer durchtrennen. Genau das aber haben wir, die modernen Menschen, getan. Und Jake, der autistische Junge, kann den Faden wahrnehmen durch Zahlenfolgen oder Ereignismuster hindurch und versucht langsam, die Verbindungen wieder in Ordnung zu bringen."

Figuren mit Fäden also, quasi Augsburger Puppenkiste mit Jack Bauer. Dass Ulrich Wilhelm, der Intendant des Bayerischen Rundfunks, darüber nachdenkt, neue Marionettentheaterfolgen fürs Fernsehen entwickeln zu lassen, ist eine Meldung vom Montag, die ich, da sie im Bayernteil der SZ stand, gestern übersehen habe – sie sei hiermit nachgetragen.


Altpapierkorb

+++ Die härtesten News an diesem an harten Mediennews eher armen Tag: Johannes B. Kerner verkauft seine Beteiligung an Spiegel TV Infotainment, das damit eine hundertprozentige Spiegel-TV-Tochter ist (Kontakter, via FAZ, S. 29) +++ Und eine Klage von Bild wurde in zweiter Instanz abgewiesen: Bild hatte, nachdem in Hessen fehlerhafte Abiturprüfungsaufgaben ausgegeben worden waren, verlangt, die Namen der Verantwortlichen zu nennen. Die SZ berichtet: "Nach dem Urteil des VGH (Verwaltungsgerichtshofs in Kassel; AP) steht ein Beamter auch dann unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn es um seine dienstliche Tätigkeit geht. Der Abdruck seines Namens in der Bild-Zeitung führte 'nahezu zwangsläufig zu einer Stigmatisierung' und beschädigte sein Ansehen im Kollegen- und Freundeskreis. Eine Feststellung, die aus Sicht der Richter freilich nicht zu einem Verbotsautomatismus führt: Es müsse zunächst abgewogen werden, 'ob an der öffentlichen Bekanntgabe dieses Namens ein berechtigtes Interesse besteht'" +++

+++ Der Tagesspiegel greift die am Montag in der SZ zusammengefassten "Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Engagements der Deutschen Telekom bei der Bundesliga-Übertragung" (siehe Altpapier) auf und hat weiter recherchiert: "Unklar ist noch, in wessen Auftrag die Studie erstellt wurde und wie wirkungsmächtig sie in ihrer Aussage sein könnte" +++

[+++] Es gibt darüber hinaus diverse, ja, so heißt das, Lesestücke auf den Medienseiten und anderen Seiten, die auch mal was mit Medien machen: Elke Heidenreich etwa feiert in der Welt die "Verbotene Liebe": "Ich weiß nicht, wie viele Regisseure, Schauspieler, Autoren an dieser Serie mitarbeiten, aber ich weiß gewiss: Sie arbeiten äußerst sorgfältig, das hier ist kein runtergehunzter Groschenroman, das sitzt, und es macht ihnen allen Spaß. Und dieser Spaß überträgt sich auf den Zuschauer. Was habe ich schon gegähnt bei der 'Lindenstraße'. In der 'Verbotenen Liebe' ist alles glamouröser und irgendwie große Oper, und darum ist alles lustig und alles möglich. Die grundböse Clarissa von Anstetten taucht nach 2400 Folgen und einem Flugzeugabsturz wieder auf, zehn Jahre hat sie in südamerikanischen Gefängnissen gesessen!" +++

+++ Die Berliner Zeitung stellt ein neues (Berliner) Straßenmagazin vor, Street-Mag, und berichtet, online mit Videos, über die Verleihung des Webvideopreises +++

+++ "Gottschalk Live" wiederum, die wahrscheinlich medial bestbeachtete schlechtbequotete Fernsehsendung dieser Zeit, plant einige Änderungen (DWDL, sz.de) +++ Was dann auch gleich zu Gottschalks "Wetten, dass..?"-Nachfolger Markus Lanz führt, dessen Kompagnon Markus Heidemanns von Kai-Hinrich Renner für Springers Hamburger Abendblatt aufgesucht wurde +++

+++ Die SZ widmet ihren Medienaufmacher "Servus TV": "2009 gründete Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz Servus TV. Jetzt kommt der Sender ins bayerische Kabelnetz", mit Leuten wie Ex-WDR-Intendant Fritz Pleitgen, Ex-"heute journal"-Moderator Ruprecht Eser und Ex-"Spiegel"-Kulturchef Hellmuth Karasek im Programm +++ Online geht es derweil um das Mateschitz-Monatsmagazin Servus in Stadt und Land, orientiert wohl an Landlust, und ebenfalls nach Bayern exportiert +++

+++ Und berichtet über Apple, Apple-Zulieferer Foxconn und den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit: Apple-Gegner Mike Daisey, dessen "Ein-Personen-Stück The Agony and the Ecstasy of Steve Jobs" von "Verletzungen, Kinderarbeit und Selbstmorde(n) beim chinesischen Apple-Zulieferer Foxconn" handelt, hat "die Geschichte mit der zerquetschten Hand eines Arbeiters wie auch die anderen, die er auf der Bühne erzählt, ganz einfach erfunden". Einige Medien hatten ihn "zum Kronzeugen" gemacht und stehen jetzt etwas blöd da. Dass Foxconn rehabilitiert sei, könne man trotzdem nicht behaupten: Reporter der New York Times hätten im Januar "ein ähnliches Bild von den Arbeitsbedingungen bei Foxconn" gezeichnet +++

+++ Die taz hat zwei etwas abseitige Themen im Medienprogramm und hat sich zum einen über die Volontärsausbildung eines Berliner Vereins informiert, die nicht ganz so viele berühmte Absolventen hat, und berichtet zum anderen über einen Aufruf des "Vereins der Neuen Deutschen Medienmacher" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.

weitere Blogs

Altar mit dekoriert in Regenbogen-Farben
Für diesen Blogbeitrag habe ich ein Interview mit Lol aus Mainz geführt. Lol ist christlich, gläubig und non-binär. Nicht für alle christlichen Kreise passt das gut zusammen.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten. Heute: mein Glaube in diesem November
Weihnachtsbaum Emil beim Abtransport für Kasseler Weihnachtsmarkt
In Kassel war der Weihnachtsbaum zu dick für den Transport