Jahrtausendnachricht

Jahrtausendnachricht

Da soll Gauck Präsident werden und ARD/ZDF lassen das Programm laufen – die SZ ist also äußerst unzufrieden mit dem Breaking-News-Management. Auch dabei: die vorauseilende Kapitulation von ARD/ZDF vor den Verlegern

Worum es eigentlich geht, ist manchmal schwer zu sagen. Etwa in der, kann man das wirklich so sagen, Debatte um das neue Buch von Christian Kracht. Den KiWi-Autor Kracht hatte der KiWi-Autor Georg Diez angegriffen. Dazu ist viel geschrieben worden. Heute versucht sich Lothar Müller an einem Resümee in der SZ (Seite 11):

"Mal sehen, ob es funktioniert, das Modell der politischen Affäre auf die Literatur zu übertragen, mag sich der Spiegel gedacht haben, der kürzlich das Erscheinen des neuen Romans 'Imperium' von Christian Kracht zum Anlass nahm, den Schweizer Autor als 'Türsteher der rechten Gedanken' in Deutschland zu diskreditieren, als jemanden, der 'antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken' im Mainstream gesellschaftsfähig werden lasse. Es hat nicht funktioniert. Mehrere Rezensenten nahmen den Autor gegen den Vorwurf in Schutz..."

Hat es nicht? Gerrit Bartels ist im Tagesspiegel anderer Meinung:

"Dann passierte genau das, was von Diez und dem 'Spiegel' beabsichtigt war: Es gab allerlei Reaktionen darauf. Von den Kritikern, die Krachts Buch begeistert oder auch nicht so begeistert gelesen hatten, aber alle mit dem Tenor, wie falsch Diez liege."

Was irgendwann zu der Überlegung führt, "ob zumindest der Roman 'Imperium' diese Mühe, diese Aufregung überhaupt wert ist."

Die entscheidende Fragestellung, und das ist eine zu großen Teilen mediale, in der Betrachtung dieser Debatte besteht darin, was "es" eigentlich ist. Die Analogie zur "politischen Affäre", die Müller erstaunlich vage hält, lässt in diesen Tagen nur an die Causa Wulff denken, bei der mehrere unabhängige Experten festgestellt haben, dass die Medien dabei nichts Wesentliches falsch gemacht haben.

Was soll das aber für Kracht heißen, der weder von sich noch seinem Buch zurücktreten kann? Wenn "es" bei Müller nicht die Affäre meint, sondern das Diskreditieren von Kracht, dann liegt Müller richtig, das hat nicht funktioniert.

Funktioniert hat dagegen, wie Bartels meint, der mediale Auftrieb, die Beschäftigung des Feuilletons nur mehr mit dem Diez-Texts anstelle des Kracht-Buchs. Oder des Kracht-Buchs vor dem Hintergrund des Diez-Texts, was eine rhetorische Dynamik solcher Urteile wie dem am Freitag hier zitierten Erhard Schütz aus dem Freitag (Anm: für den ich arbeite) erst ermöglicht:

„Was Georg Diez in einem Artikel für den aktuellen Spiegel behauptet hat, dass ‚Imperium‘ rassistisch, rechtsradikal, faschistisch etc. sei, ist ziemlich hirnrissig. ‚Imperium‘ ist vor allem eins – glänzende Literatur.“

Vermutlich hätte Schütz das Buch auch ohne Diezens Angriff gemocht - diese verteidigende Form des Lobs, als ein Beispiel für das Wesen von Aufmerksamkeitssteigerung, aber funktioniert nur, weil es den Angriff gibt.

Nun ist Helmut Dietl ja gerade gescheitert und unsere Fantasie leider zu beschränkt, um sich PR-Absprachen zwischen KiWi-Autoren, die Spiegel-Journalisten sind, und KiWi-Autoren, die Autoren sind, vorzustellen. Aber die braucht es wohl auch nicht, weil die mediale Logik, die solch einen Auftrieb hervorbringt, von ganz allein so funktioniert.

[+++] Wie man bei Christopher Keils Betrachtung der Medien im Umgang mit der Gauck-wird-Präsident-Meldung in der SZ sehen kann.

Der Vorspann der Online-Version von Keils Text ist an Bigotterie Albernheit schwer zu überbieten:

"Der quasi staatliche Rundfunk behauptet gerne Informationskompetenz - und sendet dann doch Schema F, wenn es ein innenpolitisch einmaliges Ereignis gibt. Reicht das für ein mit fast acht Milliarden Euro versorgtes Gebühren-Rundfunks-System aus, das sich gerade in der politischen Berichterstattung vom Kommerz-TV unterscheiden muss?"

"Ja" vermutlich nicht die Antwort, die Keil auf diese rhetorische Frage hören will. Wie er überhaupt mit diesem Stilmittel arbeitet, um ARD und ZDF dramatisch insinuierend Versäumnisse nachzuweisen, die sich nicht argumentieren lassen:

"Müsste man sich nicht als verantwortlicher Journalist bei ARD und ZDF ärgern, dass nicht schon um 20.15 Uhr Klarheit über Gauck herrschte? Nicht einmal für eine Sekunde dachten die Chefredakteure Frey und Schönenborn offenbar daran, jedenfalls vermittelten sie nicht den Eindruck, ganz einfach doch aus der Schnulze oder dem Krimi auszusteigen, um den vielen Millionen Deutschen kurz aktuell zu erklären, wer da und auf welche Weise ihr neues Staatsoberhaupt wird."

Als verantwortlicher Journalist bei der SZ hat man den Vorteil, sich nicht ärgern zu müssen, wenn die Bundesausgabe vom Montag noch nichts von Gauck weiß. Oder wenn man mit seiner messerscharfen ARD/ZDF-Kritik am Dienstag, über 24 Stunden (sic) nach dem Ende der Jauch-Sendung auf Papier erscheint.

[listbox:title=Die Artikel des Tages[ARD/ZDF viel zu spät? (SZ)##Vorauseilende Selbstverstümmelung von ARD/ZDF (Niggemeier)##Eine Talkshow als Utopie (TSP)##Die Causa Diez (TSP)##]]

Zumal man sich als SZ-Journalist erst recht nicht fragen muss, warum in aller Welt das Programm angehalten werden soll für eine Nachricht, bei der es schnurzpiepegal ist, ob man sie während des Polizeirufs oder am nächsten Morgen erfährt. Und warum über diese Nachricht hinaus Sondersendungen anberaumt werden sollen, die dann von Medienjournalisten zurecht wegen ihrer Informationsdürre und redundanten Experten-Gelabers kritisiert werden?

Joachim Huber betrachtet im Tagesspiegel das Präsidentensuche-Wochenende jedenfalls aus der Wolfgang-Neuss-Warte, die noch der sinnlosesten aller Günther-Jauch-Sendungen (die ja eigentlich "Super-Präsidenten" disktuieren wollte und von der Aktualität überrascht dann einfach redete, ohne überhaupt ein Thema zu nennen bzw. haben) etwas abgewinnt – das Reden.

"Die Talkshow als das Lagerfeuer für Meinungs-Deutschland? Es gibt im Fernsehen mehrere Formate, um einen Nachrichtentag abzubinden. 'Tagesthemen', 'heute-journal', RTL-'Nachtjournal' sind solche Auffangbecken, aber sie sind eben keine Klärbecken. Talkshows können aufarbeiten, verarbeiten...Was Fernseh-Deutschland braucht, ist eine Talkshow am Abend. .. Gemeint ist eine Fernsehutopie..."

Ob das ARD und ZDF zuzutrauen wäre – eine Utopie? Nach Stefan Niggemeiers Blogeintrag zur bevorstehenden "vorauseilenden Selbstverstümmelung" im Streit um die Online-Aktivitäten mit den Verlegern ist man sich relativ sicher: nein.

"Erklären lässt sich die als Kompromiss verkleidete Kapitulation von ARD und ZDF nur durch das unbedingte Bedürfnis einiger ihrer Vertreter, in den zu erwartenden Auseinandersetzungen um ihre zukünftige Legitimation Ruhe an dieser Front zu haben. Dafür steht der BR-Intendant Wilhelm, der erst vor gut einem Jahr aus der Bundesregierung in dieses Amt wechselte. Und dafür steht in ganz besonderem Maße Monika Piel."

Vor diesem Hintergrund kann man Christopher Keils merkwürdige Fragen ruhig noch einmal lesen.


Altpapierkorb

+++ In Österreich darf der ORF nicht zu Facebook – meint zumindest die zuständige Behörde (TAZ). +++ In England schafft Rupert Murdoch Ersatz für die wegen Abhörskandalen eingestellte News of the World mit einer siebten Ausgabe des "Sun". Die TAZ berichtet, die FAZ holt länger aus und beschreibt die Family Affairs: "Es heißt, Murdoch sei bereit, jeden Preis zu zahlen, um in Amerika mit weißer Weste dazustehen. Der Verkauf seiner britischen Zeitungen sei nicht auszuschließen. Dass Murdoch in London von seinem ältesten Sohn Lachlan begleiten wurde, erregte besondere Aufmerksamkeit: Lachlan war zugunsten seines jüngeren Bruders James entmachtet worden. James ist unter anderem für das englische Zeitungs- und Fernsehgeschäft verantwortlich. Seit dem Abhörskandal, in dem er eine unglückliche Figur machte, steht James unter Druck. Rupert Murdoch hat seine Kinder schon immer gegeneinander ausgespielt." +++ Vom Engagement Beate Wedekinds mit einer Zeitung über Äthiopien berichtet der TSP: "Mitte der 70er arbeitete Wedekind, die gelernte Bankkauffrau ist und erst mit 30 Jahren bei der Berliner Zeitung 'Der Abend' volontierte, in der äthiopischen Hauptstadt als Logistikerin im Büro des Deutschen Entwicklungsdienstes." +++

+++ Back to Gauck. Die kommenden First Lady wird eine Journalistin gewesen sein: Daniela Schadt, Chefin der Innenpolitik bei der Nürnberger Zeitung. Portraits in der SZ (Seite 4) und in der TAZ, wo Heide Oestreich schreibt: "Flugs wurden bereits bei der letzten Kandidatur Gaucks Heiratspläne bekannt gegeben - schon ist das traditionelle Ehemodell zementiert. Aber natürlich steht gegen solche Rechnungen der unschätzbare Karriereschritt, den ihr neues Ehrenamt bedeutet - auf Unterhalt wird Daniela Schadt, die mit Gauck seit 10 Jahren liiert ist, ohnehin kaum mehr angewiesen sein. Dennoch, so schreibt einer ihrer Kollegen in seinem Blog, könne er sie sich schwer als 'Schirmherrin einer Herz-Stiftung' vorstellen." +++ Unmutsbekundungen im Netz zur Gauck-Entscheidung hat die Welt zusammengesucht. Über die Verkürzungen von Gaucks Positionen dabei machen sich SZ und Blogger Gedanken. +++ 

+++ TAZ und ausführlicher FAZ berichten über einen Prozess zwischen Junger Welt und einem Mitarbeiter, es geht um die Fragen von Festanstellung und angemessener Bezahlung: "Da es keinen gültigen Tarifvertrag gebe, sei sein Gehalt von rund 2000 Euro im Vergleich zum branchenüblichen von 4400 Euro krass sittenwidrig." Außerdem heißt es: "Die Verbindungen zwischen dem Verlag und Verdi sind eng." +++ Im Kampf um einen Haustarifvertrag bekommen die Angestellten bei der Nordwest-Zeitung in Oldenburg derweil Unterstützung von Verdi-Chef Frank Bsirske (Oldenburger-Lokalteil). +++ Freitag-Verleger Jakob Augstein im großen Vocer-Interview"Wir brauchen vor allem Mut. Journalismus ohne Mut ist etwas ganz Trauriges. Wir brauchen mutigere Leute, die sich anlegen mit ihren eigenen Chefs, mit denen, die Geld haben, mit denen, die die Entscheidungen treffen. Ich finde die Leute so mutlos. Ich glaube, das ist das Hauptproblem des Journalismus." +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.
 

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