Wulffs Rache

Wulffs Rache

Nicht morgen kann man mit der Zeitung von heute den Fisch einwickeln, nein: ausnahmsweise jetzt schon. Joachim Gauck wird am Sonntagabend Bundespräsidentschaftskandidat, obwohl die Fernausgaben der Zeitungen vom Montag doch etwas anderes schreiben. Und Christian Wulff tritt auch noch zum für den Spiegel blödesten Zeitpunkt ab

Was bleibt von der Affäre Wulff? Medial betrachtet – und damit aus der Perspektive dieser Kolumne – bleibt zunächst die Erkenntnis: Der dynamisch-aufrichtige Randlosbrillenträger Christian Wulff hat seine Rache für die, so sagte er, "verletzende Berichterstattung" an der vermeintlichen Medienmeute genommen, indem er zu einem zumindest für donnerstags erscheinende Wochenpublikationen saublöden Termin zurücktrat: freitagmorgens um 11 Uhr. Saublöd zudem für den Spiegel, der wegen des heutigen Rosenmontags schon am Samstag statt, wie üblich, am Sonntag erschien.

"Staatsanwalt gegen Staatsoberhaupt: Der unvermeidliche Rücktritt", steht auf dessen Titel. Die Vermutung liegt nahe, dass der Titelzeile am Freitag nach geschaffenen Tatsachen noch eine gewisse Zweideutigkeit implantiert wurde – sie klingt schließlich, als sei das Titelthema der bereits erfolgte Rücktritt. Dummerweise geht es im Heft selbst dann aber um den unvermeidlichen im Sinn von nun aber wirklich anstehenden Rücktritt, gipfelnd in der exklusiven Vorabmeldung: "Der schleswig-holsteinische  FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki fordert Bundespräsident Christian Wulff zum Rückzug auf. 'Es wird Zeit, dass Christian Wulff von seinem Amt zurücktritt'".

Auf die Verkaufszahlen dieser Spiegel-Ausgabe kann man durchaus mal gespannt sein. Dass Wulffs Rache von allen Leitmedien vornehmlich den Spiegel trifft, ist allerdings schon ein bisschen gemein. Wobei: Auch Montagszeitungen, zumindest die früh am Sonntag gedruckten Ausgaben, melden zum Teil, was am Sonntagabend gegen halb zehn bei der vom Parlamentsfernsehen etwa von Phoenix übertragenen Pressekonferenz bereits überholt war: "Union und FDP streiten über Joachim Gauck", titelt heute in der Fernausgabe die Süddeutsche Zeitung, "Es ist Zeit für eine Frau", titelt die taz und unterzeilt: "Die Parteien suchen verzweifelt einen Wulff-Nachfolger. Sie sollten den Blick auf die Frauen richten", bevor sie zehn Stück vorschlägt. "Kandidat Gauck entzweit die Union", schreibt der Tagesspiegel. Und die FAZ macht mit der, da tempusfreien, nicht falschen, aber auch nicht mehr aktuellen Zeile "Eklat in der Koalition bei Suche nach Wulff-Nachfolger" auf.

Etwas gemein klingt angesichts dessen die These, dass man zum Fischeinwickeln zukünftig nicht mehr bis morgen warten muss; die Zeitungen von heute sind schon jetzt zweckentfremdbar. Allerdings leben wir weniger in einer Gesellschaft der Frischfischhändler als trotzdem immer noch in einer Mediengesellschaft. Sachlicher klingt schon deshalb wohl die bekannte Fukushima-These, derzufolge die Onlinemedien stärker von großen oder auch nur etwas größeren (wie in diesem Fall der Bundespräsidentenkür Gaucks am Sonntagabend, siehe Foto) Ereignissen profitieren als die Printmedien.

[+++] Was bleibt noch von der Affäre Wulff? Bemerkenswert ist die Darstellung, dass Wulff letztlich nicht über "die Medien", die zwar alle der innermedialen Logik der Aufschaukelung folgen, die es aber als solche nicht gibt, oder über Staatsanwälte, sondern über einen seiner Verteidiger gestürzt sein könnte: CDU-Politiker Peter Hintze konnte als Gast von "Günther Jauch"

"mit einem neuen Detail aufwarten, das Wulff zu entlasten schien. Tatsächlich aber war fast alles falsch, was Hintze von sich gab, und damit löste er eine Welle aus",

schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Kann man vielleicht als Schlusspointe betrachten.

[listbox:title=Artikel des Tages[Wer solche Freunde hat (FAS)##Appeasement von ARD und ZDF (Stefan Niggemeier)##Fairplay-Preis für Materazzi (taz)##Fünf Jahre sind doch viel zu lang (Carta)##Uneingeschränkte Berichterstattung (TSP)]]

Was bleibt, ist zudem die Notwendigkeit der Medienkritik, also auch der Kritik an den Medien: Das große Medienthema des Wulff-Rücktritts sind für Wolfgang Michal, der sich bei Carta am Sonntag, Schlenker zu Colin Crouchs "Postdemokratie" inklusive, des medialen Präsidentencastings annahm, mediale Mechanismen selbst:

"Den Medien bescherten die Wulffs sehr ordentliche Umsätze. Wir wissen jetzt, dass niedersächsische Gelbklinkerhäuser hässlich und piefig sind. Politische Bildung kann so einfach sein. Aber auch die Netzöffentlichkeit hatte nichts Besseres zu tun, als mit den Wulffen zu heulen".

Eine mediale "Nachlese in fünf Thesen" unternimmt sodenn Felix Dachsel für die taz. Um eine These zu nennen: "Die Affäre Wulff war keine Staatskrise, viel eher die Chance für Journalisten, sich als Staatsmänner zu profilieren." Von bleibender Schönheit aber ist wohl vor allem die Kopfstoßlegende, Dachsels Vergleich von Bild mit Fußballer Marco Materazzi, der seinerzeit Zinedine Zidane zu einem Kopfstoß gegen sich veranlasste: 

"Nikolaus Blome, Chef des Hauptstadtbüros der Bild, sitzt in Talkshows und spricht über Anstand, Glaubwürdigkeit und über das, was unser Land jetzt braucht. Es ist, als ob man Marco Materazzi zum Botschafter des Fair Play ernennen würde."

[+++] Die Gaucks der Medien heißen übrigens, um zum nächsten Thema zu schwenken, Klaas Heuer-Umlauf und Joachim Winterscheidt, die kürzlich als "Wetten, dass..?"-Moderatoren ernsthaft im Gespräch gewesen sein sollen, dann aber doch an Quotenkoalitionskandidat Markus Lanz scheiterten. So, jedenfalls ungefähr so, stellt es Markus Brauck im Spiegel (S. 140) dar: Es

"fehlten zwischenzeitlich nur wenige Millimeter, und das ZDF hätte sich zu einer ebenso riskanten wie vermutlich großartigen Lösung durchgerungen. Aber dann reichte im Sender irgendwer eine Statistik herum, um wie viele Millionen die Zuschauerzahlen bei so einem Kreativ-Schock vermutlich einbrechen würden, und das war es dann."

Zu zwei potenziellen Gaucks der Medien, zu im zweiten Anlauf doch noch ins Showpräsidentenamt gehievten ursprünglichen Publikumslieblingen also, macht sie zum einen diese Schlussbemerkung:

"Könnte (...) sein, dass die zwei schon sehr bald wieder im Gespräch sind. Wenn Thomas Gottschalks neue ARD-Vorabendshow erfolglos bleibt und wieder Nachfolger für ihn gesucht werden."

Und zum anderen der Schlussatz der "Teletext"-Glosse der FAS, die ihre Lanz-Betrachtung mit Joko und Klaas schließt: "Diese Chance hat das ZDF (...) vertan. Vorerst." Nicht unerwähnt bleiben darf da allerdings die Gegenthese, die heute in der taz steht: "Lanz ist unterschätzt."


Altpapierkorb

+++ Das größte sozusagen klassische Medienseitenthema von Samstag und heute ist eine ProSiebenSat.1-Personalie, von der am Samstag zuerst in der Süddeutschen zu lesen war, nachdem DWDL gerne darüber berichtet hätte: "Andreas Bartl, der im Vorstand der Gruppe für das Fernsehen und die deutschen Sender zuständig ist, geht und macht sich als Medienunternehmer selbständig. An seine Stelle tritt – zumindest kommissarisch – der Vorstandsvorsitzende Thomas Ebeling" (FAZ, S. 29). Ebeling plane möglicherweise, das Vorstands-Ressort Fernsehen selbst zu übernehmen, hieß es in der SZ, die unter dem Strich eine Entfremdung zwischen Bartl und Ebeling feststellte (teilweise Zusammenfassung bei kress). Michael Hanfeld nimmt die Fäden in der FAZ auf und schreibt: "Bartl und Ebeling sind nicht immer auf einer Wellenlänge, schätzen sich aber sehr", bevor er einen Fußballvergleich anstellt: "So ganz eindeutig fällt die Geschichte (...) nicht aus – mit einem, der verliert, und einem, der gewinnt. Es ist vielmehr wie beim Fußball. Da fliegt auch als Erstes der Trainer, wenn es auf dem Platz nicht richtig läuft, selbst wenn man in diesem nicht die Ursache der Misere oder Stagnation sieht". DWDL wertet Bartls Abgang als "persönliche(n) Befreiungsschlag" und weniger als Rauswurf +++

[+++] Es sei Appeasement-Politik, schreibt Stefan Niggemeier über die "gemeinsame Erklärung" von ARD/ZDF und Zeitungsverlegern: "Erklären lässt sich die als Kompromiss verkleidete Kapitulation von ARD und ZDF nur durch das unbedingte Bedürfnis einiger ihrer Vertreter, in den zu erwartenden Auseinandersetzungen um ihre zukünftige Legitimation Ruhe an dieser Front zu haben. Dafür steht der BR-Intendant Wilhelm, der erst vor gut einem Jahr aus der Bundesregierung in dieses Amt wechselte. Und dafür steht in ganz besonderem Maße Monika Piel" +++ Die SZ (S. 15) besuchte jenen BR-Intendant Ulrich Wilhelm, der ein Jahr im Amt ist: "dass er als einziger Senderchef bei einer Abstimmung gegen die Doppelausstrahlung royaler Hochzeiten votierte, dass er sich nachdenklich zur Talkshowleiste im Ersten stellte, gibt eine Richtung vor: Der Bayer weiß offenbar, wo sich die ARD angreifbar macht". Und Wilhelm weist auf zukünftige Konfliktlinien hin, die uns sicher noch beschäftigen werden: "'Wir treten in eine Phase ein, in der sich Internetkonzerne wie Google offenbar immer stärker für Bewegtbilder interessieren', sagt Wilhelm: 'Nach dem Angriff auf die Geschäftsmodelle der Verlage, stehen nun international die Fernsehsender im Fokus'" +++ Monarchisch/anarchische ZuständeEin anderer Intendant, der vom ZDF, will feiern und stößt auf geteilte Begeisterung (Spiegel) +++

[+++] Blicke ins Ausland: Der Tagesspiegel schreibt über eine deutsche Syrien-Korrespondentin, der "das Regime" so viel wie "derzeit keinem anderen deutschen Journalisten" erlaube. "Umstritten" sei, ob sie sich zum "Handlanger des Regimes" zu machen: "Die Deutsche Presse-Agentur berichtet: 'Die wenigen Journalisten, die im Land arbeiten, müssen mit Überwachung, aber auch mit Übergriffen rechnen.' Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass sich zwei deutsche Tageszeitungen aus dem linken Spektrum, das 'Neue Deutschland' (ND) und die 'Junge Welt', mit Karin Leukefeld eine Korrespondentin leisten, die seit etwa zwei Jahren in Damaskus akkreditiert ist und auch in jüngster Zeit immer wieder nach Syrien reiste und von dort berichtete" +++

+++ Die taz greift nach der u.a. SZ vom Samstag heute die Ankündigung Rupert Murdochs auf, der Sun eine Sonntagsausgabe hinzuzufügen (siehe auch Altpapier) +++ Und die SZ berichtet über einen Erlass von Chinas Rundfunkbehörde: "In der Hauptsendezeit, der sogenannten Primetime zwischen 19 und 22 Uhr, dürfen ab sofort keine ausländischen Serien mehr gezeigt werden" +++

[+++] Mehrfach zu Ehren gekommen am Wochenende: die 500. Folge der "Simpsons", etwa in der taz, im KSTA oder im Tagesspiegel +++ Eine andere besondere Serie kommt in der SZ (S. 15) vor: "In den Bavaria Filmstudios wurden vor wenigen Tagen die Dreharbeiten zu einer besonderen Fernsehserie beendet. Die Firma Wiedemann und Berg, die als dazugerufener Produzent am Oscar-Gewinn 2007 für das DDR-Drama 'Das Leben der anderen' 2007 beteiligt war, fabrizierte für den zum Fernsehunternehmen Turner gehörenden Pay-TV-Sender TNTSerie zehn Episoden von 'Add a friend'. Es ist die erste fiktionale Eigenproduktion des Senders" +++ Desweiteren im Fernsehen, heute: eine Dokumentation über Amy Winehouse u.a. (TSP) +++

+++ Und: KiWi-Verleger Helge Malchow verteidigt im Spiegel seinen Autor Christian Kracht gegen seinen Autor Georg Diez (siehe Altpapier) +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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