Beste Weltklasse nimmt auf den Chefsesseln von Bertelsmanns Cashcow Platz. Erstmals drei Intendantinnen saßen auf dem ARD-Pressekonferenz-Podium. Und: Was wird aus dem Fernsehballett?
Die eher grauen Herren von der Bertelsmann AG aus Gütersloh bilden immer noch den größten Medienkonzern Deutschlands. Und dessen größte, wie es auf BWL-journalistisch heißt, Cashcow, bildet bekanntlich die RTL-Group. Deren graumelierter Chef Gerhard Zeiler verkündete nun gestern am Spätnachmittag "vollkommen überraschend" (FAZ) seinen Abschied. Oder zumindest so überraschend, dass zumindest die FAZ außer der dürren Meldung im Wirtschaftsressort noch gar nichts dazu bringt. (Daran, dass im Dezember, als der zwar noch nicht ergraute, als Cashcow-Controller ansonsten sehr vergleichbare Ex-ProSiebenSat.1-Mann Guillaume de Posch bei RTL anheuerte, u.a. die FAZ in ihm schon einen Zeiler-Nachfolger antizipierte, erinnert kress.de...).
Anderswo jedenfalls bemühen sich wirtschaftsaffine Redakteure bereits, die Personalien über die sich vor Zeiler-Lob überschlagenden offiziellen Verlautbarungen aus Gütersloh und Zeilers, wie die Bertelsmann'sche FTD schreibt, "emotionalen Brief an die RTL-Mitarbeiter" (der dank dwdl.de unter der leicht missverständlichen Überschrift "Gerhard Zeilers Abschieds-Brief" auch frei online vorliegt) hinaus zu interpretieren.
"Der in politischen Dingen versierte Sozialdemokrat Zeiler verhielt sich taktisch geschickt gegenüber den Eignern aus Ostwestfalen. Seine RTL Group trug mit hohen Gewinnen wesentlich zum Schuldenabbau Bertelsmanns bei...
Vieles gelang dem einstigen Handballspieler, nur die Expansion in England (Channel Five) glückte ebenso wenig wie das Investment in Griechenland. Der Manager mied Gütersloh weitgehend, die Ausflüge dorthin waren auf ein Minimum beschränkt. Auch die Tatsache, dass Zeilers einstiger Finanzchef Rabe dort bei Bertelsmann inzwischen Vorstandschef ist, hat am offenkundigen Fremdheitsgefühl wenig geändert. Wohl eher im Gegenteil",
informiert ein Redakteurs-Trio auf der Medienseite der Süddeutschen. Derweil hat sich Hans-Peter Siebenhaar vom Handelsblatt unter RTL-Managern umgehört, darunter solchen, die Zeiler "durchaus kritisch gegenüber" stehen, und ihnen versprochen, ihre Namen nicht zu nennen. Erhalten hat er dennoch keine heißeren Zitate als "Sollen wir jetzt einen Blumenladen aufmachen oder was?", weiß jedoch hinzuzufügen:
"Geschadet hatte ihm in Gütersloh, dass er im Frühsommer vergangenen Jahres mit dem Chefsessel des österreichischen Staatssenders ORF geliebäugelt hat."
Auf welchem Chefsessel Zeiler stattdessen Platz nehmen wird, wurde gestern ebenfalls bekannt gegeben, wird am österreichischsten von meedia.de formuliert (Zeiler wird "Welt-Chef von CNN") und am schönsten (vgl. die Kommentare unten dem Standard-Artikel) in Österreich reflektiert: "Er führt künftig alle Auslandsaktivitäten von Turner Broadcasting, zum dem etwa CNN, TNT und Cartoon Network gehören", also ein Unternehmen, dessen Aktivitäten sich im deutschsprachigen Raum noch durch Luft nach oben auszeichnen.
Bliebe noch Zeilers eigentliche Nachfolgerin im Bertelsmann-Vorstand zu nennen und würdigen: Anke Schäferkordt, die zwar auch, aber längst nicht nur ihrer Hosenanzüge wegen gelegentlich als Angela-Merkel-haft empfundene RTL-Geschäftsführerin sowie "herausragende Unternehmerin" (Bertelsmann-Mitteilung), übernimmt Zeilers Chefsitz und mit de Posch die Cashcow-Leitung:
"Ein Team, das nicht nur weltklasse ist, sondern einfach DAS BESTE in unserer Industrie.
Ihr
Gerhard Zeiler"
heißt es im oben verlinkten Mitarbeiter-"Abschieds-Brief".
[+++] Damit von Gütersloh nach Erfurt, wo auf dem Pressekonferenz-Podium im Anschluss an die turnusgemäß in wechselnden Funkhäusern stattfindenden ARD-Intendanten-Gipfel erstmals seit Menschengedenken sage und schreibe drei Intendantinnen nebeneinander saßen. Die TAZ zeigt sie auf einem farbenfrohen Foto. Und allein schon dass ARD-Programmdirektor Volker Herres "zwar auch dabei" saß, wie Steffen Grimberg schreibt, "anders als sonst aber kaum zu Wort" kam, könnte für aufregende Einschätzungen der aktuellen Lage und unterhaltsame Berichte darüber ein gutes Zeichen sein.
War es aber doch nicht, denn Monika Piel, Dagmar Reim und Karola Wille ragen auf ihrem Feld der öffentlich-rechtlichen Anstaltsleitung natürlich in der Weise heraus wie Schäferkordt auf dem ihren. Öffentlich äußern sie nichts, was nicht auch alle stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Aufsichtsgremien unterschreiben würden.
[listbox:title=Artikel des Tages[SZ über Zeilers Weggang##HB über Zeilers Weggang##TAZ über ARD-Intendantinnen-PK##Tsp. übers Fernsehen an sich##TAZ-Interview zum Fernsehballett]]
Was die ARD gestern alles wieder so verkündete, zwischen Gaga-Meldungen über GEZ-finanzierte Umfragen zum Lob des Auftraggebers, und der Bekanntmachung, dass dem abgelösten Degeto-Chef Hans-Wolfgang Jurgan (siehe Altpapier) nach einer "forensischen Untersuchung" (und warum forensisch - während der Untersuchung zuviele von Jurgan executive produced-e Wallanderkrimis gesehen?) "keine strafbaren Handlungen" vorgeworfen werden können, lässt sich bei verschärftem Interesse hier im O-Ton nachlesen.
Um Zusammenfassung bemühen sich pflichtschuldig außer Grimberg aber auch noch Christiane Kohl in der Süddeutschen ("Bei der ersten Pressekonferenz der ARD-Intendanten in diesem Jahr saßen statt graumelierter Herren drei modisch gewandete Damen vor der mit blauem Tuch ausstaffierten Kulisse im Erfurter Funkhaus"), Michael Hanfeld in der FAZ mit Fokus auf dem "Tagesschau-App"-Online-Streit ("Zuletzt hatte sich eine Arbeitsgemeinschaft der Online-Redakteure gemeldet. Die 'taz' hatte sichtlich Spaß am möglichen Zwergenaufstand.... Freilich ist die Entscheidung, wer was im Internet dürfen soll, noch nicht gefallen"), und der Tagesspiegel, wie das Hamburger Abendblatt, mit leichtem Fokus auf Thomas Gottschalk (ja auch ARD).
Das vermutlich deshalb, um dem alleraktuellsten Thomas-Gottschalk-Kommentar des Ressortleiters, einem von Medienredakteurs-Weltschmerz besonders gesättigtem, Schub zu verleihen. Darin schreibt Joachim Huber:
"Die Fernsehkundigen sagen, das Medium hätte sein einzigartiges Fluidum, das berühmte Alleinstellungsmerkmal längst eingebüßt. Fernsehen passiert nur, wenn der Apparat eingeschaltet wird. Es gibt keine Vorfreude, keine Nachfreude mehr, es ist in den Alltag eingespeist wie Frühstücken, Arbeiten, Schlafen. Den Fernseher einzuschalten, ist so einzigartig geworden wie das Lichtanmachen."
Womit eigentlich auch das bisherige Lebenswerk Gerhard Zeilers und vieler seiner Cashcow- (und Anstalten-) Managerkollegen bestens gewürdigt wäre.
Altpapierkorb
+++ Falls Ihnen alles, was hier über dem Strich steht, viel zu wirtschaftsnah vorkommt und Sie einen völlig anderen Ansatz bevorzugten: Georg Seeßlen eruierte zwischen Kaufbeuren und Kuba die "drei schwersten Erkrankungen der freien Presse: die Verflechtung von Politik und Medium bis hin zu einer gegenseitigen Abhängigkeit von Mafia-Ausmaßen", "die Verwandlung der Medien in ökonomische Instrumente, bei der die Vermischung von Werbung und redaktioneller Aussage überführt wird in einen Metatext des Marktes" sowie "die Konzentration der Macht über den Pressemarkt und durch den Pressemarkt in wenigen Händen und Firmen, die global spielen und für deren Protagonisten es ein Leichtes ist, einen nationalen oder regionalen Kommunikationsmarkt aufzufressen". Ein in strengem Tonfall gestalteter großer Kommentar des vor allem als Filmkritiker bekannten Publizisten ziert heute die Meinungsseite der TAZ, leidet freilich ein wenig darunter, dass Aspekte wie das Internet nicht vorkommen... +++ Falls Sie doch lieber harte wirtschaftlich Hintergründe geliefert bekommen möchten, hilft die TAZ ebenfalls, und zwar mit einem der instruktiven Kurzinterviews von Anna Frenyo. Warum denn nun der MDR sein Fernsehballett verkauft, fragte sie den zuständigen Holding-Geschäftsführer. "Kerngeschäftsfeldbereinigung", antwortet Uwe Geißler, "als Auftraggeber des Fernsehballetts" möchte der MDR aber weiterhin auftreten. +++
+++ Neues aus der Medienjustiz: In gleich zwei Fälle entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über deutsche Fälle, einmal in Sachen Caroline von Monaco bzw Hannover gegen Frau im Spiegel (siehe z.B. AFP-Meldung/ Tsp.), einmal in Sachen Bild-Zeitung gegen einen Fernsehschauspieler, der einst auf dem Münchener Oktoberfest Kokain dabei hatte (siehe z.B. Springers Erfolgsmeldung). In beiden Fällen siegte die Presse. Auf der Medienseite der Süddeutschen fasst Wolfgang Janisch beide Urteile zusammen, u.a. im Bild des "Liebesspiels der Igel" zwischen dem Straßburger Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht, zwischen deren Linien nun ein Kompromiss gefunden sein. Bei taz.de fasst frei online Christian Rath die Urteile zusammen. Alleinstellungsmerkmal des Artikels, der das Urteil quasi umsetzt: Er nennt den Namen des Schauspielers, der früher deutlich bekannter war als er inzwischen ist. +++
+++ Anlässlich der ACTA-Frage (siehe Altpapier) fragt die TAZ, ob "das Urheberrecht abgeschafft" gehört, und zwar in Pro- ("Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ein vor sich hin rottendes Geschäftsmodell, das vom technischen Fortschritt links überholt worden ist, qua Gesetz gerettet werden muss") und Contra-Form ("Ich glaube, dass das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen von Urhebern nicht umsonst in der Erklärung der Menschenrechte (Artikel 2, Absatz 2) verankert ist...") von Meike Laaff und Julian Weber. +++
+++ Dass Filmautorin Beate Lehr-Metzger, bekannt vielleicht aus dem Altpapier, den mit 15.000 Euro dotierten Marion-Samuel-Preis der "Stiftung Erinnerung Lindau" erhält, meldet die Süddeutsche. +++
+++ "Ein Prominenter! Ein Macho! Und nun so gebrochen! Kommt gerade recht, die arme Sau, schließlich ist Gaby Köster mit ihrem Schlaganfall umfassend ausgeweidet. Ja, wenn den Blattmachern ein Teufel verlässlich zur Seite steht, so ist es das Schicksal" (TAZ-Kriegsreporterin über Rudi Assauer). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.