Sekundenpresse gibt es nicht am Kiosk

Sekundenpresse gibt es nicht am Kiosk

Rupert Murdochs Wall Street Journal ist auf deutsch online. Kai Diekmanns Bild-Zeitung liefert nicht mehr allen Wullf-Content, wird aber dennoch weiterhin gründlich durchdiskutiert.

Wer sofort seine tägliche Dröhnung Wulff benötigt, scrolle bitte etwas nach unten (bzw. klickt bitte hier).

Zuallererst muss hier ein neuer Player auf dem deutschen Nachrichtenmarkt begrüßt werden, bzw. ein (allerdings nur aus der Auslandsberichterstattung wie der zum britischen Phone Hacking-Skandal) altbekannter: Rupert Murdoch, der zwar mit Fernsehunternehmungen wie tm3 und Sky wiederholt den deutschen Markt zu entern versuchte, dabei aber publizistisch eher keinen Ehrgeiz hegte, woran auch der seit Dezember aktive Sender "Sky Sport News" noch nichts geändert hat, ist seit gestern mit dem Wall Street Journal auf deutsch online. Es reicht wsj.de einzugeben, unter der Doman stößt man nicht mehr auf den württembergischen Landessportbund.

Hier das Editorial des ebendort edel gezeichneten Chefredakteurs Knut Engelmann, das mit den Worten

"Wir bringen Ihnen die weite Welt der Wirtschaft auf Ihren Bildschirm. The Wall Street Journal Deutschland ist die erste rein digitale Wirtschaftszeitung im deutschsprachigen Raum - nur im Netz, nie am Kiosk"

den Kiosk und die dort vertriebenen Papierprodukte rhetorisch geschickt in eine analoge Schmuddelecke rücken möchte.

Inhaltliche Bewertungen des teils gewohnt gratis, teils hinter einer "2,92 Euro pro Woche" teuren Bezahlschranke wartenden Online-Angebots gibt es bei meedia.de und kress.de. Die FAZ widmet der Sache auf ihrer Medienseite eine dreizehnzeilige DPA-Meldung. Der vermutlich besondere betroffene Mitbewerber handelsblatt.com begrüßt sie mit den sportlichen Worten "Der Markt an aktuellen Wirtschaftsmedien in Deutschland ist um eine Publikation reicher geworden", an die sich dann die DAPD-Meldung anschließt, auf der auch der Text von sueddeutsche.de basiert (was man daran erkennt, dass der Chefredakteurs der ebenfalls betroffenen FTD jeweils "Steffen Klussmann" genannt wird; was Klusmann, aber auch Gabor Steingart vom Handelsblatt zum neuen Rivalen sagten, zitiert die DAPD aus dem Beitrag des Journalistengewerkschaftsheftes journalist).

Jedenfalls haben Engelmann und Murdoch bei der Auswahl ihrer Partner ein Händchen gehabt. Worauf man neben als "exklusiv" gekennzeichneten Wall Street-Inhalten bei wsj.de auch noch stößt, ist Content aus der deutschen Welt - also von jenem Springer-Verlag, der derzeit wegen seines investigativen Wulff-Journalismus in aller Munde oder zumindest in allen sog. Qualitätszeitungen breit erwähnt ist. Über die "Content-Partnerschaft" der Mediendarlings Murdoch und Springer informiert die oben verlinkten meedia- und kress-Beiträge.

[+++] Und wir sind damit unmerklich wieder bei Christian Wulff, dem kaum minder sympathischen Staatsoberhaupt, angelangt. Die heißeste Wulff-News des Tages ist gewiss die von der äußerst kurzfristigen Absage jenes für heute angesetzten Prozesses "gegen die beleidigende Bildmontage und Kommentierung eines Facebook-Autors" vor dem Dresdner Landgericht, von dem die FAZ Ende Dezember kündete.

"Bis Dienstag hatte der Bundespräsident noch an einem umstrittenen Verfahren wegen Verunglimpfung seines Amtes und seiner Person vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden festgehalten, obwohl sich der Angeklagte bei ihm entschuldigt hatte. Erst dann, am Mittag, sagte das Präsidialamt den für Mittwoch geplanten Termin per Fax kurzfristig ab. Offenbar fürchtete man neue Negativschlagzeilen und erkannte eine Schieflage: Der Präsident ist derzeit nicht nur im Internet Zielscheibe von Hohn und Spott",

berichtet nun der Tagesspiegel, dem auch die konkurrierrende Berliner Zeitung den Credit für diese Meldung zugesteht. Womöglich wird der Bundespräsident inzwischen doch beraten.

[+++] Daneben machen weitere Wulff-News die Runde. Auch wenn es bloß um die (zumindest sofern man nicht vom Schreiben lebt) nicht ungeheuer gewaltige Summe von "gut 10.000 Euro" sowie um noch ein älteres Gesprächsbuch mit Christian Wulff geht (nicht mehr ""Besser die Wahrheit", sondern "Deutschland kommt voran") - vergleichsweise sensationell ist, dass diese Wulff-News nicht mehr von der Axel Springer AG lizensiert durchgestochen wurden, sondern der Credit Springer-unabhängigen Journalisten gebührt. Und zwar Spiegel Online sowie ganz besonders der eben schon erwähnten FTD.

Die Bild-Zeitung zitiert bloß gern und treibt diese Sache mit einem leicht weinerlich anmutenden Exlusivzitat des betroffenen Buchverlagschefs ("Es ist sehr enttäuschend, so etwas erst im Nachhinein zu erfahren...") mit voran. Inhaltlich ist dieser neu Aspekt erneut äußerst medienaffin. Es geht um das Feld der Filmproduktion. Der schon vor Jahren als (allerdings nicht aus Hannover stammender) glamouröser Wulff-Freund und Filmfonds-Initiator bekannt gewordene David Groenewold soll der Spender jener 10.000 Euro sein. Wer heute online nach dem damals von Groenewold betriebenen Fonds "GFP German Film Productions" sucht, findet - so gut wie nichts, die frühere Domain dermedienfonds.de steht zum Verkauf. Aber im Filmportal findet man eine Reihe deutscher Filme, die Groenewold koproduziert hat (womit er einer von ganz wenigen Machern deutscher Steuerspar-Filmfonds ist, die zumindest tatsächlich deutsche Filme finanziert und nicht bloß "stupid money" nach Hollywood überwiesen haben).

[+++] Zurück zu Wulff. Auch das liebgewonnene Genre des umfassenden Sermons zur allgemeinen Lage unter besonderer Berücksichtigung einerseits Wulffs und andererseits der befremdlichen Tatsache, dass in der sog. Qualitätspresse ausgerechnet Kai Diekmann als Platzhalter der Pressefreiheit erscheint, ist heute mit zwei großen, paritätischen Zeitungsstücken vertreten.

Einerseits springt Ulrike Simon in der DuMont-Presse denen bei, die den Bild-Zeitungs-Chefredakteur doch irgendwie für verdienstvoll halten. Ihr Artikel streift leider nur sehr kursorisch anhand von Martina Krogmann und Alfred Draxler das traditionsreiche CDU/ Springer-Personaliengeflecht und wiederholt gegen Ende:

"Nun steht Bild als Blatt da, dem nicht nur eine seriöse Berichterstattung gelungen ist, sondern mit dem sich andere Medien solidarisieren. Dieser Wert ist höher zu schätzen als jede Werbung, jede Auflagensteigerung, jedes Plus bei Online-Visits und jeder Aufstieg auf Platz eins irgendwelcher Rankings über die meistzitierten Medien. Wer Kai Diekmann kennt, weiß, wie spitzbübisch er sich darüber freuen kann. Warum sollte er sich da die Hände schmutzig machen, indem er Wulffs Mailbox-Ansage veröffentlicht. Vielerorts wird Bild das vorgeworfen. Dazu muss man wissen, dass Diekmann zum Zeitpunkt des Anruf selbst im Ausland war und ..."

wer bislang glaubte, Simon und die Berliner Zeitung gehörten zu denen, denen keine exklusiven Springer-Infos gesteckt würden, könnte diese Meinung nun revidieren müssen. Zumindest die fleißigen Detektive des (heute in Tsp. und TAZ vorgestellten) WulffPlag, die schwarmintelligent an der von der Springer AG veranstalteten Schnitzeljagd nach dem Originalwortlaut von Wulffs Mailboxnachrichten für Diekmann teilnehmen, sollten Simons Artikel gründlich studieren.

Einen anders, eher gegen die Hochstilisierung der Springer-Presse ("Verquickung von Staatsblatt und Dreckschleuder") argumentierenden Grundsatzartikel hat Literaturredakteur Johan Schloemann für die Medienseite der Süddeutschen (S. 15) geschrieben.

[listbox:title=Artikel des Tages[Das deutsche WSJ##Dessen Content-Partnerschaft mit Springer (meedia.de)##Wulff nun doch beraten? (Tsp.)##FTD über Wulffs Filmfreund Groenewold]]

Darin hat er nicht nur für die ZDF-Frau Bettina Schausten eine bessere Antwort parat, die sie auf Nachfragen zu ihrer 150-Euro-Fragen hätte geben sollen ("Nein, ich zahle meinen Freunden nichts, aber ich habe auch kein hohes Staatsamt inne, in dem man im Umgang mit wohlhabenden Unternehmern keinen falschen Eindruck erwecken sollte"), sondern befasst sich auch mit den "Salamitaktik"-Vorwürfen, die Wulff gemacht werden, aber eben "spiegelbildlich auch für den politischen Journalismus und seine Meldungsproduktion" gelten. Da treibe es die Presse einerseits "mit der zunehmenden Kleinteiligkeit, die sich aus dem Versuch der permanenten Personalisierung und Skandalisierung von Politik ergibt, zu weit", argumentiert Schloemann.

Zum Teil sei das Phänomen aber auch "einfach den gegebenen Mechanismen der Tagespresse (gedruckt) und der Sekundenpresse (TV, Radio, digital) geschuldet".

Und diese Sekundenpresse, die gibt es jedenfalls nie am Kiosk.


Altpapierkorb

+++ Indes neu am Kiosk: die "Shoppingbibel par excellence" (kress.de) mit dem schönen Namen Couch aus dem traditionsreichen Pressehaus Gruner+Jahr. Im Interview unter demselben Link gibt Chefredakteur Stephan Schäfer auf die Frage "Was unterscheidet 'Couch' von einem besser gemachten Produktkatalog?" die vielleicht auch für den Zustand des Journalismus aufschlussreiche Antwort "Jede gute Frauen- und jede gute Wohnzeitschrift ist eine Produktschau. Die Leute kaufen sich eine Wohnzeitschrift, weil sie ganz konkret auf der Suche nach neuen Dingen sind. Unsere Aufgabe ist es dann, aus den tausenden Produkten, die auf dem Markt sind, die zehn schönsten herauszusuchen. Ich glaube, man braucht echtes Know-how, um zu sagen, das ist eine angesagte Designerlampe oder ein tolles Vintage-Accessoire im Preissegment zwischen 35 und 150 Euro. Das ist eine Kunst. Ein Katalog ist lediglich eine Produktanordnung eines Herstellers." +++ "Was ist zu sehen? Junge Paare, die daheim vor lauter Nestwärme vorzugsweise barfuß laufen und saubere Rennräder unter ihren Kunstdrucken parken. Helle Appartements ('Kleine Räume, große Lösungen') an Orten wie Utrecht oder Brooklyn..." (Claudia Tieschky in der Süddeutschen über dasselbe Heft). +++

+++ "Birgit Minichmayr als glamouröses Miststück in einem flachen Film", lautet die Überschrift ebd. zum heutigen ARD-Film "Die Verführerin Adele Spitzeder", dem die FAZ sowohl eine Besprechung als auch ein Gespräch mit der Titeldarstellerin widmet. Die erste Frage dieses sehr höfliches Interviews ("Was würden Sie machen, wenn Ihr Talent nicht so adäquat Ausdruck fände?") widmet. "Wie wichtig ist Ihnen Geld?", lautet die erste Frage. "Ich habe keinen Bezug dazu. Natürlich möchte ich meinen Lebensstandard halten können. Ich habe aber keine Gier nach mehr. Ich möchte mir jederzeit einen Flug buchen können. Ich bin gern großzügig und lade gern ein, halte mich aber nicht fest am Geld. Ich lebe nach dem Motto: Loslassen heißt erhalten", lautet die Antwort, und dass Fragesteller Michael Seewald dennoch nicht auf Wulff kommt, spricht für ihn. +++ Siehe auch Tsp. +++

+++ Wer sich öffentlich entschuldigen kann: die TAZ-Kriegsreporterin. Sie macht es dafür, dass sie sich im Dezember über die Wahl von Thomas Gottschalk zum "Unterhaltungsjournalisten des Jahres" des medium magazins mokierte, und sie macht es, weil sie selbst den zweiten Platz dieser Kategorie belegt: "Was natürlich der Hammer!!! ist und total toll und schön und großartig und super und ichfreumichganzriesig". Ähm ... tja, der Unterhaltungsjournalismus. +++

+++ Die TAZ-Überschrift "Stimme der Diaspora" gilt dem in Dänemark nun zwar "wegen Terrorunterstützung" verurteilten, jedoch trotz türkischer Forderungen nicht verbotenen kurdischen Fernsehssender Roj TV in Dänemark. +++ Bei der Präsentation der neuen Zeitung Jewish Voice from Germany könnte in den Worten des auch immer noch amtierenden Bundesaußenministers Guido Westerwelle implizit auch Christian Wulff präsent gewesen sein (Tagesspiegel). +++

+++ Explizit um Wulff geht es dem guten alten Bild-Zeitungs-Gegner Klaus Staeck in der Rundschau ("Der Platz dieser Kolumne reicht nicht aus, um all die mir persönlich bekannten Zeitgenossen aufzuzählen, die diesem Blatt zwar in tiefer Verachtung verbunden sind, aber am Telefon stramm-verkrampft Haltung annehmen, wenn sich die Bild-Zeitung meldet"). +++ Und natürlich in den Wiedergaben von Bild-Zeitung und FAZ zur 400-Fragen-Frage, deren Exklusic-Credit erneut dem Tagesspiegel (von gestern) gebührt. +++ Salomonisch sieht Stefan Winterbauer die Lage ("Genausowenig, wie der Präsident mit seinen wirren Drohungen die Pressefreiheit ankratzen konnte, schafft es es die geballte Medien-Maschinerie, Wulff aus dem Amt zu schreiben"). +++

Höchstwahrscheinlich neuen Wulff-Content und zweifellos neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.
 

weitere Blogs

Regenbogengottesdienst  in Adventszeit
Ein Gedicht zum Heiligen Abend aus queerer Perspektive nicht nur für queere Christ:innen.
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.