Stimmabgabe in einer Kirche, ist das neutral?

Wähler geben bei der Pfarrgemeinderatswahl in der Basilika St. Ulrich in Augsburg ihre Stimme ab.
epd-bild/Annette Zoepf
In Bremen werden am 23. Februar zur Bundestagswahl in 17 Kirchen und Gemeindehäusern Wahllokale eingerichtet.
Bundestagswahl 2025
Stimmabgabe in einer Kirche, ist das neutral?
Wenn in Deutschland gewählt wird, findet das in amtlich ausgewiesenen Wahllokalen statt. In der Regel sind das Schulen, Turnhallen oder andere kommunale Gebäude. Oder, und das dürfte viele überraschen, es sind Kirchen und Gemeindehäuser. Könnten sich Wahlberechtigte nicht von der religiösen Symbolik, etwa des Kreuzes beeinträchtigt fühlen? Und das, wo die Kirchen sich derzeit heftig in den Wahlkampf einmischen. Eine etwas komplizierte Recherche von Thomas Klatt mit überraschenden Ergebnissen.

In der Württembergischen Landeskirche hält man nicht hinter dem Berg, sondern zeigt auf der eigenen Webseite, dass man die eigenen Kirchen gerne als Wahllokale zur Verfügung stellt. So wird die Stuttgarter Frauenkopfkirche schon seit vielen Jahren als Wahllokal genutzt. Sie gilt als das einzige passende öffentliche Gebäude im Viertel. "Ich finde es gut und wichtig, dass die Frauenkopfkirche als Wahllokal dient. Damit zeigt sie sich als offene Gastgeberin und Dialogpartnerin in einer politischen Entscheidungsfindung, wie es mit unserem Land weitergeht", kommt die zuständige Pfarrerin Vinh An Vu auf der landeskirchlichen Webseite zu Wort.

Und ihr Kollege Pfarrer Ulrich Scheffbuch von der Ludwig-Hofacker-Gemeinde im Süden Stuttgarts ergänzt: "Als die Stadt Stuttgart uns darum gebeten hatte, war es für uns selbstverständlich, unser Gemeindehaus als Wahllokal für die Bundestagswahl zur Verfügung zu stellen. Die normalerweise im Gemeindehaus stattfindende Kinderkirche wird am Wahlsonntag den großen Gottesdienst in der Ludwig-Hofacker-Kirche mitfeiern."

Doch so selbstverständlich, wie es hier dargestellt wird, scheint das nicht allen zu sein. Eine private nicht repräsentative Umfrage im Berliner Bekannten-, Freundes- und Kollegenkreis des Autors dieses Artikels löst Erstaunen bis Erheiterung aus. Staat und Religionsgemeinschaften seien doch rechtlich getrennte Sphären.

Nachfrage also bei der Bundeswahlleiterin und den 16 Landeswahlämtern. Dort verweist man auf die Gesetzeslage: "Bundeswahlordnung (BWO), § 46 Wahlräume, (1) Die Gemeindebehörde bestimmt für jeden Wahlbezirk einen Wahlraum. Soweit möglich, stellen die Gemeinden Wahlräume in Gemeindegebäuden zur Verfügung. Die Wahlräume sollen nach den örtlichen Verhältnissen so ausgewählt und eingerichtet werden, dass allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung, die Teilnahme an der Wahl möglichst erleichtert wird. Die Gemeindebehörden teilen frühzeitig und in geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei sind.

(2) In größeren Wahlbezirken, in denen sich die Wählerverzeichnisse teilen lassen, kann gleichzeitig in verschiedenen Gebäuden oder in verschiedenen Räumen desselben Gebäudes oder an verschiedenen Tischen des Wahlraumes gewählt werden; § 68 Absatz 2 gilt entsprechend. Für jeden Wahlraum oder Tisch wird ein Wahlvorstand gebildet. Sind mehrere Wahlvorstände in einem Wahlraum tätig, so bestimmt die Gemeindebehörde, welcher Vorstand für Ruhe und Ordnung im Wahlraum sorgt."

Gemeinden entscheiden selbst, ein Wahllokal zu sein

Unter diese Nüchternheit können somit auch Kirchen und christliche Gemeindehäuser fallen, heißt es. Auf weitere Nachfrage hin, wie viele religiöse Einrichtungen bei der anstehenden Bundestagswahl als Wahllokale dienen, gibt es allerdings keine Antwort. Dafür seien die jeweiligen Gemeinden zuständig. Die Bundeswahlleiterin kann nicht sagen, wie viele und welche Kirchen und Gemeindehäuser oder christlichen Kitas nun genau zu Wahllokalen werden.

Nur die Landeswahlbehörde in Bremen gibt auf Anfrage bekannt, dass am 23. Februar in dem Stadtstaat 17 Kirchen und Gemeindehäuser Wahllokale werden. Für das Einrichten, die Betreuung und das anschließende Wiederherrichten der Wahlräume wird dort eine Aufwandsentschädigung von 50,- € pro Wahlraum gezahlt. 

Und das Kreuz? Das wird als religiöses Symbol, nicht als unzulässige Beeinflussung angesehen. Zumindest nicht von den Wahlbehörden. "Sofern es sich bei religiösen Symbolen um nach Art und Umfang übliche Gebäudedekorationen oder Zimmerschmuck handelt, stellen diese grundsätzlich keine unzulässige Beeinflussung in diesem Sinne dar", heißt es aus der hessischen Landeswahlleitung.

Eine besonders interessante Erklärung gibt die Pressestelle der saarländischen Landeswahlleitung. Die gewöhnliche Nutzung außerhalb des Wahltages sei ohne Bedeutung. Und: "Weiterhin verbringt eine Wählerin oder ein Wähler nur wenige Minuten in einem Wahllokal, sodass nicht pauschal von einer Beeinträchtigung ausgegangen werden kann."

Nach fünf Minuten noch nicht beeinflusst?

Religiöse Wirkmächtigkeit macht sich demnach also nach welcher Zeit bemerkbar? Nach wenigen Minuten jedenfalls nicht? Die amtliche Auskunft aus Saarbrücken könnte nach der Bundestagswahl eine theologische Debatte auslösen.  Aber es geht nicht nur um religiöse Symbolik im Wahlraum. Die Kirchen selbst haben sich in den Wahlkampf eingemischt. Zuletzt kritisierten sie den CDU-Parteivorsitzenden und -Kanzlerkandidaten Friedrich Merz wegen seiner fragwürdigen Abgrenzung zur AfD und seiner Migrationspolitik.

Schon vorher warnten beide Kirchen vor der Wahl der AfD und anderer menschenverachtender Parteien. In ökumenischer Eintracht starteten sie die Kampagne "Für alle. Mit Herz und Verstand - Kein Raum für extremistische Positionen". Schon länger prangt das Motto "Zusammen streiten für Demokratie und Menschlichkeit" vor und in evangelischen Kirchen. Aber können Kirchen dann noch neutrale Wahllokale sein? 

Sie können! Die Pressestelle der Bundeswahlleiterin antwortet, dass nach § 32 BWahlG keine Beeinflussung der Wählenden durch Wort, Ton, Schrift oder Bild drohen darf. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass auch Plakatierungen abzunehmen sind, durch die eine unzulässige Einflussnahme droht. Aber wenn sich nun doch jemand von religiösen Symbolen und den Aussagen der Kirchen im Vorfeld der Wahl gestört fühlt? Dann entscheidet die Gültigkeit von Bundestagswahlen nach dem Grundgesetz (Artikel 41) der Deutsche Bundestag. 

"Die Wahlprüfung erfolgt aber nur auf Einspruch. Wie der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages entscheiden würde, falls gegen die Nutzung einer Kirche als Wahlraum ein Einspruch eingelegt würde, hinge wohl sehr stark vom konkreten Einzelfall ab und davon, welche Alternativen zur Verfügung standen. Das können wir nicht prognostizieren", schreibt die Pressestelle der Bundeswahlleiterin.

Insofern könnte es ab dem 24. Februar nicht nur um die einen oder anderen Koalitionsverhandlungen gehen, sondern die Wahl könnte grundsätzlich angefochten werden, weil Kirchen zu Wahllokalen wurden. Theoretisch! Ernsthaft damit zu rechnen ist aber wohl nicht.