Nein, die Welt wurde auch schon mal von Christian Wulff bedroht. Mit Metaphern von Meisen und Mäusen sowie Richtblöcken versuchen die Medien, die Lage des Bundespräsidenten und am Rande auch die Rolle der Springer-Presse zu beleuchten.
Zuerst das Alleraktuellste: Bundespräsident Christian Wulff will im Amt bleiben, bzw. "habe sich entschieden, nicht zurückzutreten", melden am frühen Morgen die ARD und andere breaking weiter. Weil diese News dem ARD-Morgenmagazin entstammt, taucht sie nicht in der heute gedruckt vorliegenden Presse auf, die sich aber dennoch weitesträumig mit Wulff befasst.
[+++] Das Zweit- bis Drittfaszinierendste an den aktuellsten Aufregungen um den Bundespräsidenten bleibt die Rolle der Springer-Presse. Deren geballte Expertise im Machen, Lancieren und Halten von Schlagzeilen hätte all das kaum besser planen können.
Gestern, nachdem auch das letzte Medium die Bild-Zeitung als eine Art Sturmgeschütz der gegenwärtigen Demokratie und deren Chefredakteur Kai Diekmann, gern zum "Bild-Chef" verknappt, als standhaften Vertreter der vierten Gewalt gezeichnet hatte, preschte auch noch die Welt am Sonntag kurz in die Schlagzeilen. Also die, wenn man so will, Qualitätszeitung aus dem Hause Springer. "Die 'Welt am Sonntag' hatte im Sommer vergangenen Jahres bei einer Recherche ganz ähnliche Erfahrungen wie nun die 'Bild'-Zeitung gemacht", hieß es zunächst in diesem Welt-Artikel über die Wulff-Erfahrungen der Bild-Zeitung. Dann folgte der eigenständige welt.de-Artikel "Als Wulff die 'Welt am Sonntag' ins Visier nahm", in dem Hintergründe des WAMS-Artikels über "Christian Wulffs heimliche Schwester" aus dem letzten Sommer geschildert werden und "der Chefredakteur der 'Welt'-Gruppe, Jan-Eric Peters, ...nun erstmals von den Hintergründen im Vorfeld der Veröffentlichung des Artikels" berichtet. Einer von drei Autoren des Textes, Manuel Bewarder, Uwe Müller oder Marc Neller, sei "ins Schloss Bellevue gebeten" worden und habe in "einem langen Vier-Augen-Gespräch" erklärt bekommen, dass die WAMS "eine Grenze überschritten habe".
Aber noch keinen richtigen Rubikon. Warum Peters, sozusagen der Welt-Chef, sein Schweigen dazu erst gestern im Windschatten der Bild-Zeitung brach, bleibt etwas unklar. Aber Top-Schlagzeilen für die WAMS gab es, darunter bei SPON zeitweise ganz oben.
[+++] Heute nun in den weiträumigen Zeitungskommentaren scheint die Rolle der Springer-Presse zwischendrin manchmal auf. Mit seinem Anruf auf Diekmanns Mailbox habe der Präsident "seinen Kopf auf den Richtblock des Boulevards" gelegt, metaphert Mit-Herausgeber Berthold Kohler vorn auf der FAZ, die damit erstmals beinahe richtig Wulffs Rücktritt fordert.
Während die Süddeutsche auf ihrer zweiten Seite noch eigenes Bild-Zeitungs-Schlagzeilen-Potpourri aus besseren Wulffs-Tagen bringt, flüchtet sich Daniel Bax vorn auf der TAZ in sarkastische Scherze ("Die Alternative wäre, den Bundespräsidenten gleich von der Bild-Zeitung bestimmen zu lassen.. . Zumindest deren Chefredakteur Kai Diekmann scheint es ja nicht ganz unwichtig zu sein, wer unter ihm Bundespräsident wird").
[+++] Die wohl prägnanteste Analyse zur Wulff-Springer-Frage heute steht ebenfalls in der TAZ, weiter hinten, und versteckt sich unter einer Menge Tier-Allegorien:
"Während der nicht überall geschätzte Boulevard-Großkater Bild gnädig zuwartete, durften zunächst die niedlich-seriösen Kätzchen Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Süddeutsche die Maus im obersten Amt des Staates jagen, bis der Kater selbst noch mal fauchte. Das füllte an diesem Dienstag dann einen Gutteil der für die große Politik reservierten Seite 2 der Bild-Zeitung. Die schon bekannten Einzelheiten der Wulff'schen Drohanrufe beim Bild-Chefredakteur Kai Diekmann wurden noch mal 'in eigener Sache' geschildert."
Gerade weil eigentlich niemand Vornehmheit im Zusammenhang mit der Bild-Zeitung einfiele, posiert Diekmann derzeit in der Rolle vornehmer Zurückhaltung. Dieser Kommentar Steffen Grimbergs ist derjenige, den gestern auch schon Claus Kleber im heute-journal zitierte, weil er dem Präsidenten dann auch noch " - pardon und bei allem Respekt vor seinem Amt - eine politische Vollmeise" bescheinigt.
Bloggend umkreiste gestern Don Dahlmann dasselbe Thema:
"Pressefreiheit bedeutet auch, dass man seine Informationen möglichst schnell an die Leser weiter gibt, und nicht erst dann, wenn es der eigenen Meinung oppertun erscheint. Das 'Gatekeeping' hat nichts mit Pressefreiheit zu tun, es ist sein Feind. Aber all das macht eben auch klar, dass nicht nur Politiker bigotte Vorstellungen haben. Viele klassische Medien unterscheiden sich in Sachen Selbstverständnis und Bigotterie nicht allzu sehr von der Politik."
[+++] Und was macht die Bild-Zeitung, auf deren Richtblock der Meisen- bzw. Präsidentenkopf nach Einschätzung des Kluge-Köpfe-Blattes liegt? Sie zaudert beim Zuschlagen bzw. teilt und herrscht ("SPD-Chef Gabriel giftet auf Facebook gegen Wulff"). Sie freut sich weiterhin des Presseechos. Und wegen des großen Erfolges des gestrigen "In eigener Sache" legt sie heute "Noch mal in eigener Sache" nach.
[listbox:title=Artikel des Tages[Kätzchen & Kater (TAZ über Springer/ Wulff)##Gatekeeping und Pressefreiheit (D. Dahlmann)]]
Mit dem überall gespannt erwarteten Originalwortlauf der Wulff'schen Mailbox-Nachricht? Nein, auf den wird man weiter warten müssen, erst einmal "dokumentiert" das Blatt "die Fragen, die am Sonntag, 11. Dezember, um 6.49 Uhr, per Mail an den Sprecher Wulffs geschickt wurden" und die jeder, der sich zwischendurch für die Kreditaussagen im niedersächsischen Landtag interessiert hat, sich längst schon ausmalen konnte. Die Bild-Zeitung macht aus der Enthüllung von Christian Wulffs multiplen Kontakten zur Springer-Presse eine langlaufende Fortsetzungs-Story.
Die vielleicht treffendste Analyse, wenn man das ganze Vierte-Gewalt-Gedöns weglässt und allein aus der Sicht von Medien-Celebreties und denen denkt, die das, solang es geht, halt bleiben möchten, kam im Übrigen via Twitter von Boris Becker:
"Vielleicht zu lange in hannover gelebt ...MAN legt sich niemals mit BILD an ,oder MAN gewinnt WIMBLEDON !"
Altpapierkorb
+++ Noch ein schwieriges Thema: nazi-leaks.net. Zu ersten Hintergründen der Enthüllungsseite siehe netzpolitik.org neulich. Dass jetzt "die rechtskonservative Zeitung Junge Freiheit (JF) Strafanzeigen wegen Ausspähung von Daten gestellt" hat, meldet die Süddeutsche. Denn u.a. wurden "Namen, Adressen und Telefonnummern von Autoren und Interviewpartnern der JF veröffentlicht". Auch die FAZ-Medienseite 31 berichtet knapp. Michael Hanfeld telefonierte dazu auch mit dem Deutschen Journalistenverband: "Der DJV-Sprecher Hendrik Zörner", hier im welt.de-Video kurz Wulff kritisierend, "sagte im Gespräch mit dieser Zeitung jedoch, nachdem er sich Zugriff auf die zwischenzeitlich nicht zu erreichende Website von 'Nazi-Leaks' verschafft hatte, dass es selbstverständlich nicht hinzunehmen sei, wenn seriöse Journalisten in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt werden sollten." +++
+++ "Offenheit um jeden Preis führt nicht zwangsläufig eine gerechtere Welt herbei", schreibt in anderem Zusammenhang (dem eines Vortrag auf dem 28. Jahreskongress des Chaos Computer Clubs) Kay Hamacher unter der Überschrift "Warum Julian Assange falsch liegt" im SZ-Feuilleton. +++
+++ Weitere Medien-Wulffiana des Tages: Gern wird zusammengefasst, was "das Web" Wullff bewitzelt, zumal unter dem Hashtag #wulfffilme, siehe Tagesspiegel und Welt (deren Co-Chef Ulf Poschardt übrigens einen "Stromberg"-Vergleich beisteuerte). +++ Ebenfalls im Tsp.: Präsidentenanrufe bei Medien im internationalen Vergleich und ein Interview mit dem Top-Springer-Experten Stefan Aust ("Es gibt keine Kumpanei, wenn es um handfeste Geschichten geht"). +++ "Wer mit dem Teufel isst, muss einen langen Löffel haben", so die Einschätzung des Presenter-Reporters, Niedersachsen-Experten (und Darlings der Altpapier-Jahresvorschauen), Christoph Lütgert, auf vocer.org: "Man kann es unanständig und skandalös finden, dass Wulffs Mailbox-Tirade an 'Bild'-Chefredakteur Kai Diekmann durchgestochen wurde. Geschenkt! Denn es gerät zur Petitesse." +++ Hat Diekmann das Post- und Fernmeldegeheimnis verletzt? Das fragt Armin Conrad im 3sat-Kulturzeit-Blog. Antworten geben die Kommentare unten drunter. +++
+++ Und zwischen den Jahren beinahe, vorerst durchgerutscht (FAZ): Dass der unselige Wulff noch aus völlig anderen Gründen "gegen die beleidigende Bildmontage und Kommentierung eines Facebook-Autors" klagt, und zwar unter Berufung auf Paragraph 90 Strafgesetzbuch ("Verunglimpfung des Bundespräsidenten"). Wollte Wulff dabei bleiben, hätte er ungefähr so viel zu tun, wie er dem aktuell besten Wulff-Gag (Postillon) zufolge gerade zu tun hat. +++
+++ Ansonsten auf Medienseiten: viiiiel Fernsehbesprechungen. Den heutigen ARD-Film "Die lange Welle hinterm Kiel" mit Christiane Hörbiger und Mario Adorf, auf den viel GEZ-finanzierte Zeitungswerbung aufmerksam macht, versucht Christopher Keil in der Süddeutschen trotz seiner (des Films!) Degeto-Finanzierung freundlich zu besprechen ("In diesem Fall ist das Degetohafte nur an zwei, allerdings schlimmen Stellen vorhanden"). +++ Der Meister des freundlichen Besprechens, Tilmann P. Gangloff, ist hier nebenan und im Tsp. zu lesen, Klaudia Wick natürlich in der BLZ. +++ "Dekontextualisierung ist Programm", urteilte die FAZ gestern und inzwischen frei online. +++
+++ Ferner lobt die FAZ die NDR-Comedy "Der Tatortreiniger" von Arne Feldhusen mit Bjarne Mädel (beide "Stromberg"-bekannt), und die SZ Rudi Cerne als den Moderator, der die unterschiedlichsten Formate des Fernsehens moderiert, Sportsendungen und seit zehn Jahren "Aktenzeichen XY": "Man könnte sagen, er habe keine Ecken und Kanten, aber man könnte Cernes Art der Moderation auch elegant nennen." +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.