Es ist einer dieser Tage, an denen es im Grunde nur ein Thema gibt. Es heißt: "Der Bundespräsident und sein Versuch, die Veröffentlichung einer kritischen Geschichte aufzuhalten". Am meisten diskutierte Frage: Welche Rolle spielt die Bild-Zeitung?
Die Geschichte von Bundespräsident Christian Wulffs Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann (siehe Altpapier vom Montag) steht heute in allen Zeitungen weit vorne, großflächig: Seite 1 etwa in SZ, FAZ, Tagesspiegel, taz, Berliner Zeitung. Seite 3 der SZ. Feuilleton-1 der FAZ. Seite 2 der taz. Prominent online.
Die Geschichte bietet Anlass zu allerlei Satiren; WDR5 (hihi) und die gefakete Facebook-Seite Wulffs bei stern.de sind da vorne dabei. Die Agenturen bieten zudem eine saukomische Auswahl an Symbolbildern an (das hier abgebildete Telefon steht übrigens in Köln).
Was aber klar überwiegt, sind die in Worte gefassten Versionen von über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen. Wulff, so viel kann man festhalten, hat es sich seit Montagnachmittag ziemlich verscherzt mit den überregionalen Zeitungen; aber auch Blogs, Parteikollegen und andere Politiker halten sich mit Verteidigungsreden auffallend zurück.
Wulff, der im Gegensatz zu Diekmann übrigens Staatsoberhaupt ist, hat, wie gestern zu erfahren war, auch bei Springer-Chef Mathias Döpfner und bei Verlegerin Friede Springer angerufen, um den Abdruck eines Artikels in Bild zu verhindern. Was nicht funktionierte. Dennoch hat ein derartiger Vorgang vielfältige Dimensionen, die in diversen Kommentaren und Einordnungen anklingen, welche hier vollständig aufzulisten den Rahmen sprengte. Da wären etwa an medialen Aspekten:
1) die Symbiose von Promi, also hier Wulff, und Bild. Sie wird, quasi unter dem vom berühmten Döpfner-Zitat ("Für die 'Bild'-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten") bekannten Bild-Hashtag #Aufzug, ausführlich im Bildblog behandelt, ebenfalls ausführlich auf Seite 13 der taz sowie knapp bei Spiegel Online, am Ende des Textes. Hierzu passt noch die Betrachtung des Verhältnisses von Medien und Politik, die Christian Bommarius in der Berliner Zeitung vornimmt:
"In den meisten juristischen Konflikten zwischen Politikern und Medien geht es nicht um Politik und nicht um Wahrheit, sondern um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Politiker, mit anderen Worten – um ihr Privatleben. Bis vor einigen Jahren galt erstens, dass sich die Medien dafür nicht zu interessieren hatten, und zweitens Verstöße dagegen auf dem kurzen Dienstweg zwischen dem Betroffenen und dem Chefredakteur geklärt wurden. Das ist vorbei."
2) Es gibt Zensurvorwürfe, vorgebracht von der taz im Leitartikel. Die an gleicher Stelle
3) Bigotterie beklagt: "All die präsidialen Bekundungen, in denen er Bedeutung und Stellenwert einer freien Presse betonte, zuletzt am gestrigen Montag in einer Mitteilung seines Präsidialamts, erscheinen jetzt bigott." Wenn andere Medien Wulff damit zitieren, dass die "Presse- und Rundfunkfreiheit" für ihn "ein hohes Gut“ sei (etwa der Tagesspiegel), hat das denselben Effekt. Nils Minkmar besorgt es dem Bundespräsidenten ziemlich, wenn er im zur Lektüre dringend empfohlenen FAZ-Feuilletonaufmacher über Wulffs Reise im Dezember nach Kuwait schreibt: "Was hat der Bundespräsident dort eigentlich gemacht? Er lobte unter anderem die Pressefreiheit. Zwar seien Presse- und Meinungsfreiheit 'immer ein Stachel im Fleisch der Herrschenden und Mächtigen', am Ende aber seien sie 'die beste Grundlage für erfolgreiche gesellschaftliche Entwicklung'. Danach rief er Diekmann an."
Welt Online nennt Wulff einen "Stromberg" und schreibt: "Ein Bundespräsident, der sich in dürren Worten zur Pressefreiheit bekennt, um sie in entscheidenden Momenten mit Füßen zu treten, erscheint in einer offenen Gesellschaft denkbar deplatziert."
Und die Süddeutsche kommentiert unter der hübschen Überschrift "Wie ein Landrat von Osnabrück": "Ein Mann, der die Pressefreiheit im Munde führt, sie aber nicht respektiert, ist ein falscher Präsident."
4), stark verwandt mit Aspekt 1: Welche Rolle spielt eigentlich Bild, die sich gestern Nachmittag noch "in eigener Sache" äußerte? Dazu gibt es die meisten offenen Fragen und auch ein paar unterschiedliche Positionen. Michalis Pantelouris kritisiert in seinem Blog die strukturelle Verbandeltheit: "Der Schritt von Wulff, Journalisten einen Deal anzubieten (nämlich den, weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn sie eine Geschichte unterdrücken) ist nur ein weiterer Tropfen Gift in diesem Endlager voller strahlender Fässer."
[+++] Weitere Interpretationen und Fragen: "Warum das Blatt über diese wahrhaft exklusive Geschichte nicht sofort berichtete, gehört zu den Mysterien der Affäre", findet die im Seite-1-Kommentar eher staatstragende FAZ. Anders die taz: "Warum gelangt eigentlich eine solche Nachricht aus einer persönlichen Mailbox an andere Zeitungen? Wörtliche Zitate des Präsidenten inklusive? Warum passiert das erst drei Wochen nach dem Anruf? Zu einem Zeitpunkt, als die Aufregung um die Kreditaffäre bereits abgeflaut ist?", fragt sie im oben verlinkten Leitartikel.
Wulff selbst beklagte, so die Süddeutsche (S. 3), gegenüber Diekmann
"die Methoden eines Netzwerkes, einen investigativen Journalismus, der unverantwortlich sei und dessen Mechanismus er sogar gegenüber den Medien öffentlich machen wollte, so wie er mit Strafanzeige gegen die Bild-Journalisten drohte. Er beschwerte sich, sein Vertrauen sei ausgenutzt und gegen ihn verwendet worden."
Zeit Online bringt andere Beobachter aus der Politik ins Spiel und schreibt:
"Dass die Bild das unschuldige Opfer eines Präsidenten auf Kriegspfad ist, daran glauben tatsächlich die wenigsten in der Partei. Aber, auch das geben viele zu bedenken, wisse man eben nicht, worum es in dem Streit zwischen Wulff und der Bild-Zeitung tatsächlich gehe. Womöglich sei der Kredit nur einer der Gründe für den Dissens. Viele weisen darauf hin, dass die Bild für ihre oft grenzwertigen Recherchemethoden bekannt sei. Lasse Becker, der Vorsitzende der Jungliberalen, deutete an diesem Montag auf Twitter an, was viele sich nur zuraunen: Dass es in dem Streit Wulff-Bild womöglich nicht nur um 'um den Kredit gegangen sein' könnte. Über eine weitere Enthüllungsgeschichte, die die Bild angeblich zu Wulff in der Hinterhand hat, kursieren seit längerem Gerüchte in Berlin."
Über die auch schon sowohl in der Berliner Zeitung als auch bei "Günther Jauch" vor Weihnachten berichtet wurde. Von einer weiteren Bild-Recherche über das Privatleben der Wulffs war da die Rede – was Nikolaus Blome von Bild bei Jauch mit einem Gesichtsausdruck dementierte, der darauf hinwies, dass es diese Recherchen selbstverständlich gab.
Es gibt allerdings heute auch Stimmen, denen zufolge es keinen Bezug zwischen Wulffs Anruf und diesen wahnsinnig geheimen Bild-Recherchen gibt. Steffen Grimberg schreibt etwa in der taz (S. 2): "Spekulationen, Bild habe auch wegen Recherchen über das frühere Leben von Bettina Wulff den Groll des Bundespräsidenten auf sich gezogen, wollte der Springer-Verlag gestern nicht kommentieren. Intern heißt es, dies sei 'kein Thema mehr'."
Und Michael Naumann, in dieser Aussage ähnlich, schraubt bei cicero.de aus der ganzen Geschichte ein Das-Internet-ist-wieder-schuld heraus:
"In der Zwischenzeit blühen infame Internet-Spekulationen über das Privatleben des Präsidenten. Sowohl der SPIEGEL als auch BILD haben ihre diesbezüglichen Recherchen im Raum Hannover eingestellt. Das ehrt sie. Doch die zweite Blogger-Welt des Internets ist – cum grano salis – keiner ethischen, politischen oder auch nur halbwegs journalistischen Kontrolle unterstellt."
[listbox:title=Artikel des Tages[Wir stellen uns einen Einakter vor (FAZ)##Der Weg einer Information (SpOn)##Öfter mal Diekmann beschimpfen (print-wuergt.de)##Geschichte einer Liebe (Bildblog)##Geschichte einer Liebe (taz)##Bild und CDU/CSU (cicero.de)##Keine Medienkampagne (BLZ)]]
Zu bemerken wäre dann noch, was fehlt in den Texten von heute. Es fehlt ein Satz wie "Die komplette Abschrift von Wulffs Mobilboxnachricht liegt der Redaktion vor". Liegt sie jemandem vor? Vielleicht sogar inklusive Subtext? Ist es vernachlässigbar, dass Bild in dieser Sache Interessen hat – zum Beispiel als großer Vorkämpfer für die Pressefreiheit hervorzugehen?
Damit das aber nicht verschwörungstheoretisch klingt: Andeutungen immerhin gibt es. Nils Minkmar kennt zumindest Teile einer Abschrift, die laut Spiegel Online auch tatsächlich existiert. Auch Ralf Wiegand von der SZ (S. 3) scheint über einige Details des Anrufs informiert und erzählt mehrere Passagen nach: "Zwischen Wut und Verzweiflung wechselte Wulff, als ob er noch während seines Anrufs nach einer Strategie suchte, wie er diese Geschichte verhindern könnte."
Und so kristallisiert sich, nach Lektüre all der Texte, die Einschätzung heraus: Eine Medienkampagne, deren Existenz die Berliner Zeitung auch zurückweist, gibt es hier nicht – konsensfähig ist lediglich, dass Christian Wulffs Vorgehen einfach zu schwer nachvollziehbar ist. Und die genaue Rolle von Bild? Spiegel Online bietet, ganz allgemein, diese nüchterne Variante an:
"am Ende ist es eine schlichte Abwägung, wovon das Blatt mehr profitiert: dem bevorzugten Zugang zu Wulff oder dem rücksichtslosen Aufarbeiten von Skandalen."
Altpapierkorb
[+++] Dazu gibt es noch Presseschauen zum Thema, die auch zahlreiche Regionalzeitungen ins Programm nehmen, etwa bei sueddeutsche.de, Spiegel Online und Bild Online +++
+++ Der Rest – also das eigentliche Medienseitenprogramm – in Kürze: Die Gründung von Nazi-Leaks und die Kritik des Chaos Computer Club daran wird in der SZ verhandelt (S. 15): "'Natürlich gibt es bei uns einige, die sagen, das sind Nazis, die sollte man ausspähen', berichtet ein gut vernetztes Club-Mitglied. Auch habe der Club in seiner Unvereinbarkeitserklärung deutlich Stellung gegen Rechtsextremismus bezogen. Dennoch verstoße die Arbeit von Nazi Leaks gegen die Hacker-Ethik, die besagt: Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen." +++
+++ Print: Die taz macht was zur WAZ +++ Ebenfalls die FAZ (S. 31) stellt einen französischen Karikaturenband vor +++ Der Tagesspiegel macht Untreue beim Magazinlesen als weiblichen Wesenszug aus +++ Die SZ stellt Rafael Seligmanns Zeitung vor +++
+++ Radio: 50 Jahre Deutschlandfunk – bei KSTA +++
+++ Fernsehen: Die FAZ hat 18 mal "Dinner for One" gezählt +++ Und ein paar neue Serien aus den USA gesehen, verhandelt in einer Spalte mit der Überschrift "Schockeffekte" +++ Außerdem in der FAZ: die Besprechung von "Die lange Welle hinterm Kiel" (Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD) +++ Der Tagesspiegel schreibt über einen nicht verlängerten Deal von Sky mit Paramount +++ Die SZ stellt mit "Der Tatortreiniger" eine deutsche Serie vor, für die es sich lohne, "dafür auf der Fernbedienung den NDR zu suchen" (Folge 1: Mittwoch, 22.25 Uhr) +++ Und die taz empfiehlt die Dokumentation "Stasi auf dem Schulhof" (Mittwoch, 23.45 Uhr, ARD) +++
Das Altpapier stapelt sich wieder am Mittwoch.