Neu auf Christian Wulffs Problembühne: ein altbekannter Großjournalist mit einer (nur vielleicht) innovativen Finanzierungsidee. Dank Schwarmfinanzierung schon über der magischen Wulff-Grenze (0,5 Mio.): Strombergs Kinofilm.
Eine Menge los, die Tellerränder der deutschen Medienlandschaft hinab. Zentrale Fragen heute: Wie kriegt man erstens Medieninhalte und zweitens, dass die Menschen sich dann auch mit diesen Inhalten beschäftigen möchten, finanziert?
Ganz vorn dabei: unser Bundespräsident. Gestern ist auf der ebenso schwer überschau- wie einschätzbaren Problemebühne um Christian Wulff ein bekannter Großjournalist neu aufgetaucht - Manfred Bissinger.
Merkwürdigerweise in seiner (auch das sorgte für Verwirrung, siehe Berichtigung unter diesem SPON-Artikel) nur bis 2010 bekleideten Position als Geschäftsführer von Hoffmann und Campe-Corporate Publishing hatte der einstige Chefredakteur von u.a. konkret, Merian und der Wochenzeitung Die Woche anno 2007 das eigentlich nicht corporate gepublishte Wulff/ Hugo Müller-Vogg-Gesprächsbuch mit dem zumindest langfristig hübsch hintersinnigen Titel "Besser die Wahrheit" (falls Sie noch Weihnachtsgeschenke suchen: Es ist lieferbar) betreut. Und als es auf dem Markt war, auf dem bekanntlich immer viele Bücher um Aufmerksamkeit konkurrieren, dann auch Unternehmer angefragt, ob sie nicht Anzeigen für dieses Buch schalten wollen.
Ja gesagt hatte zumindest ein aus vielerlei Zusammenhängen bekannter Finanzunternehmens-Gründer, Veronica Ferres-Lebensgefährte, Gerhard Schröder-Buddy und Hannoveraner. Dass also Carsten Maschmeyer mehr oder minder heimlich Presseanzeigen zur Verkaufsförderung des Wulff/ Müller-Vogg-Buches finanziert hatte, ist eines der Dinge, die Wulff nun neu um die Ohren gehauen werden. Von SPON dazu befragt, sagte Bissinger gestern,
"sein Vorgehen sei ganz normal gewesen: 'Wir haben damals verschiedene Unternehmer, unter anderen, angesprochen, ob sie sich an der Vermarktung des Buchs beteiligen würden. Das ist in der Verlagsbranche üblich und ein absolut normaler Vorgang.' Dass Privatpersonen Anzeigen finanzierten, sei 'kein Geheimnisgeschäft, da gab es nichts zu verbergen'".
Außerdem wundert er sich im Verlauf desselben Artikels noch, wie die denselben Vorgang betreffenden "Unterlagen an die Öffentlichkeit kamen" - was einen derart offensichtlichen Widerspruch darstellt, dass heute ein Trio aus dem FAZ-Feuilleton, darunter der umtriebige Medienseitenchef Michael Hanfeld, die Sache vertieft noch mal in auch eigenen Worten aufschreibt. Und mit einer Branchenumfrage, ob Privatpersonen-finanzierte Presseanzeigen für Buchverlage wirklich üblich sind, arrondiert.
Nein, nicht üblich, antworten Vertreter dreier Verlage, darunter des Herder-Verlags, der (auch schon im o.g. SPON-Artikel auftaucht und) somit immerhin sein Restrenommee aufpolieren kann. Hätte Maschmeyer sich unterstanden, Marketingmaßnahmen etwa für den aktuellen Herder-Topseller "Vorerst gescheitert" bezuschussen zu wollen, hätte der wackere Verlag ihm wahrscheinlich Bescheid gestoßen.
In die Top Ten der Wulff'schen Krisenherde 2011 wird es diese Buch-Geschichte aber wohl kaum noch schaffen. Während die Bemühungen der FAZ in dieser Sache leicht übereifrig anmuten, geht Hans-Jürgen Jakobs auf der Themenseite 2 der Süddeutschen eher lässig inhaltliche Aspekte des "ominösen Wulff-Gesprächsbands mit dem langjährigen Bild-Kolumnisten Müller-Vogg" durch, in dem der Herausgeber Wulffs Coolness pries:
"Bissinger jubelte im Vorwort den niedersächsischen Politiker Wulff zu einer Art Schröder 2.0 hoch, einem Erleuchteten, der Angela Merkel folgen könnte und der 'einfach cooler ist als Roland Koch'. Sowohl für Schröder als auch für Wulff gelte, dass 'sie sich aus eher kleinen Verhältnissen ins Leben kämpften", räsonierte der Verleger.'"
[+++] Ist eigentlich noch jemand für Wulff? Jawohl, erstens sind es, sogar mit Verve, die deutschen Muslime, wie Daniel Bax für die TAZ durch eine kleine Medienumschau ermittelte. Zweitens sind es, einer der ca. tausend tagesaktuellen Umfragen zufolge, sowieso 70 Prozent der Wähler. Das erwähnt Felix Dachsel ebenfalls in der TAZ, bevor er Schlagzeilen, die offenbar den Präsidenten stürzen sollen, auflistet:
"Der 'Spiegel' inzeniert Wulff auf seinem aktuellen Titelbild als verkrampfte und etwas ungelenke Person. Hinter ihm der Bundesadler. Darüber die Zeile 'DER FALSCHE PRÄSIDENT'. Die 'Hamburger Morgenpost' präsentiert Wulff im Strandkorb, entspannt und wohl gebräunt. Der Titel: 'Der Oberschnorrer!' Frank Schirrmacher spricht dem Bundespräsidenten im FAZ-Feuilleton die Berechtigung ab, in Zukunft über Bonität und Bürgschaften zu sprechen. ... Die 'Bild' collagiert eine Auswahl eindeutiger Überschriften ('Wulffs heikle Urlaubs-Liste', 'Wulff wartet auf Weihnachtswunder', 'Ein Präsident auf Abruf') und fragt, scheinbar besorgt, ernsthaft scheinheilig: 'Wie lange hält das Amt solche Schlagzeilen aus?' Eine interessante Frage, die viel über ihren Urheber im Speziellen und die Debatte im Allgemeinen aussagt. Sind es tatsächlich Schlagzeilen, die Wulff stürzen sollen?"
Doch sollten "Journalisten ... in dieser Frage nicht der Maßstab sein", plädiert Dachsel in diesem heute sinnvollsten Wulff-Artikel. Dann geht er noch speziell auf die Rolle von Wulffs Buchcoautor und dessen Blatt ein.
[+++] Eine im Vergleich zu den Maschmeyer'schen Methoden transparente Art der Finanzierung stellt heute der Tagesspiegel vor. Vielleicht wegen des großen Erfolges, schließlich stellte er sie vor kurzem schon einmal vor. Da ersann ein Kollege den schönen Begriff "Schwarmfinanzierung", den Sonja Pohlmann heute nicht übernimmt, sondern lieber von Crowdfunding spricht. Aber der Anlass ist populär: Jetzt wird online für einen "Stromberg"-Kinofilm gesammelt.
[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ über all die Anti-Wulff-Schlagzeilen##Bissinger ü. Anzeigen-Finanzierung '07 (SPON)##Was war noch mal Crowdfunding? (Tsp.)## Wie ist die Talkshowlage, Frau Illner? (FR)]]
Und es geht, um im deutschen Kinojargon zu bleiben, rubbeldiekatz: Gestern abend, als der Tsp.-Artikel online ging, war gut ein Drittel der gewünschten eine Million Euro gesammelt, heute morgen ist schon die magische Christian-Wulff-Grenze (500.000 Euro) überschritten.
Also könnte das "einen Trend zumindest in bestimmten Bereichen der Branche auslösen", schreibt der Tagesspiegel, um eine kleine Branchenumfrage einzuleiten, ob denn nun auch andere Filmproduzenten schwarmfinanzieren wollen. Ergebnis: Sie wollen eher nicht. "Uns reicht es, wenn die Zuschauer für unsere Filme die Kinotickets kaufen", sagt zum Beispiel Tom Zickler, "der mit Til Schweiger die Produktionsfirma Barefoot Films führt."
[+++] Schweiger ist nun allerdings auch einer, der die Millionen, in den, äh... in den... Geldbeutel geschoben bekommt. Gerade gestern gab es für sein "neues Projekt 'Schutzengel'" 1,2 davon (Mio.s also) "aus Restmitteln des Jahres 2011", die die Berliner Medienförderung "Medienboard" wohl noch ausgeben wollte, bevor sich "ins neue Jahr" verabschiedet und die Mio.s wahrscheinlich schlecht geworden wären.
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+++ So leicht die Mio.s auch fließen, ebenfalls wichtig bleiben: "leidenschaftlicher Kostensenker". Einer davon, Guillaume de Posch, kehrt 2012 nach dreijähriger Pause in die deutsche Medienkonzernszene zurück. Der Belgier, der einst bei ProSiebenSat.1 senkte, geht nun zur Konkurrenz, der RTL Group. "'Zeig mir die Zahlen', soll einer seiner bevorzugten Sätze lauten", schwärmt Christopher Keil in der Süddeutschen und vermutet den Ablauf einer Sperrklausel. Siehe auch FAZ-Wirtschaft. +++ Indes ein Effizienzexperte, und zwar fürs Onlinegeschäft: Stefan Winners, der demnächst aus dem Vorstand der Burda-Tochter Tomorrow Focus in den original Burda-Vorstand wechselt (FTD). +++
+++ Nicht ein Kapitel, eher eine Enzyklopädie für sich: die Finanzierung unserer öffentlich-rechtlichen Sender. Frisch dazu geäußert hat sich ein ganz Großer der deutschen Medienpolitik: der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, und zwar in Promedia (der auf Medienkongressen ausliegenden Zeitschrift mit den Interviews mit den gaaanz langen Antworten) gegen die aktuelle Digitalsender-Vielfalt. Das aktuelle Beck-Interview gibt's online bislang nur zusammengefasst, z.B. von Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt. +++ "Wohl gesprochen, kann man da nur sagen. Wohl gesprochen, aber leider an die falsche Adresse. Kurt Beck müsste sich nämlich vor den Spiegel stellen (hinter ihm sein Staatskanzlist Stadelmaier und der Kollege Eumann), 'dreimal schwarzer Kater' sagen und sich an die eigene Nase fassen. Denn die sechs Digitalkanäle, die der SPD plötzlich nicht mehr gefallen, sind ARD und ZDF von den Bundesländern, im großen Allparteienkonsens, vor drei Jahren im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zugesprochen worden", dichtet dazu Michael Hanfeld in der FAZ (S. 33), der zwar findet, dass Beck in der Sache recht hat, aber natürlich nicht schreiben möchte, dass Beck in der Sache recht hat. +++
+++ Medienanstaltlich bleibt in Becks pfälzischer Heimat alles in gewohnten Bahnen. Neue Landesmedienwärterin soll Renate Pepper werden, berichtet die Süddeutsche (S. 15). " Sie hat vor allem das richtige Parteibuch", also dasselbe wie Kurt Beck. +++
+++ Nicht gerade leidenschaftlich, aber doch gesenkt werden sollen Kosten beim Deutschlandradio, was schon wegen der "historisch gewachsene Strukturen" seiner drei Programme nicht leicht ist (ksta.de). +++
+++ Steigt Spiegel Online in die deutsche Huffington Post ein?? (Süddeutsche). +++
+++ Über die ungewisse Lage in Ungarn, wo zwar das Verfassungsgericht das umstrittene neue Mediengesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt hat, aber unklar ist, welche Bedeutung Verfassungsgerichtsurteile noch haben werden, wenn zum 1. Januar eine neue Verfassung in Kraft tritt, informieren die SZ sowie die TAZ in Bericht und Kommentar. +++ Außerdem meldet dies. neue Journalistenverhaftungen in der Türkei. +++
+++ Keine Woche ohne frischen Journalistenpreise. Die "Journalisten des Jahres 2011", die das medium magazin kürte, sind raus; hier die Liste. Geschickt offen lassend, ob sie der sage und schreibe "rund 70-köpfigen Fachjury" denn selber angehörte, staunt die TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester über die Kür Thomas Gottschalks zum "Unterhaltungsjournalisten des Jahres". +++
+++ "Wenn irgendwo mal wieder eine Ratingagentur Land XY von AAA auf AA abwertet, dann wird in den großen Online-Redaktionen Deutschlands der Live-Ticker angeschmissen". Wie der Megatrend der "Live-Tickerisierung des Journalismus" auch beim tollen neuen Sky-Sportnachrichtensender (siehe Altpapier) ankommt, beschreibt Henning Engelage im epd medien-Tagebuch. +++
+++ Und über den Start der neuen spannende Fußball-Bundesliga-Fernseh-(bzw. Medien-)rechte-Versteigerung berichtet ausführlich die FAZ auf der Medienseite ("Freilich ist die ARD nach wie vor in der Pole Position -die Liga weiß, dass sie noch nicht zuvörderst aufs Internet setzen kann, will sie die Fans nicht verprellen. In vier Jahren, bei der nächsten Rechtevergabe, sieht das vielleicht schon anders aus") und anders akzentuiert ("Den Fußballfans droht ein Kulturschock") frei online im Sportressort. +++
+++ Wie castet man eigentlich eine moderne Talkshow, Maybrit Illner? "Früher setzte man gerne mal fünf Generalsekretäre um den Tisch. Heute braucht man für eine gute Diskussion Fachpolitiker und ergänzt sie durch Experten, Freidenker und Andersdenkende... " (Interview der DuMont-Presse mit der ZDF-Talklady). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.