Ethische Fragen ohne Ende: Muss Christian Wulff wegen "Günther Jauch" zurücktreten? Beschädigt Frank Plasberg das Amt des "Hart, aber fair"-Moderators?
Zurückgetreten ist bekanntlich die Super-Nanny (siehe Altpapier), weil ihr in ihrer eigenen Sendung zuviel Staub aufgewirbelt worden ist: Scripted Reality statt einer seriösen Erziehungshilfe, wie man sie sich von einem anständigen Privatfernsehen eigentlich erwartet.
Klaudia Wick nimmt den Fall zum Anlass, in der Berliner einmal in großem Stil über den Inszenierungswillen des Fernsehens in großem Stil nachzudenken. Und fängt ganz vorne an:
"In 'Was bin ich?' stellten Menschen ihre Berufe vor, als erste Kandidatin trat 1955 eine Friseurin auf. Bald bewarben sich nach jeder Sendung bis zu 6.000 Zuschauer um die Teilnahme an der Rateshow, und selbstverständlich wählte die Redaktion nach Unterhaltungskriterien aus: Je skurriler der Beruf, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, ins Fernsehen zu kommen."
Der Wunsch nach Teilnahme am Fernsehen durch seine Zuschauer wird heute von Casting-Agenturen organisiert, deren Arbeit Wick ebenso beschreibt wie das Wirken der Postproduktion. Mit dem Ziel, eine Grenzlinie zu ziehen, was so einfach nicht ist:
"Das Unterhaltungsfernsehen ist besonders anfällig für Manipulationen, weil das 'wahre Leben' weder für die Macher noch für die Zuschauer ein Wert an sich ist, sondern nur als Spielmaterial für den Unterhaltungszweck wahrgenommen wird."
Die Frage, was Spielmaterial sein darf und was nicht, führt umgehend zur Berichterstattung über die Eigenheimfinanzierung des aktuellen Bundespräsidenten in Großburgwedel. So viel Prognose kann man wagen: Wenn die Geschichte dereinst ein Ende gefunden haben wird, wird sie reichlich Stoff für "Ethik des Journalismus"-Grundkurse in den Seminaren von Prof. Lilienthal und seinen Buddies zu bieten haben.
Noch betreffen die medial relevanten Aspekte der Geschichte um den Kredit für Christian Wulffs Haus mit "Krüppelwalmdach und Klinkeroptik" – wie Peter Richter in der FAS (Seite 29) angesichts des Preises (500.000 €) fassungslos schreibt – allein diesen Bereich und nicht produktionspolitische Fragen des Fernsehens (Wann wird eigentlich die Weihnachtsansprache aufgezeichnet? Müsste alternativ Horst Seehofer ran?)
Im DLF meldete sich am Samstag der Intendant Willi Steul persönlich zu Wort, um medienkritisch gegen die "praeceptoris germaniae", also die "Lehrer Deutschlands", mit denen zu diesem Zeitpunkt nur Journalisten gemeint sein konnten, auf Beruhigung des Falls zu plädieren:
"Wenn nicht Schlimmeres nachfolgt - und selbst wenn, wie der 'Spiegel' gestern meldete, der Unternehmer selbst die Gespräche zum Kredit geführt hat, das Ganze aber dann über das Konto der Ehefrau abgewickelt wurde - selbst dann sollte es das gewesen sein. Leute – bitte lasst die Kirche im Dorf! Extremer moralischer Rigorismus ist die Mutter der Bigotterie. Genf, als Calvin's Lehre zur politischen Ideologie verkam, war ein schrecklicher Ort zum Leben."
Man kann Steul durchaus zustimmen, insofern die Erhitzung der Lage sich auch einer wirtschaftlich motivierten Medienkonkurrenz (und eben nicht nur hehren Motiven) verdankt: Springers heißes Blatt hatte letzte Woche die Sache mit dem Edith-Geerkens-Kredit publik gemacht und damit den "Spiegel" um die Früchte seiner Arbeit gebracht. Wie nicht nur Michael Hanfeld schon letzte Woche feststellte ("Scorerpunkt"), sondern der "Spiegel" selbst in seiner Egon-Gerkens-Kredit-Geschichte des vorgezogenen aktuellen Hefts bemerkt:
"Durch das vom SPIEGEL erstrittene Einsichtsrecht hatten natürlich auch andere Medien Zugriff auf die Akte. Die 'Bild'-Zeitung fragte bei Wulff nach, wer den Grundstückskauf finanziert habe."
So inszeniert sich Springers heißes Blatt einmal mehr als Investigativorgan, und bei Günther Jauch saß am Sonntag dann kein Spiegel-Journalist auf dem Platz des Aufdeckers, sondern Bilds Blome.
Dass extremer moralischer Rigorismus die Mutter der Bigotterie ist, hat diese irrsinnige Sendung immerhin anschaulich gemacht. Denn die suchte im Rund der auf Widerspruch gecasteten Fernsehnasen (Wolfgang Herles!) immer wieder nach ihrem eigentlichen Thema – der Beschreibung des Problems. Dass das Problem in solchen Runden ein Skandal ist, steht durch die Anordnung ja von vornherein fest.
Was Stefan Kuzmany in der Frühkritik auf SpOn beschreibt:
"Nein, Wulff muss gehen, weil Günther Jauch es gesagt hat - schon in den ersten Sekunden seiner Sendung an diesem Sonntagabend. Noch bevor der Vorspann lief, stand Günther Jauch da, der Mann, der in Umfragen immer mal wieder zum vertrauenswürdigsten Prominenten des Landes gekürt wird und zum Wunschpräsidenten der Deutschen, er schaute in die Kamera und fragte: 'Wie lange kann sich Bundespräsident Christian Wulff nach dem Kredit für sein Privathaus noch im Amt halten?' Jauch fragte wohlgemerkt nicht, 'ob' sich Wulff noch halten kann – sondern nur noch nach der Dauer bis zum Rücktritt. So weit ist es also schon."
Und deshalb zu dem Ergebnis kommt:
"Das Seltsame an dieser Sendung, deren weiterer Verlauf nach dieser Eröffnung eigentlich nur noch der Untermauerung dieses Statements dienen konnte, war aber dieses: Selbst als Wulff-Kritiker konnte man Mitleid mit Christian Wulff bekommen an diesem Abend. Denn schön war es wirklich nicht, wie hier mit ihm und seinem Amt umgesprungen wurde."
Dabei wäre die Überforderung von Günther Jauch einen weiteren Artikel von Klaudia Wick wert – die Vermischung von Unterhaltung und Diskurs hat in seiner Person ein ganz eigenes Niveau erreicht: angefangen von dem an "Wer wird Millionär?" gemahnenden Titel ("Die 500.000-Euro-Frage") über den Publikumsjoker als Instant-Plebiszit mit vorher zurechtdiskutiertem Ausgang (Warum gab es auf die Frage, ob Wulff glaubwürdig sei eigentlich nur zwei mögliche Antworten – haben wir den Fifty-Fifty-Joker verpasst?) bis zu Jauchs eigenen moralischen Invektiven, die mit der Rolle des Moderators nicht unbedingt vereinbar sind.
Höhepunkt des Theaters war zweifellos der Moment, als Jauch aus einem Artikel Holger Schmales in der Berliner Zeitung zitierte (ab 26:50 in der Mediathek), der letzte Woche die Kampagne der Bild-Zeitung beschrieb:
"Am Donnerstag setzte Chefkolumnist Franz Josef Wagner nach: 'Lassen Sie die Hosen runter. Stellen Sie sich vor die Presse. Sagen Sie uns, wer Sie sind.' Wenn Wulff nicht bald folge, so wurde in Berlin gemunkelt, könne das Blatt mit einer Geschichte über das frühere Leben Bettina Wulffs aufwarten. Angeblich verfügt die Redaktion über Informationen, die bisher auf Weisung von ganz oben nicht gedruckt werden dürfen."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Wulff vs. Journalismus: Moralischer Rigorismus(DLF)##Wulff vs. Journalismus: Mitleid dank Jauch (SpOn)##Scripted Reality als Realität (Berliner)##Plasbergs Unabhängigkeit (DLF)##Das ND entdeckt Ironie für sich (TAZ)##]]
Blome, der schon bei dem, was da auf ihn zukam, reichlich indigniert guckte, lieferte ein Dementi ab, das sich hinter dem eines Politikers nicht zu verstärken brauchte:
"Das ist kompletter Quatsch, und es tut mir völlig leid, dass die Berliner Zeitung, die mal eine gute Zeitung war, so einen Unfug schreibt."
Sarah Mühlberger hat diesen Moment in der Frühkritik für FR/Berliner nicht übersehen:
"Blome fuhr Jauch einige Male in die Parade ('Kann es sein, dass wir uns hier ins Nirwana diskutieren?'), reagierte dann aber sehr schmallippig, als Jauch ihn auf Gerüchte ansprach, die 'Bild'-Zeitung forciere einen Rücktritt Wulffs, indem sie ihn mit Enthüllungen über seine Ehefrau erpresse."
In die Arbeitsweise von Blomes Arbeitgeber gibt ein interessanter Artikel von Markus Brauck im Spiegel (Seite 149) Einblick, in dem das Zerwürfnis mit Hans-Olaf-Henkel beschrieben ist, der, seit Springer ihn nicht mehr lieb hat, schlechter Bücher verkauft.
Mit Blick auf Jauch müsste man aber vielleicht eher sagen: Das ist das komplette Problem des moralischen Rigorismus. Wo alle Ehrlichkeit einfordern, aber jeder "die Wahrheit" nur strategisch verwendet wie in dieser Runde, hat die Moral ein Problem.
Nils Minkmar fokussiert in der FAZ-Frühkritik auf die undankbare Rolle Peter Altmaiers in diesem Zusammenhang:
"In der amtlichen Rolle des Exegeten der komplizierten Vermögens- und Freundschaftsverhältnisse des Bundespräsidenten war CDU-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier besetzt. Es tat weh, diesen intelligenten Mann mit solch untauglichen Argumenten herumfuchteln zu sehen."
Und streut nebenbei Gossip:
"In Journalistenkreisen erzählt man sich von umständlichen, gewundenen Mailboxansagen bei Medienchefs, in denen der Bundespräsident bald drohend, bald bittend noch vor Veröffentlichung interveniert."
Als Substanz der Kritik bleibt irgendwann dann nur die leicht irrlichternde Position von Hildegard Hamm-Brücher (die es ob ihres lässigen Auftritts mit Kopfhörern unter die Topic-Darlings bei Twitter schaffte), bei der es um die grundsätzlichen Vorstellungen von Demokratie und Repräsentation geht – die sind durch einen Bundespräsidenten, der offenbar Urlaub nur bei so genannten Unternehmerfreunden machen kann, schon lange desavouiert.
Was immer ihm "formaljuristisch" vorzuwerfen sein sollte.
Altpapierkorb
+++ Rein juristisch begeht auch Frank Plasberg keinen Fehler mit seiner Werbeaktivität, aber berufsethisch ist das Engagement unterste Schublade - ist das Credo der DLF-Sendung "Markt und Medien", die mit dem DJV-Vorsitzenden Michael Konken über den von Stefan Niggemeier publik gemachten "Top Job" des ARD-Talkers gesprochen hat. Konken kritisiert, dass Plasberg sich instrumentalisieren lasse und seine seine Unabhängigkeit gefährde. Und sagt den denkwürdigen Satz: "Das Gehalt, was Journalisten bekommen, soll gerade diese Unabhängigkeit bewerkstelligen." Soll. Ein Blick auf die Moderationslisten unzähliger Events würde wohl eine andere Geschichte erzählen. +++ Die RBB-Programmdirektorin Claudia Nothelle hängt eher dem Konken-Glauben an im Gespräch mit Ulrike Simon in der Berliner: "Leute, die gutes Programm machen, müssen auch vernünftig bezahlt werden." +++
+++ Die TAZ würdigt, wie die Verunglimpfung durch Familienministerin Kristina Schröder (siehe Altpapier) das "Neue Deutschland" plötzlich Humor entdecken lässt: "Mit einer ungewöhnlichen Kampagne beglückte die Tageszeitung Neues Deutschland (ND) am Samstag ihre Leserinnen und Leser – und einer Aufmachung, die für die sonst eher etwas bierernste Zeitung ungewohnt ironisch ist. Über Fotos, die Mitglieder der Redaktion vermummt oder mit falschen Bärten in der Art von Fahndungsplakaten zeigen, prangt die Überschrift "Linksextremisten". +++ Was Ken Jebsen jetzt macht, hat sich der Tagesspiegel angehört. +++ Und was Konstantin Neven DuMont bald machen will, gibt es jetzt als Trailer: Evidero.de. Und auf DWDL.de erklärt. +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.