..., Beckmann zu verschieben. Die Berliner unternimmt eine Introspektion der ARD-Talkshow-Misere. Außerdem: Warlord-Medien, Überwachung, Tukur-Tatort, Guttenberg
"Der Internet-Standort Deutschland" ist naturgemäß eine Formulierung, die den Schwachsinn an der Wirtschaftspropaganda eben vom "Standort" hübsch auf den Punkt bringt. Denn wenn man versucht, sich das Internet vorzustellen, dann denkt man alles Mögliche, aber nicht an einen Standort.
Nun gut, nicht unser Thema. Der Internet-Standort-Deutschland erlebt heute seinen sechsten IT-Gipfel (whatever that means), es geht ihm schlecht, und darüber berichtet der nimmermüde FAZ-Netzökonom Holger Schmidt (Seite 17).
Interessant daran sind etwa die Zahlen, die der Text präsentiert, um zu zeigen, dass Deutschland als Internet-Standort irgendwie ungeil ist.
"Zwar ist der Anteil der Menschen, die als 'digitale Außenseiter' keinerlei Umgang mit den digitalen Medien haben, seit 2009 von 35 auf 26 Prozent der Bevölkerung gefallen, aber von 2010 auf 2011 ist dieser Anteil nicht weiter gesunken."
Digitaler Außenseiter! Das ist doch mal ein Begriff, der den Kopf zum Denken anregt. Gemeint sind nicht cybergemobbte Kinder, von denen man nie sicher ist, ob es sie als gesellschaftliches Problem nur in den Medien gibt (wie Meike Laaffs TAZ-Kritik einer ZDFneo-Doku entschieden nahe legt).
Gemeint sind wohl eher Menschen, die man mit einem gemäßigten Heideggerismus dereinst als "gestellsfern" bezeichnet hätte. Und da fragt man sich als jemand, der grundsätzlich alles persönlich nimmt, wo man in so einer Statistik selbst vorkommen würde: Computer auf Standby lassen, SMS verschicken und Word bedienen können – macht das einen schon zum vollintegrierten Digitalen, wo man "native" qua Natur nie war?
Der digitale Außenseiter in uns hat jedenfalls gestaunt, dass der offenbar zu unrecht frühverurteilte Online-Auftritt der Berliner mit einem fancy Feature aufwartet, das wir so noch nicht gesehen: In einem vertikal zu lesenden Text über die Talkshow-Beckmann-Misere der ARD ist ein Interview mit ARD-Chefredakteur-und-Talkshowkoordinator Thomas Baumann eingebaut, dass man Frage für Frage horizontal lesen kann.
Womöglich ist das aber nur so frühe nuller Jahre.
Wie auch immer. Der derarte performte Content kann sich sehen lassen.
Ulrike Simon hat sich nämlich nach den gesunkenen Zuschauerzahlen und dem ARD-Talkshow-Krisengipfel als Teil der Intendantentagung die verdienstvolle Arbeit gemacht, das Phänomen von mehreren Seiten zu beleuchten. Und beschreibt damit schön die Verluste an den einzelnen Formaten durch die Neuformatierung:
"Sandra Maischberger war einmal eine herausragende Gastgeberin einer Eins-zu-Eins-Gesprächssendung auf n-tv, Plasberg galt als der neue Star der Polit-Talker. Beide haben ihren Status verloren. Maischberger hat sich aufs Skurrile verlegt und ist dank Beckmanns Quotenschwäche zur Favoritin der Buchverlage geworden, wenn es für Neuerscheinungen zu werben gilt. Was schräge Gäste angeht, scheint Plasberg sie auf dem neuen Sendeplatz am Montag toppen zu wollen, was nur mit seiner Verzweiflung über einstellige Quoten zu erklären ist. Von seinem Erfolgskonzept 'Politik trifft auf Wirklichkeit' ist wenig geblieben."
Der einzige Erfolgreiche kommt irgendwie komisch rüber:
"Und Jauch selbst? Klebt an seinen Karteikarten und sagt, nicht debattieren, sondern aufklären zu wollen. Den Zuschauer scheint das nicht zu stören. Doch seine Runden wirken seltsam leblos."
Klingt irgendwie trostlos: Keiner macht das, was er kann (Maischberger Einzelgespräche, Plasberg Politikerkonfrontation, Jauch nur "Wer wird Millionär"), weil alle unbedingt Talkshows machen müssen.
Die ärmste Sau ist in diesem Sendeschema Reinhold Beckmann, der jetzt auch noch Konkurrenz durch Harald Schmidt bekommt. Bitter ist die Grafik, die Zuschauerzahlen der fünf ARD-Talks abbildet (Jauch vor Plasberg, Anne Will, Sandra Maischberger und Beckmann), weil sie in der Online-Version (klein) auch noch so beschnitten ist, dass von Schlusslicht Beckmann nur die hohe Stirn zu sehen ist.
Ulrike Simon widmet dem gebeutelten Donnerstagstalker, der wie aus der FAZ (Seite 33) beim Adventsmahl von Programmdirektor Volker Herres ("geräucherter Saibling und Rindsschulter") fehlte, folglich die größte Aufmerksamkeit.
"Statt 1,5 Millionen wie früher am Montag schalten ihn donnerstags gerade mal eine Million Zuschauer ein. Statt einer Quote von elf Prozent und mehr fährt er, wie vergangene Woche, nur noch sechs Prozent ein. 'Der könnte nackt moderieren, trotzdem würden nicht mehr Leute einschalten', sagt ein Kollege über ihn."
Das Fiese an dieser Entschuldigung ist, dass sie weitergedacht Selbstbilder ruinieren kann. Wenn bei "Beckmann" allein der Sendeplatz und nicht die Sendung oder ihrer Moderator für den Misserfolg verantwortlich ist – könnte es dann nicht sein, dass umgedreht auch der Erfolg nur auf den Sendeplatz zurückzuführen ist, dass, um das Undenkbare auszusprechen, der Erfolg von Reinhold Beckmann mit Reinhold Beckmann einfach nichts zu tun hat?
Zum Glück schaut Beckmann das néant seiner selbst nicht, sondern lenkt sich ab.
"(Er) zeigt die langen Fingernägel der rechten Hand, erzählt von seinen beiden Akustikgitarren und der Energie, die ihm die Bühne gibt. Er tritt neuerdings öffentlich auf. Die Band von Ina Müller, deren Sendung 'Inas Nacht' er auch produziert, hat ihn dazu animiert. Ohne diesen Ausgleich würde er momentan mehr unter den miesen Quoten leiden, räumt er ein."
Klingt entfernt wie ein untertourig abgespielter Reinhard Mey. Total vielsagende Zitate, die Verbindungen zur beruflichen Situation herstellen etwa aus dem Smash-Hit "Hypochonder", verkneifen wir uns.
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Ulrike Simon über ARD-Talkshows (Berliner)##Ulrike Simon über Beckmann (Berliner)##Cybermobbing nur im Fernsehen (TAZ)##]]
Das Mitgefühl von Ulrike Simon ist jedenfalls relativ hoch; dass man olle Reinhold gerührt an die Brust drücken wollte, soweit geht es dann aber doch nicht, da ist der "Beckmann" vor:
"Auch unter vier Augen ist man nicht sicher, ob sein Lachen, seine Lockerheit, der Versuch, einen persönlichen Draht herzustellen, bisweilen ein wenig aufgesetzt sind."
Und was sagt der Talkshow koordinierenden Chefredakteur Baumann zu seinem leidenden, einstmals guten Gaul im Stall? Hat er Mitleid?
"Das brauche ich nicht zu haben. Inhaltlich macht er tolle und mutige Sendungen, mit denen wir sehr zufrieden sind. Man sieht allerdings, wie schwierig dieser Sendeplatz am Donnerstagabend ist."
Nur Ketzer könnten in diesem Treueschwur eine grandiose ARD-Taktik zur Emanzipation des Senders von seinen führenden Personalities erkennen, die hinter dem Talkshow-Irrsinn steckt: Den prominenten Nasen durch Programmschemaschütteln einmal zeigen, wem sie ihre prominente Nasen verdanken (dem Sendeplatz, den die ARD zuweist), damit bei den nächsten Gehaltsverhandlungen wieder klar ist, wer als Koch und wer als Kellner aufläuft.
Die eingesparten Millionen kommen dann übrigens dem Deutschlandradio, den Dokumentationen und den dritten Programmen zu.
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+++ Für die Sendeplatztheorie spricht auch Stefan Winterbauers Meedia.de-Nachbereitung des sonntäglichen Tukur-Tatorts, bei dem die Meinungen auseinandergingen: "Ein derart gegen den Strich gebürsteter Film wie 'Das Dorf' hätte auf einem anderen Sendeplatz vermutlich nur einen Bruchteil der Zuschauer erreicht." Besonders schön ist diese nachrichtliche Information über Aktivitäten hier und da: "Viele der Nutzer hatten Assoziationen zu anderen Filmen oder Regisseuren und Kultur-Werken. Vergleiche wurden gezogen zwischen 'Das Dorf' und Franz Kafka, David Lynch (vor allem zu dessen surrealer TV-Serie 'Twin Peaks'), Edgar Wallace, der Rocky Horror Picture Show, 'Kottan ermittelt', 'Dr. Mabuse', 'Sin City', 'Das Weiße Band', Quentin Tarantino, Arthouse-Produktionen und viele mehr." +++ Und viele mehr! Könnte man glatt ein Quiz draus machen in der Tradition des Niggemeier'schen Titelseiten-Bingos: Haben Sie weitere Assoziationen zu anderen Filmen, Menschen und Bau-Werken! +++
+++ Es geht auch seriöser. Für die SZ (Seite 15) berichtet Marian Brehmer über die Medienlandschaft Afghanistans, in der das Radio eine wichtige Rolle spielt. Und: "Journalisten in Afghanistan stehen nicht nur unter dem Druck der Taliban, sondern auch der Warlords. Jene Milizenführer, die im Krieg gegen die Sowjets zu Macht und Reichtum kamen, stecken bis zum Hals in einer breiten Palette krimineller Aktivitäten wie dem lukrativen Drogenhandel. Zugleich haben sie ihre eigenen Medien eröffnet." +++ In der FAZ (Seite 33) würdigt Claudia Bröll 60 Jahre "Drum", ein südafrikanisches Lifestyle-Magazin, das seinerzeit ein politisches Medium war, weil es sich nicht an die weiße Minderheit im Land richtete. +++ Steffen Grimberg informiert in der TAZ über Diskussionen bei der Berliner über eine Verlagsbeilage. +++
+++ Detlef Borchers berichtet von neuesten Überwachungstechniken, die Julian Assange mit neuem Projekt "The Spyfiles" öffentlich machen will. +++ AP-Autor René Martens schreibt in der SZ (Seite 15) über Yahoos Ambitionen, Fußball-Bundesliga im Netz zu übertragen: "Die große Frage bleibt aber, ob es überhaupt einen nennenswerten Bedarf für das Yahoo-Konzept gäbe." +++
+++ Im FAZ-Fernsehblog beginnt Peer Schader mit dem Jahresrückblick (Castingshows). +++ Und Johan Schloemann untersucht im Feuilleton der SZ die Argumentationslinie KTGs, "die Giovanni di Lorenzo mit seiner Gesprächstechnik als flirtender, geschmeidiger Boulevardconferencier dem Herrn zu Guttenberg so durchflutschen lässt", um zu dem Schluss zu kommen: "Es ist eine populistisch-cäsaristische Selbstüberhöhung, die sich in Demutsgesten verkleidet. Widerlich." +++
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