Klerus und Adel

Klerus und Adel

In einem Fernsehfilm geht es um einen des Mordes verdächtigten Dorfpfarrer, auf den Medienseiten auch um Super-Nanny und "Beckmann". Und in der Causa zu Guttenberg nähern wir uns, wenn auch ganz langsam, der Aufdröselung medialer Zusammenhänge


Es gibt mal wieder einen kleinen Konsens auf den Medienseiten: "Das dunkle Nest" mit dem prominenten Schauspieler Christian Berkel muss dringend besprochen werden, schon wegen der Fotos (geheimnisvolles düsteres Foto: dpa). Berkel spielt darin dem Vernehmen nach einen Dorfpfarrer, der für den Mörder eines Mädchens gehalten wird; er ist ja schließlich Pfarrer. Gedreht wurde, als der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in aller Munde war.

Während der Tagesspiegel mit einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Bildung einsteigt, dann den Inhalt zusammenfasst und, nachdem er (Achtung, Unterstellung) aus einem ZDF-Eigenwerbe-Interview abgeschrieben hat, dass Berkel Messdiener gewesen sei, immerhin noch einen halben Satz zur Einordnung des Films ans Ende klatscht, zieht die Süddeutsche Zeitung (S. 15) ziemlich vom Leder: Chormusik nervt, peinliche Dialoge, wenig ergiebige Nebengleise, wenig subtil, simple Thesen.

Die taz, die den Film nicht unterdurchschnittlich findet – "leider" –, bedauert die Schauspieler und reiht sich mit der Kritik an den Drehbuchautoren bei SZ und FAZ ein (die evangelisch.de nicht teilt). Die taz:

"Ein bisschen dürfen einem die Schauspieler im deutschen Fernsehen schon leidtun. Ihr Schicksal scheint es zu sein, dass sie regelmäßig viel besser sind als die Drehbuchautoren. Oder als die Fernsehredakteure, die die Drehbücher bei den Drehbuchautoren in Auftrag geben und abnehmen. Oder als das Publikum, das angeblich genau solche Drehbücher verfilmt sehen will."

Die FAZ (S. 31) wiederum hat "erschreckende(n) Realismus" auf dem Drehbuch-"Niveau des Schauerromans" gesehen.

Aber kommen wir jetzt mal zum Punkt: Er heißt, auch wenn der Spiegel zusätzlich noch irgendwas zu Supernanny und "Beckmann" enthüllt (siehe Altpapierkorb), heute immer noch Karl-Theodor zu Guttenberg. Eines bleibe, schreibt die FAZ nämlich, bei aller Kritik an "Das dunkle Nest", unberührt:

"die Einsicht in die verheerende Kraft von Vorurteilen und Hysterie, die Schwäche der Vernunft, sobald allgemeine Ängste und Instinkte alarmiert werden."

Stichwort Hysterie, Vorurteile, Instinkte usw.: Malte Lehming sieht im Tagesspiegel bei der vermeintlichen Anti-Guttenberg-Hysterie dieser Tage das Wutbürgertum in seiner deutlichsten Ausprägung am Werk. Unangemessen, findet Lehming, und zieht gar einen groben Vergleich zwischen Adels-Bashing (ach ja richtig, Guttenberg ist ja adelig) und Xenophobie:

"Rassismus und Antisemitismus dürfen mit der Adelsphobie nicht in einen Topf geworfen werden. Andererseits sollte das Bürgertum seine Toleranzgrenzen nicht nur in bestimmte Richtungen erkunden. Das aus seiner Perspektive Andersartige repräsentieren eben sowohl Ausländer und Fremdgläubige als auch Adlige und Klerikale. Viele Wutbürger verachten KT so innig wie den Papst. Gibt das nicht zu denken?"

Der Tagesspiegel stellt sich also gegen die, ja, Aristophobie, die nach Guttenbergs Die Zeit-Interview (siehe Altpapier) und der Ankündigung des folgenden Interview-Buchs einen Teil der Medienberichterstattung begleite. Warum verhält man sich allerorten so mega-unaufgeklärt? Harald Martenstein würde vielleicht sagen: weil es Mainstream ist. Er schrieb kürzlich in der Zeit:

"Weil ich seit längerer Zeit in den Medien arbeite, glaube ich, sie einigermaßen zu durchschauen. Es gibt keine geheimen Verschwörungen, so wenig, wie es gezielte Kampagnen gegen einzelne Politiker gibt. Es stimmt, dass es einem manchmal so vorkommt – fast alle schreiben das Gleiche. Alle sind gegen Westerwelle und gegen Kernkraft, alle waren für Klinsmann. Das hängt damit zusammen, dass die meisten Menschen ungern alleine dastehen. Sie möchten Erfolg haben und geliebt werden. Das gilt auch für Journalisten."

Da ist sicher irgendwie was dran. Dass, zum Beispiel, die Herausgeber einer Zeitung unter Umständen aber auch mal strategisch vorgehen, kann man vielleicht als denkbar bezeichnen. Auf Seite 1 des Tagesspiegels äußert sich heute Josef Joffe, Herausgeber der besagten Tagesspiegel-Schwester Die Zeit, über Guttenberg und bezeichnet dessen Strategie in seiner Fragekolumne "Was macht die Welt?" als für ihn falsch:

"KT hat mit dem Interview – nur ein paar Monate nach seinem Rücktritt – einen taktischen, wenn nicht gar strategischen Fehler gemacht. Er kokettiert mit seinen bleibenden Ambitionen, statt sich dem klassischen Drei-R-Ritual zu unterwerfen: Rückzug, Reue, Reinigung. Ein kluger Elder Statesman in Amerika hatte ihm zu einer Pause von drei Jahre geraten."

Was für Tagesspiegel-Leser im Gesamtbild ergibt: Die Kritik an zu Guttenberg ist hysterisch. Und Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, hat nicht, wie an vielen Stellen in den Medien (beispielhaft: die an dieser Stelle bereits erwähnte FAZ vom Freitag; Der Spiegel, S. 21 implizit, S. 149 explizit; Deutschlandradio vom Samstag) angedeutet bis ausformuliert, als Steigbügelhalter agiert, als er mit Guttenberg über seine Kontaktlinsen und seine Rückkehr in die Politik redete und ihm dafür das Dossier und die Titelseite der aktuellen Ausgabe widmete – zu Guttenberg dürfte schließlich eher darüber stürzen. Ob das dann für einen Journalistenpreis reicht, der zum Beispiel für den "Besten Nachweis von Distanz" verliehen wird, wird sich weisen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Eine unerzählte Geschichte (FAS)##Roger Köppel im Interview (Medienwoche.ch)##Leider nicht unterdurchschnittlich (taz)]]

Die konkrete kampagnenjournalistische Rolle der Zeit bleibt auch heute unterbeleuchtet – da hat sich im Vergleich zu Donnerstag und Freitag nicht viel getan. "Niggemeiers Medienlexikon" im Spiegel ist zwar di Lorenzo gewidmet. Allerdings wird der dort eher für seinen Interviewstil kritisiert als dass es um die grundsätzliche Frage ginge, warum er den Spin des Ex-Ministers eins zu eins mitgeht.

Über konkrete Verbindungen zwischen zu Guttenberg und "den Medien" allgemein schreibt immerhin, frei online, Volker Zastrow in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

"Die unerzählte Geschichte geht so: Guttenberg hat es geschafft, fast in alle wichtigen Redaktionen dieses Landes belastbare Beziehungen aufzubauen, mit ungeheurem Charme. Das hat in einigen Häusern dazu geführt, dass Berichterstatter nicht so geschrieben haben, wie sie dachten. Die Redaktionen wurden auf Linie gebracht, soweit sie sich nicht ganz von selbst drauf brachten, längst vor der Affäre. Doch in der Affäre wurde der Umgang mit Guttenberg in einigen Medien offensichtlich zur 'Tendenzfrage' erhoben. Was den einen ein Kampf um Maßstäbe, war den anderen ein Kampf um ihren Mann, ihre Macht."


Altpapierkorb

+++ Interviews: große Kunst. Ronnie Grob hat für das digitale Medienmagazin Medienwoche ein Interview mit Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel geführt. Es geht darin (sieht man von allem anderen, um das es geht, mal ab) um Köppels Einordnung der Tom-Kummer-Interviews, die auch er, als damaliger Chefredaktor, druckte. Wie rechtfertigt sich Köppel?

Ronnie Grob: "Wenn ich diese Interviews, die definitiv nichts mit Journalismus zu tun haben, heute lese, dann finde ich sie teilweise zum Schreien lustig. Können Sie sich an das Interview mit Rodney King erinnern? Das hatte über 40.000 Zeichen!"

Köppel: "Meine damalige, ehrliche Meinung war: Vielleicht haben sich die Interviews nicht immer genau so zugetragen, aber sie wurden so autorisiert vom Interviewten. Das ist ja heute, beispielsweise beim 'Spiegel', auch eine legitime Praxis."

Blöd, dass in den USA, wo Kummer, der dieser Tage in Recklinghausen vor "Medienmenschen" auftrat, wie der Kölner Stadt-Anzeiger protokolliert, seine Interviews in der Regel führte, die Autorisierungspraxis nicht gängig ist. Wusste Köppel sicher nicht +++

+++ Die NZZ macht Paid Content: FTD: "Immer mehr Zeitungen mit angeschlossener Online-Redaktion entschließen sich dazu, im Online-Bereich Bezahlschranken für bestimmte Inhalte einzuführen. Dazu gehören in Deutschland unter anderem die FTD, das 'Hamburger Abendblatt' und die 'Berliner Morgenpost'. International ist die 'New York Times' als Vorreiterin für kostenpflichtige Online-Inhalte bekannt" +++

+++ Noch ein kleiner Medienseitenkonsens: Die "Super-Nanny" Katharina Saalfrank verlässt RTL und klagt über scripted reality (Spiegel; FR / BLZ), TSP). Die SZ (S. 15) ergänzt die Geschichte vom Streit zwischen Sender und Saalfrank: "Was der Zwist zwischen Sender und Pädagogik-Star indes überdeckt, ist die Tatsache, dass die Super Nanny sieben Jahre lang offenbar kein Problem damit hatte, höchst fragwürdige Beiträge zu verbreiten" +++

+++ "Beckmann" soll eventuell wieder montags senden, statt donnerstags. Quotengründe: Der Spiegel in aller Kürze, ausführlich die SZ: "Verhandlungsmasse sind wieder einmal die Bildungsinhalte: Die beiden Dokusendeplätze im Ersten, die zuletzt auf Montag geschoben wurden (22.45 Uhr und 23.30 Uhr), müssten erneut weichen und liefen dann donnerstags in Konkurrenz zu Illner und Markus Lanz" +++

+++ Apropos Lanz: Was wäre ein Tag ohne "Wetten, dass..?"-Geschichten? Der Focus sieht Johannes B. Kerner und Lanz in der Favoritenrolle für die Gottschalk-Nachfolge, Spiegel Online schlägt ein Castingformat zur Nachfolgersuche vor, Der Spiegel nennt das Fernsehen im Medienaufmacher (S. 150ff.) ein "untotes Medium": "Paradoxerweise wird ja gerade der aktuell zu bestaunende Beleg, wie sehr das Fernsehen die Menschen noch bewegen kann, als Ausdruck seiner bevorstehenden Bedeutungslosigkeit interpretiert. Nach Gottschalk, so die Logik, wir es einen solchen Aufruhr nicht mehr geben. Es spricht indes wenig dafür, dass die These stimmt" +++ Aus gegebenem Anlass informiert der Tagesspiegel über die Mediennutzung junger Leute: "Die Jugendlichen von heute nutzen die ganze Welt der Medien" +++

+++ Zu seiner Radiohörspielinszenierung von Jelineks "Neid" interviewt die taz den Journalisten Karl Bruckmaier +++ Und die SZ schreibt über den Fall Strauss-Kahn: "Der Enthüllungsjournalist Edward Epstein will jetzt Belege dafür gefunden haben, dass Strauss-Kahn tatsächlich das Opfer einer Verschwörung geworden ist, deren Hintermänner angeblich fest im Sarkozy-Lager stehen. Die Verdächtigungen sind an sich nicht neu - trotzdem machte die Financial Times nun ihre Wochendausgabe mit dem auf, was Autor Epstein in einer ausführlichen Reportage in der New York Review of Books zu Tage förderte" +++

+++ Und last but not least ein Blick in die Guttenberg-Geschichte, zu deren Erzählung Georg Seeßlen im März im Freitag Wesentliches beigetragen hat, als er über zu Guttenbergs "Berlusconismus" schrieb, "nicht Wahl oder Diskurs" über die Macht des berlusconistischen Politikers entschieden, "sondern seine mediale Präsenz – möglichst überraschend, möglichst 'unpolitisch'" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag

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