Höchste Zeit für erste superlativische Rückblicke aufs Medienjahr. Die sechs größten Google-Missverständnisse, die zehn neuesten Gottschalk-Nachfolgekandidaten. Außerdem: bittere Anklagen der Boulevardpresse, Irres rund ums Copyright.
Ja, ist denn schon Weihnachten vorbei? Jedenfalls erfreuen die fixen Aggregatoren von meedia.de ihre Leser tagesaktuell mit rund 26 Super-Irrtümern des Jahres. Zunächst mit den "zehn größten Medien-Irrtümern 2011".
Es könnte sein, dass jeder, der nicht 425 Euro in sein Ticket für die Münchener Medientage investiert hat, beim andernfalls ausgesprochen öde anmutenden Irrtum Nr. 6 ("Wer Neues lernen will, muss auf Medien-Kongresse gehen") aussteigt. Doch warten im ersten Kommentar unten drunter zehn weitere, nutzergenerierte Top-Irrtümer.
Außerdem sind da dann noch, streng inhaltlich betrachtet lesenswerter, die gleichfalls streng durchnummerierten sechs Top-Missverständnisse, die die deutschen Verleger im Umgang mit Google, oder präziser: bei ihren Versuchen, mit Google umzugehen, behindern. Christian Meier bilanziert damit die kürzlich in Berlin beendeten Zeitschriftentage, einen der 100, oder, gehen wir auf Nummer sicher: einen der 250 glamourösten deutschen Medienkongresse des sich allmählich dem Ende zuneigenden Jahres. Wichtigstes Ergebnis laut Meier:
Die "lautstarken Lamenti" der Verlage "in Richtung Öffentlichkeit und Politik stumpfen die Adressaten langsam merklich ab. 'Gehen Sie selber in die Höhle des Löwen', riet Angela Merkel den VDZ-Mitgliedern vergangene Woche. Mit anderen Worten: Die Botschaft ist angekommen, eure Hausaufgaben können wir euch aber nicht ganz abnehmen."
Noch längst nicht abgestumpft scheinen leider die Leser bzw. Klicker von Artikelchen zur spektakulärsten Medienpersonalie des Jahres, wenn nicht des laufenden Jahrtausends zu sein. Die Frage, wer denn nun "Wetten, dass ...?" übernimmt, wird von den Medienmedien weiterhin ums Verrecken am Leben gehalten. Während Björn Wirth für die Berliner Zeitung eine etwas gelangweilte, darin ihrem Inhalt vollkommen angemessene Glosse verfasste, haben die Feingeister des Lokalrivalen Tagesspiegel die Thomas-Gottschalk-Nachfolgefrage mit dem Mediencontent-Megatrend "Die zehn..." kurzgeschlossen und also gleich zehn Nachfolger-Paare gefunden. Gegen Ende laufen sie wirklich zu großer Form auf (vgl. auch Foto und Titel dieses Altpapiers).
Ferner gestattet sich die Süddeutsche knapp den Hinweis, dass die womöglich sogar ernsthaft im Rennen befindlichen Showmaster Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt wegen einer noch im Privatfernsehen begangenen Sünde von der Kommission für Jugendmedienschutz (hier, um "MTV Home" geht es) gerügt wurden. Und die TAZ gibt, immer noch in derselben Sache, jenen Nahrung, die schon immer dachten, dass TAZ-Autoren doch zu oft in die Bild-Zeitung schauen.
"Einen der erschütterndsten Momente der deutschen Fernsehgeschichte" nennt schließlich, noch immer identisches Themenumfeld, Torsten Körner im epd medien-Tagebuch Hape Kerkelings Auftritt in der bislang letzten Gottschalk-"Wetten, dass ...?"-Show, um dann grundsätzlichere Klagen zur deutschen Fernsehunterhaltung zu erheben.
[listbox:title=Artikel des Tages[Der Appetit der Boulevard-Blätter (SZ)##Die Google-Irrtümer der Verleger (meedia.de)##Die zehn... 'Wetten, dass?'-Kandidaten (Tsp.)##News aus Königsberg]]
Damit leiten wir mählich zu den ernsteren Meldungen über. "Auch die ARD hat einen Spitzenposten zu vergeben, den so recht keiner will", meldet wiederum die TAZ, wiederum mit Bezug auf den vakanten ZDF-Moderatoren-Posten. Trotz attraktiven Gehalts und eines attraktiven Einsatzorts gebe es keine Bewerber fürs seit noch nicht ganz einem halben Jahr unbesetzte ARD-Generalsekretariat. Genau besehen, besteht die News wohl lediglich darin, dass die vom Hamburger Abendblatt (vgl. meedia.de) ins Spiel gebrachte Kandidatin Elke Schneiderbarger wohl keine Lust hat. Und auch wenn die TAZ bemerkenswert untazzig titelt "Sekretärin verzweifelt gesucht" - männliche Sekretäre würde die ARD vermutlich ebenfalls in Betracht ziehen.
Einen europaweit oder global tatsächlich erschütternden Moment der Mediengeschichte 2011 beleuchten heute der Tagesspiegel und ausführlicher die Süddeutsche: die Auftritte der Eltern des Mordopfers Milly Dowler, des Schauspielers Hugh Grant sowie der Journalistin Joan Smith vor dem Londoner Untersuchungsausschuss im Abhörskandal um das eingestellte britische Murdoch-Boulevardblatt News of the World (zu den Hintergründen weiterhin empfehlenswert: der taz.de-Artikel aus der letzten Woche). Christian Zaschke zitiert in der Süddeutschen Smith so:
"Der Appetit der Boulevard-Blätter ist nie zu stillen, sie vergessen, dass sie es mit Menschen zu tun haben. Wir sind für die lediglich Futter für Geschichten."
Altpapierkorb
+++ Die drei derzeit irrsten Meldungen aus der Welt des Copyrights: "US-Copyright-Cops greifen weltweit zu" (Spiegel Online), wollen überall ahnden, was aus ihrer Sicht als Verletzung amerikanischer Urheberrechtsansprüche (und welche wären heutzutage nicht amerikanisch?) gilt. "In Großbritannien versucht die ICE", die Einwanderungs- und Zollbehörde, "derzeit vor Gericht sogar die Auslieferung eines britischen Studenten zu erreichen". +++ Liegt auch schon ein Auslieferungsbegehren für Andreas Spaeth vor, den "freien Journalist, der für viele große Blätter Luftfahrtgeschichten schreibt"? Zumindest klagt diesen in gewohnter Rigorosität Thomas Knüwer (indiskretionehrensache.de) wegen eines Servicehinweises unter einem FAS-Artikel an. +++ Andererseits bestünde Hoffnung, dass solche Auslieferungsbegehren europaweit abschlägig beschieden würden. "EU-Kommissarin bezeichnet Copyright als 'Hasswort'" (netzpolitik.org). +++
+++ Medienreligiöses: Ein Medienpapst in anderem Sinn als z.B. Leo Kirch einer war, nämlich im nicht übertragenen, war Johannes Paul II., sagt der Leiter der deutschsprachigen Radio Vatikan-Redaktion, Bernd Hagenkord, im TAZ-Interview mit Ambros Waibel. Exakt sagt Hagenkord: "Johannes Paul II. war ein Medienpapst. Ich finde aber Benedikt XVI. gerade deswegen so sympathisch, weil er den Medien sagt: Ich richte meine Botschaft nicht nach dem, was ihr denkt." +++ Was in diesem Gespräch nicht vorkommt: die Weltbild-Frage, die sich die katholische Kirche derzeit im wiederum übertragenen Sinne stellt, also die nach dem gleichnamigen, von der katholischen Kirche besessenen Mediendiscounter ("Körperflege-Produkte mit Mandarine-Grapefruit Duft"/ "Schutzengel aus Plüsch"...). Darüber berichtet heute die FAZ ("Von der Moral und der Qual", S.5) und kommentiert auf S. 10: "Den Verfechtern eines Rückzugs aus zweifelhaften Konstellationen standen diejenigen gegenüber, die hinter der vermeintlichen Befreiung aus allen Zweideutigkeiten den planvollen Rückzug ins Getto witterten. Dabei lohnte sich das Nachdenken über die Frage, wie ein dritter Weg aussehen könnte. Doch dafür fehlt es den deutschen Bischöfen derzeit weniger an Geld als an Geist." +++ "Heilige Schriften im Netz" heißt dann noch ein eher US-orientierter, nicht durch enorme Recherchen hierzulande getrübter Artikel der BLZ. +++
+++ Medienökonomie: Während der Tagesspiegel unter der suchmaschinenaffinen Überschrift "Google+ holt zu Facebook auf" auch vermeldet, dass es um die VZ-Netzwerke (StudiVZ usw.) der Holtzbrinck-Verlagsgruppen nicht nach jeder Statistik schlecht steht, verkauft die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (zu der der Tsp. gerade nicht gehört) die Mehrheit einer weiteren Lokalzeitung, des Südkuriers. Und zwar an die Augsburger Mediengruppe Pressedruck. "Pläne von Mitarbeitern, das Blatt selbst zu kaufen (taz vom 25. 2. 2011), sind damit gescheitert." (TAZ). +++
+++ Was gerade bescheiden boomt: deutschsprachige Medien im Ausland. Dazu erzählt die Berliner Zeitung eine erbauliche Geschichte über die deutschsprachige Monatszeitung Königsberger Express aus dem heutigen Kaliningrad. Praktikanten, die im Impressum den Titel "Lektor" tragen, werden gesucht.+++
+++ Nachrufe auf den früheren "heute journal"-Moderator Eberhard Piltz: "Er beschimpfte" "Schnellsprecher und Augenblicksdarsteller" "nicht, nein, er lächelte über sie in seiner so charakteristischen Weise: den Kopf etwas vornübergebeugt, die Augenbrauen nach oben gezogen, baten seine dunklen Augen um Verzeihung für diese ihm so fremde Eigenart mancher Berufskollegen", schreibt Nikolaus Brender in der Süddeutschen. Denn "die Berichte eines Journalisten sollten Verständnis schaffen, nicht Fronten ziehen". +++ "Er unterforderte sein Publikum nie, wusste die politischen Aktualitäten einzuordnen in die Kultur seines jeweiligen Berichtslandes, von dem er den Zuschauern in Fülle künden wollte. Und das gelang" (Michael Hanfeld in der FAZ). +++ Ebd. steht auch ein Nachruf Walter Haubrichs auf Javier Pradera, "einen Meister des kulturellen und politischen Meinungsjournalismus. Noch am Tag vor seinem Tod schrieb er eine seiner vielgelesenen Kolumnen für die Zeitung 'El País'. Sie war 'Am Rand des Abgrunds' betitelt..." Pradera war auch Mitbegründer des Blattes. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.