Hölle, Bambi, Vorstandswahl

Hölle, Bambi, Vorstandswahl

Das Netzwerk Recherche hat einen neuen Vorstand, Ergebnisse der Arbeit der MDR-Untersuchungskommission dringen durch, die Freischreiber haben ihren Himmel-Preis vergeben. Und Stefanie Hertel respektiert Silvio Berlusconi

Die Unterhaltungselite ist tatsächlich genau so gut druff, wie wir schon immer ahnten:

"Da ich regelmäßig in Südtirol bin und auch schon mehrmals Campingurlaub in Italien gemacht habe, habe ich auch das Thema Schuldenkrise und die Diskussion um den scheidenden italienischen Regierungschef mit Interesse verfolgt."

Schreibt Stefanie Hertel für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, deren Seite 14, als "Zur Zeit" rubriziert und dem Abschied von Silvio Berlusconi gewidmet, einen Knaller neben dem anderen bot. Hertel war das Prunkstück einer Prominentensammlung, die sich von Berlusconi verabschiedete, und dass direkt darunter – über dem Zeitungsbruch mit Katja Burkard von RTL, Humorarbeiterin Gaby Köster, Topmodel Eva Padberg, und Wolfgang Schwalm von den Wildecker Herzbuben – die CDU-Politikerin Julia Klöckner "endlich!" sagte, war vielleicht der noch bessere Witz als das Statement von Hertel. Die bekommt für ihre kulturrelativistischen Einlassungen gegenüber Männern ("Ich möchte nun wirklich keine Lanze für Berlusconi als Staatsmann brechen, doch als Mensch respektiere ich ihn") hoffentlich auch mal ein Integrationsbambi.

Aber das Schönste ist, dass sich von Hertel aus eine einfache Assoziationskette zu unserem Medienthema des Tages herstellen lässt: zum Netzwerk Recherche. Von Stefanie Hertel ist es nicht weit zur Volksmusik, von Volksmusik geht es zum MDR, vom MDR (siehe hierzu Altpapierkorb) zur neuen Intendantin Karola Wille, von Karola Wille zur Transparenz, die sie dort schaffen will, und beim Stichwort Transparenz sind wir auch schon am Ziel.

Der Journalistenverein Netzwerk Recherche hat am Freitagabend in Köln einen neuen Vorstand gewählt. Dass das nicht nur eine Meldung wert ist, hat mit der selbstgeschaffenen Bedeutung des 572 Mitglieder (sueddeutsche.de) zählenden Vereins für die Diskussion über Journalismus und vor allem mit der Affäre um öffentliche Gelder zu tun, die er zu Unrecht bezog.

[listbox:title=Artikel des Tages[Harmonie und Störung beim Netzwerk Recherche (BLZ)##Die Vergabe und Nichtvergabe des Freischreiber-Preises (taz)##Der 45-seitige Bericht der MDR-Untersuchungskommission (pdf, via Bild Online)]]

Der Kontextparagraph für alle Neueinsteiger ins Thema: "Die Organisation Netzwerk Recherche, die kritisch-investigativen Journalismus fördern will, war zuletzt wegen Untreuevorwürfen gegen Thomas Leif in die Schlagzeilen gekommen" (taz). Konkreter: Thomas Leif, Chefreporter des Südwestrundfunks, Mitbegründer und bis zum Sommer Erster Vorsitzender des Netzwerks Recherche, wurde "(z)ur Aufgabe dieses Amts (...) gedrängt, nachdem in Unterlagen, zu denen nur er Zugang hatte, Unstimmigkeiten, falsche Zahlen und nachträgliche Korrekturen entdeckt worden waren" (Berliner Zeitung). In Zahlen: "Es soll Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Tagungszuschüssen in Höhe von rund 75.000 Euro gegeben haben. Das Geld stammte von der Bundeszentrale für politische Bildung und ist inzwischen zurückgezahlt" (wiederum sueddeutsche.de).

Die Nachricht aus der Mitgliederversammlung lautet nun: Oliver Schröm vom Stern ist der neue Vorsitzende. Markus Grill vom Spiegel, der bisher schon Beisitzer im Vorstand war, ist zweiter Vorsitzender. (Siehe zu den weiteren Vorstandsmitgliedern die Mitteilung des Vereins.) Ob die Satzung, die bislang (§ 8) vorsieht, dass der erste und zweite Vorsitzende "einzeln vertretungsberechtigt" sind, was unter dem Strich ein Zwei-Augen-Prinzip bedeutet und damit im Grunde den Ursprung der Affäre, geändert wird und wenn ja, wie, steht heute nicht in den Medien. Was da steht, im Spiegel, ist ein Zitat aus einer internen Mail: "Unsere Satzung ist eine demokratische Katastrophe."

Über Oliver Schröm schreibt die Süddeutsche Zeitung (deren Medienseite sich heute auf der ungewohnten Seite 31, weit hinter dem Feuilleton findet, dem sie bislang zugeordnet war):

"Der 47-Jährige war vor zehn Jahren als Gründungsmitglied dabei, erklärte dann aber seinen Austritt, weil ihm der Verein nicht zusagte. In diesem Frühjahr wurde er erneut Mitglied. Weil er mit den kritikwürdigen Vorgängen nichts zu tun hatte, erschien er vielen als idealer Kandidat für den Neuanfang."

Nebensächlich ist, dass – wie man so sagt – kam, was wohl kommen musste: "Achtung, Fake-Account! Wer auch immer sich unter @OliverSchroem um die Transparenz im #nr sorgt, Schröm ist es nicht. Please RT", hieß es am Samstag bei Twitter, nachdem jener (mittlerweile nur noch in Retweets wie diesem existente) @OliverSchroem angekündigt hatte: "Erste Amtshandlung: Twitter-Account. Jetzt steht Transparenz an 1. Stelle. Vertrauen muss wieder hergestellt werden. #nr"

Nebensächlich ist heute auch, dass es seit Juli, seit die Zuschussaffäre öffentlich wurde, diverse Feindseligkeiten gegen das Netzwerk gab: Die FAZ etwa tat sich mit falschen Zahlen und einer darauffolgenden Nachjustierung hervor; Bild schoss in einem gewohnt durchsichtigen Manöver gegen einen Kritiker, den zweiten Netzwerk-Vorstand Hans Leyendecker.

In die Texte über die Vorstandswahl vom Freitag fließen nun vor allem die zwei wesentlichen Erzählarten der Ereignisse ein. Das erste Narrativ lautet: Thomas Leif hat die Zuschussaffäre zu verantworten. Der Restvorstand hat sie, nachdem ihm die Ungereimtheiten bei der sog. Fehlbedarfsfinanzierung aufgefallen waren, aufgeklärt. Leyendecker bezeichnete Leif in der Folge gar als "kriminell", obwohl noch nicht einmal die Staatsanwaltschaft Wiesbaden, die gegen Leif wegen Verdachts auf Betrug und Untreue ermittelt (dass er sich persönlich bereichert hätte, gehört übrigens nicht zu den Vorwürfen), ihre Arbeit beendet hat. "(E)ine unnötige Vorverurteilung" nennt das aktuell in einem Nebensatz Markus Brauck im Spiegel (S. 162f.).

Das zweite Narrativ lautet: Der Restvorstand hinter Leif, vor allem Leyendecker als zweiter Mann im Zwei-Mann-plus-Beisitzer-Vorstand, habe die Kontrolle vernachlässigt, die die Satzung auch gar nicht vorsieht. Das kritisierte etwa der emeritierte Journalistikprofessor Michael Haller in einem Schreiben an den Vorstand, aus dem im Oktober Meedia zitierte. Von Netzwerk-Mitgliedern wurde der Restvorstand des Selbstschutzes auf Leifs Kosten beschuldigt. Leif selbst meldet sich nun im Spiegel (online die Kurzzusammenfassung) zu Wort: Es sei von Anfang an um eine "Konfliktinszenierung“ gegangen, "nicht um die Lösung der Sachprobleme im Zusammenhang mit einem komplizierten bürokratischen Antrag“.

Keines dieser Narrative ist ohne das andere brauchbar. Brauck erklärt das Netzwerk im Spiegel so – eine nachvollziehbare Interpretation:

"Effektive Kontrolle fehlte unter Leif. Der Vorsitzende war überarbeitet. Frust über sein Gebaren staute sich auf. Der Verein spaltete sich allmählich in einen Pro- und einen Kontra-Leif-Flügel. Doch weil niemand je den Aufstand wagte – und auch keiner da war, der ihn hätte anführen können –, blieb das alles ungesagt wie schwelender Familienfrust, der auf einen Anlass wartet, um sich zu entladen. (...) Wer den Beteiligten länger zuhört, bekommt allerdings auch den Eindruck, dass es beim Netzwerk Recherche bislang stets um zwei Dinge gleichzeitig ging. Es ist die – dem Politikbetrieb sehr ähnliche – Gleichzeitigkeit von Eitelkeit und Auftrag, die den Verein antrieb, den Vorstand und auch den Vorsitzenden Leif. Eine Mischung, die schon am Anfang des Netzwerks stand, das stets auch der Treffpunkt einer Investigativ-Elite war, die nach Anerkennung gierte."

Die Süddeutsche zitiert den neuen Vorsitzenden Schröm nun mit dem Satz: "Man muss den Verein als Verein verstehen und nicht als große Bühne." Das ist die twitterfähige Zusammenfassung dieser Version.

Was Brauck im Spiegel gar nicht erwähnt, ist der Vorwurf aus dem Pro-Leif-Flügel, die Kanzlei, die die Anträge des Vereins an die Bundeszentrale für politische Bildung geprüft habe, sei in dieser Sache nicht vertrauenswürdig: Sie sei schließlich von Mitgliedern des Restvorstands hinter Leif – und damit von befangenen Personen – ausgewählt worden. Brauck nennt die Kanzlei des Vorwurfs ungeachtet ohne weitere Erklärungen schlicht "unabhängig".

Aus der Pressestelle der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es, dort seien die fehlerhaften Anträge ebenfalls noch einmal geprüft worden – mit demselben Ergebnis; die Kanzlei als Erfüllungsgehilfen ihrer Auftraggeber zu bezeichnen, ist seriös kaum möglich. Aber die Wege zwischen berechtiger Kritik an mangelnder Transparenz und an einem "blinden Fleck", der bei der lückenlosen Aufklärung des Falls hinderlich sei, wie es Michael Haller jetzt nennt (Meedia), und einer Verschwörungstheorie sind kurz.


Altpapierkorb

+++ Zum MDR: Bild Online hat einen 45-seitigen "Bericht der vom MDR eingesetzten Untersuchungskommission zur Aufdeckung von Betrugs- und Korruptionsdelikten beim Sender" vorliegen. Kurz (dies ist die Zusammenfassung von Bild Online, der Bericht ist hier komplett einsehbar – ich selbst habe ihn noch nicht gelesen): Verträge nachträglich geschlossen, Rechnungen wurden ohne Auftrag bezahlt, freihändige Preisfestlegungen, und der MDR halte Wertpapiere für 390 Millionen Euro, wie risikoreich die Papiere seien, sei bisher nicht geprüft usw. Empfohlen werde eine Task-Force zur weiteren Untersuchung +++

+++ Die zweite aufsehenerregende Branchenveranstaltung des Wochenendes neben den NR-Vorstandswahlen: die Preisverleihung des Verbands Freischreiber. Brand Eins sei "im Umgang mit Freien die fairste Printredaktion Deutschlands. Der Berufsverband Freischreiber, ein Zusammenschluss freier JournalistInnen, hat das Team des Wirtschaftsmagazins am Samstag in Hamburg mit dem Himmel- Preis ausgezeichnet", schreibt die taz, die auch die Verrenkungen anlässlich des Negativpreises für die unfairste Redaktion noch einmal thematisiert, samt Verteidigungsreden der Nominierten. Der "Hölle-Preis" wurde wegen der einen oder anderen Ungenauigkeit bei der Auswahl nicht vergeben +++

+++ Der noch größere Preis ist auch heute (und war auch gestern) noch Teil der medialen Auseinandersetzungen: Kollege Bambi. Stefan Niggemeier, soeben zum Spiegel gewechselt, wurde indirekt noch einmal als Autor der FAS tätig; die Pro&Contra-Kolumne zum Thema "Ist Bushido noch tragbar?" zitiert auf der Pro-Seite Bushidos Bambi-Dankrede, die Niggemeier für sein Blog abgetippt hatte. Wollen wir hoffen, dass damit langsam alle durch sind mit der Idee, Burdas Deppenprojekt zum Maßstab ihrer Gesellschaftskritik zu machen +++ Niggemeier selbst wird in seiner Spiegel-Kolumne tätig und definiert den Bambi dort so: "Bambi, der; goldene rehförmige Trophäe, die der Burda-Verlag jährlich für erfolgte oder zu erwartende langjährige Mitgliedschaft in der 'Bunte'-Gesellschaft verleiht sowie, bei internationalen Stars, für die Anreise zur Preisverleihung" +++

+++ "Wetten, dass..?" Michael Herbig hat laut Spiegel die Moderation abgelehn. Im Gespräch seien nun auch Joachim Winterscheid und Klaas Heuer-Umlauf, "bekannt als Joko und Klaas" +++ Weiter moderiert Ken Jebsen vom RBB nach Antisemitismusvorwürfen durch Henryk M. (BLZ/TSP). Die FAS ordnet ein: "Nach ein paar Runden ritueller Aufregung darf Jebsen nun seine Show weitermoderieren, muss allerdings zur Strafe so tun, als wolle er Broder in seine Show einladen" +++

+++ Sonst: Die FAS interview NYT-Chefin Abramson +++ Arte kürzt womöglich am Nischendasein oder, anders, schielt verstärkt auf die Quoten (Spiegel Online) +++ Der TSP über das Social Network Diaspora, die FTD über Facebook +++

+++ Und dieser Tage im Fernsehen: Eine ZDF-Themenwoche zum "erschöpften Planeten" ist Gegenstand der Kritiken. Zwei Kritiken stehen in der SZ (S. 31), eine zu "Verschollen am Kap", einem "zweiteiligen Umweltthriller", eine zur Dokumentation "Machtfaktor Erde" von Angela Andersen und Claus Kleber +++ Die Themenwoche en bloc thematisieren die Berliner Zeitung und die taz +++ Die FAZ bespricht die SWR-Reihe "Junger Dokumentarfilm", der Tagesspiegel Lutz Hachmeisters "Auf der Suche nach Peter Hartz" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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