Bürgerliche Possen

Bürgerliche Possen

Eklat oder kleiner Eklat? Bushido kriegt seinen Bambi unter Protest. Karola Wille arbeitet an einer neuen Führungskultur beim MDR. Und James Murdoch wusste von nichts.

Darling des Tages ist Philipp Riederle. In der Berliner Zeitung informiert Jochen Voss über ihn:

"Der 17-Jährige ist nicht nur jung, sondern gehört auch zu den erfolgreichsten Podcastern in Deutschland. Seit 2008 veröffentlicht er im Netz die Sendung 'Mein iPhone und ich' und führt damit regelmäßig die Bestenlisten an."

Schön und gut, aber wie verdient man damit Geld, werden die alten Hasen des Biz fragen. Null problemo, wie die jungen Leute sagen:

"Fast einmal pro Woche bleibt mittlerweile im Dossenberger-Gymnasium im bayerischen Günzburg sein Platz leer, weil er auf Kongressen und in Firmenvorständen unterwegs ist. Er bezeichnet sich selbst als 'die Stimme meiner Generation'... Seine Kunden sind die großen Spieler der deutschen Wirtschaft – Riederle nennt Namen wie BMW, McDonald’s und die Telekom."

Die alten Hasen der Kulturkritik könnten nun fragen, ob sich da nicht ein Gap auftut zwischen Realität und Wirklichkeit: Muss nicht "die Stimme seiner Generation" seine entscheidenden Skills in dem Maße verlieren, in dem er den seinen Kunden das Leben erklärt?

"Riederles Motto lautet 'Freunde first' – denn das sei das Wichtigste in der Jugend. Eine Blaupause für seine Zukunft hat Philipp Riederle nicht...Er kann sich jedoch nicht vorstellen, hauptberuflich Vorträge zu halten, ohne die Erfahrungen, über die er spricht, selbst zu machen. 'Mein großes Ziel ist einfach, ich zu sein und zu bleiben', sagt er."

Da hat er sich ja ganz schön was vorgenommen, könnten die alten Hasen der Philosophie unken. Denn ob jemand "ich" ist und auch noch bleiben darf, darüber entscheidet er im Zweifel nicht selbst.

Marko Martin etwa konnte in der Welt von gestern in der neuen MDR-Intendantin Karola Wille nur das Ich sehen, das sie bis 1989 gewesen ist:

"Immerhin war es laut einer Zeitungsrecherche 'der Justiziar des VEB Lüftungs- und Entstaubungsanlagen Leipzig' (sic!), mit dem zusammen im Spätsommer 1989 eine gewisse SED-Genossin Wille einen regimekonformen Text veröffentlicht hatte, in dem der bundesdeutsche Rechtsstaat als bourgeoise Posse denunziert wurde."

Steffen Grimberg fokussiert in der aktuellen Funkkorrespondenz eher das Wille-Ich, das nach 1990 im MDR Karriere als Justiziarin gemacht und es dabei offenbar relativ gut geschafft hat, einigen Abstand zu dem skandalösen Wirtschaften zu behaupten, für dass der gewesene Intendant Udo Reiter die "politische Verantwortung" geschickterweise erst übernommen hatte, als er sie nicht mehr trug (siehe Altpapier). Grimberg schreibt:

"Weggeschaut habe Wille nie, betonte Reiter, sie habe vielmehr stets 'warnend ihre Stimme erhoben, konnte sich damit aber auch nicht immer durchsetzen'. Auch dieses Zitat lässt tief blicken, steht es doch im Kontrast zu den ganz anderen Worten, die Reiter vor gut zwei Jahren zu Karola Willes 50. Geburtstag fand. Da hatte der noch fest im Sattel sitzende MDR-Gründer sie als sein 'Einser-Mädchen' gelobt und ziemlich vergiftete Fleißkärtchen ausgeteilt: Wille habe ihn in seiner Abwesenheit stets 'geräuschlos und effizient vertreten'. Deshalb hatte er ihr ja auch 'unbesorgt den Rücken zukehren' können, weil sie 'nicht machtfixiert' war. Und dann folgte ein Satz, der viel über Reiter wie auch über Wille sagt: 'Wenn sie einmal dienstlich lügen soll, wird sie rot', so zitierte die 'Sächsische Zeitung' die Glückwünsche des Intendanten von 2009."

Nun etabliert Wille eine neue Führungskultur beim MDR – und allein die Reiter-Zitate erwecken den Eindruck, dass sich damit mehr Hoffnungen verbinden könnten auf eine Entskandalisierung des MDR als mit jedem Dementi ihres Vorgängers.

Aufreger des gestrigen Abends: "Kleiner Eklat bei Bambi-Gala" titelt die FR, während der ebenfalls von DuMont verlegte Kölner Stadtanzeiger über den gleichen Agenturtext "Eklat bei Bambi-Verleihung" schreibt.

Was war geschehen? Bushido, dessen Ich in der allgemeinen Wahrnehmung vor dem Durch-ein-ödes-Biopic-an-die-Brust-von-Bernd-Eichinger-gedrückt-Werden verblieben ist, hat einen Bambi in der schlagenden wie dämlichen Kategorie "Integration" erhalten. Und Rosenstolzens Peter Plate, der einen Preis in der ebenfalls merkwürdigen Kategorie "Comeback" bekommen hat, erklärte:

"'Es ist sehr wichtig, dass wir uns Chancen geben', sagte der schwule Rosenstolz-Songschreiber Peter Plate vor rund 800 Gästen. 'Aber jemanden, der frauenfeindliche, menschenverachtende Texte gesungen hat, so einen Musiker auszuzeichnen, finde ich nicht korrekt.' Ein Teil des Publikums im Saal applaudierte."

Damit ventilierte Plate einen Unmut, der bereits vor der Veranstaltung in Wiesbaden, dem Party-Mekka der Rhein-Main-Area, Ausdruck gefunden hatte. Die TAZ weiß:

"Claudia Roth disste ihn als 'äußerst erfolgreiche Kunstfigur, die auf dem Rücken von Minderheiten große Kasse macht'. Der Lesben- und Schwulenverband nannte ihn einen 'geistigen Brandstifter', die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes legte mit 'menschenverachtend' nach. Und in der Facebook-Gruppe 'Kein Bambi für Bushido' war gar zu lesen: 'Bambi, bitte werd lebendig und scheiss heute Abend auf die Bühne!'"

Im Folgenden adressiert die TAZ ihre Empörung durchaus nachvollziehbar an die Gemeinschaft, in die Bushido nun aufgenommen ist:

[listbox:title=Die Artikel des Tages[MDR-Führungskultur (FK)##Bushido ist integriert (TAZ)##Sun comes back (Berliner)##Murdoch-Anhörung (NZZ)##]]

"Eine Entscheidung, die einmal mehr zeigt, dass es sich bei der deutschen Medienbranche offensichtlich um eine Parallelgesellschaft handelt. Denn in diese ist Bushido in der Tat sehr gut integriert. Mit seiner Rolle als frauen- und schwulenverachtender Problemkiez-Rapper, der auch irgendwie was mit Kriminellen zu schaffen hat, gibt er nun schon seit Jahren erfolgreich den Migranten vom Dienst im deutschen Unterhaltungszirkus."

Bernd Eichinger hat, wie gesagt, darin das Erfolgs-Ich gesehen, mit dem auch Geld verdient werden kann bei Zielgruppen, die man mit dem "Untergang" vielleicht nicht so gut erreicht.

Was den meisten Bambi-Gala-Beobachtern indes nicht gelingt, ist vom Einzelfall Bushido auf die Regeln des Biz zu schließen. Mit Kriminellen erfolgreichen Geschäftsmännern hat die beliebte Volksschauspielerin Veronica Ferres auch Umgang, und das Frauenbild von Dieter Bohlen kann man in seiner Vorbildwirkung  ebenfalls für limitiert halten.

Aber die Berichterstatter bei stern.de, spiegel.de oder in der Sueddeutsche-Bilderschau schreiben die Geschichte des Abends so runter, als würde es wirklich etwas bedeuten, dass Gwyneth Paltrow den Bambi für "Film international" bekommt, weil sie gerade Zeit hatte; als ob Helmut Schmidt ("Millenium") wirklich das "politische Gewissen" dieses Landes wäre.

Als ob diese ganze Veranstaltung also tatsächlich mehr wäre, als die hochgepimpte PR-Auktion eines Verlagshauses, das goldfarbene Rehkitzstatuetten an möglichst viele bekannte Nasen verteilt, damit deren geballte Bekanntheit Glanz und Macht des Verlagshauses beweisen kann.

Den besten Artikel zum Thema hat folglich die Welt verfasst, weil sich dort der ganze Irrsinn in Zitaten Bahn bricht, die man sich ausdrucken und den Enkeln per Kurier zustellen lassen möchte.

Die Freundin von Carsten Maschmeyer sagt dort etwa:

"'Wir sehen uns einmal im Jahr und freuen uns, dass wir einen fröhlichen und bewegenden Abend miteinander verbringen.'"

Eine bürgerliche Posse?


Altpapierkorb

+++ Noch eine Posse: James Murdoch zum zweiten Mal vor dem Untersuchungsausschuss (Berliner). Interessant sind hier nur noch die Nuancen: Das Handelsblatt schreibt über seinen Anhörungsbericht "Abgeordneter beschimpft Murdoch-Sohn als Mafia-Boss". Dass diese Überschrift die eigentliche Nachricht ignoriert, kann man den anderen Texten (NZZ, FAZ, S. 37, SZ, S. 15) entnehmen. Steffen Grimberg zitiert in der TAZ vollständig: "'Mr Murdoch, Sie sind der erste Mafiaboss der Geschichte, dem nicht klar ist, dass er einer kriminellen Vereinigung vorsteht!' Der Vorwurf des britischen Labourabgeordneten Tom Watson saß. Doch James Murdoch konnte bei seinem zweiten Auftritt vor dem Medienausschuss des britischen Parlaments ohnehin kaum noch blasser werden." Murdoch hatte eine sechsstellige Entschädigungssumme für einen bespitzelten Fußballtrainer autorisiert, ohne von der Bespitzelung zu wissen. +++ Interessanter als die Ignoranz des Juniors ist da fast die Nachfolge der wegen des Abhör-Skandals eingestellten NoW. Etwa in der Berliner wird berichtet, dass Murdoch sr. Pläne hat: "Der Medienunternehmer ist laut einem Bericht des Guardian dabei, einen Nachfolger für die inzwischen eingestellte Sonntagszeitung News of the World aufzubauen. Derzeit entwickle der Konzern News International eine Sonntagsausgabe des erfolgreichen Boulevardblattes Sun." +++

+++ Zehn Jahre Zeit hat Servus-TV, der Sender des Red-Bull-Milliardärs Dietrich Mateschitz, um das Privatfernsehen als besseres öffentlich-rechtliches zu erfinden (TSP). +++ Sport1 sendet weiterhin Wettwerbung, was ihr von der zuständigen Landesmedienanstalt eigentlich untersagt worden war (FK). +++ Im real existierenden öffentlich-rechtlichen Fernsehen werden Dokumentarfilme am Montag abendnacht empfohlen: "Auf der Suche nach Peter Hartz" von Lutz Hachmeister (SZ, S. 15) und "Reine Männersache" von Susanne Binninger (FAZ, S. 37). +++

+++ In der FAZ (S. 37) beobachtet Jörg Bremer, wie Berlusconis Medien mit Berlusconis Ende umgehen. +++ Und Ulf Poschardt haut in der Welt einen Vorschlag raus für die Gottschalk-Nachfolge, der das Beste von Ludwig Börne, Ashton "Kutscher" und Deutschland zu vereinen verspricht: Joko und Klaas! "Sprachlich stets am Rande des Vulgären, lassen Mimik und Körpersprache nie jene Distanz und Feinheit vermissen, die Showrabauken wie Stefan Raab und Oliver Welke fehlen." +++

Neues Altpapier gibt's Montag wieder gegen 9 Uhr.

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