Aus dem Zusammenhang ins Netz

Aus dem Zusammenhang ins Netz

Verärgerte Verleger (Pressefusionsrecht), verratene Ideale der Aufklärung (Wikipedia-Filter), verklebte Zusammenhänge (Twitter-Tools), Dokumentarfilm-Krise und Hitlertainment: was heute wieder alles im Medienwandel los ist.

Manchmal kann man sogar die Verlegerverbände verstehen. Gestern abend "begrüßten" sie zur Einleitung ihrer (des Zeitungsverlegerverbandes BDZV) jüngsten Verlautbarung zwar erst einmal "im Grundsatz", wie man es im Umgang mit der Macht halt zu tun pflegt, süßsauer deren jüngste Aktivitäten, nämlich einen Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Fusionskontrolle bei Presseunternehmen (vereinfacht formuliert! siehe Süddeutsche). Aber gleich im dritten Satz beklagten sie mit einem kräftigen "allerdings sei es nicht zielführend, dass...", dass nur eines ihrer vielen, vielfach vorgetragenen Argumente in die Überlegungen der Referenten Eingang gefunden habe.

"Das reicht nicht", meint Ulrike Simon in der Berliner Zeitung des BDZV-Mitglieds DuMont Schauberg (wobei sie den Verlautbarungsentwurf des BDZV weitestgehend übernimmt). Für "vermutlich begründet" hält aber auch Christian Meier vom nicht print-basierten, nicht in Verlegerverbänden organisierten Dienstleister meedia.de "die Befürchtung  der Verleger..., dass sie mit nur einer einzigen... Änderung der Pressefusionskontrolle zufrieden gestellt werden sollen. Andere Forderungen, die auf eine Neudefinition von Märkten und der Natur des Wettbewerbs auf dem Zeitungssektor abzielen, könnten unberücksichtigt bleiben."

Eines der Argument der Verleger, ein in seinem Kontext (hier z.B. im Newsletter des bayerischen Zeitungsverlegerverbands) verblüffend einfach formuliertes lautet:

"Sowohl Leser als auch Werbekunden hätten heute eine Vielzahl von Alternativen zur gedruckten Zeitung."

Und manchmal haben sogar die Verlegerverbände schlicht und einfach recht.

Vielerlei Bausteinchen des Medienwandels, was er voraussichtlich auslösen wird und wie man mit ihm umgehen sollte, sind auch heute wieder zu haben. Die griffigste Faustregel stammt von Claudia Nothelle, der Programmdirektorin des RBB, und lautet, nur leicht vereinfacht: "Pointierte Meinung ja - aber nicht ohne die journalistischen Standards".

Das gilt der Berlin-Brandenburger Radiopersonalie um den Moderator der Radiosendung "KenFM", Ken Jebsen (siehe v.a. Altpapier vorgestern), der also wieder weitersendet. Dazu hat der Tagesspiegel ein Originalexklusivzitat Henryk M. Broders eingeholt ("Wenn die ihn jetzt fallen lassen würden, würden sie damit zugeben, dass sie zehn Jahre einen Irren beschäftigt haben"), der in seinem Blog achgut.de die aktuelle Jebsen-Verwirrung initiiert hatte (und nun Jebsen in eine Reihe mit einem alten, aber guten Hitlerwitz der Titanic stellt).

"An der fehlenden intellektuellen Schärfe seiner Einlassungen zu allen möglichen Themen bei 'KenFM' ändert das freilich nichts", argumentiert Michael Hanfeld in der FAZ, als vertrete er ansonsten die Meinung, intellektuelle Schärfe werde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundsätzlich gefordert.

Da wir gerade im Radio und beim Grundsätzlichen sind: Der interessanteste Artikel dieses Donnerstags enthüllt schon einmal ein paar Inhalte des "Eröffnungsvortrags", in dem heute um 15.00 Uhr bei den Hörspieltagen der ARD in Karlsruhe den "anwesenden Hörspielredakteuren, Autoren und Regisseuren" "ins Gewissen" geredet werden wird. Und ist dennoch interessant, der Artikel.

[listbox:title=Artikel des Tages[Stand der Pressefusions-Dinge (meedia.de)##Gerade am Laufen: ARD-Hörspieltage##Was an der Saar bisher geschah (Tsp.)##23 Pakete Bundesliga-Rechte (SZ)##Atommülltransport-Akkreditierungen (TAZ)]]

Denn halten wird diesen Vortrag der Regisseur Andres Veiel, und er wird seine "These von der Krise des Dokumentarischen" erläutern, also dass "es inzwischen leichter ist, die Realität fiktiv zu beschreiben" als in Dokumentarfilmen fürs Fernsehen. Eines seiner Argumente sei, so die Süddeutsche (S. 15),

"dass die Filmemacher nicht mehr Herr über Bild und Ton sind: Früher oder später würden sich die Elemente aus einem geschlossenen Werk heutzutage verselbstständigen und aus dem Zusammenhang gelöst im Netz auftauchen. 'Keiner kann inzwischen mehr garantieren, was mit Informationen passiert.' Für einen wie Veiel ist das fatal, der zu seinen Protagonisten ein solches Vertrauen aufbaut, dass sie ihm vor der Kamera Dinge erzählen, die sie nicht einmal nahestehenden Menschen offenbart haben."

Ein anderes:

"Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und damit der Dokumentarfilm hat nach Ansicht von Veiel seine Qualität als Leitmedium teilweise eingebüßt. 'Früher hat ein Schritt in die Fernsehöffentlichkeit etwas bewirkt, weil er wahrgenommen worden ist', sagt Veiel. Heute lohne es sich immer seltener für einen Protagonisten, ins Risiko zu gehen und Dinge zu sagen, die womöglich einen hohen persönlichen Preis kosten."

Was ebenfalls künftig in heute noch kaum geahnten Netz-Zusammenhängen auftauchen könnte, darüber bietet die FAZ-Medienseite (deren eigene Artikel allerdings seit dem Relaunch leider immer seltener Netz auftauchen), den besonders buntn Überblick. So berichtet Jörg Wittkewitz über Pläne, in der Wikipedia Filter einzubauen:

"Jeder Nutzer kann dann sein Wikipedia personalisieren. Gedacht ist dies für Kulturen, in denen die Darstellung von nackten Körpern oder Gewaltszenen unerwünscht oder gar verboten ist. Die Gemeinschaft der Wikipedia-Autoren diskutiert diesen Filter vor allem in Deutschland sehr kontrovers und fühlt die Ideale der Aufklärung verraten."

Direkt darunter wird in einem kleinen Artikelchen "Sozialer Klebstoff" neue Trends vorgestellt, die das Fernsehen mit Twitter verbinden sollten, darunter getglue.com, das die FAZ mit "Erhalte Klebstoff" übersetzt:

"Mit dem ewigen Imperativ der neuen Medien, man müsse wissen, was alle anderen gut finden ('Sieh, was deine Freunde lesen und welche Sendung sie gerade schauen!'), wird dort ein sozialer Klebstoff suggeriert, dessen Belastbarkeit nicht über das Bekenntnis 'Gefällt mir!' hinausreicht. Mit ihm werden die Fernsehschirme der Zukunft aber immer mehr zugekleistert sein."

So der auch nicht unapokalyptische Schlusssatz dieses 38-zeiligen Artikels. Und dass schräg rechts darüber auf derselben Medienseite Lorenz Jäger in seiner traditionellen Besprechung konventionellen Fernseh-Klebstoffs die Guido-Knopp-Reihe "Geheimnisse des 'Dritten Reichs'" als "Hitlertainment, wie am Dienstagabend ein schneller Twitterer kommentierte" bezeichnet, unterstreicht ja nur, dass immer mehr mit immer mehr verklebt zusammenhängt.
 


Altpapierkorb

+++ Was klassische Fernsehgerätenutzer weiterhin interessieren könnte: der "Tatort" Saar: In die vor allem seit gestern in der Medienbeobachternische geführte Debatte (siehe Altpapier) greifen heute ebenfalls Michael Hanfeld ein, der im Gegensatz zum Süddeutsche-Kollegen Christopher Keil den Saarländischer Rundfunk-Redakteur Christian Bauer als einen sieht, "dem es an Kennerschaft nicht mangelt". Ob dessen Entscheidung zur Absetzung des bisherigen Teams "eine kluge, ob es die richtige" war, das "werden wir sehen". +++ Was bisher so geschehen ist, in Ruhe nachzuerzählen, gehört zu den Stärken des Tagesspiegels, der es nun auch in dieser Sache tut und überdies Namedropping zugleich betreibt und relativiert ("Als mögliche Saarbrücker 'Tatort'-Kommissare sind Jürgen Vogel, Matthias Schweighöfer, Benno Fürmann oder vor allem Devid Striesow im Gespräch. Diese illustren Namen werden aber gerne auch immer wieder im Zusammenhang mit anderen frei werdenden TV-Ermittlerstellen genannt..."). +++

+++ Mehr Klebstoff fürs Netz, und zwar schnell wirkender: das "Szenario 'Neue Medien'", das nun auch die Fußball-Bundesliga entwickelt hat. Das Konzept für die nächste Ausschreibung ihrer Übertragungsrechte von 2013 bis 2017, das sie jetzt dem Bundeskartellamt vorlegte, "umfasst 23 Rechtepakete" (Süddeutsche).+++ Die Übertragungsrechte am Wetter in der ARD sind von Jörg Kachelmanns Unternehmen Meteomedia auf eine Tochtergesellschaft der Bavaria übergegangen (die selbst wiederum eine Tochtergesellschaft mehrerer öffentlich-rechtlicher Sender ist). Geschäftsführer von Bavaria wie auch Meteomedia ("bleibt jedoch als Datenlieferant mit an Bord") "sprachen von einer 'Win-Win-Situation'“ (Tagesspiegel). Wenn alle Geschäftsführer gewinnen, wird ja doch jemand draufzahlen müssen. Die Gebührenzahler? +++

+++ "Denn was die Datenschützer ärgert, erfreut die Werbetreibenden: Facebooks Datensammelei ergibt mit jedem Tag bessere Profile über Vorlieben und Verhaltensweisen der Nutzer" (FAZ-Netzökonom über steigende deutsche Onlinewerbung bei Facebook). +++ Außer Time Warner könnte auch die RTL-Group den global aktiven niederländischen Produzenten Endemol (mal wieder) kaufen wollen (Guardian).+++

+++ Akkreditierungsanträge für die Berichterstattung von Atommülltransporten und sie begleitenden Demonstrationen nimmt die Polizeidirektion Lüneburg entgegen (TAZ). Worum es den Beamten dabei gehe: die Namen der Journalisten googlen zu können. +++

+++ "Echt wahr, dass Sie statt eines Parteiprogramms nur ein Betriebssystem haben?" Da interviewt Moritz von Uslar fürs Zeit-Magazin Andreas Baum, den Fraktionsvorsitzenden der Berliner Piraten ("sieht wie eine 2011-Mischung aus Rudi Dutschke, Telekom-Kundenberater und englischem Gitarrenpop").+++

+++ Ob die Berliner Zeitung einen hintersinnigen Scherz trieb, als sie Hans Joachim Fuhrmann, "Sprecher und Mitglied der Geschäftsleitung" beim schon eingangs erwähnten Bundesverband deutscher Zeitungsverleger, fragte, ob denn Arianna Huffington dort Mitglied werden könnte, wenn sie demnächst vielleicht eine deutsche Huffington Post startet (Altpapier), erschließt sich auch nach mehrmaligem Lesen nicht. Jedenfalls packte Fuhrmann die Chance beim Schopf und sagte gleich noch: "Absolutes Alleinstellungsmerkmal fast aller Zeitungen in Deutschland ist der professionelle Lokaljournalismus. Das muss die 'Huffington Post' mit ihren Laienjournalisten erst mal hinkriegen." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

weitere Blogs

Regenbogengottesdienst  in Adventszeit
Ein Gedicht zum Heiligen Abend aus queerer Perspektive nicht nur für queere Christ:innen.
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.