Die Zukunft von "Wetten, dass...?" ist noch immer offen. Die von Radiomoderator Ken Jebsen fürs erste auch. Und der MDR bearbeitet weiter Vergangenheit
Schon beeindruckend, was "Wetten, dass...?" an Berichterstattung mobilisiert. Selbst am Tag nach dem ersten Wochentag danach sorgt die Frage, wer Moderator der Sendung wird beziehungsweise was aus ihr für Gesprächsstoff.
So gesehen ist es allerhöchste Eisenbahn, dass sich mal jemand an die Orgel der Kulturkritik setzt und herzhaft den Akkord der Schelte anstimmt – ob dieses Land (der Dichter und Denker) in dieser Zeit (EU-Europa!) keine anderen Sorge habe, als sich über die Neubesetzung der Stelle eines anfasserischen Product-Placement-Kaspers, der in epischer Länge infantile Spielchen präsentiert.
Als Ort dafür könnte man sich die Zeit oder die Welt vorstellen. Bei der Zeit haben wir noch nicht nachgeschaut, aber die Welt hat mit dem Investigativformat "Bilderschau" qualitätsjournalistisch herausgearbeitet, dass neben Hape Kerkelings "Ich möchte lieber nicht" Andrea Sawatzkis Dekolleté der Höhepunkt der samstäglichen Sendung war.
Immerhin kann man vor diesem Hintergrund womöglich besser verstehen, dass sich Springer dank seiner Onlinestrategie eine "weiteres Rekordjahr" zutraut (HB).
Liest man Björn Wirths Text zum Thema in der Berliner, bekommt man eine Idee davon, warum die Spekulation der Medienseite näher ist als die Empörung – sie macht einfach mehr Spaß.
"Auch ohne Pilawa sind da noch die anderen üblichen Verdächtigen, die Pflaumes, Kerners, Lanzen. Je öfter ihre Namen allerdings in der Diskussion sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie es nicht werden. Deshalb noch mal zur Sicherheit: Pflaumekernerlanz, Pflaumekernerlanz, Pflaumekernerlanz."
Um noch sicherer zu gehen, murmelt der Text verdienstvoll sein "Pflaumekernerlanz" die ganze Zeit vor sich her. Nebenher deutet er an, dass es durchaus Moderatorinnen gebe, die als gute Lösung durchgehen könnten (Schöneberger, Engelke, Raab),
Im Tagesspiegel geht Markus Ehrenberg die Suche etwas nüchterner an – und tatsächlich fallen die Namen, die Wirth nicht aussprechen will, auch hier. Mit Bezug auf ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut, der vor allem aber die Idee der Doppelmoderation prominent platziert hat:
"'Ein Moderatoren-Duo ist die Naheliegendste und damit wahrscheinlichste Lösung', sagte ZDF-Sprecher Walter Kehr dem Tagesspiegel am Montag."
Von allen Unwägbarkeiten abgesehen, wäre die Doppelmoderation dennoch nur das Nächstliegende, lieber Walter Kehr, wenn wir dem nächsten Zeit-Magazin-Redigier-Spezial (oder war das jetzt schon) beziehungsweise der kommenden FAZ-Reents-Kolumne vorgreifen dürfen.
David Denk bemerkt in der TAZ, dass die Doppelmoderation kein Königsweg mehr ist:
"Die Suche wird nicht leichter: Wer will schon freiwillig die beste Notlösung sein?"
Und begründet die Absage Kerkelings mit dem Umstand, dass "Wetten, dass...?" zu sehr an Gottschalk hängt:
"Als ihm 1992 schon mal die Gottschalk-Nachfolge angeboten wurde, waren sowohl Kerkeling als auch 'Wetten, dass..?' noch formbar, hätten noch zusammenfinden können. Knapp 20 Jahre später ist die Show so mit Gottschalk verwachsen, dass jeder Nachfolger schwer zu kämpfen hätte. Ein begnadeter Entertainer wie Hape Kerkeling hätte mit Sicherheit weniger Probleme, eigene Akzente zu setzen als – sagen wir – Jörg Pilawa, aber warum sollte er sich das antun? Sich in einen Mantel quetschen, der für einen anderen maßgeschneidert wurde?"
Die Zwangsjacke dieses Erbes könnte sich folglich nur jemand anziehen, der auch sonst alles wegmoderiert, ohne sich zu fragen, was das mit ihm zu hat. Eben: Pflaumekernerlanz.
Björn Wirth schreibt zur Idee der Doppelmoderation:
"Wie immer, wenn man nicht weiter weiß. Die Frage ist, ob Michelle Hunziker da schon mitzählt, auch wenn man ihre bisherigen Einsätze kaum unter Moderationstätigkeit verbuchen kann. Im schlimmsten Fall aber zählt sie bereits mit, und ihr Partner wird einer von denen. Pflaumekernerlanz."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Pflaumekernerlanz (Berliner)##Gottschalks Mantel (TAZ)##KenFM auf Eis (TAZ)##Twitter ist kein PR-Kanal (FAZ-Blog)##]]
Reicht nun auch. Es gibt schließlich noch mehr wie Thomas Gottschalk auf der Welt. Ernsthafte Themen, die einmal ernsthafte Themen waren, bevor sie zum Beißring eines schlichten Reflex' verkommen sind, der rasche Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Community of Brunnenvergiftung verspricht.
Der RBB nimmt die Sendung KenFM fürs erste aus dem Radio-Fritz-Programm.
"Statt des wöchentlichen Formats mit Moderator Ken Jebsen sendete die Programmleitung des verantwortlichen Senders Radio Fritz vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) vier Stunden lang unkommentiert Musik. Zuvor hatte der Publizist Henryk M. Broder sich nach Aussage von Jebsen an den Sender gewandt, den Moderator als Antisemiten bezeichnet und die Absetzung der Sendung gefordert."
Schreibt die TAZ. Border zitiert auf achgut.com aus einer Mail, die Jebsen zur Verteidigung geschrieben haben soll:
"ich selber hat iranisch und jüdische roots aber eben auch verwandte auf der ganzen welt. es geht nie um den meschen und frieden. es geht um macht und krieg ist da ein super geschäftsmodell."
Rechtschreibung und Duktus lassen den Schluss zu, dass an dem Satz, den Jebsen in seiner auf Youtube verbreiteten Stellungnahme – "ich bin vielleicht irre, aber kein Antisemit" – etwas dran sein könnte. In zweierlei Hinsicht. Hier übrigens die inkriminierte Sendung.
Dennis Drögemüller schreibt in der TAZ:
"'ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat', heißt es unter anderem in dem von Rechtschreibfehlern und Gedankensprüngen strotzenden Dokument. Ob Jebsen tatsächlich der Urheber der weitergeleiteten E-Mail ist, wann und in welchem Zusammenhang diese entstand, blieb unklar. Im Kontext kann Broders Interpretation des konfusen Textes außerdem angezweifelt werden, auch harmlosere Lesarten wären denkbar."
Im Tagesspiegel akzentuiert Kurt Sagatz eher die Wirrheit der Äußerungen:
"Es gibt wenig Themen, zu denen Ken Jebsen keine Meinung hat. Auf der Homepage abzurufen sind: 'Ken Jebsen über den 11. September 2011'. Für den Radio-Moderator stellt die offizielle Aufbereitung der Zerstörung des World Trade Centers ('warmer Abriss') zu weiten Teilen eine Theorie dar. 'Eine Verschwörungstheorie.'"
Bleibt die Frage, wie die Sache ausgeht und damit auch: was Kritik heute heißt.
Altpapierkorb
+++ Von den Schwierigkeiten der Auseinandersetzung in vergiftetem Klima zeugen Vorgänge in Frankreich: Jürg Altwegg berichtet in der FAZ (Seite 35) von dem Gang der Dinge in Sachen "Charlie Hebdo", Islamkarikatur, Redaktionsraumverwüstung und Fernsehdiskussion: "Chefredakteur Charb erzählte, wie er nachts von der Polizei in die Redaktion gerufen wurde. Ihm gegenüber saß Tariq Ramadan. Man sah ihm an, wie schwer ihm die kategorische Verurteilung der Tat fiel. Er unterstellte der Zeitschrift eine billige Provokation und bezeichnete ihren Humor als 'feige'. Geschmacklos, dumm, doof, humorlos – aber feige?" +++ Christiane Kohl schreibt in der SZ (Seite 15) derweil weiter an der Skandalchronik des MDR, diesmal mit Fokus auf Carsten Weidling, der auch am Tropfe Fohts hing oder Foht zu seinem Tropf gemacht hat: "Alles in allem ein Vertragsvolumen von etwa 200 000 Euro. Seit einiger Zeit gehen nun beim MDR Mails von Weidling ein, in denen dieser die Zahlung von einigen der in dem Vertragswerk genannten Summen verlangt. Weidling war für eine Stellungnahme bislang nicht erreichbar. Schon wird mit Schadensersatzforderungen gedroht." +++
+++ Apropos MDR: Der gescheiterte Intendant Bernd Hilder bleibt nicht LVZ-Chefredakteur, sondern wird Madsack-Korrespondent in Brüssel. Auf dem Leipziger Chefsessel folgt ihm Dirk Birgel von den Dresdner Neuesten Nachrichten (Springersheißesblatt.de). +++ Apropos Focus: Teamworx-Chef Nico Hofmann reagiert per Pressemeldung auf einen Focus-Bericht (nicht auf diesen) über den Streit um das geplante Rommel-Pic (siehe auch Altpapier von vor einer Woche), die SZ meldet kurz. In der Stellungnahme heißt es: "Wissenschaftliche Beratung ist das Fundament unserer produzentischen Arbeit bei historischen Eventprogrammen. Auch für die Produktion ROMMEL sind über Monate hinweg alle Expertisen unseres wissenschaftlichen Beratergremiums, zu dem die besten deutschen Historiker zählen, miteingeflossen und diskutiert worden. Sachliche Auseinandersetzungen sind genau das, was wir wollen." +++
+++ Im FAZ-Blog ist Teresa Bücker skeptisch gegenüber der Twitter-Euphorie manches Politikers: "Die meisten Twitter-Accounts von Abgeordneten - inbesondere von Mitgliedern des Deutschen Bundestages - sind in der Form, in der die Personen selbst oder Mitarbeiter ihrer Büros sie mit Text versorgen überflüssig, ohne Nutzen, vielleicht sogar rufschädigend. Menschen, die in sozialen Netzwerken mit Bekannten, Freunden und Feinden kommunizieren, stöbern hier nicht nach Pressemitteilungen, RSS-Feeds und glatt geschliffenen politischen Formeln mit Plastikwörtern." +++ Niklas Hofmann erzählt in der SZ (Seite 15) neuestes über versuchtes gesetzliches Facebook-Tracking. +++
+++ Unter anderem die FAZ vermeldet, dass das durchaus erfolgreiche und markante Tatort-Team des Saarländischen Rundfunks (Maximilian Brückner, Gregor Weber) nach sieben Folgen mit dem nächsten Fall aufhören müssen: "'Die Story dieses ungleichen Paares ist aber aus unserer Sicht jetzt zu Ende erzählt.'" Kann man auch anderer Meinung sein. +++ Für die Berliner hat Jan Freitag mit Stromberg-Darsteller C. M. Herbst gesprochen: "Diese Uniformität hab ich in den 80ern während meiner Lehrzeit bei einer Bank kennengelernt; der tägliche Trott färbt auf alles ab: Sprache, Aussehen, Verhalten." +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.