Jörg Pilawa folgt Thomas Gottschalk. Ja! Echt! Nur nicht in jeder Hinsicht. Sonst ist nach Hape Kerkelings Absage "Wetten, dass..?" das große Medienthema des Tages. Wer macht's denn nun? Und was? Sowie natürlich: Warum machen alle eigentlich so einen Bohei um eine windige Unterhaltungssendung?
"Jörg Pilawa folgt Thomas Gottschalk". Schreibt heute, selbstverständlich weltexklusiv, Der Spiegel. "Das ZDF hat einen Nachfolger für Thomas Gottschalk gefunden", heißt es in der Vorabmeldung, und schon alle so: örps, stirnrunzel, tocktocktock, jetzt echt?, da ging der Satz noch weiter: "zumindest in seiner Rolle als Werbebotschafter der 'Aktion Mensch'".
Eins a Lacher vom Spiegel also, der genau dahin führt, wo es weh tut: "Wetten, dass..?" muss heute mal wieder publizistisch verarztet werden. Denn, es hat ja dann doch jeder mitgekriegt, Hape Kerkeling hat am Samstagabend die Nachfolge Gottschalks, dessen letzte Sendung Anfang Dezember läuft, öffentlich abgesagt.
Zwischen der ersten öffentlichen Quasi-Festlegung auf Kerkeling (Bild, 20. Juni, woran das Bildblog erinnert) und der ersten öffentlichen Ankündigung seiner Absage zu einem Zeitpunkt, da sie noch gar nicht offiziell raus war (focus.de am Samstag um 20.22 Uhr), lagen viereinhalb Monate voller Spekulationen und neuen Indizien.
Man kann also nicht sagen, dass die Personalie jenes Sommerlochthema war, nach dem es eine Zeitlang aussah. Denn während Sommerlochkühe wie Yvonne, auf dem Foto vom 21. Juli, kommen und gehen, findet, wie Hans Hoff auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung schreibt, "Wetten, dass...?" nach wie vor "nicht selten einen publizistischen Widerhall, der an die Dimension aktueller Krisenberichterstattung erinnert".
[listbox:title=Artikel des Tages[Über Gottschalks Job (SZ)##Das Ende von "Wetten, dass..?" ist besiegelt (SPON)##Falls das heute noch jemanden interessiert: das ausführlichste Sendungsprotokoll (FAZ.net)##Der Mythos von der zunehmenden Komplexität (Telepolis)]]
Heute zum Beispiel. Nimmt man das Neue Deutschland, deren Netzauftritt kerkelingfrei ist, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus, die im gedruckten Blatt vom Montag nicht einmal Muh zu "Wetten, dass..?" sagt (Nachtrag: es sei denn, man zählt den langen Artikel auf Seite 9 zum gedruckten Blatt), was zeigt, dass die Show dann doch nicht wichtiger ist, als man sie nimmt, tragen alle überregionalen Tageszeitungen (und auch evangelisch.de) ihren Share bei. Online ist der Ausstoß qua Platzreichtum naturgemäß noch deutlich größer – nehmen wir als Beispiel für gehobenen Standard Spiegel Online mit Schlämmerabsagemeldung, Bericht zur Kerkeling-Absage, Sendungskritik, Bildergalerie, Kerkelings möglichen Nachfolgern, Nachfolgeabstimmung, Quoten, Kommentar. Nicht frei online dagegen bislang: die Begründung, warum Kerkeling nicht "Wetten, dass..?" übernehmen kann, aus dem Spiegel der vergangenen Woche.
Grobe Zusammenfassung der heutigen Lage: Jetzt ist alles total megaoffen. Alles im Sinn von alles. Nicht nur die Nachfolge Gottschalks. Sondern auch die Zukunft und, überhaupt, Existenz der Sendung. Die FAZ, für die Michael Seewald online das ausführlichste Sendungsprotokoll schreibt und dabei allen Ernstes noch einmal zwischen E- und U-Kultur unterscheidet, prophezeit das Ende des Formats, wie es mit Gottschalk war:
"Thomas Gottschalk ist nicht zu ersetzen. Mit Hape Kerkeling hätte das Konzept der Sendung sicher nicht allzu sehr verändert werden müssen. Nun wird im Dezember mit der letzten 'Wetten, dass ..?'-Ausgabe endgültig ein Format beerdigt, dass es ohne Gottschalk so nicht mehr geben wird. Die vorletzte Ausgabe war schon ein blendendes Finale."
Zu Ende führt den Gedanken, dass diese Show nicht nur so, sondern überhaupt vorüber ist, aber nur Stefan Kuzmany bei Spiegel Online:
"Es ist schwer, sich das einzugestehen, aber mit der Absage Hape Kerkelings ist das Ende von 'Wetten, dass..?' besiegelt. Selbst wenn das ZDF bis Dezember noch eine erstaunlich mutige Person finden würde, die sich die Aufgabe zutraut, das Hochamt der deutschen Fernsehunterhaltung zu übernehmen – diese Person hätte verloren, schon bevor sie zum ersten Mal die Zuschauer in Deutschland, Österreich und der Schweiz begrüßen konnte. Zu lange haben die Mainzer den zögerlichen Kerkeling umworben. Wer jetzt noch kommt, ist zwangsläufig beschädigt – denn er oder sie wäre nur noch die zweite Wahl. Eine Notlösung."
Die Berliner Zeitung / kürzer Frankfurter Rundschau (Anmerkung: Autor bin ich selbst) beschreibt Gottschalk als "systemrelevant" für "Wetten, dass..?", was insofern ein anderer Zungenschlag ist, als systemrelevant nicht unersetzbar heißt: Gottschalk ist
"bei allem, was man an Detailkritik vorbringen kann, systemrelevant für die Show. Er, der nie in all den Jahren so nach unten ausriss, dass 'Wetten, dass..?' darüber einging, ist Kopf und Leitschwätzer, das gewohnte Gesicht einer Sendung, die vor allem aus Gewohnheit immer wieder ihre Chance beim Publikum bekommt. Er mag zwar im Prinzip ersetzbar sein, aber die Folgen wären unkalkulierbar. Dass jemand wie Kerkeling keine Lust hat, in diesem festen Gefüge unterzugehen, leuchtet sofort ein. Dass aber alle, die nun noch infrage kommen mögen, nur zweite Wahl sind, macht es knifflig."
Wer also könnte diese Lösung sein? Der journalistische Spieleabend namens Nachfolgediskussion geht weiter.
Hans Hoff tippt im Grunde auf Markus Lanz, auch weil gegen andere wie Johannes B. Kerner (der ja in der Tat zu haben wäre, aber, so Hoff, die ZDF-Vergangenheit verkörpere) und Pilawa (zeige sich "wenig geneigt") oder Barbara Schöneberger (die "noch keiner Show zu Quotenerfolg verholfen hat") jeweils irgendetwas spreche. Lanz dagegen – und das spricht natürlich unbedingt für ihn – "arbeitet schon fürs ZDF, als verbindlicher Talker am Abend und müht sich dort nach Kräften, seine gelegentlich penetranten Nachfragen frech erscheinen zu lassen."
Welt Online empfiehlt, wie einst Spiegel Online, Anke Engelke, tippt aber eher "auf jemanden wie Oliver Geissen", womit wir wieder bei der aktuellen Spiegel-Online-Lösung – it's over – wären. Dem Tagesspiegel fällt "nur ein 45-jähriger Mann ein, der seine Fernsehkarriere beim Musikfernsehen begann und seitdem bei den Privaten zeigt, wie TV-Unterhaltung funktioniert: Stefan Raab."
An dieser Stelle von Belang ist aber auch die Frage, was die Medien reitet, so einen Bohei zu veranstalten wegen einer windigen Unterhaltungssendung. "Online-Medien", kommentiert wiederum Kuzmany bei Spiegel Online,
"berichten live, an prominentester Stelle und mit einer Vielzahl von Texten (sollte Sie an dieser Stelle die Logik zwicken: das geht vorbei) – aber warum nur? Darum: 'Wetten, dass..?' ist wichtig – nach wie vor. Es gibt in diesem Land nicht mehr viele Themen, die Millionen von Menschen vereinen, nicht mehr viele Ereignisse, die wie das Lagerfeuer aus der guten alten Zeit erwärmend sind und kommunikationsfördernd zugleich."
So ähnlich sieht das Hoff in der SZ: Die Sendung
"ist bislang eine deutsche Institution – und neben Tatort und Fußball-Länderspielen das letzte Lagerfeuer, an dem sich Generationen noch begegnen. Die letzte Ausfahrt vor dem Internet, wo sich die Interessen aufteilen auf Tausende Blogs, Websites und Portale."
Und dann wäre da aber noch die Frage, was das nun heißt. Zur Beantwortung zitiert Matthias Kalle im Tagesspiegel Harald Schmidt herbei, der sagte,
"dass es sich bei 'Wetten, dass...?' um eine zutiefst politische Show handeln würde, weil ein Land, in dem zehn Millionen so etwas sehen wollen, immer noch regierbar ist.' Und wenn die Show so abläuft wie am Samstagabend, kann es auch kein so schlechtes Land sein."
So diplomatisch-fahnenwedelnd klingt sonst nur Gottschalk. Ach so, und vielleicht noch Günther Jauch, den Stefan Niggemeier im Spiegel (S. 172ff.) als den "Harmlosen" porträtiert, etwa am Beispiel seiner Sendung mit Schmidt und Steinbrück und Fragen zur Krise:
"Dass der Widerstand, wie er sich in der Occupy-Bewegung formiert, sich nicht nur gegen die Banken richten könnte, sondern auch gegen die Zahnlosigkeit der Medien, gegen die Kuschel- und Beschwichtigungsrituale einer Institution wie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, scheint hier undenkbar. Dabei ist Jauch dafür ein Paradebeispiel. Jauch hat kein Interesse daran, etwas grundsätzlich in Frage zu stellen. Alles Anarchische ist ihm fremd, im Kleinen wie im Großen."
Altpapierkorb
+++ Lethargie unterstellt die Berliner Günther Jauch anlässlich seiner Sonntagssendung +++ Das "Traumschiff", der nächste größe Beweis der Regierbarkeit dieses demnach nicht so schlechten Landes, feiert ein Jubiläum, was im Vorgang zur Jubiläumsfolge am Sonntagabend Anlass bot für a) einen Produzentenbesuch durch die taz, b) einen Gastbeitrag vom oben zitierten Harald Schmidt in der Süddeutschen und c) eine Erfolgsanalyse in der Berliner Zeitung +++ Und weil wir gerade schon da sind: "Traumschiff"-Kritiker Christoph Maria Herbst im großen Tagesspiegel-Interview anlässlich der neuen Staffel von "Stromberg" +++
+++ Digitales und so: Telepolis über den "Mythos von der zunehmenden Komplexität" +++ Die Medienagenda wurde gehackt – nicht Facebook: Falk Lüke über Anonymous in der taz +++ Vor Facebook warnen Leute, die im TSP und der taz zitiert werden +++ Die Süddeutsche über den Versuch der chinesischen Führung, Meinungshoheit im Internet zu bewahren (S. 15) +++
+++ Und heute Nacht im Fernsehen: "Von Kindern" von Niko Apel, in FAZ (S. 29) und taz +++
Das Altpapier stapelt sich morgen wieder.