Fragmentierte Gegenwart

Fragmentierte Gegenwart

Anne will telefoniert haben und exklusiv hier: die besten Karola-Wille-Namenswortspiele. Ein neues journalistisches Format: die gedruckte Korrektur der Onlinekritik. Ein Interview mit einem Anonymous. Und Solidarität mit Charlie Hebdo.

Wie spannend der Vortag in einem bestimmten journalistischen Bereich war, lässt sich ganz gut an den Meldungen ablesen, die es in die jeweiligen Nachrichtenspalten und Branchendienste geschafft haben. Da hätten wir heute etwa im Segment Medien: neuer wiwo-Auftritt (Meldung bei den Holtzbrinck-Freunden) oder: "Andreas Albath verlässt Telegate AG" (Meedia).

Also deshalb sorry auch, aber es wird etwas kleinteilig heute angesichts des zeitgemäß schwer fragmentierten Medienbranchenprogramms des Tages. Beginnen wir bei Twitter, da war nämlich wieder mal viel Schönes zum Fernsehprogramm dabei, wie man so sagt. Etwa zu #Flash, einer neuen Show bei ProSieben mit dem von der SZ am Donnerstag eingeordneten Detlef D. Soost (siehe Altpapierkorb). Oder zum Talk von #Beckmann mit Harald Schmidt und Wolfgang Rademann vom "Traumschiff".

Nehmen wir mal die Tweets von @NiceBastard über "Beckmann": Muss man mehr wissen über Reinhold Beckmann als das? "'Fernsehunterhaltung abseits des Mainstreams. Seine Fans lesen gern das Feuilleton.' Beckmann über Harald Schmidt". Mehr über Harald Schmidt als das? "'Konziliant, keine Starallüren, spricht mit den Passagieren' – Rademann ruiniert gerade Harald Schmidts Ruf als Zyniker". Und mehr über die Arbeitswelt als das? "'Drehzeit ist Lebenszeit, allen Schauspielern soll es gut gehen' Wolfgang Rademann".

Ja, muss man natürlich dann doch, deswegen gab es zum Beispiel am Mittwochabend "Anne Will" zum Thema Mindestlohn. Und das führt uns direkt zu einem etwas nachhaltigeren Format, das die Kollegen von der FAZ heute einführen: die gedruckte Korrektur der Onlinefrühkritik vom Vortag.

[listbox:title=Artikel des Tages[Talk mit Anonymous (taz)##Über Quallen (FAZ vom Donnerstag, jetzt online)##"Nötiger Nachtrag zu 'Anne Will'"(FAZ)]]

"Nötiger Nachtrag zu 'Anne Will'" lautete die Dachzeile bei faz.net heute, gedruckt wie online heißt der Text: "Ein Missverständnis". Und darunter wird dann ein Fehler aus der Frühkritik korrigiert, der in der Frühkritik, wie sie nun im Netz steht, gar nicht (mehr?) zu finden ist. Bei dem Format ist also vielleicht noch etwas Luft nach oben, wie man so sagt.

Worum geht es? Die Geschichte steht natürlich auch längst bei bild.de, in einem Text, der die Formulierung "Anne will's wissen" enthält (was uns wiederum zur Zwischenfrage führt, warum die neue MDR-Intendantin Karola Wille bislang nicht mit Namenswortspielen bedacht wurde – oder flogen die nur unter dem Radar durch?).

Fassen wir's selbst mal so wortspielfrei wie irgendmöglich zusammen: Anne will telefoniert haben, mit Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft. Hat sie aber nicht. Das Institut gab daraufhin eine Pressemitteilung mit einer Richtigstellung heraus:

"So erklärte Moderatorin Anne Will, Prof. Dr. Hüther habe der Redaktion telefonisch Auskünfte zum Thema Mindestlöhne gegeben. Dabei wurde Prof. Dr. Hüther die Aussage in den Mund gelegt, Mindestlöhne seien kaum schädlich für den Arbeitsmarkt. Hierzu stellen wir fest: Dieses Telefonat hat zu keiner Zeit stattgefunden; auch hat sich IW-Direktor Prof. Dr. Hüther nicht positiv zum allgemeinen Mindestlohn geäußert. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln und sein Direktor halten dagegen nach wie vor daran fest, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten."

Ups. Wobei: Muss man jetzt ja auch nicht skandalisieren, eine solche Panne, die von der Redaktion prompt als solche bezeichnet und erklärt wurde. Weshalb wir das auch lieber lassen und zu jener tatsächlich, wie sagt man?, nachhaltigen Geschichte springen, um die es hier gestern im oben schon verlinkten Altpapierkorb ging: Auf das Redaktionsgebäude der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo war nach einer islamkritischen Ausgabe ein Brandanschlag verübt worden (Foto). Die Onlineausgabe ist nach wie vor offline (u.a. Spiegel Online). "Die Zeitung Libération, bei der die Charlie-Redaktion untergekommen ist, widmete dem Satireblatt eine Spezialausgabe", schreibt die SZ. "Auf dem Cover ist eine Karikatur des Staatspräsidenten Sarkozy zu sehen: 'Nach Griechenland jetzt auch noch Charlie retten – so eine Scheißamtszeit.'"

Und die FAZ kommentiert die Solidarität mit Charlie Hebdo, die Libération durch die Publikation der Sonderausgabe zeigt, als "die beste Form der Solidarität"; sie habe damit "einen Teil des Hasses auf die eigene Zeitung umgeleitet".

Wobei bei der FAZ heute auch dieser Aspekt zur Sprache kommt: "Die 'Beobachtungsstelle Islamophobie' kritisiert indirekt die Verwendung des Begriffs Scharia als Wortspiel im Titel 'Charia Hebdo': 'Man kann sie nicht auf eine Schlagzeile verkürzen, viele wissen überhaupt nicht, was sie bedeutet.'"

Was bei den Mohammed-Karikaturen aus Dänemark galt, gilt schließlich auch jetzt wieder: Man muss jeden blöden Witz machen dürfen. Wie gut er ist, ist die andere Frage.


Altpapierkorb

+++ Anonymous ist Thema eines ausführlichen Interviews mit einem anonymen Mitglied in der taz, geführt in einem Internet Relay Chat; Anlass ist die angekündigte Aktion gegen Facebook am 5. November +++ Was Anonymous in Mexiko vorhaben will, steht bei Spiegel Online +++ Der Tagesspiegel führt ein in die Onlinespielewelt für Frauen +++ Und noch einmal die taz, sie kommentiert die Anti-Cybermobbing-Kampagne von Kristina Schröder und Bravo:"wahrscheinlich ist Cybermobbing mehr ein Thema für die Medien als für die Jugendlichen" +++ Außerdem: der gestern hier erwähnte noch nicht online stehende Dath-Text über Quallen (FAZ) steht jetzt genau da +++

+++ Es gibt recht vieles im Fernsehen: erstmal Service, beim Tagesspiegel, zum Ende des analogen Satellitenfernsehens +++ Vor allem aber Diverses zum Programm: heute in der FAZ-Frühkritik etwa "Maybrit Illner" +++ "Ijon Tichy: Raumpilot" (ZDFneo) besprechen BLZ/FR und deren Kölner DuMont-Schwester KSTA.de sowie wie, im Aufmacher, die taz +++ Raum bekommt auch der neue "Unter Verdacht" mit Senta Berger, etwa in FAZ, die ihn "auf keinen Fall" schlecht findet (S. 35), und taz, in der sich Jens Müller über einige Italiener-Klischees wundert: "Ein deutscher Grenzschützer wurde an Bord des italienischen Küstenwachschiffes ermordet. Prohacek ermittelt, die Italiener können das bekanntlich nicht" +++ Die SZ bespricht heute "Game of Thrones", das im Pay-TV-Sender TNT läuft: "'Der Herr der Ringe trifft auf die Sopranos', so fasst Produzent David Benioff das Konzept von Game of Thrones sehr treffend zusammen" +++ Wiederum die FAZ glossiert einen wohl ziemlich spannenden Auftritt Ulrich Deppendorfs in Cannes: "Der Hauptstadtstudiochef ist eigens aus Berlin angereist. Da steht der Chef nun im Dunkel an der Croisette und sagt in der 'Tagesschau' – tja, eigentlich sagt er nix. Zumindest nichts, was man nicht schon gewusst hätte, bevor man noch die erste Zeile eines Zeitungsartikels gelesen hat" +++

+++ Die SZ widmet sich im Aufmacher der Medienseite dem Murdoch-Imperium +++ Und dem Streit zwischen Spiesser und Bauer-Verlag +++Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger ist jetzt ein Optimist: Die Auflagenzahlen stehen etwa beim Tagesspiegel +++

+++ Und für alle, die das Altpapier bis zum Ende lesen, zum Lohn unser exklusiver Service des Tages – Titelwortspiele mit dem Nachnamen der neuen MDR-Intendantin, Karola Wille, zur freien Nutzung, bei Nachahmung garantiert ohne Abmahnung:
- Wo eine Wille ist, ist auch ein Weg (für wenn sie mal was Schwieriges durchsetzt).
- Karole wille nicht mehr (für wenn sie irgendwann mal nicht mehr antritt).
- Dein Wille geschehe (für wenn sie mal trotz "Teamorientierung" ein Machtwort spricht) +++

Das Altpapier stapelt sich am Montag wieder.

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