Ist es egal, was Helmut Schmidt sagt? Warum haben sich Journalisten von der Atomlobby einspannen lassen? Außerdem: Bela B. trifft George Romero.
Spiegel-Leser Dieter Lüers aus Bremen sollte sich bei der FAS bewerben. Das Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Peer Steinbrück, das das Magazin in der vergangenen Woche druckte, habe ihn „an die beiden Alten aus der Muppet-Show erinnert. Aber die hatten zum Schluss immer eine gute Pointe“. Zum Zeitpunkt des Schreibens konnte er noch nicht wissen, dass die Frankfurter am Sonntag ihre Titelseite mit einer 20 mal 20 Zentimeter großen Fotomontage aus einem Bild von Waldorf und Statler und einem Spiegel-Cover schmücken würden. Verglichen mit der Adaption der Titanic wirkt der „Er kann es“-Remix aber schon fast wie eine liebevolle Frotzelei.
Die großformatige Montage dient als Einstimmung auf insgesamt vier Artikel zum Schmidt-Steinbrück-Theater, darunter ein sehr instruktiver von Julia Encke. Sie konstatiert, dass Steinbrück letztlich nur eine Figur in „einer weiteren Staffel“ der „Schmidt-Show“ sei. Dieses „Dauergespräch mit wechselnden Partnern“ habe einst begonnen „mit den ‚Hand aufs Herz‘-Interviews, mit denen sich Sandra Maischberger als Schmidts Enkelin erfand“. Encke kritisiert auch, und das tun deutsche Journalisten eher selten, Aussagen des Kanzlerkandidatenmachers Schmidt - und verweist dabei noch einmal auf die „Günther Jauch“-Sendung mit den beiden Sozis, in der Schmidt unter anderen seine „China-Thesen“ aufgestellt hatte:
„Die Chinesen hätten keine Meinungsfreiheit und keinen Rechtsstaat, aber (erst meint man, man habe nicht richtig gehört): ‚Es soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden.‘ Der Applaus war, wie immer bei Schmidt, groß. Es scheint ganz egal zu sein, was er sagt. (...) Die Ungeheuerlichkeit des vom Publikum gefeierten Schmidt-Schnauze-Satzes verpuffte (...), als wäre nichts gewesen.“
Was natürlich die Frage aufwirft, was schlimmer ist: Wenn die Leute applaudieren, weil sie gut finden, was Schmidt sagt, oder weil es egal ist, was er sagt. Encke erinnert zudem auf subtile Weise daran, dass das mythische Medienprodukt Helmut Schmidt noch eine relativ frische Kreation ist. Sie bezeichnet Schmidt als den „Mann, der, als er Kanzler war, charismatisch nicht genannt wurde“.
Weiter ging die Inszenierung mit Schmidt und Steinbrück am Sonntag bei einem „Zeit Forum Politik" in Hamburg, also einer Veranstaltung jenes Verlags, bei der Schmidt als Herausgeber und Dauergesprächspartner im Einsatz ist (Spiegel Online). Der Artikel von stern.de über „die Boygroup der Generation 50 plus“ liefert en passant die Erkenntnis, dass leider immer noch nicht abzusehen ist, wann im Journalismus die Phrase „auf Augenhöhe“ aus der Mode kommt:
„Ulrich Wickert erwies sich als der geeignete Moderator, der den beiden Schwergewichten auf Augenhöhe begegnet.“
Der Spiegel, der für die Kampagne Schmidts und Steinbrücks die bisher wichtigste Bühne war, hat in dieser Woche mit sechseinhalb Seiten einen recht üppigen Medienteil (siehe auch Altpapierkorb). Für Medienbeobachter zusätzlich bemerkenswert ist die Tatsache, dass das Magazin für ein opulentes „Werkstattgespräch“ mit dem Künstler Anselm Kiefer zwei hausfremde Fachkräfte rekrutiert hat: Mathias Döpfner (Springer) und Manfred Bissinger (Ruhestand, vorher Ganske-Gruppe). Den meisten Platz im Medienressort nimmt ein Interview zum Abschied Udo Reiters als MDR-Intendant ein (ab S. 84). Eine existenzielle Frage handelt der Vorspann schwungvoll-flapsig ab, es geht um Reiters Querschnittslähmung nach einem Autounfall:
„Udo Reiter hatte sich die Smith & Wesson schon besorgt, entschied sich dann aber doch für Journalismus statt Freitod.“
Klingt beinahe „Hohlspiegel“-reif. Andererseits wird es dem Interview insofern gerecht, als Reiter sich bisweilen auch flapsig äußert, etwa wenn es um all die Skandale seiner Amtszeit geht, die ihm Martin U. Müller und Thomas Tuma vorhalten:
„Einerseits relativiert sich Ihre tolle Liste von ‚Affären‘ bei einem Zeitraum von 20 Jahren doch sehr, finde ich. Andererseits sehe ich vieles nicht so skandalträchtig, dass man dafür ins Kloster gehen müsste - bis auf die Vorgänge beim Kinderkanal. Das war wirklich schlimm.“
„Wahnsinnig aufgebauscht“ hätten die Medien etwa die Sache mit dem gefeuerten Unterhaltungschef Udo Foht, über den wir im Übrigen erfahren, dass er „etwas sehr Verschlossenes, Autistisches hatte“. Die Causa habe „ungefähr so viel Platz erhalten wie die Euro-Krise. Absurd. Irgendwas stimmt da doch nicht.“
Ernst Elitz blickt in einem Porträt Reiters in der Berliner Zeitung weiter zurück, er preist dessen einstiges Wirken als Hörfunkdirektor des BR:
„Er erkannte Thomas Gottschalks ‚ganz außergewöhnliche Radiobegabung‘ (Reiter) und holte den Journalistenschüler aus den Verkehrsnachrichten ins Jugendprogramm, wo er mit Günther Jauch die legendäre Sendung ‚Pop nach acht‘ moderierte. Reiter brach mit der Tradition einer gefälligen Mischung von Wort und Musik und setzte auf ein politisches Wortprogramm: B5aktuell. Heute ist das von Reiter erfundene Nachrichtenradio aus den Angeboten der Landesrundfunkanstalten nicht mehr wegzudenken.“
[listbox:title=Artikel des Tages[Wie die Atomlobby die Presse einspannte (taz)##Nerdgipfel mit Romero-Fanboy Bela B. und Romero himself (taz)##Noch mehr Ärger um Rommel-Film (SZ)]]
Den investigativjournalistischen Coup der Stunde darf die taz für sich verbuchen - was vielleicht beweist, dass ausgerechnet Udo Röbel, der Ex-Bild-Chef, Recht hat. Am Wochenende enthüllte sie Dokumente, die belegen, wie die Düsseldorfer „Kommunikationsagentur“ Deekeling Arndt Advisors (DAA) im Auftrag der Atomlobby bei Journalisten und Politikern eine „Grundstimmung“ für die kurzzeitig geltende Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke schaffte - unter anderem mit Hintergrundgesprächen und Pressereisen. „Sogar bei Frauenzeitschriften“ (stern.de/dpa) versuchten es die Politmarketingstrategen aus Düsseldorf, aber in diesem Fall erfolglos. Ansonsten war es „eine der erfolgreichsten Kampagnen der deutschen Geschichte“ (taz), in der auch ein Mann eine Rolle spielte, mit dem die Zeitung eh noch eine Rechnung offen hatte:
„Im Rahmen unserer Recherchen überprüften wir, ob es stimmt, dass die Düsseldorfer Agentur den bekannten Zeithistoriker Arnulf Baring bei einer Atomveranstaltung als unparteiischen Gastredner in Szene setzte, dann seinen Beitrag in der FAZ platzierte. Es war mehr noch: Baring ließ sich von der Agentur DAA auch inhaltlich zuarbeiten; und bezahlen.“
Der „bekannte Zeithistoriker“ hatte vor ein paar Jahren einmal die taz verklagt, weil er eine politische Einordnung auf der Satireseite als schmerzensgeldwürdig empfand.
Heute dokumentiert die taz die Reaktionen auf die Enthüllungen. Jürgen Trittin etwa sagt:
„Die Veröffentlichungen zeigen, dass es mit einer generalstabsmäßigen und guten Kampagne möglich ist, einen großen Teil redaktioneller Berichterstattung zu beeinflussen. Wir müssen uns deshalb auch fragen: Wieso lassen sich Journalisten für so etwas einspannen?"
Was, ähnlich wie bei Begeisterung für Helmut Schmidt, zu der Was-ist-schlimmer-Frage führt. In diesem Fall: Haben die Journalisten aus Überzeugung mitgemacht oder aus anderen Gründen?
Altpapierkorb
+++ Zum Sport: Die Debatte über den Beschluss des Bundestags-Sportausschusses, die Medien auszuschließen (siehe Altpapier vom Freitag), geht weiter. Ausschussmitglied Klaus Riegert (CDU) versucht, die Entscheidung in einem Interview mit Oliver Fritsch (Zeit Online) zu verteidigen: „Es hat Vorteile, wenn man nichtöffentlich debattiert: Manche Fensterreden fallen aus, manche Experten reden offener in einem vertraulichen Gespräch. Für Opposition und Regierung fallen Hemmungen weg, zusammenzuarbeiten.“ Besonders schön ist der darauf folgende Satz: „Die Erfahrung lehrt auch, dass es schneller ohne Öffentlichkeit geht. Zeit, die uns für Pressearbeit zur Verfügung steht.“ Mehr Material zur Causa findet man natürlich bei Jens Weinreich.
+++ Der Sport, das weiß Joachim Huber (Tagesspiegel), ist jenes Fernsehgenre, das durch ein einmaliges „Missverhältnis“ charakterisiert ist: „Gewichtheben kostet 5000 Euro im Jahr, alle Kanurechte gibt es für 10 000 Euro, für ein Jahr Fußball in der ‚Sportschau‘ muss die ARD 100 Millionen Euro hinblättern.“ Hubers Text ist auch ein Plädoyer für die so genannten Randsportarten (zur Diskussion in Großbritannien siehe Guardian): „Die knapp 40 Stunden Sport pro Tag, den im deutschen Free-TV Genrekanäle wie Sport1 über die ARD bis hin zum privaten Kabel Eins zeigen, offerieren nicht Vielfalt, sondern die Einfalt des Fernsehsports. 75 Prozent der Sendezeit konzentrieren sich auf nur sechs Sportarten.“
+++ Ebenfalls ums Geld geht es in dem heutigen Medienseitenaufmacher des Tagesspiegel, nämlich um die finanziellen Dimensionen der weiterhin beliebten „Historyevents“. Markus Ehrenberg hat sich mit dem Produzenten Jan Mojto unterhalten, der in diesem Genre sehr umtriebig ist. Anlass: Die heutige Ausstrahlung der von Mojto co-finanzierten 18-Millionen-Euro-Produktion „John Rabe“ im ZDF, die im Kino gefloppt war. Aber, Obacht!, in der TV-Fassung gibt es „50 Minuten extra, um Szenen und Hintergründe ergänzt, die in der Kinoversion nicht unterzubringen waren“.
+++ Mojto mischt auch bei dem geplanten Schinken über den NS-Kriegsstrategen Erwin Rommel mit. Über die historische Genauigkeit des Films wird weiterhin gestritten wird (siehe Altpapier): Nico Hofmann, ein anderer Produzent, der an dem „wichtigsten ARD-Projekt des des nächsten Jahres“ (Hofmann höchstselbst) beteiligt ist, „prüft“ nun laut SZ eine Klage gegen Catherine Rommel, die Enkelin des Protagonisten, sowie pikanterweise auch gegen eine von seiner Firma Teamworx rekrutierte Beraterin, weil sich beide seiner Meinung nach „denunziatorisch“ über den Film geäußert haben.
+++ Die FAZ lobt „12 Monate Deutschland“ (heute im ZDF-Nachtprogramm), Eva Wolfs Doku über vier Jugendlichen aus unter anderem Ghana und Chile, die In Deutschland ein Auslandsjahr absolvieren und Probleme mit ihen jeweiligen Gastfamilien bekommen. Der Film „hält die Stille aus, lässt die Bilder wirken“, schreibt Jan Ludwig (S. 29).
+++ Ebenfalls heute: Bela B. von den Ärzten interviewt unter dem Sendungstitel „Hotel Bela“ den von ihm von sehr verehrten Zombiefilm-Regisseur George Romero. „Ein besonders schöner, kleiner Moment der Begegnung mit Romero ist es, als die Außenwelt in Form der Zimmerkellnerin über den Nerdgipfel hereinbricht. Ein entsetztes ‚Nein‘ entfährt der Ärmsten, als Bela B. sie bittet, Getränke und Käseplatte doch wie eine Untote zu servieren“, schreibt David Denk in der taz. FAS und SZ gefällt es auch. Während erstere findet, das Format sei „deutlich auf mehrere Teile angelegt“, weiß letztere bereits, dass die Sendung abgesetzt wird.
+++ Willi Winkler (SZ) lobt die am Mittwoch bei arte zu sehende Doku „Kongo-Müller“, die eine mediale „Ost-West-Dreiecksgeschichte erzählt, die im Kalten Krieg über einen exotischen Schauplatz ausgetragen wurde“.
+++ Im Spiegel widmet sich Stefan Niggemeier in seinem „Medienlexikon“ dem auch im Altpapier notgedrungen gelegentlich erwähnten FDP-Mann Burkhardt Müller-Sönksen. Der habe „eine fast bewundernswerte Bereitschaft, in jeder Diskussion über ARD und ZDF aus dem politischen Satzbaukasten auch abgegrabbelste Steine wie die ‚dreiste Selbstbedienungsmentalität“ oder das „Gürtel enger schnallen‘ hervorzukramen“.
+++ Auch noch im Spiegel-Medienteil: die Klärung der Frage, warum Hape Kerkeling „Wetten, dass ...“ „nicht übernehmen kann“: „Das Amt des Testamentsvollstreckers“ dort „wäre ein Rückschritt.“
+++ Wie war Günther Jauchs Post-Schmidtbrück-Sendung gestern? Die Berliner Zeitung hat sie gesehen.
+++ Mit einem Plädoyer „für ein freies Netz für freie Bürger“ sowie für Twitter („Wer Twitter liest, weiß nicht zwingend mehr, aber vieles früher. Der politische Schlagabtausch wird durch Tweets schneller und kompakter. Politiker lernen plötzlich, sich in 140 Zeichen kurz zu fassen“) wartet @Volker_Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im FAZ-Feuilleton auf: „Die Netzpolitik nimmt gerade die Hürde vom Fachthema ins Zentrum der politischen Arena: Zentrale Fragen der Netzintegrität, des ‚Anspruchs auf kommunikative Grundversorgung‘ (so die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer) und eines Grund- oder Menschenrechts auf Netzzugang werden die Agenda einer freiheitlichen und sozialen Politik zu Beginn dieses Jahrhunderts revolutionieren.“
+++ In einem anderen Zusammenhang stehen die Begriffe Freiheit und Twitter in den „Nachrichten aus dem Netz“ in der SZ. Die Kolumne kreist um die Frage: Zensiert Twitter die Occupy-Bewegung?
+++ Positiveres zu Twitter dagegen auf der SZ-Medienseite: Über eine Zusammenarbeit des Web-Dienstes mit der Castingshow „The X Factor“, „die auch das Fernsehen in Deutschland verändern könnte“, berichtet Dirk von Gehlen.
+++ Der Aufreger in der Blogosphäre zur Zeit: Hat Malte Welding einen „strukturell rassistischen“ Beitrag verfasst? Zur Diskussion siehe Weldings Blog sowie unter anderem ring2.
+++ Kann man Toastbrot bügeln? Offenbar. Bei Life! Death! Top Tips! gibt es die schrecklichsten Leser-Tipps aus Magazinen.