What would Google occupy?

What would Google occupy?

Aktuell die Transparenz (neuer Report) und hübsche Berliner Humboldt-Traditionen (neues Institut). Außerdem: Mathias Döpfners Rundumseufzer

"What Would Google Occupy?", twitterte gestern scherzhaft Evgeny Morozov, dessen grandiosen Verriss des neuen Jeff Jarvis-Buches faz.net unter dem Titel "Das Elend der Internetintellektuellen" auch auf deutsch anbietet. "Dieses Buch wäre besser ein Tweet geblieben", schreibt Morozov in seiner lesenswerten Rezension, die freilich selbst bereits ein kleines Buch füllen könnte (bzw., rein rechnerisch, in der deutschsprachigen Version 299 Tweets erforderte).

"Interessanter liest sich der gleiche Text auf Englisch mit Jarvis' Absatz für Absatz eingefügten Antworten auf Morozovs Sottisen", meint perlentaucher.de - und verlinkt auf ein logischerweise noch erheblich umfangreicheres Google Docs-Dokument von Jarvis ("Some people have urged me to make a fuller response to Evgeny Morozov’s 'review' of Public Parts in The New Republic. I view it as more character assassination than discussion of ideas. But fine...").

Aber zurück zur Eingangsfrage. Einerseits wäre da die Transparenz (bzw. der "Fetisch Transparenz", vgl. Altpapier vom Montag), auf den starke Marken der Gegenwart wie etwa Kamps im Segment der Bäckereiketten oder Google in dem des Internets abfahren. Der frische Google Transparency Report ist draußen.

"Kein anderes Land wollte so viele Daten löschen lassen wie Deutschland", entnimmt diesem der Tagesspiegel. "Sie verraten alles, nur keine Geheimnisse", titelt die FAZ-Medienseite 35 und nennt "die Aussagekraft des ganzen Reports" "gering":

"Die deutschen Behörden zählen ihm zufolge zu den neugierigsten weltweit – aber nur, weil man ihre Anfragen auch nennen kann. So ist es in den Vereinigten Staaten untersagt, Angaben über Anfragen der nationalen Sicherheitsbehörden zu veröffentlichen, vom FBI bis zur NSA. Alle Ermittlungsanfragen, die unter den 'Patriot Act' fallen, müssen geheim bleiben. ... ...  Googles Wille zur Transparenz in allen Ehren. Ohne Hinweise auf die fehlenden Daten ist der Bericht interessant, aber so gut wie wertlos."

Worum es bei Löschanfragen der "federal government youth protection agency in Germany", BPjM, denen Google zu 86 Prozent nachkam, ging? Hauptsächlich darum, so wiederum der Tsp. "aus den Suchergebnissen Adressen zu entfernen, die die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien beanstandete: Seiten mit pornografischen Inhalten, Aufrufen zu extremer Gewalt oder Nazi-Andenken"  - wobei "Andenken" ein von Google Translate ausgespuckter, womöglich verharmlosender Begriff sein könnte.

Was Nazi-Content angeht, der sich ja global sehr gut googeln lässt, so gibt es erneut Neues aus der Medienjustiz (die gestern die Altpapier-Agenda bestimmte): Zwei Betreiber des rechtsextremen Internetportals Altermedia, also des "deutschsprachigen Ablegers von Altermedia International", Axel Möller und Rupprecht Polenz, wurden zu jeweils mehr als zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Aus Rostock berichten Andreas Speit in der TAZ, die Welt mit unkenntlich gemachtem Foto sowie am ausführlichsten publikative.org, das ehemalige NPD-Blog ("Zudem konnte Möller sich viele Jahre auf die Ignoranz oder sogar das Wohlwollen staatlicher Organe in Mecklenburg-Vorpommern verlassen").

Zurück zu Google: Eine schönere deutsche Tradition, an der Google ganz aktuell auch offiziell ein wenig partizipiert, ist die Wissenschaft à la Humboldt.

"Das Internet und zugehörige neue Technologien bringt [sic] eine Vielzahl von Möglichkeiten aber auch von Herausforderungen für die Entwicklung unserer Gesellschaft mit sich",

steht ganz oben auf der Webseite des frisch eröffneten Berliner Instituts für Internet und Gesellschaft (internetundgesellschaft.de). Weiter unten ebd. heißt es in einer noch kongenialeren Mischung aus kalifornischem Computer- und deutschem Behörden-Slang:

"Allen Interessierten geben wir von Anfang an die Möglichkeit, Ideen und Expertise in die Entwicklung des Instituts einzubringen. Dafür haben wir zum einen ein Formular bereitgestellt, in dem Sie Ihr Interesse ausdrücken können, sich im Institut einzubringen."

[listbox:title=Artikel des Tages[Googles Transparenzreport##Interesse ausdrücken,sich einzubringen? (neues Institut)##SZ über Institutseröffnung##Tsp. über Institutseröffnung##TAZ über Altermedia-Urteil##publikative.org darüber]]

Preußisch korrekt benötigt so ein Institut mit Sitz in Berlin aber auch noch einen Namenspatron. "'Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft' heißt nun also jene Einrichtung, die den Diskurs, der in diesem Land über das Netz geführt wird, in Zukunft maßgeblich prägen könnte", schreibt Niklas Hofmann im Bericht des SZ-Feuilletons von der Eröffnungsveranstaltung. In Vertretung der wg. Euro-Rettung abwesenden Bundesjustizministerin habe Staatssekretärin Birgit Grundmann

"gleich einen ganzen Katalog an Fragen mitgebracht hatte, auf die Sabine Leutheusser-Schnarrenberger 'bitte schon bald' Antworten gebrauchen könnte: Was ist mit Netzneutralität, Transparenz, Daten- und Verbraucherschutz, Grenzen der Anonymität, Schranken der Anwendung nationalen Rechts, Leistungsschutzrechten und und und? 'Höchste Zeit' sei es, dass ein unabhängiges Institut solchen Fragen zur Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Internet nachgehe."

Die Frage, wie genau es um diese Unabhängigkeit des von Google über drei Jahre mit 4,5 Millionen Euro ausgestatteten Instituts wirklich steht, werfen natürlich alle Berichterstatter auf, sowohl Hofmann, als auch Marcus Jauer in der FAZ (S. 35):

"Womöglich geht es bei dieser großzügigen Schenkung eher nicht darum, dass Google etwas über das Internet erfährt, sondern die Leute etwas über Google erfahren. So etwas nennt sich Lobbyarbeit, und deshalb gelangte die Idee für ein solches Institut ja auch über Annette Kroeber-Riel, die sich in Deutschland um den Ruf des Konzerns kümmert, an die Universität."

Gerade in dem Fall wäre es andererseits "äußerst dumm und plump, Einfluss auf die Forscher am Institut zu nehmen", setzt die TAZ dagegen Vertrauen in die gute alte vierte Gewalt ("Das nämlich gäbe wirklich miese Schlagzeilen") sowie in den US-Konzern, für den das Budget ja bloß "eine ziemliche Portokassen-Summe" sei. Dritterseits,

"wenn sich aber eine Forschungsförderung mit zunächst 4,5 Millionen Euro für drei Jahre komplett aus einer Quelle speist, ist eine Abhängigkeit kaum zu umgehen. Zumal, wenn man sich in drei Jahren bei Google um eine Verlängerung bewerben will",

würde der Tagesspiegel sagen, der am ausführlichsten von "der erstaunlich kurzweiligen Veranstaltung" zur Eröffnung berichtet (während sich die Rivalen von der Berliner Zeitung mit einem DPA-Bericht behelfen).

Und falls jetzt noch jemand eine ordentliche Eröffnungsrede ("Wie würde Humboldt in der heutigen Zeit leben?") von Google Senior Vice President David C. Drummond (Johannes Schneider im Tsp.: "der reiche Onkel aus Amerika") lesen möchte - die ist bei zeit.de dokumentiert.


Altpapierkorb

+++ Falls indes noch Bedarf an einem anderen Buch über ein weites Themenspektrum besteht: Mathias Döpfner hat endlich auch eines geschrieben. "Wenn man 'Die Freiheitsfalle' gelesen hat, raucht einem der Kopf. Das Buch ist ein Rundumseufzer. Sämtliche geschichtlichen Ereignisse der vergangenen 2000 Jahre sowie (fast) alle namhaften Künstler, Politiker und Unternehmer werden darin erwähnt", seufzt Thorsten Schmitz in der Süddeutschen (S. 15) unter der bösen Überschrift "Die Entleerung", die sich freilich so erklärt: "Das Buch ist die Entleerung eines überbordenden Zettelkastens oder, wie Döpfner selbst sagt, 'eine wunderbare Methode, mein Gedankenzimmer aufzuräumen.' Die Unordnung hat jetzt der Leser zu bewältigen." +++ David Denk (TAZ) war bei derselben Buchvorstellungsshow und legte seinen Fokus auf Feinheiten der Interaktion Döpfners mit seinem - aktuell Niggemeier-bekannten - Conferencier: "Döpfner wiederum lässt das penetrante Gefrotzel von [Michael] Jürgs, dessen Selbstgefälligkeit seinen Redeanteil noch übersteigt, an sich abperlen". +++

+++ Jeder Verleger solle "sit down once a day and pray to thank" Steve Jobs, sagte Döpfner einst, zu Jobs' Lebzeiten, einem Conferencier des US-Fernsehens. Nun liegt Jobs' leider abgeschlossenes Leben ebenfalls bereits in Buchform vor. Kurt Sagatz (Tagesspiegel) hat die Biografie gelesen. "Sie beleuchtet die verschiedenen Seiten des Apple-Gründers - und zeigt, dass er nicht immer nett gewesen ist", "die ganz große Frage aber ist, wie ein so intelligenter Mensch im Umgang mit seiner Gesundheit sich so unvernünftig verhalten konnte." +++ "Wenn man das Blättern einmal angefangen hat, wird man jedoch angenehm überrascht" (BLZ). +++

+++ "Nicht der Patient, der Arzt ist tot", schreibt "schluchz", Joachim Huber, aus völlig anderen Gründen auf derselben Medienseite: weil sich die RTL-Serie "Dr. House" jetzt "erledigt" habe. +++

+++ Was twittert @SPIEGELTV so? Z.B. "Hier ein dringender Hinweis aus der Redaktion: Gucken Sie bitte http://www.spiegel.tv!". +++ Der schöne neue Spiegel-Sitz (vgl. Galerien bei kress.de, meedia.de) in Hamburg (FAZ, S. 35: soll "mehr als hundert Millionen Euro gekostet haben" und "gehört mit dreißigtausend Quadratmeter Geschossfläche zu den größten und imposantesten Gebäuden der Stadt") muss ja finanziert werden. +++

+++ Neues vom Presse-Grosso (vgl. Altpapier vorgestern, gestern): Das Familienunternehmen, das vorm Bundesgerichtshof dem Bauer-Verlag unterlag wird nicht nur verkauft, der Standort in Elmshorn wird auch geschlossen (horizont.net bzw. direkt Uetersener Nachrichten). +++

+++ Nicht alles, was gut ist, wird auch angenommen. Das exemplifiziert die Süddeutsche am Beispiel der laufenden, ihre Werbeplätze auch gut verkaufenden Sat.1-Shows von Harald Schmidt. Was z.B. gut war? Ein "Ex-Stasi"/" Ecstasy"-Gag zur Linkspartei... +++ Außerdem hat die SZ-Medienredaktion mal wieder ein halbwegs geheimes Schriftstück zugespielt bekommen: den Vergleich den die frühere ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann mit ihrem Ex-Arbeitgeber, den sie des Mobbings bezichtigt hatte (siehe Altpapier aus dem März), schloss. "Nach SZ-Informationen erhält die frühere Generalsekretärin demnach eine Abfindung von 200.000 Euro" und ein "wohlwollendes Arbeitszeugnis mit der Gesamtnote 'sehr gut'". +++

+++ Indes liegt der Bild-Zeitung eine E-Mail Hans Leyendeckers zum Netzwerk Recherche-Aufregung vor. +++

+++ Von Topmodel Barbara Meier wohl nicht, aber "von Alina Levshin hätte man sich spätestens seit 'Im Angesicht des Verbrechens' auch mehr erwartet" (sueddeutsche.de über den heutigen Pro Sieben-Fernsehfilm "Schreie der Vergessenen", den die FAZ "Dunkelmunkel" nennt). +++ Über Showformate in Chinas Fernsehen informiert die TAZ. +++

+++ Dann noch Peer Steinbrück. "Hat keinen Twitter-Account" und viel zu wenige Facebook-Fans, aber soll Kanzler werden wollen! (TAZ). Und tut gar noch so, als könnte er Schach spielen! (Interview mit  Buchdeckelfoto-Fotografin Ingrid von Kruse im Panorama der Süddeutschen). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

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