Noch eine Krise, von der man nichts Genaues weiß: Grosso. Und noch ein Rettungsfonds. Dem Fernsehen geht's sonst aber gut. Außer am ARD-Vorabend
Auch das noch: Finanzkrise, Euro-Krise und nun – Grosso-Krise! Klingt nicht so, könnte aber, nach allem, was man weiß, einmal von ganz anderer Seite die Printlandschaftsvielfalt in Deutschland ausdünnen.
Gestern verkündete der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Az: KZR 7/10), dass der "Teilaustieg der Bauer Media Group aus dem Presse-Grosso-Vetriebssystem rechtlich" kein Problem darstelle.
Berichtet wird etwa von Wolfgang Janisch in der SZ (Seite 15). Geklagt hatte Bauer, weil es in den norddeutschen Kreisen, in denen die Heinz-Ulrich Grade KG der lokale Grosso-Monopolist ist, mit eigener Tochter günstiger an den Einzelhandel kommt. In Deutschland teilen sich 70 Grossisten die Regionen, sie beliefern 120.000 Einzelhändler mit Zeitschriften und Zeitungen.
"Ausschlaggebend für das Urteil war die juristische Bewertung einer 'Gemeinsamen Erklärung', mit der sich im August 2004 die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger sowie der Grossisten 'einmütig zum bewährten Grosso-Vertriebssystem' bekannt hatten. Weder sei Bauer dieser Erklärung beigetreten, noch habe er sie anerkannt."
Heißt es in der SZ. Und weiter:
"BGH-Präsident Klaus Tolksdorf räumte ein, dass das Urteil langfristig womöglich erhebliche Auswirkungen auf das Pressegrosso-System haben kann. 'Das Ende des Presse-Grosso-Systems ist durch diese Entscheidung aber nicht eingeleitet', sagte Tolksdorf bei der Verkündung des Urteils."
Das ist mal eine sybillinische Erklärung: Kann sein, muss aber nicht. Und diese Vagheit bestimmt die für den Außenstehenden nicht so aufregende Grosso-Debatte. Die FAZ hatte im Sommer etwa den Verlagsmanager Hermann Schmidt portraitiert, der in Sachen Grosso eine klare Haltung vertritt.
"'Wer die Macht über den Vertrieb hat, hat die Macht über die Präsentation im Regal', sagt Schmidt. 'Wenn das System den Bach heruntergeht, wird sich die Pressevielfalt entschieden ändern.' Er warnt: Tausend Zeitschriften und Zeitungen könnten verschwinden."
Klingt nach Bundesliga (Stichwort: Direktvermarktung) oder eben nach Europa (Stichwort: Griechenland). Christian Meier referiert auf Meedia.de auf Kritikpunkte an den Grosso-Monopolisten, was ja, Monopolist, schon mal nicht heimelig nach Wettbewerb und so klingt:
"Die Bauer Media Group hält das Grosso-System für überholt und möchte u.a. stärker Leistungskriterien in die Geschäftsbeziehungen zwischen Verlagen und Grossisten einbauen. Kritiker werfen den Grossisten vor, einseitig zu profitieren und ihre Strukturen nicht rechtzeitig reformiert zu haben."
Wer Recht hat, was kommt, darüber aber herrscht Unklarheit, weshalb Meiers Feststellung das vorläufige Resüme in dieser Angelegenheit sein muss:
"Die Auswirkungen der Entscheidung sind auch für Grosso-Experten offenbar noch nicht absehbar. Im schlimmsten Fall könnte das über Jahrzehnte stabile Vertriebssystem brüchig werden und in sich zusammenfallen."
Bernhard Hübner hat in der FTD schon den nächsten Schauplatz kommender Kämpfe ausgemacht:
"Das Kölner Landgericht verhandelt derzeit eine Klage von Bauer gegen den Grossoverband. Bauer will, dass in Zukunft statt des Grossoverbands jeder Zwischenhändler selbst mit den Verlagen seine Konditionen aushandeln muss. Bekommt Bauer recht, könnten die großen Verlage die einheitlichen, bisher je nach Auflage zwischen 15,5 Prozent und 29,3 Prozent liegenden Handelsspannen der Zwischenhändler in Zukunft empfindlich nach unten drücken."
An Europa erinnert auch die Stützungsmaßnahme der ARD in Sachen Degeto-PleiteFinanzen. Nun meldet Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 33):
"Der Senderverbund sichert die Liquidität seiner zentralen Filmproduktions- und Finanzierungstochter Degeto durch zusätzliche Mittel ab. Damit würden 'sämtliche eingegangenen Verpflichtungen für Produktionsvorhaben' erfüllt."
In der SZ (Seite 15) wird Christopher Keil noch etwas genauer:
"Die ARD muss nach SZ-Informationen noch in diesem Jahr circa 24 Millionen Euro zur Verfügung stellen, damit kurzfristige Verbindlichkeiten bedient werden können. ... Für den einen oder anderen Produzenten ist das, was jetzt noch bis Jahresende zur Auszahlung kommt, wahrscheinlich von existenzieller Bedeutung."
Man erfährt auch, dass bis Ende November der Degeto-Prüfbericht der Helmut-Reitze-Task-Force vorliegen soll. Hübsch ist der trockene Satz am Ende des Textes:
"Um die 400 Millionen Euro werden der Degeto jährlich zugewiesen, etwa 250 Millionen davon fließen in die Produktion für Fernsehfilme oder in Kino-Co-Finanzierungen."
[listbox:title=Die Artikel des Tages[Grosso-Krise (Meedia.de)##Grosso-Krise (FTD)##Fernsehen bleibt (HB)##Fernsehen ändert sich (FAZ)##Der neue ARD-Vorabend (TAZ)##Döpfners Freiheit (Berliner)##]]
Was nicht nur die Degeto, die sich mit lauter verwechselbaren unzähligen Filmen einen Namen gemacht hat, überdies beruhigen sollte, sind die Aussichten fürs Fernsehen. Eine McKinsey-Studie hat laut Handelsblatt herausgefunden:
"Die steigende Videonutzung mit Tablet PCs, Smartphones und Videorecorder fördert den Bilderkonsum. 'Der Tod des linearen Fernsehens ist nicht in Sicht. Wir sehen weltweit eine stabile oder steigende Fernsehnutzung', sagte Markus Frerker, Deutschlandchef der Medienberatung bei McKinsey, dem Handelsblatt. 'Dass die Jungen kein Fernsehen mehr gucken, ist ein weit verbreiteter Fehlglaube. Empirisch lässt sich ein solcher Trend nicht nachweisen.'"
Was nicht heißt, dass sich am Fernsehen, wie wir es kennen, nichts ändern wird. Der FAZ-Netzökonom Holger Schmidt berichtet zum einen (Seite 17), dass die "Internetmärkte" gerade die "Fernsehmärkte" überholen. Und zum anderen:
"Diese Verschiebung wird Spuren bei den traditionellen Sendern hinterlassen. 'Die Reichweiten der linearen Sender werden signifikant abnehmen, wenn ein großer Teil der TV-Nutzung ,on demand‘ stattfindet. Wir erwarten, dass ungefähr ein Drittel der ,kleinen‘ Sender nicht mehr genügend Reichweite erzielt, um am Markt zu bestehen. Letztendlich werden sich drei bis fünf große Anbieter herausbilden, die das gesamte Fernseh- und Video-Erlebnis ins Wohnzimmer liefern', sagt Künstner (vom Beratungsunternehmen Booz Allen Hamilton, AP)."
Altpapierkorb
+++ Bis es so weit ist, "reformiert" die ARD noch mal den Vorabend. "Heiter bis tödlich" heißt der neue Rahmen, in dem verschiedene Lokalkrimis in den nächsten Wochen starten sollen (unser Bild zeigt das Personal von "Fuchs und Gans"). In der TAZ zitiert Sven Sakowitz den zuständigen ARD-Koordinator, dem NDR-Fernsehdirektor und einstigen KiKa-Geschäftsführer Frank Beckmann mit totalen Ansprüchen: "'Mein Ziel ist es, irgendwann alle Regionen Deutschlands am Vorabend abzubilden.'" +++ Das erscheint nicht nur der TAZ als Drohung: "Aber warum wird am Vorabend nicht mal wirklich etwas gewagt? Man könnte doch weniger abgenutzte Genres ausprobieren oder sich mit gesellschaftlichen Milieus beschäftigen, die nicht schon tausendfach Thema von Serien oder TV-Filmen waren." +++ Ins gleiche Horn bläst Daniel Haas in der FAZ (Seite 33): "Heimat muss es aus auch deshalb sein, weil man so das bewährte Doppel Städter/Landmensch zusammenspannen kann." +++ Beziehungsweise Katharina Riehl in der SZ (Seite 15): "Für den Zuschauer wird freilich jeweils eine ganze Woche zwischen den Serienstarts liegen, und partielle Amnesie beim Verbraucher muss ja wohl den Erfolg einiger TV-Formate erklären. In ihrer geballten Menge aber sind die neuen Formate ein wunderbares Beispiel dafür, was passiert, wenn Senderverantwortliche ein Konzept erdenken und - oft unabhängig davon, ob irgendwer eine originäre Idee hatte - Fernsehen von der Kleiderstange produzieren lassen." +++ Auf das Bild mit der Stange ist auch Thomas Gehringer im Tagesspiegel gestoßen: "Vorbei ist die Zeit origineller Komödien wie 'Berlin, Berlin' oder 'Türkisch für Anfänger', jetzt gibt es Serien-Humor von der Stange." +++ Lediglich Sarah Mühlberger in der Berliner gibt zu bedenken: "Es spricht einiges dafür, dass die ARD mit dem 'Heiter bis tödlich'-Konzept zumindest teilweise Erfolg haben wird." Der Satz danach klingt allerdings auch wie eine Drohung: "Vorabend-Koordinator Beckmann sagt, man brauche einen langen Atem, um Sehgewohnheiten zu ändern." +++
+++ Außerdem: Wikileaks setzt Betrieb aus (FTD). +++ Murdochs Söhne sind bei den Aktionären nicht wohlgelitten (HB). +++ Kerner muss Leute entlassen (KSTA). +++ Hans-Christian Rössler beschreibt in der FAZ (Seite 33) kritisch die medialen Aspekte der Schalit-Freilassung. +++ Und Arno Widmann versucht sich in der Berliner lesend ein Bild von Mathias Döpfners Freiheitsbegriff zu machen, hätte aber lieber eine andere Geschichte erzählt bekommen: "Man läse gerne einmal eine Geschichte des Aufstiegs von Mathias Döpfner, eine Geschichte der Machtkämpfe, durch die er bis ganz nach oben kam. Das wäre eine interessante Studie über die Geschichte des nach der Teilung neu entstehenden Deutschlands. Über die in den Goldgräberjahren der jungen Berliner Republik herrschenden Ausleseverfahren."
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