Im Trophäenschrank

Im Trophäenschrank

Fotojournalismus, Transparenz, Verantwortungskultur, Ostalgie-Gehampel: Die Medienthemen des Tages sind die Trophäen des Spiegels und Karola Willes Wahl zur MDR-Intendantin

Die "Hausmitteilung" ist der Platz, den Der Spiegel in eigener Sache füllt. Es gab da schon mal Selbstkritik, etwa für den Prozess rund um die Absägung einer alten und die Installierung einer neuen Chefredaktion. Für gewöhnlich aber ist die "Hausmitteilung" der Trophäenschrank des Magazins.

Zwei Meldungen von dort sind heute Thema der Restpresse bzw. eines Medienfachdienstes. Erstens: das dort gezeigte Foto von Spiegel-Redakteurin Barbara Hardinghaus neben dem "wie eine Trophäe" auf einer Matratze liegenden Leichnam Muammar al-Gaddafis. Und zweitens: die Vorstellung von Stefan Niggemeier als neuem Autor.

Es wäre interessant zu wissen, was Niggemeier über erstere in seinem Blog geschrieben hätte, falls er etwas dazu geschrieben hätte. Die Süddeutsche Zeitung jedenfalls wirft dem Spiegel in einem kurzen Medienseitenkommentar (S. 15) "Trophäen-Journalismus" vor: "Keine Rolle spielen ethische Fragen, die Agentur AFP hat sich sogar des 'weltweiten Scoops' gerühmt, die Fotos des Toten verbreitet zu haben."

Letzteres ist exakt jene Kritik, die am Samstag, noch in Unkenntnis der Spiegel-"Hausmitteilung", die FAZ (S. 42) an der Agentur übte: "In einer reißerisch verfassten Pressemitteilung brüstete sich die Agentur damit, die ersten Aufnahmen des toten Gaddafi um die Welt geschickt zu haben."

Das – weniger die Verbreitung des Bilds als dass sie möglichst schnell vonstatten ging sowie die drumherum gesungene Selbstbejubelungsarie – war tatsächlich von einer Würdelosigkeit, die idiotisch zu finden auf jeden Fall nicht ungerecht ist. Dem Spiegel "Trophäen-Journalismus" vorzuwerfen, ist ebenfalls nicht ungerecht; man hätte das Foto ja, wenn man es aus journalistischen Gründen hätte zeigen wollen, auch mitten im Blatt positionieren können.

Vielleicht interessanter aber ist die Dimension des unterstellten Misstrauens der eigenen Leserschaft, die sich hier auftut: Hätte Hardinghaus nicht einfach anschaulich berichten können, wie sie wo in welchem Kontext selbst neben dem Leichnam stand und das Foto, das einem solchen Bericht nichts Wesentliches hinzuzufügen hat, zurückhalten können? Sagen wir so: Ich hätte ihr geglaubt.

Vielleicht könnte ja mal jemand den systemischen Zusammenhang zwischen dem unverlangt vorgelegten Fotobeweis und der herrschenden Transparenzbegeisterung darlegen, falls es einen gibt. Stefan Niggemeier jedenfalls, um zur zweiten Spiegel-"Hausmitteilung" zu kommen, hat seinen ersten Spiegel-Essay über den "Fetisch Transparenz" geschrieben (S. 68f.). Und hätte das Foto von Hardinghaus neben Gaddafi gleich als Beispiel aufnehmen können:

"Transparenz ist attraktiv. Deshalb spielen Unternehmen Transparenztheater. Die Firma Kamps etwa baut ihre Filialen in 'Backstuben' um, so dass man den Bäckern beim Brotbacken zugucken kann. Das soll Vertrauen wecken; Arbeit und Ambiente suggerieren ehrliches Handwerk."

Das Foto, verkauft und gezeigt als Originaldokument einer Recherche, deren Validität dadurch untermauert wird, suggeriert das ebenfalls. Über seine Entstehung aber sagt es gar nichts – zumal man Gaddafi als normalsterblicher Leser darauf nicht einmal erkennt. (Foto oben: Der Autor dieser Kolumne beweist, dass er den Spiegel wirklich gelesen hat. Oder hat er ihn vielleicht nur aufgeschlagen?)

Bemerkenswert an Niggemeiers Beitrag zur Transparenzdiskussion, die sich in Zeiten der Krise, die ja auch als Glaubwürdigkeitskrise gelesen werden kann, verstärkt, ist, dass er als erster tut, was jede Medienredaktion der Republik bereits hätte tun können: das Naheliegende, das zudem auch noch jenseits der Medienseiten relevant ist. Verwirklichte Transparenz erfordert Umdenken seitens der Medien – das ist die These seines Essays, und das Thema lag auf der Straße, es musste nur aufgehoben und bearbeitet werden. Vielleicht hat schon manche Redaktion darüber konferiert. Hat aber am Ende wieder, nostra culpa, keiner vor Niggemeier aufgeschrieben.

Also, der Essay:

"Die Veröffentlichung von Vorgängen, die bislang hinter verschlossenen Türen stattfanden, befriedigt auf verhängnisvolle Weise das Unterhaltungsbedürfnis der Medien. Die Piraten erleben das gerade bei ihren öffentlichen Fraktionssitzungen in Berlin: Für die Medien ist es vor allem Spektakel. Das Transparentmachen des politischen Entscheidungsprozesses führt nicht zur fundierten Auseinandersetzung mit den Inhalten, sondern zu einer stärkeren Fixierung auf die Inszenierung."

Und weiter:

"Das Recht, Fehler zu machen, ist eine Voraussetzung dafür, Dinge in der Öffentlichkeit zu tun. Das ist ein Paradox der Transparenz: Je größer die Zahl der Informationen, die uns zur Verfügung stehen, umso wichtiger ist es, dass wir lernen, sie zu ignorieren, zu verzeihen und zu vergessen."

Nachtrag 11.45 Uhr: Umso erwähnenswerter ist nach Niggemeiers Essay der Beitrag des Spiegels über eine Reise dreier Berliner Piraten nach Island (S. 66f.). Pirat Christopher Lauer stellt in seinem Blog manches ein wenig anders dar – was dem Spiegel-Autor wahrlich nicht vorzuwerfen ist, er ist ja nicht der Pressesprecher der Piratenpartei. Aber in der Tat: Alles, was bei der Reise mit Politik zu tun gehabt haben könnte, lässt der Spiegel-Autor offensichtlich weg und verschweigt auch, dass – falls Lauer nicht großen Käse erzählt – die Piraten nur auf Anregung des Spiegels einen Ausflug in einem Jeep in die isländische Natur unternahmen. Ein Ausflug, der im Spiegel prominent beschrieben wird, wodurch der Eindruck entsteht, es habe sich um eine Vergnügungsreise gehandelt.

[listbox:title=Artikel des Tages[Die Wahl Karola Willes zur MDR-Intendantin (Leipziger Volkszeitung)##Ein Herr Mohring über den MDR (Leipziger Volkszeitung)##Willes Masterplan (TSP)##Günther Rohrbach über "Intendantenfernsehen" (SZ)]]

Kommen wir zu Karola Wille, die im Vorfeld der Intendantenkür beim MDR im – tataa – Spiegel für ihre zu DDR-Zeiten erstellte Doktorarbeit kritisiert wurde. Am Sonntag wurde sie nun mit "32 aus 39" Stimmen (Süddeutsche Zeitung), "32 zu 7 Stimmen" (taz), "32 von 39 Stimmen" (Tagesspiegel), "32 Ja-Stimmen von den 39 anwesenden Mitgliedern" (Spiegel Online) usw. zur MDR-Intendantin gewählt. Was das mit sich bringt, werden wir unter Umständen am Dienstag noch ausführlicher präsentiert bekommen. Bis dahin ein kleiner Überblick über das vorhandene Material.

Was zuvor geschah: "Vor vier Wochen war die Wahl von Chefredakteur Bernd Hilder von der 'Leipziger Volkszeitung' zum Intendanten gescheitert." (Leipziger Volkszeitung)

So so: "Wille möchte nun eigenen Angaben zufolge einen Neuanfang bei dem von Krisen geschüttelten MDR anstoßen." (SZ)

Klingt beinahe wie Transparenz: "Sie werde für eine 'neue Verantwortungskultur' einstehen, sagte Karola Wille und dies in Teamarbeit angehen." (FAZ)

Oh yeah: "Die Honorarprofessorin für Medienrecht an der Universität Leipzig hat eine Tochter und ist begeisterte Skifahrerin." (Welt Online).

Oh no: "Kritiker werfen ihr vor, Mitglied der SED und mit einem DDR-Militärstaatsanwalt verheiratet gewesen zu sein." (Bild Online)

Zum speziellen MDR-Job: "Wille habe bei ihrer Vorstellung sehr offen ihre DDR-Vergangenheit thematisiert, zugleich aber auch ihre Entschlossenheit bekundet, die im Sender aufgetauchten Unregelmäßigkeiten umfassend aufzuklären und zu beseitigen." (KSTA.de via epd)

Und zum eigentlichen Intendantenjob: "Wille kündigte an, Regionalität müsse 'inhaltlicher Leitgedanke' bleiben. Information und Kultur sollen stärkeres Gewicht erhalten – auch in der Quotenbetrachtung. Nichts gegen Sport und Unterhaltung, doch Relevanz soll vor Grätsche- und Schänkenschunkelei gehen." (Tagesspiegel)

Was uns zu noch einer neueren Vorgeschichte führt: Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring habe sich "am Samstag vor der Wahl nochmal ausgekotzt", schreibt die taz – "passenderweise" in der Leipziger Volkszeitung des gescheiterten Intendanzkandidaten Bernd Hilder: "Der MDR sei 'in einem erschütternden Zustand', heißt es da. 'Das ganze Ostalgie-Gehampel ist sowieso nicht mehr zum Anschauen'."


Altpapierkorb

+++ Dazu passend: Günther Rohrbach lästert in der Samstags-SZ über Intendanten: "Intendantenfernsehen zeichnet sich durch die Einfachheit und Klarheit der Ideen aus. Intendantenideen lassen sich in aller Regel mit einem Wort markieren: Jauch, Kerner, Pilawa, Illner, Will, Lanz, Plasberg, Maischberger, Fußball-Bundesliga, Champions League, Olympia, Skispringen, Gottschalk. Man braucht dazu keine Kenntnisse, die über das hinausgehen, was einem normalen Programmbeobachter auch einfallen könnte. Man braucht nur Geld, nicht selten ziemlich viel Geld. Das macht die Sache so prekär" +++

+++ Ebenfalls in der SZ, auf dem Aufmacherplatz des Montagsfeuilletons: Anlässlich des Leipziger Dokumentar- und Animationsfilmfestivals fasst Martina Knoben die Diskussionen über den Dokumentarfilm zusammen: Festivalleiter "Danielsen beschrieb Rundfunkanstalten, die durch erdrückende Pensionslasten, sinkende Rundfunkgebühren und erstarrte Apparate gelähmt seien. Seine Schlussfolgerung: 'Produzenten und Filmemacher müssen sich auf völlig neue Arbeitsweisen, Absatzmärkte und Partnerschaften einrichten'" +++

+++ Mehr Niggemeier: Meedia kritisiert seinen zweiten Spiegel-Text, die erste Ausgabe von "Niggemeiers Medienlexikon", das nun laut Spiegel regelmäßig erscheinen soll: "Der Text befasst sich mit der Einstellung des Sat.1-Magazins 'Kerner', das von einer 100prozentigen Spiegel TV-Tochter produziert wird: Unter dem Begriff 'kernern' verstehe man u.a. das 'Produzieren von Glitschigkeit in Interviews'", schreibt Meedia und hofft wohl auf einen internen Konflikt: "Bei den Verantwortlichen", also wohl jenen des "Kerner"-Teams, "wird der Artikel im neuen Spiegel wohl als schwer nachvollziehbare und wenig faire Selbstkasteiung empfunden werden" +++ Was das "Kerner"-Aus für die Spiegel-Tochter bedeute: DWDL +++

+++ Und nochmal Spiegel: Peer Steinbrück und Helmut Schmidt schmücken den Titel: "Er kann es" – womit man sagen kann, dass Spiegel und "Günther Jauch", der am Sonntagabend ebenfalls mit den beiden talkte, wichtiger als "Beckmann" sind. Die SZ berichtete schon mal vorab darüber, was wohl geschehen würde: "man kann davon ausgehen, dass der ältere Hamburger den jüngeren (...) für das Amt des Herausforderers vorschlagen wird" +++ "Jauch"-Nachbesprechungen: sueddeutsche.de: "Jauch konnte nur noch die Brosamen auflesen, die der Spiegel ihm übriggelassen hatte. Viel war es nicht, was Jauch für seinen Talk nach dem Tatort noch blieb" +++ faz.net"So weit, so lachhaft. Wer nicht weiß, wohin er will, freut sich einstweilen, dass Straßen gebaut werden. Eine Sendung über den Fetisch betonierter Infrastruktur würde sich lohnen. Eine Diskussion über Prioritäten des Wohlfahrtsstaats steht aus" +++ KSTA.de: "seltsam statisch"  +++ Und BLZ / FR: "Nachdem Jauch gleich zweimal grandios daran gescheitert war, Steinbrück zu einem beherzten 'Ja, ich will' zu bewegen, ging es in den letzten Minuten der Sendung dann nur noch ums Anekdotische und Menschliche" +++ Mehr Talk: Karl-Heinz Brodbeck, Anne Will, Rüdiger Safranski und Jakob Augstein besprechen sich zum Thema "Frage" (TSP) +++

+++ Über zwei Männer: Thomas Schuler berichtet für die Süddeutsche über den Journalismuslehrer David Protess, der "mit seinen Studenten geholfen" habe, "in 20 Jahren zwölf unschuldig Verurteilte frei zu bekommen – fünf von ihnen saßen in der Todeszelle" –, und der nun damit konfrontiert ist, dass Studenten "ihr Recht auf Quellenschutz" verwirkt hätten, "weil sie als Ermittler der Verteidigung und nicht als unabhängige Journalisten agierten" +++ Ganz anderer Typ: Die taz beschreibt Rupert Murdoch als verhinderten Despoten +++

+++ Im Fernsehen: Die Montags-FAZ rezensiert auf der Medienseite (S. 31) "Forgetting Dad" (ZDF, 0.20 Uhr) +++ Der Tagesspiegel "Mord in Louisiana" (ZDF, 22.25 Uhr) +++ Und im Rückblick: "Der klügste Deutsche" (TSP, Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau) +++ Die Verleihung des Deutschen Comedy-Preises (BLZ / FR) +++ Ehrenpreisträgerin Hella von Sinnen schlägt im Spiegel derweil Barbara Schöneberger für die "Wetten, dass..?"-Moderation vor +++

+++ Sowie eine Live-Börsenberichterstattung des ZDF, die vielleicht nicht ganz so live war, sondern eher zwei Stunden vorher aufgezeichnet wurde, wie Dietrich Leder für die Funkkorrespondenz aufschreibt: "Der Gesprächscharakter ist mithin fiktiv, verdankt sich einer kleinen Inszenierung und Absprache von Fragen und Antworten. Das ist an sich nicht weiter schlimm. Aber warum dieses Zinnober inklusive der Einblendung 'Live'? Weil das Fernsehen und somit auch das ZDF sich von Zeit zu Zeit in einem Vorgang der Autosuggestion seine Allmacht und Allpräsenz selbst einreden muss, um sich davon zu überzeugen, etwas zu besitzen, von dem man eigentlich weiß, dass man es gar nicht hat" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

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