Fernsehen wieder gefährlich!

Fernsehen wieder gefährlich!

Das Fernsehen macht wieder von sich reden: MDR, BBC und Credibility. In China arbeiten Hacker noch an einer Ethik. Bei Bertelsmann wechselt die Führung normalst

Irgendwie könnte das Fernsehen auch sauer sein. Zumindest solange es noch in eigenem Apparat stattfindet, als klotzige Röhre oder fancy Flatscreen.

Dieses Internet stiehlt ihm einfach dauernd die Schau. Nicht genug, dass es auf den blattmachererischen Mut Frank Schirrmachers, eine Liste mit sämtlichen Gästen und Themen sämtlicher ARD-Talksendungen bis Weihnachten groß auf allen sechs FAZ-Feuilletonseiten zu drucken, lange warten kann.

Auch das schlechte Image, mit dem das Fernsehen in der Raucherecke auf dem Pausenhof der Medien früher die Girls beeindrucken und sich über die streberhafte Literatur und das schnöselige Theater lustig machen konnte, ist von diesem Internet gerippt worden: "Internetsucht" lautet ein jüngerer Vorwurf. Früher hätte den das Fernsehen als Eintrag ins Hausaufgabenheft gekommen.

Zum Glück gibt es nun aber dieses kultursnobistische Frankreich und die offenbar unter Aufmerksamkeitsdefiziten leidende Tageszeitung Le Monde, die in ihrer Wochenendausgabe endlich mal wieder einen rausgehauen hat, der dem ollen Fernsehen Fame in der Szene verspricht:

"'Fernsehen tötet'...'Wissenschaftlich erwiesen' sei der Befund, stand da noch in gleich großen Lettern. Und darunter: 'Eine Stunde Fernsehen verkürzt die Lebenserwartung um 21 Minuten.'"

Schreibt Jürg Altwegg in der FAZ-Feuilletonglosse (Seite 31). Und ordnet ein:

"Journalistisch aufbereitet und auch ein bisschen breit gewalzt wurde die sensationelle Nachricht vom mörderischen Fernsehen in der eher trockenen Beilage 'Wissenschaft und Technik'. Auch seine Redakteure hätten sich 'die Augen gerieben', als sie das 'British Journal of Sports Medicine' lasen. Die Studie wurde von australischen Forschern durchgeführt. Mit 11 247 Einwohnern."

Dass Le Monde da selbst was gemerkt hat, verschweigt Altwegg nicht:

"Am Tag danach versuchte sie, in einem Leitartikel die Folgen zu relativieren: 'Das Fernsehen tötet, aber man muss mit ihm leben.' Die Redaktion habe lediglich 'die wissenschaftliche Literatur' ausgewertet."

Andere Forscher erheben andere Befunde:

"Die Deutschen glauben dem Fernsehen nicht mehr. Aktuelle Studien sagen sogar: Vielen Zuschauern ist es egal, dass sie regelmäßig getäuscht werden."

Von diesen Sätzen aus versucht sich die Dokumentarfilmregisseurin Dominique Klughammer in der SZ (Seite 15) an einer Apologie einer Fernsehdoku, die sich noch für die Wirklichkeit interessiert:

"Deutschland ist durchgecastet. Viele Menschen standen schon einmal vor einer Kamera und gehen, wenn sie mit dem Privatfernsehen zu tun hatten, grundsätzlich davon aus, honoriert zu werden. Sie wissen um die Manipulationsmöglichkeiten des Fernsehens und möchten schon deswegen Geld bekommen."

Wie manipuliert man selbst schon ist von diesem Fernsehen, zeigt sich an dem illustrierenden Bild, dass D.A. Pennebaker beim Direct-Filmen von Bob Dylan zeigt, wobei Pennebaker die linke Hand so vors rechte Auge hält, dass man glauben könnte, er habe damals schon Werbung fürs ZDF gemacht.

Dominique Klughammer schlägt als Lösung für die verfahrene Lage der seriösen Doku im Schatten von Scripted Reality vor:

"Vielleicht könnten die Öffentlich-Rechtlichen den Begriff 'Doku' schützen, könnten ganz selbstbewusst auf die Stärke des Dokumentarischen vertrauen und vor allem nicht das, was im Privatfernsehen Quote bringt, nachmachen."

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Karola Wille soll MDR-Intendantin werden (TAZ)##Unglaubwürdiges Fernsehen (TSP)##Hacker in China (FAZ)##Ostrowski hört bei Bertelsmann auf (FTD)##]]


Vielleicht.

Andererseits haben die Öffentlich-Rechtlichen es mit dem Selbstbewusstsein ja nicht so. Und wenn die dann noch hören, dass bei der BBC bis 2017 keine Gebührenerhöhung kommt, weshalb gespart und entlassen werden muss (Barbara Klimke heute in der Berliner, S. 26, dank des neuen Internetauftritts allerdings nicht online; unlängst in der NZZ) – man weiß es nicht.

Dass die Glaubwürdigkeit auch dem Serienwesen außerhalb des German Desert Probleme bereitet, legt Joachim Hubers Text im Tagesspiegel nahe.

"Soziale und politische Konfliktthemen seien nicht mehr gefragt. Die Welt da draußen sei schlimm genug, heiße es bei Sendern und Produzenten. 'Wir verlieren die Glaubwürdigkeit beim Publikum, wenn wir nicht mehr zeigen, wie die Welt wirklich ist', erklärte Abbott (Autor von "Cracker/Für alle Fitz"/AP)."

Huber hat auf der Cologne Conference Sachen gesehen, die so schön und aufregend sind, dass sie nie oder sehr selten im deutschen Fernsehen zu sehen sind – die dritte Staffel von "Breaking Bad" startet heute immerhin auf Arte, darauf freut sich auch schon Jan Füchtjohann in der SZ (Seite 15).

Immerhin besteht beim MDR nun Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wendet. Karola Wille ist vom Verwaltungsrat einstimmig zur Intendantinnenwahl vorgeschlagen worden. Steffen Grimberg schreibt in der TAZ:

"Nach der Verwaltungsratssitzung erklärte dessen Vorsitzender, der ehemalige sächsische Bildungsminister Gerd Schuchardt (SPD), Wille habe ausdrücklich erklärt, dass sie eine 'Überprüfung der Resourcen und Produktionsweisen' beim Sender anstrebe – was auf Deutsch Aufklärung bedeutet, wie der Millionenbetrug beim Kinderkanal und die merkwürdigen Finanztricksereien des mittlerweile geschassten MDR-Unterhaltungschefs Udo Foht möglich waren, ohne den zuständigen Stellen beim MDR aufzufallen."

Abgesehen davon, dass der hochaufgeschossene Schuchardt Kultusminister in Thüringen war, spricht offenbar nicht gegen die Aufräummöglichkeiten von Wille, dass sie seit 1991 im Sender arbeitet.

"Dass die ARD dann ihre dritte Intendantin hat – noch dazu die erste aus Ostdeutschland, ist dann immer noch eine kleine Sensation. Und für den MDR tatsächlich eine gute Entwicklung. Denn Wille hat vor dem Verwaltungsrat auch erklärt, eine Lanze für junge Zuschauer brechen zu wollen. Auf die Schunkelshows der Volksmusik und all die andere Kessel Buntes beim MDR kommen also endlich schwere Zeiten zu."


Altpapierkorb

+++ "Das Supertalent" erfreut sich bei RTL dagegen zweifelhafter Beliebtheit, wie Peer Schader in der FAZ (Seite 35) bemängelt. +++ Der Tagesspiegel bespricht die heutige "37 Grad"-Doku im ZDF, die wohl auch die Grenzen der Doku, die sich für die Wirklichkeit interessiert, zeigt. +++ Sven Wiebeck berichtet für News.de über eine Tagung zum "Tatort" an der Evangelischen Akademie Bad Herrenalb. +++

+++ Out of Knipse: Während der Chaos Computer Club aktuell in Sachen Staatstrojaner und schon eine Weile als Institution der Vernunft agiert, informiert Mark Siemons in der FAZ über chinesische Hacker, deren Ethik patriotisch basiert ist. +++ Jordan Mejias schreibt ebenda (Seite 35) über die Medienarbeit der Aktion "Occupy Wall Street", auch wenn er bei der Opriginalität der Slogans noch Potential sieht: "Die ersten Ergebnisse gehen dahin, dass die New Yorker Proteste nicht nur übers Internet auf andere Städte wie Washington, Los Angeles und Chicago übergesprungen sind, sondern im Internet auch nachklingen und diskutiert werden. Occupytogether.org versucht sich als Informationszentrale, die über die Flut der unterschiedlichen Aktivitäten zwischen New York und Los Angeles Auskunft gibt, und Websites wie Meetup.com und Livestream.com werden genutzt, um die Revolution global auszudehnen." +++ Jan Küveler hat ein bemerkenswert unvoreingenommenes Gespräch mit der ehemaligen Pornodarstellerin und Vielseitigkeitskünstlerunternehmerin Sasha Grey geführt - für Welt-Online. Und mal will hoffen, dass der Kommentarbereich geschlossen bleibt. +++ 

+++ Bei Bertelsmann gibt es einen geräuschlosen Führungswechsel, und noch nicht mal die Erschöpfung resp. die gesundheitlichen Gründe von Hartmut Ostrowski, der Thomas Rabe Platz macht, taugt so recht zur Problematisierung (FTD). +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder gegen 9 Uhr.
 

 

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