Ein Schluck der eigenen Medizin

Ein Schluck der eigenen Medizin

Wird es zu einem „Trendsport“, auf Politiker-Websites nach Urheberrechtsverstößen zu fahnden? Außerdem: Ein Student legt sich mit Facebook an. Und für einen TV-Mufti wird es eng.

Jetzt also #Kaudergate. Wir wollen uns ja gar nicht darüber beklagen, dass das Suffix „-gate“ inflationär verwendet wird, schließlich ist so ein Hashtag schnell in die Welt gesetzt. Man kann sich aber doch fragen, ob Siegfried Kauder durch die bedeutungssschwangere Endung nicht auch ein bisschen aufgewertet wird. Zwei Fotos hat der „Copyright-Kämpfer“ (Spiegel Online) von seiner Website entfernen müssen, weil er sich vorher wohl nicht um die Rechte gekümmert hat. sueddeutsche.de schildert uns den Sachverhalt:

„Siegfried Kauder steckt in der Urheberrechtsfalle: Vor wenigen Tagen forderte der CDU-Bundestagsabgeordnete noch, Verstöße gegen das Urheberrecht mit einer mehrwöchigen Sperre des Internetzugangs zu bestrafen. Nun wurde er offenbar selbst beim Bilderklau im Netz ertappt.“

Markus Beckedahl (Netzpolitik) findet es

„prima, dass jetzt schon nach Sebastian Edathy mit Siegfried Kauder das zweite Mitglied im Rechtsausschuss mit Urheberrechtsverletzungen im Internet konfrontiert wird. Es wäre ja erfreulich, wenn bei den Damen und Herren in dem für das Urheberrecht federführendem Ausschuss das Bewusstsein wachsen würde, dass man im Internet als ‚normaler‘ Nutzer ständig über Urheberrechtsfallen stolpert und wir daher ein anderes Urheberrecht brauchen – anstatt mehr Repression und Verschärfung. Wie soll man denn als ‚normaler‘ Nutzer das kapieren, wenn schon die Juristen Fehler begehen, die für die Gesetzgebung zuständig sind?“

Nicht unähnlich argumentiert Giesbert Damaschke im ZDF-Blog Hyperland:

„Außer ein wenig wohlfeiler Schadenfreude, dass sich wieder einmal ein Hardliner in seinen eigenen Forderungen verheddert hat, scheint von dem eher skurrilen Vorfall nicht viel übrig zu bleiben. Er zeigt allerdings sehr deutlich, wie leicht und – das können wir Siegfried Kauder wohlwollend unterstellen – ohne böse Absicht man gegen das Urheberrecht verstoßen kann. Vielleicht sollte man sich nicht nur die Dissertationen unserer Politiker genauer ansehen, sondern auch deren Webseiten. Wer weiß – vielleicht lernen sie ja leichter, dass es auf die Frage nach den Urheberrechten im Internet keine einfachen Antworten gibt, wenn sie einen Schluck ihrer eigenen Medizin bekommen.“

Der Ratschlag mit den Politiker-Websites wird zumindest in Kauders Fall längst beherzigt. Spiegel Online schreibt, „die Jagd nach weiteren unlizenzierten Bildern“ auf dessen Seite sei in vollem Gange. Damit in Zukunft in ähnlichen Fällen mehr Leute recherchieren können, liefert man gleich ein paar Tipps mit:

„Mit Hilfe der Google-Bildersuche lassen sich solche Verdachtsfälle ganz fix finden. Denn die Funktion kann man auch rückwärts benutzen: Zuerst muss man mit der rechten Maustaste auf das entsprechende Foto klicken und die ‚Grafikadresse kopieren"‘. Dann klickt man auf das kleine Kamera-Icon im Suchfeld und schon erscheint die ‚Suche anhand von Bildern‘. Gibt man dort die kopierte Grafikadresse ein, spuckt die Suchmaschine als Ergebnis aus, wo das fragliche Bild im Netz noch zu finden ist. Oft sind das Foto-Sharing-Seiten wie Flickr ode Panoramio, bei denen dann manchmal genau steht, wer das Bild gemacht hat, beziehungsweise wer die Rechte daran hält. ‚Das Suchen wird ein kleiner Trendsport‘, sagt Mathias Schindler, Projektmanager beim Wikimedia Deutschland e.V. Er selbst habe auch auf Kauders Website gestöbert und nach möglicherweise unerlaubt verwendeten Bildern gesucht.

Im Blickpunkt steht auch eine andere Politiker-Website, und zwar die von Silvana Koch-Mehrin. Die ist nach Einschätzung des ARD-Magazins „Panorama“, das sich generell mit dem nicht erst seit gestern debattierten Lifestyle der blau-gelben Lady beschäftigt hat, ein Indiz dafür, dass diese den lieben Gott gern einen guten Mann sein lässt:

„Ihre Internetseite befand sich bis Anfang dieser Woche in weiten Teilen auf dem Stand des Jahres 2009 und wurde erst im Zuge der Panorama-Anfrage umfassend aktualisiert.“

Auf konkrete Tipps für die Zielgruppe setzt heute nicht nur Spiegel Online, sondern auch der Tagesspiegel. Der nimmt die Auseinandersetzung, die der Jurastudenten Mark Schrems mt Facebook um seine eigene Facebook-Daten führt, zum Anlass, seinen Lesern zu erklären, wie man sich bei sozialen Netzwerken einen Überblick über die von diesen gesammelten Nutzerdaten verschaffen und sie im günstigsten Fall sogar wieder löschen kann. Über Schrems Antrag, „alle über ihn als Nutzer jemals gespeicherten Daten in gedruckter Form“ zuzustellen und seine Überraschung darüber,

„dass darunter auch viele von ihm gelöscht geglaubte Nachrichten oder Profileinträge waren (und) dass dafür andere Daten fehlten: insbesondere solche aus dem Gesichtserkennungsprogramm, mit dem Facebook bereits für Aufsehen gesorgt hat“,

berichtet auch die FAZ. Focus Online geht ebenfalls ausführlich auf die Causa ein - und erinnert daran, dass es Richard Gutjahr war, der die jetzige Berichterstattung ausgelöst hat.
Kritik an der Facebook-Kritik gibt es auch wieder mal, Gunnar Sohn etwa betont in seinem Blog Ich sag mal, Internet-Nutzer seien „kein manipulierbares Vieh“. Außerdem kritisiert er „das mechanistische Weltbild in der Datenschutzdebatte“. Etwas Heiteres rund um Facebook gibt es auch zu vermelden: Im Blog Literally Unbelievable sind Facebook-Reaktionen von Menschen gesammelt, die Artikel der amerikanischen Satirezeitschrift The Onion ernst nehmen.

Für Leser, die unter Medienkongressberichterstattungsentzug leiden: Gestern fand in Hamburg-Veddel das von der Nachrichtenagentur dpa veranstaltete Scoopcamp statt, das sich dem Thema „New Storytelling“ widmet. Auf derm Abschlusspodium, bei dem es unter anderem um die Frage ging, ab wann die effektvolle optische Umsetzung von Daten zu „Visualization Porn" zu werden droht, bekannte die Journalistin Ulrike Langer, das Scoopcamp sei das jährliche „Highlight des Medienkongresszirkus“. Wer kann das besser wissen als sie, die schon bei so vielen Gastspielen dieses Zirkusses aufgetreten ist?

Der Star der Veranstaltung war die bei der Nachrichtenagentur AP als „Director of Interactive“ firmierende Shazna Nessa (siehe auch dieses neulich im Standard erschienene Interview). „Wir brauchen mehr Entwickler im Newsroom und mehr Journalisten, die programmieren können“, sagte sie in ihrer Keynote. Und: „Gerade Reporter können etwa in Grafiken umgesetzte Daten benutzen, um ihre Geschichten zu erzählen.“ (Handelsblatt/dpa). Einen generellen Ratschlag an Journalisten für den Umgang mit der technologischen Entwicklung hatte sie auch parat: „Don‘t fight it, feel it!“ (von Ulrike Langer im Original zitiert, vom Handelsblatt nur in der öden Übersetzung). Ja, ist denn schon wieder 1991? Irgendwie putzig, dass sich von einer Keynote zur Zukunft des Journalismus eine Verbindung ziehen lässt zu einem Song, der den Tanz- und Drogenrausch feiert. Noch schöner wäre es freilich, wenn künftig in den Keynotes des Medienkongresszirkusses mal eine Zeile wie „Rama Lama Lama Fa Fa Fa“ auftaucht. Der Song „Don‘t fight it, feel it“ erschien vor fast genau 20 Jahren auf dem epochalen Primal-Scream-Album Screamadelica. Die These, dass Nessa sich eher davon hat inspirieren lassen, was Sam Cooke vor einem halben Jahrhundert gesungen hat, dürfen andere ausführen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Kaudergate I (Spiegel Online)##Kaudergate II (Hyperland/ZDF)##Morde an Journalisten in Mexiko (Christian Science Monitor)]]

Vorerst zurück zum Journalismus älterer Schule und damit zu einer Veranstaltung von heute Abend: In Berlin wird das Buch „Alles fragen, nichts fürchten“ vorgestellt, ein 238 Seiten langes Interview, das Martin Hatzius, ein Redakteur des Neuen Deutschland, mit dem Jourrnalisten und Schriftsteller Dietmar Dath geführt hat. Das ND hat das Werk gemeinsam mit dem Verlag Das Neue Berlin veröffentlicht, und darin findet sich allerlei Instruktives zum Journalismus (wenngleich der nur ein Thema von vielen ist), etwa zu Daths Zeit als FAZ-Feuilleton-Redakteur zwischen 2001 und 2007:

„Wenn man, was sich nicht vermeiden lässt, einen Artikel schreiben soll, in dem informierende Passagen sich nicht leicht trennen lassen von Meinungen, dann suche man sich fürs Redigat jemanden, der ... die gegenteilige Meinung vertritt (...) Ich hatte furchtbare Angst davor, dass das Ergebnis dann so ein Middle-of-the-Road-Ausgleichscheißdreck wird. Das Gegenteil ist der Fall (...) Wenn, sagen wir mal, der vegetarische Redakteur dem Hobbygrill-Redakteur seinen Artikel über Mohrrüben vorlegt, dann ist das Ergebnis bei der FAZ eben gerade nicht, dass am Ende irgendwie beide recht haben. Der Mohrrüben-Mann muss sein Zeug verteidigen, weil, sobald es heikel wird, der Grill-Mann sagt: Das ist aber kein wirkliches Argument. Im Ergebnis ist der Artikel dann so zugespitzt und gestählt und gehärtet, wie er es vorher gar nicht war (...) Diese Härte erinnert ein bisschen an das Leninsche Ideal der permanenten Kritik und Selbstkritik in der Partei.“

Das Wunderbare ist ja, dass Dath mittlerweile - diese geschätzten Tauchexperten meldeten es neulich - zurückgekehrt ist zur irgendwie nicht unleninistischen FAZ (hier ein aktueller Beitrag). Da es also jetzt ein ND-Buch gibt, in dem ein ND-Redakteur mit einen FAZ-Redakteur redet: Wäre es jetzt nicht mal an der Zeit, dass ein Redakteur der Süddeutschen oder der Welt einen Kollegen von der Jungle World interviewt und daraus ein ganzes Buch macht?


Altpapierkorb

+++ Dass Hans-Wolfgang Jurgan möglicherweise „nicht mehr zu halten“ ist, hat Christopher Keil für die Süddeutsche in Erfahrung gebracht. Der Mufti der ARD-Tochter Degeto habe Aufträge für „bis zu 30 Millionen Euro über den Etat hinaus“ vergeben (siehe dieses oder jenes Altpapier). Heißt Hans-Wolfgang dann, wenn er „nicht mehr zu halten“ sein wird, eigentlich Udo-Doris? Die ARD-Granden wussten über die „Schieflage" wohl schon früher Bescheid als gedacht (dwdl.de). Seltsam, dass der Begriff Jurgangate bisher noch nicht aufgetaucht ist. 

+++ Aufmacher auf der Medienseite der Süddeutschen ist ein Artikel über „Playboy Club“ und „PanAm“, „zwei neue und sehr gute“ Serien des Senders ABC, die „beweisen, wie sehr Amerika die ungesunden sechziger Jahre vermisst“ und Parallelen zu „Mad Men“ (ebenfalls ABC) aufweisen. Ein Porträt der Schauspielerin Christina Hendricks, die wir als die Chefseketärin Joan aus „Mad Men“ kennen, findet sich übrigens im Freitag (S. 27).

+++ Über brutale Tötungen von Social-Media-Aktivisten und Journalisten in Mexiko berichtet der Christian Science Monitor.

+++ In der taz schreibt Jürgen Gottschlich über die eingeschränkte Meinungsfreiheit in der Türkei - und insbesondere über den Karikaturisten Bahadir Baruter, dem wegen einer Zeichnung für ein Satiremagazin ein Jahr Gefängnis drohen. Im Iran ist zwecks weiterer Beschneidung der Informationsfreiheit gar „ein nationales Internet“ geplant (Berliner Zeitung).

+++ Zensur bei einer französischen Tochter von Gruner + Jahr? Jürg Altwegg berichtet in der FAZ (S. 39), dass die Zeitschrift Géo Histoire einen „Artikel über die Vichy-Vergangenheit mehrerer französischer Unternehmen wie Renault und Louis Vuitton“ offenbar auf Initiative der Anzeigenabteilung aus dem Blatt kippte. Sogar die, hüstel, „Ethikkommission“ in der Hamburger Zentrale musste schon tagen, und jetzt verlangen die Betroffenen sogar „die Einberufung des europäischen Betriebsrats von Gruner + Jahr“.

+++ Fernsehen am langen Wochenende: Die FAZ emfpiehlt den Irak-Kriegsfilm „Die Besatzer“ bei arte („voll realistischer Härte und Tiefe“ und „ohne aufgesetztes Pathos“) - und rät ab von ?einer neuen Trickfilmumsetzung von „Der kleine Prinz“ in der ARD.

+++ Anlässlich des am Sonntag bevorstehenden 100. Rosamunde-Pilcher-Films im ZDF schreibt Altpapier-Autor Klaus Raab, das Schimmste an der Reihe sei nicht, dass die Filme „das private Glück irgendwelcher FDP-Karikaturen ins Zentrum rücken (...), nein, das Schlimmste ist, dass viele dieser Liebesfilme so lieblos zusammengeschraubt sind, dass da keiner etwas zu wollen scheint außer halt Wühltischware mit einem Markenlogo zu verkaufen“ (S. 26).

+++ Vorschau auf das Programm am Einheitstag: Die taz lobt „Feindberührung", eine Doku, in der ein IM auf sein Spitzelobjekt trefft. Eher mittelprächtig: „Mein vereintes Deutschland – Wilde Jahre nach der Wende“, eine Mischung aus historischer Dokumentation und filmischer Sammelbiografie (Funkkorrespondenz; Disclosure: Rezension ist von mir)

+++ Inwiefern lassen „europäische Medien ihr Publikum online an redaktionellen Prozessen teilhaben“? Dies hat das European Journalism Observatory (EJO) in 13 Ländern untersucht (Journalistik-Journal).

+++ Der Journalist der Zukunft ist gläsern. Diese Position vertritt George Monbiot, Buchautor und Kolumnist des Guardian. Er hat in seinem Blog seine Einkünfte offen gelegt und fordert zur Nachahmung auf. Im aktuellen Freitag ist Monbiot mit einer Tirade gegen die groteske Preispolitik von Wissenschaftsjournlalen vertreten.

+++ Die ldee, die Geschicke eines Fußballclub basisdemokratisch via Internet mitbestimmen zu lassen, ist gescheitert, wie Zeit Online am Beispiel Fortuna Köln aufzeigt.

+++ Im Wirtschaftsteil der Süddeutschen beschäftigt sich Johannes Kuhn mit Amazons iPad-Konkurrenten Kindle Fire bzw. dem „Volks-Tablet“, wie es die FTD gestern nannte: „Apples vielleicht entscheidender Vorteil: Der Konzern liefert seine Geräte sehr schnell weltweit aus. Der 'Kindle Fire' hingegen wird erst einmal nur in den USA erhältlich sein. Bis es der erste Kindle Reader nach Deutschland schaffte, waren fast dreieinhalb Jahre vorbei.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.
 

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Für diesen Blogbeitrag habe ich ein Interview mit Lol aus Mainz geführt. Lol ist christlich, gläubig und non-binär. Nicht für alle christlichen Kreise passt das gut zusammen.
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