Bewunderndes Wow

Bewunderndes Wow

Der wertvollste Lacher ist der schlechteste Witz: ausgeruhte Meinungen dazu, wie Harald Schmidt war (allerdings bloß vorgestern). Außerdem: frische Steilvorlagen von der ARD.

Idealerweise würden an diesem Donnerstagmorgen die gängigen Medienmediengenres der Nachkritik und der Nacht-/ Frühkritik (siehe Altpapier vom Dienstag) aus Harald Schmidt-Anlässen produktiv kollidieren und ein paar Funken schlagen. Schließlich beherbergen heute extrem erwartungsgemäß die meisten Papierzeitungen Nachkritiken zur vorgestrigen Sat1.-Comebackpremiere. Das große weite Internet böte dagegen Platz für frische Frühkritiken zur zweiten Ausgabe gestern abend (Video), in der Schmidt und sein bemitleidenswerter Kicheraugust Helmut Zerlett vor der ersten Werbepause derartig auf der Klaviatur der Geduld herumklimperten..., dass zumindest der heutige Altpapierautor dann lieber ins Bett ging.

Dass auf Jahre angelegte, zu Sehgewohnheiten werden sollende Ferrnsehformate gerade nicht anhand der Premiere beurteilt werden sollten, wissen Medienredakteure doch. Doch ach, wer nach Kritiken zur zweiten neuen Schmidt-Show sucht, findet erst mal gar nichts und landet nach längerer Suche in Giulia Siegels Facebook-Account (auf dem natürlich berücksichtigt werden muss, dass Giulia Siegel sicher gerne selbst in eine der nächsten Shows eingeladen werden möchte).

Insofern folgt hier im Altpapier ein kleiner Überblick über die heute gedruckt erschienenen Besprechungen zur Show von vorgestern. Der auch schon in älteren Schmidt-Jahrgängen beobachtete Trend, dass jeder Harald Schmidt-Rezensent selbst ein Harald Schmidt sein möchte, setzt sich fort. Diese Saison trägt man lässige Redundanz:

"Schmidt ist Schmidt geblieben, sein Humor ist groß, ein fester Wert, auch gestreamt"

bzw.:

"Was Schmidt macht, was er nicht macht, wie er es macht und warum – diesen Fragen hat er sich über die Jahre entzogen, ihn interessieren die Antworten nicht, vielleicht weil er weiß, dass es darauf keine Antworten gibt. Weil es nur Fernsehen ist. Egal. Bedeutungslos."

meinen Christopher Keil (Süddeutsche, oberes Zitat) und Matthias Kalle (Tagesspiegel, unteres). Kalle-Fans und eventuell interessierten Medienmedienwissenschaftlern bietet sich ferner die Chance, den Übergang von der Nacht- zur Nachkritik unter Idealbedingungen zu analysieren, denn Kalle hat gestern bei tagesspiegel.de bereits eine Nachtkritik veröffentlicht. Was jetzt nicht heißt, das sei singulär. Oliver Jungen tat es für faz.net (schon gestern an dieser Stelle verlinkt) und die Papier-FAZ (S. 37) genauso, bloß ist der Zeitungs-Artikel nicht frei online verfügbar. Darin heißt es heute:

"Flink wie ein junger Hund wechselte Schmidt die Register. Aus dem im Grunde öden Witzeabklatsch mit Olli Dittrich machte er ein Hierarchiespiel: 'Wie gehst du eigentlich mit Gags um, die nicht funktionieren?' Mit Hape Kerkeling erschien dann ein Gast auf Augenhöhe: Den beiden würde man stundenlang zuhören. Umso bedauerlicher, dass sich das Gespräch weitgehend auf Kerkelings neue Fernsehprojekte beschränkte, auch wenn das die Vorlage für den wertvollsten Lacher des Abends bildete... "

Der Meinungsvielfalt wegen: Was Jungen für den wertvollsten Lacher hält, ist derselbe Kerkeling-"Wetten, dass..?"-Scherz, von dem David Denk in der schon gestern hier genannten taz.de-Nachtkritik schrieb: "Schlechter als ein schlechter Witz ist ein schlechter Witz, den man Monate vorher kommen sieht."

Denk wiederum hat aus seiner Nachtkritik keine Nachkritik gemacht. Falls Sie gar nicht so tief in die Kritiken- und Kritikeranalyse einsteigen, sondern bloß ein oder zwei relativ lesenswerte Schmidtshowkritiken überfliegen möchten, würden wir erstens die von dwdl.de gestern empfehlen, die nämlich direkt aus dem Studiopublikum heraus entstand ("am besten war Schmidt ausgerechnet, als das Rotlicht aus war") und ansonsten immerhin unaufregt auf dem Boden der Tatsachen bleibt ("keine überragende Show, aber souveräne Unterhaltung"), sowie zweiitens die von Marcus Bäcker in der Berliner Zeitung heute:

"Angekündigt wurde die erste Sendung des ARD-Abtrünnigen gruselig salbungsvoll von Ulrich Meyer, dessen Magazin 'Akte 20.11' dienstags vor Schmidt läuft. Schmidt wiederum durfte am Ende seiner Show die Reportage 'Drunter und drüber - Stellungswechsel im Pornoland' ansagen. Mehr musste er nicht machen, ein sicherer Lacher",

schreibt der Programm-Strukturalist, und:

"Dass Schmidt mindestens bis zur ersten Werbepause so schwungvoll, angriffslustig und begeistert böse wirkte wie seit Langem nicht mehr, lag allerdings weniger an Sat.1. Auch die ARD hatte sich ja mächtig ins Zeug gelegt, um ihr ehemaliges Aushängeschild mit Steilvorlagen zu versorgen."

Dieser Besprechung lassen sich wiederum gleich zwei Steilvorlagen entnehmen. Erstens: Hat Günther Jauch, dessen ARD-Showdebüt ja eine der ARD-Steilvorlagen bildete, Schmidts Scherze denn zur Kenntnis genommen? Antwort gibt Bild-Zeitungs-Reporterin Karen Gottschild in einer gewaltigen Partyreportage von der großen Bertelsmann-Sause in der Berliner Residenz des Gütersloher Konzerns. Dort schnappte sie nicht bloß das "bewundernde 'Wow'", das "Werbe-Ikone Verona Pooth (43)" allseits auslöste, und einen von "Bundesaußenminister Guido Westerwelle (49)" gegebenen Tipp für den Ausweg aus der Euro-Krise auf. Sondern fand auch noch Gelegenheit, kurz mit Jauch zu talken:

"Konnten Sie lachen, frage ich den Betroffenen? Doch der fragt zurück: 'Was hat er denn gesagt? Ich habe seine Sendung nur halb gesehen.' Kurze Aufklärung: Schmidt meinte, wie 'Stern TV' war es nicht, sonst hätten Sie noch Tiere in der Sendung gehabt und auch gekocht. Günther Jauch schaut regungslos - doch seine Frau Thea lacht los. 'Ja, ja, immer wieder die Tiere...' Jetzt lacht auch Jauch, denn ihm fällt doch noch ein Schmidt-Spruch ein: 'Er sagte wohl auch noch, dass ihm ein Hund aus New York fehlte, der nach 9/11 nicht mehr bellen kann.' Dann setzt er wieder seinen seriösen Gesichtsausdruck auf und meint: 'Im Ernst, ich sage gerade jedes Mal, wenn ich von zu Hause zur Talk-Show aufbreche: Ich gehe jetzt lernen.'"

Das ist es, was von Fernsehshows dann übrig bleibt.

[listbox:title=Artikel des Tages[Schmidtshowkritik der BLZ##Schmidtshowkritik bei dwdl.de##Bertelsmannpartybesprechung der Bild-Zeitung##TAZ über ARD/ MDR-Lage##Neven DuMont-Roman-Besprechungen (meedia)##Hungersnot-Reportagen-Making-of (BLZ)]]

Ferner haben sich die Intendanten der nun schon so oft genannten ARD gerade wieder versammelt und die gewohnte Pressekonferenz abgehalten. "So viel Redebedarf wie bei ihrer jüngsten Sitzung am Montag und Dienstag in Potsdam hatten ARD-Intendanten und ARD-Hauptversammlung selten", leitet der Tagesspiegel seine getreuliche Zusammenfassung der Tagespordnungspunkte ein. Das würde zumindest erklären, warum sie beim Publikum in dieser Saison so viel Geredebedarf annehmen.

Um die Talkshowschwemme ging es jedoch noch weniger, sondern um die leidige Frage der "Tagesschau"-App und der sog. elektronischen Presse. Dort herrscht wieder leichte Bewegung (siehe evangelisch.de, Zeitungsverlegerverband mit eigenen Einlassungen). Einen kessen Spruch der RBB-Intendantin Dagmar Reim dazu dokumentiert die Süddeutsche:

"Sie sagte, selbstverständlich müsse die ARD im Internet auch Texte anbieten und könne 'nicht zum Stummfilm zurückkehren, nur von Herrn Döpfner am Klavier begleitet, so reizvoll das auch wäre'."

Außerdem interessant an der ARD-Versammlung: der Krisenherd MDR. Unter der Überschrift "Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen" fasst hierzu die TAZ die Lage zusammen und zitiert den in Hinblick auf künftige Verantwortlichkeiten vielsagenden Ausspruch der auf künftig amtierenden ARD-Vorsitzenden Monika Piel: "Der MDR ist eine autonome Landesrundfunkanstalt. Und Herr Reiter informiert uns in dem Umfang, den er für richtig hält".

Falls Sie nun der Artikel zum MDR aus der aktuellen EPD Medien-Ausgabe, von dem am Montag hier im Altpapier die Rede war und in dem Diemut Roether die bei der aktuellen Intendantenauskungelung im MDR ganz besonders fehlende (dabei theoretisch-gesetzlich ja vorgeschriebene) Staatsferne bemängelte: Der ist zwar weiterhin eigentlich nicht frei online verfügbar. Aber die ARD hat aus irgendeinem Grund - vielleicht um die ausplätschernde Elektronische-Presse-Diskussion nochmal zu beleben - die gesamte EPD Medien-Ausgabe als PDF online gestellt.


Altpapierkorb

+++ "Unglaublich" (netzpolitik.org), alleine in den letzten 30 Stunden rund 20.000 Unterzeichner: Die gestern oben im Altpapierkorb erwähnte E-Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung hat es tatsächlich noch über die 50.000er-Hürde geschafft (siehe auch SPON). +++

+++ Neu in der Arena der medialen Lobbyverbände: die Dokumentarfilmproduzenten als neue, bereits sechste Sektion der Produzentenallianz. "Das vielleicht größte Problem der Fernsehkreativen ist aber die Rechtelage. Von den vielen neuen digitalen Möglichkeiten, zum Zuschauer zu kommen, von Mediatheken, Video on Demand oder Wiederholungen auf neuen Digitalkanälen profitieren die Filmemacher derzeit noch kaum", informiert Claudie Tieschky in der Süddeutschen. Nun werde die neue Organisation "wohl auch darauf drängen, dass die Anstalten", ARD und ZDF also, "besser kenntlich machen wie viel Geld sie für was ausgeben- die Budgets für Sportrechte gegenüber denen für Informationsprogramme beispielsweise." +++ "Die Dokumentarfilmer haben Lobbying bitter nötig... ... Die Produzenten erstellen ein Werk, die Sender zahlen aus, kassieren alle Werte ein und können die Preise drücken - 45 Minuten lange Stücke sind schon für 35 000 Euro zu haben", präzisiert Michael Hanfeld in der FAZ. +++ Dass es sich beim neuen Verband um keine Konkurrenz für die AG Dok handeln soll, wird in beiden Artikeln betont. +++

+++ "Als ich zu den ängstlich aufgerissenen Augen des Jungen komme, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass der Text wesentlich stärker wäre, würde er mit Abdis Tod enden. Beschämt gebe ich mir Mühe, die Geschichte auch so einigermaßen eindrucksvoll zu Ende zu erzählen... ...": eindrucksvolles Making-of zu Hungersnot-Reportagen aus Afrika von Johannes Dieterich in der Berliner Zeitung. +++

+++ Jan Freitag nennt in der BLZ das "von Behinderten für alle" gestaltete Magazin Toll eine "quirlige Mischung aus Fanzine und SZ-Magazin". +++ +++ Jürg Altwegg befasst sich in der FAZ mit der auf französisch und englisch erhältlichen Gesellschaftsspiel-App "Jude oder nicht?": "Anstößig ist die App auch deshalb, weil sie sich als 'Lob der Juden' ausgibt, aber ganz gezielt auf die antisemitischen Reflexe und Klischees setzt: '47 Prozent der Schachweltmeister sind Juden'". +++

+++ Gestern in BLZ/ FR: zwei große Artikel über das äußerst umstrittene Blog  "Politically Incorrect". +++ Heute zitieren die DuMont-Blätter Politikerreaktionen und "wütende Tiraden" der Islamfeinde. +++

+++ Die frühere SPD-Europarlamentarierin Erika Mann wird europäische Cheflobbyistin für Facebook (Tsp.). +++ Die Bild-Zeitung will mit Ernst Pöppel, dem "Boulevard-Wissenschaftler unter den Hirnforschern" "die Hirne von Lesern" durchleuchten. Wie genau das funktionieren soll, wird aus dem Süddeutsche-Artikel nicht wirklich deutlich. +++

+++ Daniela Zinser, die gestern als Schmidtshow-Frühkritikerin bei SPON schrieb der man als Schmidtshow-Frühkritikerin bei SPON sicher in den Vorspann schrieb, sie sei "glücklich wie lange nicht mehr ins Bett" gegangen, war auch am Set eines ZDF-Fernsehfilms über die Kabarettistin und Ordensschwester Isa Vermehren. Und erkannte für die TAZ den Trend, dass "das Fernsehen unter Geschichte" nicht mehr "vor allem Katastrophen" erkennt, sondern eher "weibliche Biografien". +++

+++ "Man mag es einen Schlüsselroman nennen" (TAZ), "das kann man nur als Schlüsselroman verstehen" (meedia.de mit Links zu Besprechungen in der DuMont-Presse): Alfred Neven DuMonts Romanzweitling "Vaters Rückkehr" ist draußen. "Sensibel und eindringlich" beschreibt der Zeitungshauspatriarch "eine von Unverständnis und Schuldzuweisungen belastete Beziehung zwischen Vater und Sohn..." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

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